T 1107/00 () of 17.7.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T110700.20030717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2003
Aktenzeichen: T 1107/00
Anmeldenummer: 93120500.9
IPC-Klasse: D21G 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 29 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Erhöhen von Glanz und/oder Glätte einer Materialbahn
Name des Anmelders: V.I.B. Systems GmbH
Name des Einsprechenden: Voigh Sulzer Finishing GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Mangelnde Ausführbarkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung betreffend den Widerruf des Patents Nr. 0 609 544 Beschwerde eingelegt.

Gemäß der Entscheidung wurde das Patent aufgrund des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 b) EPÜ widerrufen. Nach der angefochtenen Entscheidung sei es für die Erfindung sehr wichtig, daß zum Erhöhen von Glanz und/oder Glätte nur die Oberflächenschicht der Materialbahn umgeformt werde, während die Mittelschicht unbeeinflußt bleiben solle. Konkrete Angaben zur Oberfläche seien lediglich im Zusammenhang mit der Temperatur gegeben. Damit könne der Fachmann dem Streitpatent nicht entnehmen, auf welche Schicht sich die Angabe des vorbestimmten Wertes der Feuchtigkeit, für den ein Bereich von 12% bis 25% definiert sei, beziehe.

II. Am 17. Juli 2003 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

i) Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, Feststellung, daß den Gegenständen der Ansprüche 1 bis 24, eingereicht am 30. September 1998, der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ nicht entgegensteht, und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung (Hauptantrag) oder, hilfsweise, Feststellung, daß den Gegenständen der Ansprüche 1 bis 14, eingereicht am 18. Juni 2003, der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ nicht entgegensteht, und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung.

ii) Der Beschwerdegegner (Einsprechender) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung.

III. Anspruch 1

Der der Beschwerde zugrundeliegende, mit Eingabe vom 29. September 1998 eingereichte Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Verfahren zum Erhöhen von Glanz und/oder Glätte einer Materialbahn, insbesondere einer Papierbahn, bei dem eine mit Hilfe von Dampf befeuchtete Materialbahn durch einen Walzenspalt geführt und dort mit Druck beaufschlagt wird, wobei der Dampf auf der Materialbahn kondensiert wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Materialbahn durch den Walzenspalt geführt wird, bevor die durch die Dampfbeaufschlagung entstandene Feuchteerhöhung der Oberfläche unter einen vorbestimmten Wert im Bereich von 12% bis 25% abgesunken ist und bevor die Temperatur im mittleren Drittel der Dicke der Bahn das 1/e-fache der Oberflächentemperatur erreicht hat."

IV. Der Beschwerdeführer hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

i) Streitig sei ausschließlich das Merkmal des Anspruchs 1, gemäß dem die Materialbahn durch den Walzenspalt geführt wird, bevor die durch die Dampfbeaufschlagung entstandene Feuchteerhöhung der Oberfläche unter einen vorbestimmten Wert im Bereich von 12% bis 25% abgesunken ist.

ii) Betreffend die prozentuale Angabe bezüglich der Feuchterhöhung in diesem Merkmal sei in fachüblicher Weise davon auszugehen, daß es sich dabei um Gewichtsprozente handele.

iii) Es sei unstreitig, daß es zum Verständnis dieser prozentualen Angabe der Kenntnis einer konkreten Dicke des Oberflächenbereichs bedürfe, auf den sich - über das Gewicht dieses Oberflächenbereichs - die prozentuale Angabe bezöge. Betreffend diese Dicke des Oberflächenbereichs sei, wie der Beschreibung zu entnehmen, davon auszugehen, daß diese Dicke diejenige sei, innerhalb der umgeformt werden solle. Da es sich bei dieser Dicke um das äußere Drittel der Materialbahn handele, bezöge sich der prozentuale Bereich somit gleichfalls auf dieses äußere Drittel. Die im Anspruch 1 definierte Erfindung sei somit ausführbar, weil der Fachmann, ausgehend von dem im Anspruch 1 definierten prozentualen Bereich, die hierfür aufzutragende Dampfmenge ermitteln könne.

V. Der Beschwerdegegner hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

i) Es treffe im allgemeinen zwar zu, daß prozentuale Feuchteangaben nach dem fachüblichen Verständnis als Gewichtsprozente aufzufassen seien. Dabei handle es sich aber um Feuchtewerte, die sich auf eine Materialbahn in ihrer Gesamtheit bezögen. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht gegeben, da die Feuchteerhöhung lediglich einen Teilbereich einer Materialbahn, nämlich den umzuformenden Oberflächenbereich beträfe. Es sei somit ohne weiteres denkbar, daß es sich in diesem Fall, entgegen der fachüblichen Betrachtungsweise, bei der die prozentualen Angabe nicht um Gewichtsprozente, sondern um Volumenprozente handele.

ii) Betreffend den Dickenbereich der Oberfläche, auf den sich der prozentuale Bereich der Feuchteerhöhung beziehen solle, enthalte das Streitpatent keine konkrete Angabe. Ein dem äußersten Drittel der Materialbahn entsprechender Bereich sei ausschließlich in Zusammenhang mit der Temperatur in der Materialbahn angesprochen. Da somit dem Streitpatent nicht zu entnehmen sei, auf welche Dicke der Materialbahn sich die prozentuale Angabe betreffend die Feuchteerhöhung bezöge, sei die im Anspruch 1 definierte Erfindung nicht ausführbar.

