T 0668/01 () of 20.1.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T066801.20040120
Datum der Entscheidung: 20 Januar 2004
Aktenzeichen: T 0668/01
Anmeldenummer: 96929231.7
IPC-Klasse: B29C 47/40
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Durchführung kontinuierlicher Aufbereitungsprozesse auf gleichsinnig drehenden, dichtkämmenden Extrudern
Name des Anmelders: Coperion Werner & Pfleiderer GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Leistritz Aktiengesellschaft
THEYSOHN Maschinenbau GmbH
APV UK LIMITED
SOCIETE CLEXTRAL TOUR FRAMATOME
F.LLI MARIS S.p.A.
Vodafone Holding GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 852 533 widerrufen worden ist, Beschwerde eingelegt.

II. Die Einsprüche der Beschwerdegegnerinnen I bis VI (Einsprechende 01 bis 06) waren auf die in Artikel 100 a), b) und c) EPÜ genannten Einspruchsgründe gestützt. Die Einspruchsabteilung hat das Streitpatent gestützt auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ) widerrufen.

III. Am 20. Januar 2004 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der folgenden Unterlagen:

a) Hauptantrag: Ansprüche 1 bis 5, eingereicht am 6. Dezember 2003 als Hauptantrag; oder

b) Hilfsantrag: Ansprüche 1 bis 3, eingereicht am 6. Dezember 2003 als Hilfsantrag.

Die Beschwerdegegnerinnen I bis VI beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D3: Kunststoffe 75 (1985)2 "Kunststoffe - ein Werkstoff macht Karriere"; Dipl.-Ing. Heinz Herrmann, "Aufbereitung des Kunststoff-Rohstoffs", Seiten V bis XVI; Carl Hanser Verlag, München 1985;

D19: DE-C 33 48 324;

D22: Kunststofftechnik "Der Doppelschneckenextruder: Grundlagen- und Anwendungsgebiete", 4., überarbeitete Auflage, VDI Verlag GmbH, Düsseldorf 1998; Seiten 242 bis 255 und 573 bis 590;

D26: Doktorarbeit, vorgelegt am 17. Mai 1990 an der ECOLE NATIONALE SUPERIEURE DES MINES DE PARIS von Claire Barrès: "TRANSFORMATION DE PRODUITS CEREALIERS PAR CUISSON EXTRUSION- APPROCHE EXPERIMENTALE ET MODELISATION", Inhaltsverzeichnis sowie Seiten 49 bis 59, 97 bis 113, 217 und 218;

D35: World Compounding Congress, AMI's International Conference for the Thermoplastic Compounding Industry, Swissotel Rheinpark, Neuss, Germany 10. bis 11. Februar 1993, "Design optimisation of the co-rotating twin screw extruder", J. A. Colbert, M. J. Dillon; 16. Februar 1993;

P2: Von der Beschwerdeführerin am 17. August 2001 als Anlage P2 eingereichte Tabelle P2 mit Diagramm.

V. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Durchführung von kontinuierlichen Aufbereitungsprozessen auf gleichsinnig drehenden, dicht kämmenden Doppelschneckenextrudern, die ein Verhältnis Da/Di von Schneckenaußendurchmesser Da zu Schneckeninnendurchmesser Di zwischen 1,5 und 1,6 aufweisen, dadurch gekennzeichnet, daß der Doppelschneckenextruder mit einer Schneckendrehzahl von mindestens 800 Upm bei gleichzeitiger Erhöhung der einleitbaren sogenannten "Drehmomentdichte" pro Schnecke Md/a3 von mindestens 11 Nm/cm3 betrieben wird, wobei a der Achsabstand der Schneckenwellen [cm] ist."

