T 0338/01 () of 18.3.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T033801.20030318
Datum der Entscheidung: 18 März 2003
Aktenzeichen: T 0338/01
Anmeldenummer: 95907553.2
IPC-Klasse: B60R 21/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Sensoreinheit zum Steuern eines Insassenschutzsystems eines Kraftfahrzeugs
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: Robert Bosch GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit, erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag, bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) gegen das europäische Patent Nr. 0 746 482 eingelegte Einspruch, der auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit) im Hinblick auf die Druckschriften

D1: Revised Reprint from "Automobile professional", Siemens, 2/92, Seiten 44 bis 47

D2: EP-A-0 566 758

gestützt war, führte zum Widerruf des Patents mangels Neuheit gegenüber der D2 durch die am 1. Februar 2001 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 20. März 2001 bei gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr und Vorlage der Beschwerdebegründung Beschwerde eingelegt.

III. Am 18. März 2003 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) bzw. auf der Basis des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet wie folgt:

"Sensoreinheit zum Steuern eines Insassenschutzsystems eines Kraftfahrzeugs mit einer eine Schaltung tragenden Leiterplatte (3), auf der ein Sensor (2), der Beschleunigungen und/oder Verzögerungen erfassen kann, durch einen Halter in einem definierten Winkel zur Leiterplatte (3) auf der Leiterplatte (3) durch Löten befestigt ist, gekennzeichnet dadurch, daß der Halter ein Dämpfungshalter (6, 7) ist, der den Sensor (2) gegen mechanische Erschütterungen dämpfend und gegen mechanische Einwirkungen schützend hält."

Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag enthält den gesamten Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag, wobei zusätzlich in den Kennzeichenteil nach der Wortfolge "... gegen mechanische Erschütterungen" der Satzteil "aufgrund seiner geometrischen Ausgestaltung und seiner Materialauswahl" eingefügt ist.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Im Gegensatz zum Stand der Technik gemäß D2, bei dem der Halter bzw. Bügel des Sensors zusätzlich mit einer Dämpfungsmasse versehen sei, sei beim Gegenstand des Streitpatents der Halter allein für die Dämpfung zuständig. Es werde daher kein zusätzliches Dämpfungselement benötigt. Dies sei auch in vollem Umfang durch die Beschreibung gestützt, in der mehrfach zum Ausdruck gebracht werde, daß der Halter aufgrund seiner geometrischen Ausgestaltung und seiner Materialauswahl die Dämpfungsfunktion übernehme. Der D2 sei kein Hinweis zu entnehmen, gerade die Dämpfungsmasse, die den Erfindungsgegenstand der D2 darstelle, wegzulassen und die Dämpfung in den Halter selbst zu integrieren. Im übrigen sei die Befestigung des Sensors mittels eines Halters nicht die einzige Befestigungsmöglichkeit auf der Leiterplatte, sodaß der Fachmann auch andere Lösungswege hätte beschreiten können.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei daher neu und beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.

