T 0210/01 (IL-4 Mutantenproteine/BAYER) of 12.5.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T021001.20040512
Datum der Entscheidung: 12 Mai 2004
Aktenzeichen: T 0210/01
Anmeldenummer: 92923502.6
IPC-Klasse: C12N 15/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Menschliche IL-4 Mutantenproteine
Name des Anmelders: BAYER AG
Name des Einsprechenden: SmithKline Beecham plc
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 15. Dezember 2000, mit der das europäische Patent Nr. 0 613 499 (europäische Anmeldung Nr. 92 923 502.6, veröffentlicht als WO 93/10235) auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 12 des in der mündlichen Verhandlung am 28. November 2000 eingereichten ersten Hilfsantrags aufrechterhalten wurde.

II. Gegen die Erteilung des Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt, die sich auf Gründe des Artikels 100 a) EPÜ, nämlich mangelnde Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit, sowie des Artikels 100 b) und c) EPÜ stützten. Die zweite Einsprechende nahm mit Schreiben vom 22. Juni 1999 ihren Einspruch zurück.

III. Anspruch 1 des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung lautet:

"1. Verwendung von hIL-4 Mutantenproteinen, die Antagonisten oder partielle Agonisten des hIL-4 sind, worin an einer oder mehreren der Positionen 121, 124 oder 125 die dort natürlicherweise im Wildtyp auftretende(n) Aminosäure(n) gegen eine bzw. mehrere andere der möglichen natürlichen Aminosäuren ausgetauscht ist, zur Herstellung von Arzneimitteln."

Die Ansprüche 2 bis 5 beziehen sich auf die Verwendung verschiedener Ausführungsformen der im Anspruch 1 identifizierten hIL-4-Mutantenproteine zur Herstellung von Arzneimitteln. Die Ansprüche 6 bis 8 betreffen hIL-4- Mutantenproteine und die Ansprüche 8 bis 12 Verfahren zu deren Herstellung.

IV. Die Einspruchsabteilung stellte in ihrer Entscheidung unter anderem fest, daß der Gegenstand der Ansprüche des ersten Hilfsantrags den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere denen der Artikel 123 (3), 87, 54 und 56 EPÜ genüge. Bezüglich des Vorliegens von erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) stellte die Einspruchsabteilung weiterhin fest, daß im Hinblick auf die Entgegenhaltung:

(D1) Kruse, N. et al., FEBS Letters, Bd. 286, Juli 1991, Seiten 58-60,

die den nächstliegenden Stand der Technik darstelle, und mit Rücksicht auch auf folgende Entgegenhaltungen:

(D2) Kruse, N. et al., Bio. Chem. Hoppe-Seyler, Bd. 372, 1991, Seite 700;

(R7) Le, H. V. et al., Biochemistry, Bd. 30, October 1991, Seiten 9576-9582;

(R8) Windsor, W. T. et al., Biophysical Journal, Bd. 57, 1990, Seite 423a

der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 5, soweit diese sich auf das an Position 124 veränderte hIL-4-Mutantenprotein bezögen, für den Fachmann nicht naheliegend und daher erfinderisch sei. Nach der Auffassung der Einspruchsabteilung ließ sich aus der Entgegenhaltung (D1) kein eindeutiger Hinweis auf eine antagonistische oder partiell agonistische Wirkung des darin beschriebenen hIL-4-Mutantenproteins Y124D ableiten. Weder aus dieser Entgegenhaltung noch aus den Entgegenhaltungen (D2), (R7) oder (R8) könne der Fachmann erkennen, ob die fehlende Aktivität des Mutantenproteins Y124D auf eine veränderte Bindung an den hIL-4-Rezeptor oder auf eine veränderte Signalübertragung nach Bindung an den Rezeptor zurückzuführen sei. Der Fachmann hätte zum Prioritätszeitpunkt die an IL-2 gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Rezeptorbindung nicht mit ausreichender Aussicht auf Erfolg auf hIL-4 übertragen können. Im Übrigen stellten die beanspruchte Verwendung und die beanspruchten Mutantenproteine gegenüber dem Gegenstand der Entgegenhaltung:

(R2): US-A-5 017 691

eine erfinderische Auswahl dar.