VI. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Der einzig strittige Punkt im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sei die Angabe der Obergrenze von 1,6 für das Verhältnis Da/Di von Schneckenaußendurchmesser Da zu Schneckeninnendurchmesser Di. In der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung sei mehrfach (siehe Seiten 1 und 6, jeweils letzter Absatz der veröffentlichten Fassung) angegeben, daß die handelsüblichen Extruder in der Regel ein Durchmesserverhältnis im Bereich zwischen 1,4 und 1,6 aufwiesen. Auf Seite 5, Zeilen 4 und 5 werde darauf verwiesen, daß im Folgenden die Erfindung erläutert werde. In diesem Rahmen werde auf Seite 5, Zeilen 12 bis 19, beschrieben, daß das erfindungsgemäße Verfahren auf handelsüblichen ZSK-Maschinen durchgeführt worden sei, wobei die Schneckengeometrie, also das Durchmesserverhältnis, unverändert geblieben sei. Eine obere Grenze von 1,6 für den Da/Di -Wert sei damit in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung in Zusammenhang mit der Erfindung offenbart.

b) Der von der Beschwerdegegnerin V vorgebrachte Einwand der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ) sei ohne Belang, da eine fehlende Obergrenze nicht die Ausführbarkeit einer Erfindung berühre. Es sei für den Fachmann offensichtlich, daß es natürliche Grenzen gebe.

c) Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der nächstliegende Stand der Technik sei im Streitpatent in Absatz [0004] angegeben. Demgemäß wiesen die gattungsgemäßen Extruder Drehmomentdichten zwischen 5 und 10 Nm/cm3 auf und seien mit Drehzahlen von 200 bis 600 Upm gefahren worden. Hierbei sei allerdings zu beachten, daß diese Zahlen nicht korreliert seien. Das hieße, daß damit nicht gesagt werde, daß die bekannten Extruder mit der höchsten Drehmomentdichte auch mit der höchsten Drehzahl gefahren worden seien. Die Tabelle P2 gebe einen Überblick über vor dem Prioritätstag des Streitpatents im Handel erhältliche Extruder mit ihren Kenndaten.

Dem Streitpatent liege die Aufgabe zu Grunde, siehe Absatz [0011] des Streitpatents, qualitätserhöhende höhere mittlere Schergeschwindigkeitsbereiche bei gleichzeitiger Verkürzung der Einwirkdauer von Temperaturspitzen im Produkt zu realisieren. Diese Aufgabe werde durch das in Anspruch 1 (Hauptantrag) beschriebene Verfahren gelöst.

Die Erfindung sei im Wesentlichen in der signifikanten Anhebung der Drehzahl (mindestens 800 Upm) bei gleichzeitig sehr hohen Drehmomentdichten (mindestens 11. Nm/cm3) zu sehen. Die sehr hohen Drehzahlen in Kombination mit sehr hohen Drehmomentdichten führten zu sehr kurzen Verweilzeiten, wodurch unüblich hohe Temperaturen zugelassen werden könnten, ohne daß eine Produktschädigung auftrete. Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren seien hinsichtlich Drehzahl und Temperatur Schwellen überschritten und eine überproportional hohe Durchsatzsteigerung erreicht worden.

Drehzahlen von mindestens 800 Upm seien vor dem Prioritätstag des Streitpatents nicht in Betracht gezogen worden. Im Hinblick auf die Produktqualität seien Grenzen in der Drehzahl zu beachten gewesen, siehe Dokument D3, Seite XVI, linke Spalte, vorletzter Absatz. Die Tabelle P2 zeige auch anhand einiger Beispiele, daß es hinsichtlich der Drehzahlen ab 1992 keine weitere Entwicklung mehr nach oben gegeben habe. Die im nachveröffentlichten Dokument D22 (siehe Seite 580 unten) angesprochene "Drehzahlbarriere im Kopf der Verfahrenstechniker" sei zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents vorhanden gewesen. Die Überwindung dieses Vorurteils belege die erfinderische Tätigkeit, und die Erfindung habe zu einem Entwicklungsschub geführt, wie durch Dokument D22 belegt, siehe Seite 579 unten und Seite 580, 1. Absatz.

Ferner seien bisher höhere Drehmomentdichten immer mit niedrigeren Drehzahlen zur Anwendung gekommen und umgekehrt. Dies zeige die Tabelle P2, Seite 2, anhand des Extruders vom Typ ZSE_50GL (Hersteller Leistritz, Oktober 1992), den es zur gleichen Zeit (Oktober 1992) in den zwei Ausführungsformen, Drehzahl 400 Upm und Drehmomentdichte 8,35 Nm/cm3 bzw. Drehzahl 500 Upm und Drehmomentdichte 7,71 Nm/cm3 gegeben habe.

