European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T020901.20031014 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 October 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0209/01 | ||||||||
Anmeldenummer: | 95101459.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | D03C 7/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Rotations-Kantendreher für Webmaschinen | ||||||||
Name des Anmelders: | LINDAUER DORNIER GESELLSCHAFT M.B.H | ||||||||
Name des Einsprechenden: | PICANOL N.V. | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Unzulässige Erweiterung (geänderter Anspruch) - nein Ausführbarkeit - ja Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 3. Februar 1995 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 23. Februar 1994 eingereichte Patentanmeldung Nr. 95 101 459.6 ist das europäische Patent Nr. 0 674 031 erteilt worden.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen das Patent Einspruch eingelegt und seinen Widerruf beantragt mit der Begründung, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 100 b) EPÜ); ferner sei das Patent unzulässig erweitert (Artikel 100 c) EPÜ) und schließlich beruhe der beanspruchte Rotations-Kantendreher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ).
III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch mit ihrer am 12. Dezember 2000 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.
Sie hielt die Erfindung unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung für ausführbar, das Patent in zulässiger Weise geändert und für erfinderisch im Sinne des Artikel 56 EPÜ.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 19. Februar 2001 Beschwerde eingelegt, am 13. Februar 2001 die Beschwerdegebühr bezahlt und am 5. April 2001, gestützt auf die Gründe des Artikels 100 a), b) und c) EPÜ ihren Antrag auf Widerruf des Patents begründet.
V. Am 14. Oktober 2003 fand eine hilfsweise von den Parteien beantragte mündliche Verhandlung statt, in der die Entgegenhaltungen
D1: GB A 686 052
D2: JP A 3069627
D4: CH A 282 338
D6: DE A 2 423 454
D10: EP A 0 306 078
diskutiert wurden.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 674 031.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent aufrecht zu erhalten mit dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruch 1, der wie folgt lautet:
"Rotations-Kantendreher für Webmaschinen, bestehend aus einer Dreherscheibe (4), die zwei symmetrisch um die Mittenachse (5) angeordnete Durchgänge (4a, 4b) aufweist und bei der durch jedem Durchgang ein von einer ersten und einer zweiten Dreherspule gelieferter Dreherfaden (6,7) führbar ist, und ferner bestehend aus einem die Dreherscheibe drehbar aufnehmenden Trägerteil (14), das einen Halter (16) zur Verbindung des Rotations- Kantendrehers (1) mit einem Bauteil (20) der Webmaschine ausbildet, wobei der Rotations-Kantendreher (1) in einem möglichst geringen Abstand zum Bindepunkt (9) des Gewebes (10) und zwischen den Schaftrahmen und Weblitzen der ersten Webschäfte positioniert sein kann, dadurch gekennzeichnet, daß die Dreherscheibe (4) den Läufer eines elektrisch ansteuerbaren, in seiner Drehrichtung gesteuert umkehrbaren, Stellmotors (2) bildet und der Stator (3) des Stellmotors mit dem Trägerteil (14) verbunden ist."
VI. Die Beschwerdeführerin war der Meinung, daß im erteilten Anspruch 1 folgende Merkmale, die in Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung enthalten waren, nicht ohne Verletzung der Erfordernisse gemäß Artikel 123 (2) EPÜ weggelassen werden könnten:
i) die Dreherscheibe weist Ösen oder kreisbogenförmig ausgebildete Schlitze auf; und
ii) die Mittenachse der Dreherscheibe liegt vorzugsweise in der Ebene parallel zum Schussfadeneintrag der Webmaschine.
Ferner sei die Erfindung nicht ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ, da für den Fachmann nicht ersichtlich sei, wie die Dreherscheibe konstruktiv als Läufer eines Stellmotors ausgebildet und wie die Ansteuerungen des Motors zu verwirklichen seien.