IV. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Der Anspruch 1 des Streitpatents gehe im Oberbegriff von strukturellen Merkmalen aus, während der kennzeichnende Teil durch funktionelle Merkmale definiert sei. Der Anspruch 1 sei daher so breit wie möglich abgefaßt. Bei solchen Ansprüchen bestehe nach geltender Rechtsprechung kein Anlaß diese mit Hilfe der Beschreibung enger zu interpretieren. Unter dem Begriff Dämpfungshalter verstehe der Fachmann jede Dämpfungsanordnung, selbst wenn sie mehrteilig aufgebaut ist. Auch ein durch seine geometrische Ausgestaltung und seine Materialauswahl definierter Dämpfungshalter, wie er in der Beschreibung des Streitpatents näher erläutert wird, sei vom Stand der Technik nach der D2 vorweggenommen, da der Halter eines Sensors und seine Dämpfungselemente grundsätzlich als eine Dämpfungshalteranordnung anzusehen seien. Der Gegenstand nach dem Anspruch 1 des Streitpatents sei daher gegenüber dem Stand der Technik nach der D2 nicht neu, jedoch zumindest nicht erfinderisch. Selbst wenn man davon ausginge, daß der Anspruch 1 des Streitpatents einen Dämpfungshalter beschreibe, bei dem die Dämpfungseigenschaft nicht durch zusätzliche Dämpfungselemente gewährleistet wird, sondern allein durch die geometrische Ausgestaltung des Halters und seine Materialzusammensetzung bedingt ist, dann sei eine solche Maßnahme zumindest nicht erfinderisch, denn jeder Halter, selbst wenn er aus Metall gefertigt ist, habe schon eine Dämpfungswirkung. Es sei daher naheliegend, diese dem Halter innewohnende Dämpfung weiter zu erhöhen, wenn es darum gehe, einen mit zusätzlicher Dämpfungsmasse versehenen Sensorhalter nach der D2 weniger aufwendig herzustellen und die Nachteile einer als zusätzliches Dämpfungselement verwendeten asphaltartigen Masse zu vermeiden. Bei einem Verzicht auf eine solche zusätzliche Dämpfungsmasse bleibe für die Dämpfung des Sensors nur der Halter übrig. Der beanspruchte Gegenstand sei daher zumindest nicht erfinderisch.

Weiter nehme auch die Druckschrift D1 den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg, wie in der Beschwerdeerwiderung näher erläutert sei. Der in der von der Beschwerdeführerin veröffentlichten D1 gezeigte Sensorhalter gleiche völlig der zum Streitpatent gehörenden Zeichnung. Die Beweislast dafür, daß es sich bei diesem Halter nicht um den beanspruchten Dämpfungshalter handele, liege bei der Beschwerdeführerin. Demgemäß seien die Autoren der D1 zur mündlichen Verhandlung zu laden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1. Der Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents geht, wie in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents angegeben ist, von dem Stand der Technik nach der D2 aus, bei der ein Beschleunigungs- bzw. Verzögerungssensor mittels eines Halters auf einer Leiterplatte befestigt ist. Bei der D2 ist zusätzlich zu der Halterung des Sensors ein nachgiebiges Dämpfungselement vorgesehen, das die bei einem harten Stoß auftretenden, mechanischen Erschütterungen der Sensoreinheit dämpft, z. B. beim Aufprall nach einem versehentlichen Fallenlassen des die Sensoreinheit enthaltenden Schaltungsgehäuses. In der Beschreibungseinleitung des Streitpatents ist hierzu angegeben, daß solche Sensoreinheiten aufwendig herzustellen seien, da die Dämpfungsmasse erst aushärten müsse, bevor die Sensoreinheit in das Kraftfahrzeug montiert werde. Die hiervon abgeleitete Aufgabenstellung des Streitpatents, nämlich eine Sensoreinheit zu schaffen, die einfach herzustellen ist, wobei mechanische Erschütterungen in Folge eines Unfalls gut zu dem Sensor übertragen werden und schädigende Erschütterungen, die nicht von einem Unfall herrühren, stark gedämpft werden, sowie die in der weiteren Beschreibung mehrfach enthaltenen Hinweise, daß der Dämpfungshalter durch seine geometrische Ausgestaltung und seine Materialauswahl die gewünschte Dämpfung gewährleiste, stützen die an sich eindeutige Angabe im Kennzeichen des Anspruchs 1, "daß der Halter ein Dämpfungshalter ist", dahingehend, daß darunter ein die Dämpfungseigenschaften selbst bestimmender Halter zu verstehen ist und die Dämpfung nicht durch zusätzliche Teile bewirkt wird, die am Halter oder am Sensor angreifen.

