T 0243/01 () of 23.1.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T024301.20030123
Datum der Entscheidung: 23 Januar 2003
Aktenzeichen: T 0243/01
Anmeldenummer: 94119011.8
IPC-Klasse: A61C 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Reinigungswerkzeug für die Zähne
Name des Anmelders: Braun GmbH
Name des Einsprechenden: Water Pik Technologies, Inc.
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Ausführbarkeit (ja)
Klarheit (ja)
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.

II. Das Patent war innerhalb der Einspruchsfrist aus dem Grund mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Ferner war geltend gemacht worden, daß dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nur die Priorität der zweiten Voranmeldung vom 23. Februar 1994 zukomme. Im Laufe des weiteren Einspruchsverfahrens wurde noch die Patentfähigkeit aufgrund mangelnder Neuheit bestritten.

Im Laufe des Einspruchsverfahrens legte die Patentinhaberin und nunmehrige Beschwerdegegnerin ein geändertes Patentbegehren vor, gegen das zusätzlich der Einwand mangelnder Klarheit erhoben wurde.

In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, daß dem Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 zwar lediglich die Priorität der zweiten Voranmeldung vom 23. Februar 1994 zukomme, er jedoch klar und gegenüber dem von der Einsprechenden und nunmehrigen Beschwerdeführerin genannten Stand der Technik neu sei sowie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Im Beschwereverfahren hielt die Beschwerdeführerin den Einwand mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit aufgrund der bereits im Einspruchsverfahren genannten Druckschriften

D1 = DE-A-4 226 659

D2 = DE-C-1 766 651

D7 = EP-A-0 354 352

D9 = DE-A-3 736 308 und

D11 = DE-A-4 223 195

aufrecht und zitierte zusätzlich mit Schreiben vom 30. Juli 2002 noch die Druckschrift

D13 = DE-A-4 309 078.

IV. Beide Parteien haben hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt. Eine solche fand am 23. Januar 2003 statt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im vollen Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent in der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Fassung, mit der Maßgabe, daß in der Beschreibung die Seite 4 (Spalten 5 und 6) durch die in der mündlichen Verhandlung überreichte Seite ersetzt wird, aufrechtzuerhalten.

V. Ansprüche 1 und 4 vorgelegt während der mündlichen Verhandlung in Einspruchsverfahren am 10. November 2000, lauten wie folgt:

"1. Reinigungswerkzeug (101) für Zähne, mit einem dünnen, länglichen Schaft (102), der einen freien, zum Einführen in die Zahnzwischenräume geeigneten Endabschnitt (105) aufweist, welcher mit einem Halteabschnitt (6) verbunden ist, in Kombination mit einem Griffstück (2), wobei der Halteabschnitt (6) mit einem elektromotorischen Antrieb des Griffstücks (2) koppelbar ist, und das gekoppelte Reinigungswerkzeug (101) in Rotation bzw. Oszillation um eine Schaftmittellängsachse (135) versetzt wird, wobei der freie Endabschnitt (105) des Schaftes (102) aus flexiblem Material besteht, dadurch gekennzeichnet, daß der freie Endabschnitt (105) eine etwa sichelartige Durchbiegung (130) aufweist."

"4. Reinigungswerkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß der freie Endabschnitt (105) zwei benachbarte, eine Öse bildende Durchbiegungen (130, 132) aufweist".

VI. Die Beschwerdeführerin trug folgende Argumente vor:

Die beanspruchte Erfindung sei nicht ausführbar, weil aus der gesamten Patentschrift nicht entnommen werden könne, wie ein oszillierendes Gerät aufgebaut sei. Figur 1 der Patentschrift beschreibe ein Gerät, das nur eine Rotation ausführe. Es gebe kein Gerät, das abwechselnd eine Rotation und eine Oszillation ausführen könne. Wie aus Druckschrift D13 hervorgehe, sei es nicht üblich in einem Gerät alternativ eine Rotation und eine Oszillation vorzusehen.

Der Ausdruck "Rotation bzw. Oszillation" in Anspruch 1 sei insoweit unklar, als er nicht deutlich mache, in welcher Beziehung die zwei Bewegungen zueinander stünden.

Anspruch 1 genieße weder die Priorität vom 23. Dezember 1993 (DE 4344110) noch diejenige vom 23. Februar 1994 (DE 4405857). Die ältere Priorität offenbare nämlich nur die ösenförmige Ausführungsform und nicht die sichelförmige. Ferner gehe aus der Druckschrift D13 hervor, daß die zweite Prioritätsanmeldung keine erste Anmeldung im Sinne von Artikel 87 EPÜ sei. Daraus folge, daß die Druckschriften D1, D11 und D13 zum Stand der Technik für Anspruch 1 gehörten.