V. In der Beschwerdebegründung schränkte die Beschwerdeführerin die Beschwerde ausdrücklich auf die Feststellung der Einspruchsabteilung ein, der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags beruhe auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Für den Fall, daß die Kammer die angestrebte Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents nicht beabsichtige, beantragte die Beschwerdeführerin mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 EPÜ.

VI. Zusammen mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin vier weitere Entgegenhaltungen ein, von denen folgende in der vorliegenden Entscheidung erwähnt wird:

(D19): Foxwell, B.M.J. et al., Eur. J. Immunol. Bd. 19, September 1989, Seiten 1637-1641.

VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugesandt wurde, wies die Beschwerdekammer darauf hin, daß in der Verhandlung die einzige verbliebene Streitfrage diskutiert werden sollte, nämlich die Frage des Vorliegens von erfinderischer Tätigkeit bei dem Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags.

VIII. Daraufhin teilte die Beschwerdeführerin mit Telefax vom 26. April 2004 der Kammer mit, daß sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde; sie nahm jedoch ihren bedingten Antrag auf mündliche Verhandlung nicht zurück. Die Verhandlung, in der die Beschwerdeführerin nicht vertreten war, fand am 12. Mai 2004 in Anwesenheit der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) statt.

IX. Die schriftlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die tatsächliche Aufgabe, mit der der Fachmann am Prioritätstag befaßt gewesen sei, sei die Bereitstellung einer Therapie für IL-4-vermittelte Krankheitszustände. Im Hinblick auf diese Aufgabe stelle sich die Frage, ob die funktionelle Eigenschaft des bekannten Mutantenproteins Y124D als Antagonist von IL-4 und die darauf beruhende Verwendung dieses Mutantenproteins zur Herstellung von Arzneimitteln für den Fachmann am Prioritätstag naheliegend gewesen sei.

Zwar habe die Einspruchsabteilung die Auffassung vertreten, der Fachmann habe der Entgegenhaltung (D1) entnehmen können, daß das Mutantenprotein Y124D nicht an den IL-4-Rezeptor binde und daher kein geeigneter Antagonist von IL-4 sei, sie habe jedoch ihre Behauptung nicht begründet. In Wirklichkeit habe der Fachmann aus den Aussagen in dieser Entgegenhaltung den Schluß ziehen können, der Verlust der Proliferation-stimulierenden Aktivität bei dem Mutantenprotein Y124D sei darauf zurückzuführen, daß das Mutantenprotein nach Bindung an den Rezeptor nicht in der Lage sei, die Signalkaskade auszulösen. Den in der Entgegenhaltung (D1) fehlenden Nachweis der Eigenschaft des Mutantenproteins Y124D als Antagonist von natürlichem IL-4 habe der Fachmann anhand von einfachen, im Stand der Technik bekannten Versuchen erbringen können, die er in der angemessenen Erwartung, die Frage zu klären, ob das Mutantenprotein Y124D ein Antagonist von IL-4 sei, durchgeführt hätte. Somit stelle der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 5 des Streitpatents eine naheliegende Lösung der gestellten Aufgabe dar.

Die Einspruchsabteilung irre in ihrer Annahme, der Fachmann hätte die an IL-2 gewonnenen Erkenntnisse nicht mit hinreichender Aussicht auf Erfolg auf IL-4 übertragen. Angesichts der strukturellen und funktionellen Ähnlichkeit von IL-2 und IL-4 sowie der starken Homologie zwischen dem IL-2- und dem IL-4-Rezeptor hinsichtlich deren Aminosäuresequenz, Struktur und Expression hätte der Fachmann erwartet, daß durch Substitution einer einzelnen Aminosäure in dem C-terminalen Bereich von IL-4 - analog zu dem IL-2-Protein - ein Antagonist oder partieller Agonist von IL-4 erhalten werden könne.

X. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Entgegenhaltung (D1) enthalte keinen Hinweis auf einen Antagonismus und erst recht nicht auf eine mögliche Verwendbarkeit der darin beschriebenen Mutantenproteine zur Herstellung von Arzneimitteln. Die Entgegenhaltung führe eher weg von der vorliegenden Erfindung, weil sie dem Fachmann eingebe, die fehlende Aktivität des Mutantenproteins Y124D sei auf eine durch den Austausch der Aminosäure Tyrosin an Position 124 herbeigeführte Veränderung der Rezeptorbindung zurückzuführen. Da sich Antagonisten dadurch auszeichneten, daß sie mit hoher Affinität an einen Rezeptor bänden und den natürlichen Liganden (hier IL-4) vom Rezeptor verdrängten, sei eine Antagonistenwirkung bei dem Mutantenprotein Y124D nicht zu erwarten.

Das Bindungsverhalten und der Rezeptor von IL-2 und IL-4 seien stark unterschiedlich und erlaubten die Übertragung von Aussagen über die Eigenschaften eines dieser Cytokine auf das jeweils andere nicht. Tatsache sei, daß bis heute noch keine Antagonisten von IL-2 bekannt seien.

XI. Der Kammer lagen folgende Anträge vor:

Die Beschwerdeführerin beantragte schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Mit der Beschwerde wendet sich die Einsprechende ausschließlich gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags, auf dessen Grundlage das Streitpatent aufrechterhalten wurde, beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Die Feststellungen bezüglich der Artikel 123 (2) und (3), 54 und 87 EPÜ wurden von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen. Auch die Kammer sieht dazu keine Veranlassung.

2. Die einzige Frage, über die die Kammer im Hinblick auf Artikel 56 EPÜ zu befinden hat, ist also, ob sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags für den Fachmann in naheliegender Weise aus den entgegengehaltenen Dokumenten des Standes der Technik ergibt.

3. Nach Ansicht der Kammer stellt zur Beurteilung des Vorliegens von erfinderischer Tätigkeit bei dem Anspruch 1 eine Kombination der Entgegenhaltungen (D2) und (D1) den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die Kombination dieser zwei Entgegenhaltungen liegt für den Fachmann deshalb nahe, weil beide Dokumente sich mit der funktionellen und strukturellen Charakterisierung von IL-4-Mutantenproteinen befassen und in zeitlich enger Folge von denselben Autoren veröffentlicht wurden, so daß der Fachmann annehmen konnte, daß beide dieselbe Studie betreffen. Zudem verweist die zuerst veröffentlichte Entgegenhaltung (D2) auf die Entgegenhaltung (D1), die sich zu diesem Zeitpunkt noch in Druck befand (siehe Fußnote 3 in Entgegenhaltung (D2)). Es spricht also vieles dafür, daß der Fachmann die Entgegenhaltungen (D1) und (D2) im Zusammenhang lesen würde.

4. Bei der Entgegenhaltung (D2) handelt es sich um eine Zusammenfassung eines Beitrags zu einer wissenschaftlichen Tagung, in der die Ergebnisse einer Studie über die Wirkung der Proteinstruktur auf die Funktion von hIL-4 und die daraus gezogenen Schlüsse kurz zusammengefaßt werden. In Proliferationsversuchen mit T-Lymphozyten wurde die biologische Aktivität verschiedener hIL-4-Mutantenproteine getestet, unter anderem solcher Mutantenproteine, bei denen eine aromatische Aminosäure durch eine andere Aminosäure ausgetauscht wurde. Aus den Ergebnissen dieser Versuche folgern die Autoren eine wichtige Rolle der Aminosäure Tyrosin an Position 124 (Y124) von hIL-4, entweder bei der Auslösung der Signalkaskade oder bei der Bindung des Interleukins an seinen Rezeptor, und verweisen dabei auf eine in Druck befindliche Publikation (Entgegenhaltung (D1) in diesem Verfahren).