Bei dieser Angabe im Anspruch 1 handelt es sich daher nicht um ein zu breit gefaßtes Anspruchsmerkmal, das nur mit Hilfe der Beschreibung enger interpretiert werden kann. Im übrigen ist es für den Fall, daß die Eindeutigkeit dieses Anspruchsmerkmals in Frage gestellt wird, zulässig, gemäß Artikel 69 (1) EPÜ die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung des Anspruches zur objektiven Feststellung dessen Sinngehaltes heranzuziehen, um dann davon ausgehend die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit seines Gegenstandes beurteilen zu können.

2.2. Aus dem Vorstehenden folgt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von der Sensoreinheit nach der D2 dadurch unterscheidet, daß die in den Halter selbst integrierten Dämpfungseigenschaften die bekannten nachgiebigen Dämpfungselemente ersetzen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher im Vergleich zu dem nach der D2 neu.

2.3. Was die Druckschrift D1 anbelangt, so ist aufgrund ihres schon in der angefochtenen Entscheidung beanstandeten Offenbarungsinhalts nicht eindeutig erkennbar, daß der in der Beschreibung der D1 erwähnte Beschleunigungs- und Verzögerungssensor von einem Dämpfungshalter im Sinne des Streitpatents gehalten wird. In diesem Zusammenhang gilt für das Einspruchsverfahren und ein folgendes Beschwerdeverfahren der Grundsatz, daß es zu Lasten der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) geht, wenn die Patentinhaberin die von der Einsprechenden geltend gemachten, angeblich patenthindernden, jedoch nicht durch Beweise belegten Tatsachen ohne Vorlage von Gegenbeweisen bestreitet und der Sachverhalt auch von Amts wegen nicht ohne weiteres ermittelt werden kann. Die Beweislast bezüglich des behaupteten Offenbarungsinhalts der D1 liegt daher im vorliegenden Fall auf Seiten der Beschwerdegegnerin. Die Amtsermittlungspflicht erstreckt sich nicht auf die Weiterverfolgung solcher unbewiesener Behauptungen. Die Forderung der Beschwerdegegnerin, die Autoren des Aufsatzes gemäß D1 zur mündlichen Verhandlung zu laden, stellt kein Zeugenangebot von Seiten der Beschwerdegegnerin dar, sondern es handelt sich um eine Aufforderung an die Beschwerdekammer, die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) als Herausgeberin der D1 zu einer Aufklärung des Tatbestandes zu veranlassen. Hierzu besteht jedoch aus den o. g. Gründen keine Veranlassung.

Die D1 steht daher dem beanspruchten Gegenstand ebenfalls nicht neuheitsschädlich entgegen.

2.4. Aus den Ausführungen unter dem vorstehenden Abschnitt 2.1.1. folgt, daß die bekannte Konstruktion nach der D2 dem gleichen Zweck dient wie der Gegenstand nach dem Streitpatent und auf dieselbe technische Wirkung ausgerichtet ist, nämlich alle schädigenden, nicht von einem Kraftfahrzeugunfall herrührenden Erschütterungen des auf einen Halter montierten Sensors zu dämpfen. Die beim Streitpatent verwertete Erkenntnis, daß die erwünschte Dämpfungswirkung auch dadurch erzielt werden kann, daß auf das bei der D2 verwendete zusätzliche Dämpfungselement verzichtet wird und der Sensorhalter selbst diese Aufgabe übernimmt, hat zu einer vereinfachten Herstellung und einer einfacheren Lösung ohne Qualitätsverluste geführt. Die Erfahrung in den Ingenieurwisssenschaften zeigt jedoch, daß es bei gleicher Wirkung eines Erzeugnisses oft viel schwieriger ist, eine einfache Lösung zu erkennen, als kompliziertere Ausgestaltungen, bei denen die erwünschte Wirkungsweise nur durch Hinzufügung weiterer Konstruktionselemente erzielt wird.

Da die vereinfachende Lösung nach dem Streitpatent darüber hinaus im aufgeführten Stand der Technik in keiner Weise angedeutet ist, kommt die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand nach dem Anspruch 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in der erteilten Fassung aufrechterhalten.

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