Im einzelnen gehe es darum, daß nicht ausreichend offenbart sei, wie die Dreherscheibe in dem Trägerteil gelagert werde, und ob der Stator selbst als direkte Lagerung in Frage komme, wie Figur 2 zeige. Insbesondere sei unklar, wie die Lagerung sowie die Anordnung von Wicklungen und Magneten miteinander kombinierbar seien, damit sie auch funktionierten. Da jede Erläuterung des Aufbaus der Steuerung fehle, bleibe unklar, wie die Ansteuerung der Dreherscheiben in der Praxis aussehen könne. So gebe es kein konkretes Ausführungsbeispiel, an dem der Fachmann sich orientieren könne. Die in Figur 2 gezeigte Konstruktion ließe sich so nicht in der Praxis übernehmen.
Zur Ergänzung verwies sie dazu auf zwei spätere Patentveröffentlichungen der Patentinhaberin (DE-A-197 33 262 und EP-A-0 894 879).
Des weiteren vertrat sie die Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber der Veröffentlichung eines dementsprechenden Gegenstands in Dokument D10 (Artikel 100 a) EPÜ).
Schließlich sei er nicht erfinderisch, da ausgehend von D1 in Verbindung mit D10 alle Merkmale des Anspruchs 1 bekannt seien und die Kombination der beanspruchten Merkmale für den Fachmann nahelägen; ebensolches gelte ausgehend von D10 in Verbindung mit D6. Insbesondere sei auf die Beschreibungseinleitung von D10 hinzuweisen, in der auch Dokumente als Stand der Technik genannt seien (z. B. CH-654 038), die sich eindeutig mit einer Dreherscheibe beschäftigten. Somit sei die Lehre der D10 nicht ausschließlich beim besonderen Ausführungsbeispiel der D10 anzuwenden.
VII. Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, daß die vorgenannten Merkmale für den Fachmann aufgrund seines allgemeinen Wissensstandes auf dem betreffenden Gebiet ohne weiteres klar sowie nachvollziehbar und folglich ausführbar seien. Außerdem gebe keines der zitierten Dokumente allein oder in Kombination mit anderen Dokumenten alle Merkmale des Anspruchs 1 korrekt wieder. Die aus dem ursprünglichen Anspruch 1 veränderten bzw. entfernten Merkmale hätten eine entsprechende Offenbarung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen bzw. seien eindeutig als fakultativ gekennzeichnet gewesen.
Ferner wies sie daraufhin, daß die Erfindung nicht nahegelegt sei, da in keiner der zitierten Entgegenhaltung eine Dreherscheibe vorhanden sei, die den Läufer eines elektrisch ansteuerbaren Stellmotors bilde. Der einzige Hinweis auf einen elektrisch ansteuerbaren Rotor befinde sich in der D10. Er betreffe jedoch nicht eine Dreherscheibe, die als Abbindeorgan verwendet werde.
Damit sei es für den Fachmann nicht ohne erfinderischen Schritt möglich, zu der Merkmalskombination des Anspruchs 1 zu gelangen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der neu eingereichte Anspruch 1 erfüllt die Erfordernisse der Regel 57 a) EPÜ insofern, als die Änderungen durch Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ veranlaßt sind.
Insbesondere hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, daß die im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 vorhandenen Formulierungen im erteilten Anspruch gestrichen seien, so daß Artikel 123 (2) EPÜ verletzt sei. Dem begegnete der Beschwerdegegner mit dem neu eingereichten Anspruch 1, in den zwei Merkmale des ursprünglich eingereichten Anspruch 1 wieder aufgenommen wurden.
3. Änderungen
Gemäß Artikel 123 (2) EPÜ dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden, daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Das Merkmal i) ist in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 7 Zeilen 10/11 offenbart. Die Durchgänge 4a und 4b sind wörtlich genannt und als vorzugsweise kreisbogenförmig ausgebildet beschrieben. Damit ist der Ausdruck "Durchgänge" als fakultativ zu betrachten und als von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt anzusehen.