Die weiteren Dokumente enthielten ebenfalls keine Anregungen, die zum Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag führen könnten.

Dokument D19 beschreibe ein Regelverfahren, wie bei vorgegebener Massetemperatur und vorgegebenem Drehmoment der Durchsatz durch wechselweise Steigerung der Drehzahl und der Materialzudosierung optimiert werden könne. Auch hier sei eine Drehzahlgrenze zu beachten gewesen, und das Dokument D19 lehre nur, wie man dorthin komme. Die dort angegebenen bzw. erreichbaren Drehzahlen lägen zudem weit unterhalb der im Streitpatent beanspruchten Mindestdrehzahl.

Dokument D26, dessen Veröffentlichungstag nicht klar sei, verweise ebenfalls auf Drehzahlen weit unterhalb des beanspruchten Bereiches.

Dokument D35 verweise auf den Extruder HP4060 des Herstellers APV. Dieser Extruder liege im Bereich des in Anspruch 1 des Streitpatents gemäß Hauptantrag beanspruchten Minimalwertes für die Drehmomentdichte, werde aber auch nur mit 330 Upm gefahren (siehe Seite 1 oben der Tabelle P2).

VII. Die Beschwerdegegnerinnen I bis VI haben im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) In der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung sei die Bereichsangabe von 1,5 bis 1,6 für das Durchmesserverhältnis nicht offenbart. Es fänden sich dort zwar Angaben (siehe Seiten 1 und 6 unten der veröffentlichten Fassung) zu einem Bereich von 1,4 bis 1,6, diese beträfen jedoch den Stand der Technik, und, wie von der Beschwerdegegnerin VI vorgetragen, die Gattung.

Es gebe keine Hinweise darauf, daß die Obergrenze von 1,6 für die Erfindung relevant sei. Auf Seite 2, vorletzter Absatz der veröffentlichten Fassung der ursprünglich eingereichten Anmeldung werde vielmehr darauf verwiesen, daß durch die bei herkömmlichen Extrudern bestehende Begrenzung der sogenannten Volumigkeit (Verhältnis Da/Di) Probleme bestünden. In der Lösung hierzu werde dementsprechend eine untere, aber keine obere Grenze für das Durchmesserverhältnis angegeben.

b) Der von der Beschwerdegegnerin V vorgebrachte Einwand der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ) wurde unter anderem damit begründet, daß nach allgemeiner Rechtsprechung eine Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein müsse. Da in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag weder bezüglich der Drehzahl noch bezüglich der Drehmomentdichten obere Grenzen angegeben seien, und das Streitpatent keine Angaben enthalte, wie das Verfahren mit Werten ausführbar sei, die über denen liegen, die gemäß Absatz [0024] des Streitpatents mit handelsüblichen Extrudern erreichbar gewesen seien sollen, sei die Erfindung nicht so ausreichend offenbart, daß der Fachmann sie im gesamten beanspruchten Bereich ausführen könne. Zudem gebe das Streitpatent nicht an, welcher Typ von ZSK-Extrudern bei diesen Versuchen verwendet worden sei und welche Änderungen dabei vorgenommen worden seien, um das erfindungsgemäße Verfahren durchzuführen.

c) Aufgabe des Streitpatents sei eine Erhöhung der Schergeschwindigkeit unter Vermeidung von Temperaturspitzen. Wie im Streitpatent bereits dargelegt, seien Drehzahlen von 300 bis 600 Upm und Drehmomentdichten im in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beanspruchten Bereich üblich gewesen. Der hier angesprochene Fachmann wisse, daß höhere Schergeschwindigkeiten zu einer besseren Durchmischung des Produkts und damit zur Verbesserung der Produktqualität führten und daß dies mit höheren Drehzahlen erreicht werde. Ferner sei ihm auch bekannt, daß eine Erhöhung des Durchsatzes durch Erhöhung der zugeführten Masse eine Erniedrigung der Produkttemperatur zur Folge habe (vgl. Dokumente D19, Figur 2 und D26, Seiten 102 und 103). Diese Größen stünden zusammen mit der Verweilzeit in einem bekannten physikalischen Zusammenhang. Diese Zusammenhänge seien für den Fachmann, im Gegensatz zu den Aussagen in Absatz [0024] des Streitpatents, keinesfalls überraschend.