Entscheidungsgründe

1. Der geänderte Anspruch 1 unterscheidet sich von dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruch 1 durch Aufnahme des Merkmals des Anspruchs 3 in der erteilten Fassung. Dieser Anspruch ist damit zulässig (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ).

2. Es ist unstreitig, daß nach fachüblichem Verständnis prozentuale Angaben über die Feuchte von Materialbahnen der angesprochenen Art auf das Gewicht bezogen sind. Dem Beschwerdegegner ist zwar zuzustimmen, daß sich üblicher Weise Feuchteangaben auf die Materialbahn als Ganzes beziehen und nicht, wie vorliegend, auf einen an der Oberfläche liegenden Teilbereich. Nach Auffassung der Kammer gibt dieser Unterschied aber keine Veranlassung dafür, abweichend von der fachüblichen Vorgehensweise, bei den prozentualen Angaben nicht von Gewichtsprozenten sondern von Volumenprozenten auszugehen. Die angefochtene Entscheidung ist somit in dieser Hinsicht zutreffend.

3. Es ist unstreitig, daß der im Anspruch 1 genannte prozentuale Bereich der Feuchteerhöhung nur dann ausreichend definiert ist, wenn diese prozentuale Angaben auf einen bestimmten Dickenbereich der Oberfläche bezogen sind, weil nur dann über das Gewicht dieses Bereichs ein Trockengewicht als eine Referenzgröße der prozentualen Angaben ermittelt werden kann. Die Kenntnis dieses Dickenbereichs ist, weiterhin unstreitig, entscheidend für die Ausführbarkeit des Verfahrens nach Anspruch 1 und dann gegeben, wenn für die Oberfläche, bzw. zutreffender für den Oberflächenbereich, eine konkrete Dicke bekannt ist.

Einer konkreten Dicke bedarf es, um, ausgehend von den prozentualen Angaben über das Absinken der Feuchteerhöhung, die hierfür aufzutragende Dampfmenge zu ermitteln.

Dem Beschwerdegegner ist zuzustimmen, daß das Streitpatent explizit keine konkrete Angabe betreffend diese Dicke des Oberflächenbereichs, auf den sich die prozentualen Angaben beziehen, enthält.

Dem in seiner Gesamtheit betrachteten Inhalt des Streitpatents entnimmt der Fachmann aber, daß sich die prozentualen Angaben betreffend die Feuchteerhöhung nur auf das äußere Drittel der Materialbahn beziehen können.

Dies läßt sich daraus herleiten, daß zum einen in der Beschreibung (Spalte 3, Zeilen 2 bis 6) angegeben ist "Die zum Umformen der Oberfläche benötigten Energien werden in dem Bereich gehalten, der umgeformt, also geglättet werden soll.".

Diese Vorgehensweise stimmt mit dem dem Streitpatent zugrundeliegenden Ziel überein (Spalte 2, Zeile 29 bis Spalte 3, Zeile 2), gemäß dem die Materialbahn an der zu behandelnden Oberfläche eine relativ hohe Temperatur und eine relativ hohe Feuchtigkeit aufweist, wobei die Bahn insgesamt keine nennenswerte Menge an Feuchtigkeit aufnimmt. Damit wird angestrebt, daß das Volumen der Materialbahn weitgehend erhalten bleibt, Energie eingespart werden kann und eine aufwendige, zum zumindest teilweisen Entfernen der Feuchtigkeit (Spalte 1, Zeilen 42 bis 47), erforderliche Nachbehandlung entfallen kann.

Dem Beschwerdegegner ist zwar darin zuzustimmen, daß Feuchtigkeit an sich keine Energie ist. Im vorliegenden Fall erfolgt jedoch das Einleiten von Energie allein über eine Dampfbeaufschlagung über die, abhängig von der Dampfmenge und der Dampftemperatur, die umzuformende Oberflächenschicht befeuchtet und erwärmt wird. Folglich ist die o. g. Angabe der Beschreibung (Spalte 3, Zeilen 2. bis 4) so zu verstehen, daß Temperatur und Feuchte in dem Bereich gehalten werden, der umgeformt werden soll.