Das Merkmal ii) ist bereits durch die Verwendung des Wortes "vorzugsweise" als optional zu verstehen. Auch kann der Ansicht des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden, daß nur ein Teil der mit "vorzugsweise" bezeichneten Merkmale davon betroffen sei.
Die Kammer ist folglich der Meinung, daß die Veränderung bzw. das Weglassen der beiden Merkmale i) und ii) keine Verletzung des Artikels 123 (2) EPÜ darstellen.
Um die Beschreibung in Übereinstimmung mit dem geänderten Anspruch 1 zu bringen, war es notwendig in Spalte 3, Zeile 28 den Begriff "vorteilhafterweise" zu streichen. Ebenso erachtet die Kammer es als zweckdienlich, das Dokument D10 in der Beschreibungseinleitung zu würdigen. Dem kam die Patentinhaberin mit den eingereichten Änderungen nach.
4. Einwand mangelnder Offenbarung (Artikel 100 b), 83 EPÜ)
Die Offenbarung des Patents stellt klar, daß die Erfindung nicht die Art oder Anordnung einer Lagerung für die Dreherscheibe, sondern einen Aspekt der Erfindung, nämlich die Schaffung eines individuell ansteuerbaren und damit unabhängig vom Webmaschinenantrieb antreibbaren Rotationskantendrehers betrifft. Wie die Lagerung der Dreherscheibe konkret aussehen soll, kann dahingestellt bleiben und muss nicht im Detail angegeben werden, wenn das normale Fachwissen des Fachmanns ausreicht, um diese Lücke zu füllen. Als Möglichkeit für die Lagerung verwies der Beschwerdegegner insbesondere auf pneumatische Lagerungen sowie auf radiale und/oder axiale Magnetflußkräfte. Im Streitpatent ist in Spalte 4, Zeilen 29 bis 37 in Bezug auf Figur 2 ausgeführt, daß der Stator in seinem Inneren zusammen mit einem ringförmigen Trägerteil eine umlaufende U-förmige Nut ausbildet, in welcher die Dreherscheibe drehend aufgenommen ist. Die Dreherscheibe ist beschrieben als Dreher-Ring und als solcher auch in der Figur gezeichnet. Hierzu hat der Vertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung lediglich behauptet, daß er sich nicht vorstellen könne, wie die Lagerung mit der Anordnung der Wicklungen und Magnete kombinierbar sei, wobei eingeräumt wurde, daß er selbst kein Fachmann auf diesem Gebiet sei. Eine solche Aussage reicht nach Auffassung der Kammer nicht aus, die Ausführbarkeit in Frage zu stellen, denn auch in der D10, die in Spalte 4, Zeile 34 - 42 einen Hinweis auf einen als Rotor eines Elektromotors ausgebildeten Drehkörper gibt, wird dem Fachmann die weitere spezielle konstruktive Ausgestaltung überlassen.
Was die elektrische Ansteuerbarkeit und Kompaktheit betrifft, so ist auch hier der zuständige Fachmann unter Zuhilfenahme seines Fachwissens durchaus in der Lage eine Steuerung für einen Stellmotor im Sinne der Erfindung auszuführen, zumal derartige Steuerungen in diesem Bereich als absolut üblich anzusehen sind. Auch dies ist der D10 zu entnehmen.
Der Verweis auf die späteren Patentanmeldungen der Patentinhaberin zu diesem Thema (DE-A-197 33 262 und EP-A-0 894 879) und den entsprechenden Schriftwechsel (Schreiben der Patentinhaberin vom 19. Juni 2002 zur Prüfung der EP-A-0 894 879) ist nicht sachdienlich. Der Inhalt dieser späteren Anmeldungen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, zumal darin jeweils nur auf einen speziellen elektromagnetischen Antrieb für einen Rotations-Kantendreher für Webmaschinen eingegangen wird. Die Beschwerdegegnerin hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Streitpatent um die Grundidee in dieser Richtung handle, die nicht auf eine spezielle konstruktive Ausgestaltung des Antriebs eingeschränkt werden solle. Da die Kammer aus den hier oben angegebenen Gründen die ausreichende technische Ausführbarkeit der Grundidee als gegeben ansieht, kommt sie zu dem Ergebnis, daß die Erfindung so deutlich und vollständig angegeben ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).