Dokument D3 lehre zur Leistungssteigerung eines Doppelschneckenextruders hohe Drehzahlen und hohe Drehmomente. Es verweise explizit darauf, die Drehzahl so hoch wie möglich zu wählen. Der Fachmann, der stets versuche, bestehende Verfahren zu verbessern, und der die Zusammenhänge zwischen Drehzahl, Drehmomentdichte, Verweilzeit, Durchsatz und Temperatur kenne, werde daher eine Erhöhung der Drehzahl zusammen mit einer Erhöhung der Drehmomentdichte in Betracht ziehen. Er werde dabei auch die Maschinenangaben eines Herstellers nicht als unumstößlich betrachten.

Die beanspruchte Erhöhung der Drehzahl auf 800 Upm sei die Folge einer normalen Entwicklung und stelle keinen Sprung dar, der eine erfinderische Tätigkeit begründen könne. Wie die Tabelle P2 anhand einiger Beispiele zeige, habe es derartige Entwicklungen bereits mehrfach gegeben. Der Wert von 800 Upm sei auch völlig willkürlich. Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern diesem Wert nun im Vergleich zu dem in der Vorinstanz beanspruchten Wert von 600 Upm eine erfinderische Tätigkeit zugesprochen werden könne.

Der Grund dafür, daß in den Dokumenten des Standes der Technik niedrigere Drehzahlen genannt würden, läge darin, daß zum Zeitpunkt, als diese Dokumente verfaßt worden seien, die Drehzahl aus maschinentechnischen Gründen begrenzt gewesen sei.

Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag stelle somit eine einfache Extrapolation des Standes der Technik dar und beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Änderungen

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist in der ursprünglich eingereichten Fassung (veröffentlichte Fassung) der Anmeldung in deren Anspruch 1 in Verbindung mit den Textstellen dieser Anmeldung auf Seite 1, erster und letzter Absatz, Seite 5, Zeilen 12 bis 19 und Seite 6, Zeilen 34 und 35 offenbart.

Im ersten Absatz der oben genannten Seite 1 wird dargelegt, daß die Erfindung ein Verfahren zur Durchführung kontinuierlicher Aufbereitungsprozesse auf gleichsinnig drehenden, dicht kämmenden Extrudern betrifft. Im letzten Absatz dieser Seite 1 wird darauf verwiesen, daß "Extruder der eingangs genannten Art", also gattungsgemäße Extruder, mit einem Verhältnis Schneckenaußendurchmesser zu Schneckeninnendurchmesser (Da/Di) von 1,18 bis 1,25 bzw. von 1,4 bis 1,6 bekannt sind. Auf Seite 6, Zeilen 34 und 35 wird nochmals darauf hingewiesen, daß dieses Verhältnis bei den bekannten Extrudern im Bereich von 1,4 bis 1,6 liegt. Auf Seite 5, Zeilen 12 bis 19 ist ferner offenbart, daß Versuche nach dem erfindungsgemäßen Verfahren auf handelsüblichen ZSK- Maschinen durchgeführt wurden, wobei die Schneckengeometrie, also das Verhältnis Schneckenaußendurchmesser zu Schneckeninnendurchmesser unverändert blieb.

Die Erfindung, wie sie in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung dargestellt ist, geht somit davon aus, daß bei diesem Verfahren im Hinblick auf das Verhältnis Schneckenaußendurchmesser zu Schneckeninnendurchmesser handelsübliche Extruder zur Anwendung kommen. Die Obergrenze dieses Verhältnisses ist für diese handelsüblichen Extruder in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung mit 1,6 angegeben.

Dementsprechend kann die Kammer in dieser Einschränkung des Anspruchs 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung auf die von den handelsüblichen und gattungsgemäßen Extrudern bekannten Werte keine über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehende Änderung sehen. Allerdings war bei dieser einschränkenden Bereichsangabe zu beachten, daß gemäß der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung der Wert für die Volumigkeit größer als 1,5 zu sein hatte, damit die gestellte Aufgabe erfüllt wird, siehe Seite 3, 2. Absatz sowie Anspruch 1.