Druckschrift D1 stehe dem Anspruch 1 neuheitsschädlich entgegen. Die sichelartige Durchbiegung des Reinigungswerkzeuges gemäß Druckschrift D1 stelle sich während des Betriebs, aufgrund der elastischen Eigenschaften des Materials, zwangsläufig ein, siehe Druckschrift D1, Spalte 2, ab Zeile 22. Auf jeden Fall beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die zusätzliche Lehre der Druckschriften D9, Spalte 1, ab Zeile 32, Figur 2; oder D11, Spalte 2, ab Zeile 24, Figur 4. Zu dem gleichen Ergebnis gelange man, wenn man von dem modifizierten Zahnstocher von Druckschrift D9 oder D11 als nächtkommendem Stand der Technik ausgehe. Denn es sei allgemein üblich und auch durch Druckschrift D1 nahegelegt, einen Motor zu benutzen, um die Handbewegung zu ersetzen und den Reinigungsvorgang zu automatisieren. Im übrigen gehe auch das Streitpatent von einem Zahnreinigungsgerät ohne Motor wie in Druckschrift D7 aus.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Anspruch 1 die erste Priorität vom 23. Dezember 1993 (DE 4344110) nicht genieße, da dort nur eine Öse und keine sichelartige Durchbiegung offenbart sei, sei notwendigerweise Anspruch 4 als unabhängig zu betrachten, da er eine Öse unter Schutz stelle, die nicht vom Gegenstand des Anspruchs 1 umfaßt werde. Eine Öse bestehe nämlich nicht aus zwei Sicheln. Deshalb sei Anspruch 4 so zu interpretieren, daß das Gerät zwei benachbarte Schäfte aufweise, von denen einer eine Öse und der andere eine einfache Durchbiegung aufweise. Daraus folge, daß auch Anspruch 4, zweite Alternative, wie Anspruch 1 zu beurteilen sei.

VII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:

Druckschrift D2, Figur 2, bewiese, daß es Geräte gäbe, die eine Rotation oder eine Oszillation ermöglichten.

Eine Durchbiegung, die nur im benutzen Zustand erfolge, sei nicht durch die Ansprüche gedeckt; sie würde auch nicht die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe erfüllen. Die während der mündlichen Verhandlung geänderte Seite 4 diene der Klarstellung, daß ein gerader Endabschnitt nicht unter die Ansprüche falle.

Der Oberbegriff des Anspruchs 1 enthalte alle aus Druckschrift D1 bekannten Merkmale. Davon unterscheide sich das Werkzeug gemäß Anspruch 1 dadurch, daß der freie Endabschnitt eine sichelartige Durchbiegung aufweise. Die Feststellung in Spalte 1, ab Zeile 22 der Druckschrift D1, daß das Reinigungswerkzeug während der Benutzung um 180° umgebogen werden könnte, entspreche der Durchbiegung gemäß der Erfindung nicht, da das Reinigungswerkzeug nach Druckschrift D1 nicht geeignet sei, unmittelbar auf die Zahnflanken einzuwirken. Bei dem bekannten Reinigungswerkzeug werde eine Anpassung nur durch die Flexibilität und nicht durch die Form des Endabschnitts bewirkt.

Druckschrift D9 offenbare eine Schlaufe, die wie ein Nadeleinfädler wirke und ausreichend geschmeidig sein müsse, um sich an die Zahnform-Gegebenheiten anzupassen.

Das aus der Druckschrift D11 bekannte Reinigungsgerät sei lediglich dazu ausgelegt, im Handbetrieb die Zahnzwischenräume durch eine lineare Putzbewegung zu reinigen. Rotierende oder oszillierende Bewegungen seien nicht möglich.

Es gebe daher keinen Anlaß, die Lehre der Druckschrift D1 mit denen der Druckschriften D9 oder D11 zu kombinieren, um zum Gegenstand des Patents zu gelangen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Ausführbarkeit

Anspruch 1 enthält das Merkmal, daß das Reinigungswerkzeug durch einen elektromotorischen Antrieb (alternativ) in Rotation bzw. Oszillation um eine Schaftmittellängsachse versetzt wird. Die Beschreibung enthält zwar keine detaillierte Angaben, wie dieser Antrieb aufgebaut werden kann. Es gehört jedoch zum Grundwissen eines Maschinenbauers eine rotierende Bewegung oder einen oszillierenden Antrieb in solchen Reinigungswerkzeugen vorzusehen. Näherer Angaben über die Konstruktion eines entsprechenden Getriebes bedarf es somit nicht, um die Ausführbarkeit der Erfindung zu gewährleisten.

3. Klarheit

Anspruch 1 kann nur so verstanden werden, daß die Oszillation und die Rotation alternative Bewegungsmöglichkeit sind. Das ergibt sich auch eindeutig aus der gesamten Offenbarung. Der Anspruch ist somit klar.