5. Neuheit
5.1. Von der Beschwerdeführerin wurde geltend gemacht, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei im Hinblick auf die Lehre des Dokuments D10 nicht neu. Aus den folgenden Gründen kann sich die Kammer dieser Ansicht nicht anschließen.
5.2. D10 offenbart, siehe Figur 3, einen Kantendreher für Webmaschinen, umfassend einen Drehkörper (3) mit Führungen für den Antrieb von 2 Nadeln (4, 5), die Ösen (22,23) zur Führung des jeweiligen Fadens (24, 25, siehe auch Figur 4) aufweisen. Der Drehkörper (3) ist durch Zahnräder ((43, 44) mit einem Antriebsmotor (37) verbunden (siehe Spalte 3, Zeilen 39 - 48; Spalte 4, Zeilen 28 - 33); er kann aber auch als Rotor eines Elektromotors ausgebildet sein.
Bei diesem bekannten Kantendreher werden die Fäden über eine Kulissenführung zum Bindepunkt geführt, wobei durch die Rotation des Drehkörpers die Ösen derart gesteuert werden, daß eine Gewebekante hergestellt wird. Die Anordnung dafür nimmt erheblichen Raum ein (Figur 8 von D10), so daß außerdem der Antrieb von dem Bindepunkt weit entfernt angeordnet ist.
Der Dreherkörper dieser Bauart (corps tournant 3) ist jedoch nicht als Dreherscheibe im Sinne des Patents aufzufassen, da sie nicht selbst die Abbindefäden zum Abbindepunkt führt.
Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument, in der Beschreibungseinleitung von D10 seien auch Dokumente als Stand der Technik genannt (z. B. CH-654 038), die sich eindeutig mit einer Dreherscheibe beschäftigten, reicht nicht aus, um darzulegen, daß die Lehre der D10 auch auf solche Dreherscheiben unmittelbar anwendbar seien. Im Streitpatent ist speziell eine Dreherscheibe offenbart, die als einziges Fadenführungsorgan gedacht ist. In D10 dagegen wird das eigentliche "Fadenführungsorgan" durch die Ösen 22, 23 zusammen mit der Kulissenführung 29 dargestellt, wobei diese räumlich von dem Drehkörper 3 getrennt sind.
Figur 8 zeigt zudem, daß der Kantendreher insgesamt im Hinterfach angebracht ist oder alternativ (gestrichelte Linien) seitlich außerhalb der Webmaschine platziert werden kann. Das Merkmal des Oberbegriffs "wobei der Kantendreher in einem möglichst geringen Abstand zum Bindepunkt des Gewebes und zwischen den Schaftrahmen und Weblitzen positioniert sein kann", ist damit dieser Figur nicht zu entnehmen, da dieses Merkmal bedeutet, daß der Kantendreher im Vorderfach zu positionieren ist.
5.3. Damit sind nicht alle Merkmale des Anspruchs 1 aus dem Dokument D10 bekannt, so daß sein Gegenstand gegenüber diesem Dokument neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ ist.
5.4. Da auch keines der weiteren Dokumente einen Kantendreher mit der Gesamtheit aller Merkmale des Anspruchs 1 zeigt, ist die Neuheit auch insoweit gegeben.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1. Nach Auffassung der Kammer offenbart die D1 den nächstliegenden Stand der Technik und zeigt einen Rotations- Kantendreher für Webmaschinen gemäß dem Oberbegriff des vorliegenden Anspruchs 1.