Durch die Änderung der Mindestdrehzahl auf einen Wert von 800 Upm ist der Schutzumfang des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zudem gegenüber dem Schutzumfang des Anspruchs 1 des Streitpatents in erteilter Fassung eingeschränkt.

Die weiteren Änderungen betreffen die Anpassung der abhängigen Ansprüche und der Beschreibung an den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag.

Die gemäß Hauptantrag der Beschwerdeführerin im Streitpatent vorgenommenen Änderungen genügen damit den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

2. Ausführbarkeit

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit richtete sich im Wesentlichen darauf, daß in Anspruch 1 bezüglich der Drehzahl und der Drehmomentdichte nur Mindestwerte, aber keine oberen Grenzen genannt werden und die Erfindung dementsprechend nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sei.

Zunächst ist festzuhalten, daß kein Nachweis vorliegt, daß die Erfindung, wie sie in Anspruch 1 definiert ist, im Bereich oberhalb der angegebenen Mindestwerte nicht ausführbar sei, und es liegt auch kein Nachweis vor, bei welchen Drehzahl- und Drehmomentwerten das Verfahren nicht mehr ausführbar sei.

Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern richtet sich die Offenbarung einer Patentschrift an den Fachmann, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Seite 167, Kapitel II. A. 2. Dieser Fachmann wird erkennen, daß die wesentlichen Merkmale zur Erfüllung der gestellten Aufgabe die Einhaltung bestimmter Mindestdrehzahlen und -drehmomentdichten sind. Er wird dabei aber gleichzeitig mit in Betracht ziehen, daß die Drehzahlen und Drehmomentdichten nicht unbeschränkt nach oben gesteigert werden können, sondern daß er irgendwann an Grenzen stoßen wird, sei es auf Grund technischer Gegebenheiten oder weil das Produkt nicht mehr die geforderte Qualität aufweist und damit die Aufgabe nicht mehr erfüllt wird. In diesem Rahmen offenbart das Streitpatent die Erfindung, wie sie in Anspruch 1 definiert ist, im Sinne von Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ, so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

3. Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu, da sich das Verfahren vom vorliegenden Stand der Technik insbesondere dadurch unterscheidet, daß der Doppelschneckenextruder mit einer Schneckendrehzahl von mindestens 800 Upm betrieben wird.

Die Neuheit wurde von den Beschwerdegegnerinnen I bis VI auch nicht bestritten.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Der nächstliegende Stand der Technik ist im Streitpatent in Absatz [0004] wiedergegeben. Dort wird auf zum Prioritätszeitpunkt handelsübliche Extruder hingewiesen, die mit Schneckendrehzahlen zwischen 200 und 600 Upm, "Drehmomentdichten" zwischen 5 und 10 Nm/cm3 und Volumigkeiten (Verhältnis Da/Di) zwischen 1,4 und 1,6 betrieben wurden. Die spezifischen Kenndaten einzelner zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bekannter Extruder sind zudem in der Tabelle P2 gelistet.

Ausgehend von diesen auf den handelsüblichen Maschinen durchgeführten Verfahren, besteht die dem Streitpatent zu Grunde liegende Aufgabe darin, qualitätserhöhende mittlere Schergeschwindigkeiten bis zu >= 1000 1/sec bei gleichzeitiger Verkürzung der Einwirkdauer von Temperaturspitzen im Produkt zu realisieren, siehe Absatz [0011] des Streitpatents.

Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 insbesondere dadurch gelöst, daß ein gleichsinnig drehender, dicht kämmender Doppelschneckenextruder mit einer Volumigkeit (Verhältnis Da/Di) zwischen 1.5 und 1,6 mit Drehzahlen von mindestens 800 Upm und einer Drehmomentdichte von mindestens 11 Nm/cm3 betrieben wird.

Mit der erhöhten Drehmomentdichte von mindestens 11 Nm/cm3 kann, gemäß Streitpatent, Absatz [0013], der Extruder ohne weiteres mit den hohen Schneckendrehzahlen betrieben werden, ohne daß sich eine unzulässig hohe spezifische Energieeinleitung ergibt. Als weiterer Vorteil ergibt sich ein sehr hoher Produktdurchsatz pro Zeiteinheit.