4. Prioritäten

Der Gegenstand des Anspruchs 1 genießt die Priorität vom 23. Dezember 1993 nicht, da in der DE 4344110 keine sichelartige Durchbiegung offenbart ist. Es bestand insoweit auch Einigkeit zwischen den Parteien.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 genießt jedoch die Priorität vom 23. Februar 1994, da in der DE 4405857 eine sichelartige Durchbiegung offenbart ist. Die Eigenschaft dieser Anmeldung als erste Anmeldung im Sinne von Artikel 87 EPÜ ist auch nicht durch die der Druckschrift D13 zugrundeliegende Anmeldung in Frage gestellt, da diese Druckschrift keine sichelartige Durchbiegung offenbart und somit nicht dieselbe Erfindung wie das angegriffene Patent betrifft.

5. Neuheit

Das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 bezieht sich auf die Grundform des Endabschnitts im Ruhezustand. Dagegen ist das aus der Druckschrift D1 bekannte Reinigungswerkzeug im Ruhezustand außerhalb des Gebrauchs gerade. Diese Druckschrift kann somit die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 nicht gefährden, auch wenn das bekannte Werkzeug im Gebrauch eine mehr oder weniger gebogene Form annehmen kann.

Auch die übrigen Druckschriften offenbaren nicht die beanspruchte Merkmalskombination.

Dementsprechend ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

6. Erfinderische Tätigkeit

Es bestand Einigkeit darüber, daß die Druckschrift D1 den nächstkommenden Stand der Technik darstellt. Der aus flexiblem Material bestehende freie Endabschnitt dieses Werkzeugs ist im Ruhezustand geradlinig. Während der Benutzung wird er jedoch um bis zu 180° umgebogen, wodurch sich im Knickstellenbereich des umgebogenen Schaftes eine verbesserte Reinigungswirkung ergibt (siehe Spalte 2, Zeilen 22 bis 39). Da die Knickstelle jedoch stets außerhalb der Zahnzwischenräume liegt, wird eine Verbesserung der Reinigungswirkung nicht in diesen Zwischenräumen bewirkt.

Von Druckschrift D1 ausgehend, besteht die Aufgabe der Erfindung somit darin, eine bessere Reinigung auch der Zahnzwischenräume zu erzielen.

Die Aufgabe wird dadurch gelöst, daß der Endabschnitt des Schaftes eine sichelartige Durchbiegung aufweist. Diese sichelartige Durchbiegung ist im Gegensatz zu der erst im Betrieb entstehenden Knickstelle nach D1, unter Verformung in den Zahnzwischenraum einführbar.

Während des Betriebs wird der Schaft in Rotation bzw. Oszillation um seine Längsachse gesetzt, wodurch der Schaft im Bereich der Durchbiegung mit intermittierenden Schlägen auf die benachbarten Zahnflanken einwirkt. Dadurch wird die Reinigungswirkung im Gegensatz zum Stand der Technik auch in diesem Bereich verbessert.

Sowohl die Druckschriften D9 und D11 betreffen modifizierte Zahnstocher, die von Hand in die Zahnzwischenräume eingeführt und putzend in Richtung ihrer Längsachse hin- und her bewegt werden. Das aus der Druckschrift D9 bekannte Werkzeug weist an einem Ende eine Schlaufe auf, die so geschmeidig sein soll, daß sie sich den Zahnformgegebenheiten anpaßt. Druckschrift D11 offenbart ein aus einem Draht bestehendes Zahnreinigungsgerät, bei dem der Draht in Schlaufenform gebogen ist. Da beide Werkzeuge nicht für den rotierenden oder oszillierenden Betrieb ausgelegt sind, besteht kein Anlaß, sie zur Lösung der Aufgabe des Streitpatents heranzuziehen.

Die Beschwerdeführerin argumentiert, daß es auch umgekehrt, von Druckschriften D9 oder D11 ausgehend, naheliegend war, zur Erfindung zu gelangen: Es reiche aus, die dort offenbarten Reinigungsgeräte mit einem Motor, wie aus Druckschrift D1 bekannt, auszustatten. Jedoch enthalten die genannten Druckschriften D9 und D11 keinerlei Hinweise, daß das dort beschriebene Reinigungsgerät vorteilhafterweise rotierend oder oszillierend eingesetzt werden kann.

Druckschriften E7 und E13 betreffen nur Werkzeuge mit geradlinigem Endabschnitt und vermögen somit gleichfalls nicht das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit in Frage zu stellen.

Dementsprechend beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Anspruch 4

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist es eindeutig, daß sich Anspruch 4 auf die in den Figuren 2 und 7 dargestellte Ausführungsform bezieht, bei der die sichelartige Durchbiegung gemäß Anspruch 1 durch eine zweite sichelartige Durchbiegung zu einer Öse ergänzt ist. Anspruch 4 ist somit ein echter abhängiger Anspruch, der von dem gewährbaren Anspruch 1 getragen ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang in der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Fassung, mit der Maßgabe, daß in der Beschreibung die Seite 4 (Spalten 5 und 6) durch die in der mündlichen Verhandlung überreichte Seite 4 ersetzt wird, aufrechtzuerhalten.

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