D1 offenbart nicht, daß die Dreherscheibe den Läufer eines elektrisch ansteuerbaren, in seiner Drehrichtung gesteuert umkehrbaren Stellmotors bildet und der Stator des Stellmotors mit dem Trägerteil verbunden ist. Tatsächlich wird dort die Dreherscheibe von einem Zahnrad angetrieben, welches mit dem Hauptantrieb der Webmaschine verbunden ist (D1: siehe Seite 2, Zeilen 42 bis 52).
6.2. Ausgehend von diesem bekannten Rotations-Kantendreher ist der dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabenkomplex, wie in Spalte 2, Zeilen 22 bis 41 der Patentschrift ausgeführt, darin zu sehen, daß der Kantendreher zum Zwecke des Artikelwechsels nicht von der Webmaschine getrennt werden und ohne weiteres an unterschiedliche Webbreiten anpassbar sein soll. Ferner ist ein einfacher konstruktiver sowie kompakter Aufbau und ein individuell ansteuerbarer und damit vom Webmaschinenantrieb unabhängiger Antrieb gefordert.
6.3. Gelöst wird dieser technische Aufgabenkomplex durch den in Anspruch 1 definierten Rotations-Kantendreher. Insbesondere die Verwendung des Läufers eines elektrisch ansteuerbaren Stellmotors selbst als Dreherscheibe stellt eine direkte Führung der Dreherfäden bei minimalem Platzbedarf sicher.
6.4. Nach Meinung der Beschwerdeführerin würde der Fachmann die Lehre der D1 mit dem in D10 offenbarten Alternativantrieb kombinieren, wodurch es naheliege, einen Drehkörper als Läufer eines Stellmotors auszuführen.
Die Kammer ist jedoch davon überzeugt, daß der Fachmann, ausgehend von D1 und auf der Suche nach einer Lösung dieser Aufgabe, die Entgegenhaltung D10 überhaupt nicht in Betracht ziehen würde.
Die in D1 und in D10 offenbarten Kantendreher unterscheiden sich nämlich grundsätzlich sowohl im Antrieb als auch in der Fadenführung und durch ihre Position in der Webmaschine. In D10 werden die Fäden über Nadeln gedreht, die über eine Kulissenführung (29, 30) zum Bindepunkt geführt werden.
Aufgrund der unterschiedlichen Fadenführung und des konzeptionell verschiedenen Aufbaus kann der Fachmann nach Auffassung der Kammer nur auf Grund einer rückschauenden Betrachtungsweise zum Anspruchsgegenstand gelangen, denn ein Anlaß, den in Spalte 4, Zeile 34 - 42 genannten alternativen Antrieb für die Nadeln bei einem Kantendreher nach der D1 ohne solche Nadeln anzuwenden, ist nicht zu erkennen.
Auch der Hinweis auf den in D10 zitierten Stand der Technik in Form der CH 654 038 zeigt lediglich, daß die D10 sich von derartigen Dreherscheiben wegorientiert hat. In D10 will man diesen Stand der Technik jedoch dadurch verbessern, daß man die Dreherscheibe verläßt und die Abbindung über Nadeln mit einer Führungskulisse durchführt.
6.5. Ebenso könnte nach Meinung der Beschwerdeführerin von der Entgegenhaltung D6 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen werden. Da von diesem Dokument auch alle Merkmale des Oberbegriffs bekannt seien, würde eine Kombination von D6 mit D10 ebenso wie D1 mit D10 die Lösung des vorliegenden Anspruchs nahelegen.
Da jedoch die D6 nicht mehr offenbart als die D1, sind die oben vorgebrachten Argumente auch für eine derartige Kombination gültig.
6.6. Die Beschwerdeführerin machte des weiteren geltend, daß ebenfalls ausgehend von der D10 als nächstliegendem Stand der Technik die Lehre der D6 in naheliegender Weise angewandt werden könnte.