4.2. Die entscheidende Frage hinsichtlich des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit ist, ob die beanspruchte Mindestdrehzahl (800 Upm) in Zusammenhang mit der beanspruchten Mindestdrehmomentdichte (11 Nm/cm3) die Folge einer normalen Entwicklung war, d. h. ob der Fachmann somit diese Parameter zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents in Betracht gezogen hätte, um Produktqualität und Durchsatz zu steigern.

4.3. Es ist bekannt, daß bei kontinuierlichen Aufbereitungsprozessen auf gleichsinnig drehenden, dicht kämmenden Doppelschneckenextrudern der Durchsatz direkt proportional sowohl zur Drehzahl als auch zum Drehmoment ist, siehe Dokument D3, Seite XIV, jeweils erster Satz der Absätze mit den Titeln "Hohe Schneckendrehzahlen" und "Hohe Drehmomente". Mit einer Erhöhung von Drehzahl und/oder Drehmoment kann damit bekanntermaßen eine Steigerung des Durchsatzes erreicht werden.

Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß sich durch den Maschinenverschleiß und die Produktbeanspruchung eine Drehzahlgrenze ergibt, siehe Dokument D3, Seite XIV, den Absatz mit der Überschrift "Hohe Schneckendrehzahlen". Auch in Dokument D19 ist anhand Figur 2 gezeigt, daß aufgrund der Wärmeentwicklung einer Erhöhung der Drehzahl Grenzen gesetzt sind.

Dokument D19, siehe Figur 2 sowie Anspruch 1, lehrt aber auch, daß durch Steigerung der Materialzufuhr eine Temperaturverminderung eintritt, die wiederum eine Erhöhung der Drehzahl gestattet. Dies zeigt auch Dokument D26 anhand der Figur 7, Seite 102.

Es scheint daher zunächst eine für den Fachmann auf der Hand liegende Maßnahme zu sein, Drehzahl und Drehmomentdichte gleichzeitig zu erhöhen, um damit den Durchsatz und, durch die höheren Drehzahlen, die Durchmischung und damit auch die Produktqualität zu erhöhen.

4.4. Nach Ansicht der Kammer wird dieser Ansatz jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents nicht gerecht und führt letztendlich auch nicht in nahe liegender Weise zu einem Verfahren gemäß Anspruch 1.

4.4.1. Gemäß Dokument D3, Seite XVI, linke Spalte, vorletzter Absatz, ist die Drehzahl zwar so hoch wie möglich zu wählen, dabei sind jedoch die durch die Produktqualität gegebenen Grenzen zu beachten.

Die Tabelle P2 zeigt, daß die bekannten Extruder vorwiegend in einem Drehzahlbereich von 300 bis 600 Upm, mit einigen Ausnahmen über 600 Upm (Clextral BC_45 (614 Upm), BC_72 (685 Upm) und BC_21 (682 Upm)) gefahren wurden. Die Drehzahlangaben in der Tabelle P2 zeigen ferner für die Jahre vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents (1992 bis 1995) keine erkennbare Entwicklungstendenz nach höheren Drehzahlen. Dies unterstreicht die im nachveröffentlichten (1998) Dokument D22 getroffene Aussage zur Existenz einer "Drehzahlbarriere im Kopf der Verfahrenstechniker", siehe Seite 580 unten.

Die Tabelle P2 zeigt weiterhin, daß sich das Verfahren gemäß Anspruch 1 hinsichtlich der Drehzahl signifikant von den bisher üblichen Drehzahlen unterscheidet und daß gleichzeitig auch der Mindestwert für die Drehmomentdichte, bis auf eine Ausnahme (APV HP4060, vgl. Dokument D35), über den bisher bekannten Werten liegt. Das der Tabelle P2 beigelegte Diagramm, das beide Größen, Drehzahl und Drehmomentdichte, in Kombination darstellt, zeigt, daß das beanspruchte Verfahren klar außerhalb des vom Stand der Technik belegten Bereiches liegt.

Dadurch, daß Drehzahl und Drehmomentdichte so hoch gewählt werden, ergibt sich gemäß Streitpatent, Absatz [0024], der Vorteil, daß selbst bei Erhöhung der Massetemperatur auf eine unüblich hohe Schmelzetemperatur keine Produktschädigung auftritt, da durch das beanspruchte Verfahren die Verweilzeiten im Extruder weit unter 10 s liegen.