5. In Entgegenhaltung (D1) werden die Ergebnisse der Studie im Detail beschrieben. hIL-4-Mutantenproteine, bei denen die Aminosäure Cystein an einer der Positionen 3, 24, 46, 65, 99 bzw. 127, die Aminosäure Tyrosin an Position 56 bzw. 124 oder die Aminosäure Tryptophan an Position 91 durch eine andere Aminosäure ausgetauscht worden war, wurden in E. coli produziert und sowohl physikochemisch als auch biologisch untersucht. Verglichen mit dem Wildtyp schien das Mutantenprotein Y124D, bei dem die Aminosäure Tyrosin an Position 124 durch Asparaginsäure ersetzt wurde, in seiner Struktur nicht wesentlich verändert zu sein, jedoch ging dadurch seine Fähigkeit, die Proliferation von T-Lymphozyten zu stimulieren, vollständig verloren. Das Mutantenprotein Y56D wies ebenfalls eine unveränderte Struktur auf, behielt jedoch verglichen mit dem Wildtyp 5-10% der biologischen Aktivität. Beruhend auf der Beobachtung eines Verlustes der biologischen Aktivität bei dem Mutantenprotein Y124D sowie auf weiteren Versuchsergebnissen, die die Aminosäure Y124 auf der Oberfläche des Proteins orteten, schlagen die Autoren von (D1) eine unmittelbare Beteiligung der Aminosäure Tyrosin an Position 124 an der Rezeptorbindung vor (siehe Seite 60, linke Spalte, Zeilen 3-5).

6. Ausgehend von dem Wissensstand, der sich aus der Kombination der Entgegenhaltungen (D1) und (D2) ergibt, besteht die zu lösende Aufgabe darin, erstens weitere hIL-4-Mutantenproteine bereitzustellen, und zweitens eine Verwendung für die bereitgestellten oder bereits bekannte hIL-4-Mutantenproteine, insbesondere für das Mutantenprotein Y124D, vorzuschlagen. Im Hinblick auf die im Stand der Technik bekannte Funktion von IL-4 als Auslöser der Proliferation von Thymozyten und aktivierten T-Zellen läßt sich allein in der Formulierung der Aufgabe keine erfinderische Tätigkeit erkennen.

7. Der zweite Teil der oben formulierten Aufgabe wird von dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gelöst, der auf die Verwendung von hIL-4-Mutantenproteinen an den Positionen 121, 124 oder 125 zur Herstellung von Arzneimitteln gerichtet ist. Die beanspruchte Verwendung beruht auf der von den Erfindern des Streitpatents erkannten Eignung dieser Mutantenproteine als Antagonisten oder partielle Agonisten von hIL-4.

8. In Zusammenhang mit Artikel 56 EPÜ stellt sich demnach die Frage, ob die antagonistische bzw. partiell agonistische Wirkung und die darauf beruhende Verwendung der oben genannten hIL-4-Mutantenproteine zur Herstellung von Arzneimitteln für den Fachmann aus der Kombination der Entgegenhaltungen (D1) und (D2) allein oder unter Berücksichtigung weiterer Entgegenhaltungen naheliegend war.

9. Als Antagonisten bzw. partiellen Agonisten bezeichnet man eine Substanz, die durch Bindung an einen Rezeptor (in diesem Fall den hIL-4-Rezeptor) der Wirkung des Agonisten (hier hIL-4) ganz bzw. teilweise entgegenwirkt (vgl. Römpp Lexikon Biotechnologie und Gentechnik, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage, Stuttgart - New York 1999). Voraussetzung für die antagonistische bzw. partiell agonistische Funktion ist also, daß die in Betracht kommende Substanz mit zumindest vergleichbarer Affinität an den Rezeptor bindet wie der natürliche Ligand, jedoch die Signalkaskade, die zur biologischen Wirkung des Liganden führt, nicht oder nur in geringem Ausmaß auslöst.