Ausgehend von dem alternativen Antrieb der Nadeln über eine separate Drehscheibe, die mittels eines als Läufer eines Elektromotors ausgebildeten Stators angetrieben ist, wäre in diesem Fall die zu lösende Aufgabe, die Führung der Fäden zu vereinfachen, wobei der Kantendreher im Vorderfach unterbringbar sein sollte.
Damit hätte aber der Fachmann die Position des Kantendrehers ebenso zu ändern wie die Funktionsweise des Antriebs und die Gestaltung der Dreherscheibe bzw. der Fadenführung.
Die Kammer ist der Meinung, daß es sich dabei um eine mehrteilige Aufgabenstellung handelt, wobei aber keineswegs zwangsläufig für alle Einzelaufgaben die Lösung des vorliegenden Anspruchs 1 resultieren muss. Damit ist die Verbindung der Merkmale, wie sie der vorliegende Anspruch 1 zeigt, keineswegs naheliegend.
Eine Kombination der Lehre der D10 mit den Dreherscheiben der D6 läßt offen, wo die Kulissenführung der D10 angebracht werden soll, ob es überdies möglich ist, den gesamten Kantendreher im Bereich des Vorderfachs zu positionieren, und ob es überhaupt denkbar ist, den Antrieb 11 in der D6 vom Antrieb 14 der Webmaschine unabhängig zu machen, da dies nur eine Möglichkeit für den Antrieb des Drehkörpers 3 der D10 ist, nicht aber für eine Kulissenführung.
Auch hier kann der Hinweis auf die CH 654 038 in der Beschreibungseinleitung der D10 nicht als Stütze für die Möglichkeit einer Dreherscheibe dienen, da die D10 eine Weiterentwicklung dieses Standes der Technik darstellen soll und damit bewußt die Kulissenführung für die Fäden gewählt hat, nicht aber eine andere Technik.
6.7. Eine weitere Argumentationslinie der Beschwerdeführerin, nach der die Dreherscheiben, wie sie in D10 durch beispielsweise CH 654 038 als Stand der Technik zitiert sind, mit einem eigenen Antrieb versehen werden könnten, um dann die Dreherscheibe aus der D6 als den Hinweis auf eine Ausgestaltung der Dreherscheibe als Abbindeorgan zu verwenden, kann die Kammer ebenfalls nicht überzeugen. Es wurde nicht erläutert und es ist auch aus den Dokumenten nicht ersichtlich, warum der Fachmann von der D10 ausgehend wieder auf den dort zitierten Stand der Technik zurückgehen sollte, um dann durch Kombination mit den in D10 und D6 vorhandenen Elementen genau die Lösung des Streitpatents zu erreichen.
6.8. Es ist ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, daß es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht ausschlaggebend ist, ob der Fachmann den Gegenstand des Streitpatents hätte ausführen können, sondern vielmehr, ob er es in der Hoffnung auf eine Lösung der zugrunde liegenden technischen Aufgabe bzw. gerade in der Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch getan hätte (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 3. Auflage, 1998, I-D, 6.1). Wie oben dargelegt wurde, fehlt im vorliegenden Fall insbesondere jeglicher Anlaß, die als Abbinde - Werkzeug dienende Dreherscheibe selbst als Läufer eines Stellmotors auszubilden.
6.9. Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Zusammen mit dem abhängigen Anspruch, der eine weitere Ausgestaltung der Erfindung enthält, und, soweit nötig, angepaßten weiterer Unterlagen kann er die Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung bilden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent aufrecht zu erhalten mit folgenden Unterlagen:
- Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung;
- Patentanspruch 2, wie erteilt;
- Beschreibung Spalten 1 bis 5, Seite 2a, überreicht in der mündlichen Verhandlung;
- Zeichnungen, Figuren 1 und 2, wie erteilt in der korrigierten Fassung der Patentschrift.