Das beanspruchte Verfahren geht damit über die Lehren des Standes der Technik, insbesondere der des Dokuments D19, hinaus, indem, unter Berücksichtigung der Verweilzeit, Temperaturen über den sonst üblichen Grenztemperaturen als zulässig betrachtet werden. Das Dokument D19 beschreibt hingegen, wie bei einer vorgegebenen Grenztemperatur und einem vorgegebenen Drehmoment ein optimaler Durchsatz durch eine geregelte wechselweise Erhöhung der Drehzahl und der zugeführten Materialmenge erreichbar ist, siehe Anspruch 1. Je nach Füllstand wird hier bereits bei Drehzahlwerten von 200 und 240 Upm die Grenztemperatur erreicht, siehe Figur 2.

4.4.2. Zum Prioritätstag des Streitpatents lehrte der Stand der Technik somit, daß bei der Erhöhung des Durchsatzes Grenzen in der Drehzahl in Betracht zu ziehen sind, und es wurden auch durchwegs Drehzahlen verwendet, die unter und, gerade bei hohen Drehmomentdichten, sogar weit unterhalb des in Anspruch 1. beanspruchten Drehzahlbereichs liegen. Es findet sich im vorliegenden Stand der Technik keine Anregung, die auf Drehzahlwerte von mindestens 800 Upm bei gleichzeitig hohen Drehmomentdichten von über 11 Nm/cm3 hindeuten. Wie das drei Jahre nach dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlichte Dokument D22 belegt, konnten mit einer Erhöhung der Drehzahl und der Drehmomentdichte über die in Anspruch 1 genannten Mindestwerte Durchsätze erzielt werden, "die vor kurzem noch für utopisch gehalten wurden", siehe Seite 579 unten sowie Seite 580, 1. Absatz.

4.4.3. Nach alledem ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß das in Anspruch 1 beanspruchte Verfahren keine Folge einer normalen Entwicklung war, sondern daß hier Schwellen überschritten und Vorurteile überwunden werden mußten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Hinblick auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der Prioritätszeitpunkt des Streitpatents und der Stand der Technik, wie er sich zu diesem Zeitpunkt dem Fachmann darbot, maßgebend sind. Der Hinweis, daß ähnliche Entwicklungssprünge schon in früheren Zeiten zu beobachten waren, kann daher nach Ansicht der Kammer keine Rolle spielen. Es ist nach Ansicht der Kammer auch nicht ausreichend belegt, daß die Fachwelt lediglich auf Grund technischer Unzulänglichkeiten von der Durchführung des Verfahrens gemäß Streitpatent abgehalten war. Spätere Hinweise auf technische Veränderungen, die hohe Drehzahlen in Kombination mit hohen Drehmomentdichten erlauben, sind kein Nachweis dafür, daß das Verfahren vor dem Prioritätszeitpunkt nicht durchführbar war, siehe hierzu auch Punkt 2 oben. Schließlich ist noch zu bemerken, daß der Gegenstand eines Anspruchs im Vergleich zum geltenden Stand der Technik zu beurteilen ist und nicht im Vergleich zu früheren Anspruchsfassungen.

4.5. Die weiteren im Verfahren genannten Dokumente gehen nach Ansicht der Kammer bezüglich der Frage der erfinderischen Tätigkeit nicht über den oben bereits berücksichtigten Stand der Technik hinaus.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag war folglich durch den vorliegenden Stand der Technik nicht nahe gelegt und beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 betreffen Weiterbildungen und Anwendungen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 und beruhen daher ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5. Auf die Beurteilung des Hilfsantrags der Beschwerdeführerin konnte bei dieser Sach- und Rechtslage verzichtet werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

a) Ansprüche 1 bis 5, eingereicht am 6. Dezember 2003 als Hauptantrag; und

b) Beschreibung: Seite 2, eingereicht am 6. Dezember 2003, Seite 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung, und Seiten 3 und 5 wie erteilt; und

c) Zeichnung: Figuren 1 und 2, wie erteilt.

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