10. Angaben zur biologischen Aktivität oder zum Bindungs- bzw. Signalübertragungsverhalten der zum ersten Mal im Streitpatent beschriebenen hIL-4-Mutantenproteine, bei denen die Aminosäure an den Positionen 121 und 125 durch eine andere Aminosäure ausgetauscht wurde, sind dem entgegengehaltenen Stand der Technik nicht zu entnehmen, geschweige denn Hinweise auf eine mögliche antagonistische bzw. partiell agonistische Wirkung und eine darauf beruhende Verwendung zur Herstellung von Arzneimitteln.

11. Was das hIL-4-Mutantenprotein an Position 124 betrifft, so ist eine Eignung als Antagonist bzw. partieller Agonist weder aus den Entgegenhaltungen (D1) und (D2) noch aus einer Kombination dieser Entgegenhaltungen mit den entgegengehaltenen Dokumenten des Standes der Technik, die der Kammer vorliegen, eindeutig zu erschließen. Der Fachmann wird zunächst durch Entgegenhaltung (D2) im unklaren gelassen, ob die Aminosäure Tyrosin an der Position 124 von hIL-4 an der Auslösung der Signalkaskade oder an der Bindung an den Rezeptor beteiligt ist. Die Entgegenhaltung (D1), auf die die Entgegenhaltung (D2) in diesem Zusammenhang verweist, schlägt ihm jedoch eine Rolle dieser Aminosäure bei der Rezeptorbindung unmißverständlich vor (siehe (D1), Seite 60, linke Spalte, Zeilen 3 bis 5). Bei gemeinsamer Betrachtung der Aussagen in Entgegenhaltungen (D1) und (D2) würde der Fachmann also folgern, daß das hIL-4-Mutantenprotein Y124D an den hIL-4- Rezeptor nicht bindet und deshalb als Antagonist bzw. partieller Agonist von hIL-4 nicht in Frage kommt. Für die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Fachmann habe aus den Aussagen in Entgegenhaltung (D1) den Schluß ziehen können, daß der Verlust der biologischen Aktivität bei dem Mutantenprotein Y124D darauf zurückzuführen ist, daß es trotz Bindung an den Rezeptor die Signalkaskade nicht auslösen kann, sieht die Kammer in dem entgegengehaltenen Stand der Technik keine Anhaltspunkte.

12. Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß der Fachmann im Hinblick auf die fehlende biologische Aktivität des Mutantenproteins Y124D Versuche hätte durchführen können, mit denen sich ein kompetitives Bindungsverhalten nachweisen ließe. Auf diese Weise hätte er die Frage beantworten können, ob das biologisch inaktive Mutantenprotein Y124D die Bindung von unverändertem hIL-4 an seinen Rezeptor kompetitiv hemmt und sich daher als Antagonist bzw. partieller Agonist von hIL-4 eignet.

13. Nach Auffassung der Kammer erhielt der Fachmann aus der Kombination der Entgegenhaltungen (D1) und (D2) keine Anregung, solche Versuche durchzuführen. Selbst wenn man annimmt, daß der Fachmann solche Versuche in Erwägung gezogen hätte, konnte er in Anbetracht der Angaben in Entgegenhaltung (D1), die einen Zusammenhang zwischen der fehlenden biologische Aktivität des Mutantenproteins und der Bindung an dem Rezeptor nahelegen, keine angemessene Erfolgserwartung bezüglich einer antagonistischen oder partiell agonistischen Wirkung des Mutantenproteins haben.