Als Größe dieses umzuformenden Bereichs ist in der Beschreibung (Spalte 3, Zeilen 15 bis 29) zum anderen das äußere Drittel der Materialbahn genannt, in dem angegeben ist, daß sich die Umformung auf das äußere Drittel der Materialbahn beschränkt, soweit die Temperatur einen Einfluß hat. Betreffend den Einfluß der Feuchtigkeit ist ausgeführt, daß dieser auf noch dünnere Oberflächenbereiche beschränkt ist, weil - wie von beiden Parteien anerkannt - die Temperatur, d. h. die von der Dampfbeaufschlagung ausgehende Wärme, schneller als die gleichfalls von der Dampfbeaufschlagung ausgehende Feuchtigkeit in die Materialbahn eindringt.

Unabhängig davon, daß sich somit der Einfluß der Feuchtigkeit nicht über das gesamte äußere Drittel erstreckt, ist diesen Beschreibungsteilen zu entnehmen, daß auch in Bezug auf die Feuchteerhöhung der Einfluß des Dampfauftrags auf dieses äußere Drittel beschränkt ist. Damit ist der für das Verständnis der prozentualen Angaben betreffend des Absinkens der Feuchteerhöhung erforderliche konkrete Dickenwert des Oberflächenbereichs bekannt.

Das anderslautende Ergebnis gemäß der angefochtenen Entscheidung läßt die Angabe der Beschreibung unberücksichtigt, gemäß der die zum Umformen der Oberfläche benötigten Energien in dem Bereich gehalten werden, in dem umgeformt werden soll (Spalte 3, Zeilen 2. bis 4) und betrachtet in diesem Zusammenhang die Angabe, gemäß der sich die Umformung auf das äußere Drittel beschränkt ausschließlich in Verbindung mit der in diesem Zusammenhang angesprochenen Temperatur (Spalte 3, Zeilen 22 bis 29). Diese Auffassung wird jedoch dem in seiner Gesamtheit zu berücksichtigenden Inhalt des Streitpatents nicht gerecht, gemäß dem, wie ausgeführt, einerseits die zum Umformen benötigten Energien, also, gemäß den obigen Ausführungen, die durch die Dampfbeaufschlagung verursachte Feuchtigkeit und Wärme in dem Bereich gehalten werden, der umgeformt werden soll und andererseits dieser Bereich hinsichtlich der Temperatur, und infolge der schnelleren Ausbreitung der Wärme hinsichtlich seiner maximalen Ausdehnung, als das äußere Drittel der Materialbahn genannt ist (Spalte 3, Zeilen 15 bis 29). Da somit die Umformung, in ihrer Gesamtheit, auf das äußere Drittel beschränkt ist und hinsichtlich des Eintrags von Feuchtigkeit und Wärme (benötigte Energien) gleichfalls auf den umzuformenden Bereich in seiner Gesamtheit bezug genommen wird, im Gegensatz zu einer Angabe unterschiedlicher Einflußbereiche hinsichtlich der Feuchtigkeit und der Wärme, ist ersichtlich, daß zum Verständnis der prozentualen Angaben des Anspruchs 1 zur Absenkung der Feuchteerhöhung von dem konkret angegebenen Wert für die Dicke des gesamten umzuformenden Bereichs, nämlich dem äußeren Drittel der Materialbahn, auszugehen ist.

Dem steht auch nicht entgegen, daß, wie von dem Beschwerdegegner zutreffend ausgeführt, die durch die Dampfbeaufschlagung entstandene Feuchteerhöhung sich von der Oberfläche der Materialbahn allmählich in deren Inneres ausbreitet (Spalte 12, Zeilen 2 bis 9; Figur 5), weil es hinsichtlich der Dicke des Oberflächenbereichs, die die Grundlage des Verständnisses der prozentualen Angaben des Anspruchs 1 bildet, auf die Verteilung der Feuchtigkeit innerhalb des äußeren Drittels der Materialbahn ebenso wenig ankommt wie auf den Einflußbereich der Feuchtigkeit bezüglich des Umformens der Oberfläche. Maßgeblich für das Verständnis der prozentualen Angaben ist allein der Dickenbereich in dem, über die Dampfbeaufschlagung, Feuchtigkeit und Wärme gehalten werden sollen, und damit der Bereich, der umgeformt werden soll (Spalte 3, Zeilen 2 bis 6) und der durch Verweis auf das äußere Drittel der Materialbahn quantifiziert ist (Spalte 3, Zeilen 15 bis 29).

Die zum Verständnis der prozentualen Angaben des Anspruchs 1 erforderliche Dicke der Oberfläche bzw. des sich über diese Dicke verlaufenden Oberflächenbereichs ergibt sich damit als das äußere Drittel der Materialbahn.

Die im Anspruch 1 definierte Erfindung ist somit ausführbar, so daß ihr der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ nicht entgegensteht.

4. Zurückverweisung

Beide Parteien haben hilfsweise beantragt, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuweisen. Die Kammer hält es für geboten in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, weil betreffend das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß der Einspruchsentscheidung ausschließlich der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ geprüft worden ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

Quick Navigation