14. Die weiteren von der Beschwerdeführerin entgegengehaltenen Dokumente (R7), (R8) und (R2) liefern ebenfalls keine Hinweise auf eine mögliche Eignung des Mutantenproteins Y124D als Antagonist von hIL-4. Der Entgegenhaltung (R7) ist zwar zu entnehmen, daß mindestens ein Teil der letzten 26 Aminosäuren am C-Terminus des hIL-4-Proteins (Positionen 103 bis 129) an der Wechselwirkung mit dem hIL-4-Rezeptor beteiligt ist, diese Entgegenhaltung enthält jedoch weder einen Hinweis auf bestimmte Aminosäuren in dem fraglichen Bereich, insbesondere nicht auf das Tyrosin an Position 124, noch Angaben, die es erlauben, eine mögliche antagonistische bzw. partiell agonistische Wirkung eines in dem angegebenen Bereich modifizierten IL-4-Proteins zu erschließen.

15. Ebensowenig kann eine solche Wirkung für das hIL-4- Mutantenprotein an Position 124 aus der Entgegenhaltung (R2) erschlossen werden. In diesem Patentdokument werden hIL-4- Mutantenproteine im Allgemeinen offenbart und Mutantenproteine an Positionen 52, 94 und 111 (einzeln oder in Kombination) beschrieben. Ein Hinweis auf einen gezielten Austausch der Aminosäure an Position 124 oder Angaben bezüglich des Bindungs- bzw. Signalübertragungsverhaltens der allgemein beschriebenen Mutantenproteine fehlen jedoch.

16. In der Entgegenhaltung (R8) wird offenbart, daß die chemische Modifikation des Tyrosins an Position 124 zu einem 20%-igen Verlust der biologischen Aktivität in vitro führt, und daß der beobachtete Aktivitätsverlust auf eine Störung spezifischer funktioneller Wechselwirkungen oder auf eine durch die chemische Modifikation herbeigeführte Änderung der Tertiärstruktur des Proteins zurückzuführen sein könnte. Hinweise auf ein Bindungs- oder Signalübertragungsverhalten des offenbarten modifizierten IL-4-Proteins, das eine Verwendung desselben als Antagonist oder partieller Agonist von hIL-4 nahelegt, sind dieser Entgegenhaltung nicht zu entnehmen.

17. Hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Arguments, der Fachmann habe die an IL-2 gewonnenen Erkenntnisse auf IL-4 übertragen können, schließt sich die Kammer der Beurteilung der Einspruchsabteilung an. Bekanntermaßen handelt es sich bei IL-4 und IL-2 zwar um Cytokine mit einer ähnlichen biologischen Aktivität in vitro, die Proteine haben jedoch wenig gemeinsam und die strukturellen Anforderungen an die Rezeptorbindung und Signalübertragung sind zum größten Teil unterschiedlich. Ferner sind die jeweiligen Rezeptoren dieser Cytokine trotz vorhandener Ähnlichkeit in der Aminosäuresequenz zwischen der ß-Untereinheit des IL-2-Rezeptors und dem IL-4-Rezeptor verschieden. So ist zum Beispiel die Bindung von IL-4 an seinen Rezeptor spezifisch und wird von IL-2 nicht gehemmt (siehe den letzten Satz des ersten Absatzes in der Zusammenfassung der Entgegenhaltung (D19)).

18. Nach Meinung der Kammer entsteht aus der Analyse des von der Beschwerdegegnerin eingereichten Standes der Technik, der eine Ähnlichkeit zwischen IL-2 und IL-4 einerseits und deren jeweiligen Rezeptoren andererseits belegen soll, bestenfalls ein diffuses Bild, das sich jedoch nur in Kenntnis der Erfindung interpretieren läßt. Die zum Prioritätstag vorhandenen Informationen zu IL-2 und dessen Rezeptor haben dem Fachmann keine hinreichenden Anregungen und Erkenntnisse geliefert, um ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

19. Zusammenfassend stellt die Kammer fest, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht naheliegend war und somit den Anforderungen des Artikels 56 EPÜ genügt. Da die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 weitere Ausführungsformen des Gegenstands des Anspruchs 1 betreffen, beruhen sie ebenfalls auf erfinderischer Tätigkeit.

20. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage des im Einspruchsverfahren eingereichten ersten Hilfsantrags nicht entgegenstehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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