T 1051/00 (Verbesserung von Betriebsparametern/SIEMENS) of 26.2.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T105100.20030226
Datum der Entscheidung: 26 Februar 2003
Aktenzeichen: T 1051/00
Anmeldenummer: 92115288.0
IPC-Klasse: G05B 13/04
G05B 13/02
B21B 37/00
G06F 15/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Regelparameter-Verbesserungsverfahren für industrielle Anlagen
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: VOEST-ALPINE Industrieanlagen GmbH
SMS Demag AG
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent zu widerrufen, Beschwerde eingelegt. Die Einspruchsabteilung war zur Auffassung gekommen, daß die in Artikel 100 a) EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstünden, da das Patent den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genüge. Unter anderem wurden von der Einspruchsabteilung folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt:

D4: Yong-zai Lu: "Modern Computer Control Strategies of Iron and Steel Making", IFAC Automation in Mining, Mineral and Metal Processing, Buenos Aires, Argentina, 1989, Seiten 21 bis 30

D6: M. Mattila, P. Mäntylä: "On-line Parameter Estimation in Pass Scheduling for Plate Rolling", IFAC Automation in Mining, Mineral and Metal Processing, Helsinki, 22. bis 25. August 1983, Seiten 623 bis 628

D12: WO-A-91/10961.

II. In der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin gemäß dem Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt (mit den kennzeichnenden Merkmalen (a) bis (f) wie diese in der angefochtenen Entscheidung bezeichnet sind):

"(a) Verfahren zur Verbesserung von Betriebsparametern in einer industriellen Anlage der Grundstoffindustrie,

(b) z. B. in einem Walzwerk,

(c) wobei die Betriebsparameter in Betriebspunkten vorab anhand von Modellen, z. B. Algorithmen, errechnet

(d) und dann durch Adaption den tatsächlichen Größen in den Betriebspunkten angepaßt werden,

(e) und wobei die Verbesserung der Betriebsparameter mittels einer auf neuronalen Netzes [sic] basierenden Informationsverarbeitung erfolgt,

(f) deren Eingangsgrößen, unter Berücksichtigung von Expertenwissen in bezug auf die auftretenden [sic] Prozeßgrößen-Meßwertstreuung und Verteilung aufbereitet werden."

Anspruch 1 eines mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags I beinhaltet, zusätzlich zu den Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags, das Merkmal (von der Kammer als (g) bezeichnet):

"(g) wobei eine Meßwertaufbereitung mit prozessabhängigen, vorzugsweise aufgrund von Expertenwissen bestimmten Regeln, insbesondere in bezug auf die Vertrauensintervalle und die Standardabweichung, erfolgt."

III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 Absatz 2 der zu diesem Zeitpunkt geltenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hat die Kammer die Meinung geäußert, daß die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung überzeugend argumentiert habe, und daß die Kammer dazu neige, sich der in der Entscheidung vertretenen Auffassung anzuschließen.

IV. Am 26. Februar 2003 wurde mündlich verhandelt. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung einen Hilfsantrag II eingereicht. Anspruch 1 dieses Antrags unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags I dadurch, daß das Merkmal (g) am Ende nach dem Wort "Standardabweichung" folgenden Wortlaut aufweist:

"so erfolgt, daß unscharfe Eingangsgrößen aufbereitet werden".

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte somit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents entweder in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder auf der Grundlage des Hilfsantrags I, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 19. Dezember 2000, oder des Hilfsantrags II überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

V. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) können in der folgenden Weise zusammengefaßt werden:

Die Einspruchsabteilung habe in ihrer Entscheidung die Entgegenhaltungen D4 und D6 kombiniert um nachzuweisen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann naheliegend sei. Dies sei aber nicht zutreffend. Obwohl diese zwei Druckschriften sich teilweise mit verwandten technischen Gebieten beschäftigten, dürften die Merkmale der beiden Dokumente eigentlich nicht kombiniert werden. Es gebe nämlich in den Entgegenhaltungen keinen Hinweis, daß dies sinnvoll wäre. In D4 sei in keinster Weise angedeutet, daß das Expertenwissen betreffende Merkmal (f) aus der konventionellen Lehre der D 6 zu entnehmen wäre, und/oder daß dieses Merkmal mit einigen von den in D4 genannten isolierten Verfahrensschritten verbunden werden könnte. Es sei besonders zu beachten, daß "Expertenwissen" nach D6, in einem ganz anderen Zusammenhang als gemäß der Erfindung, nämlich nur bei der Modellerstellung, benutzt werde.

D4 repräsentiere eine Zusammenfassung von unterschiedlichen Strategien bei der Eisen -und Stahlherstellung. Der Artikel sei wie ein Katalog abgefaßt, wobei unterschiedliche Aspekte bei der Herstellung betrachtet würden, z. B. modellbasierte Regelungsstrategien, Modellieren der Prozesse, Optimierung der Regelung und Verwendung von neuronalen Netzwerken. Die unterschiedlichen Abschnitte des Artikels, die diese unterschiedlichen Aspekte wiedergäben, seien aber unter sich selbständig und von einander bei der Faktenwiedergabe getrennt oder nur lose mit einander verknüpft. Man könne also nicht ohne weiteres die in den unterschiedlichen Abschnitten angegebenen technischen Merkmale mit einander verbinden. Fallstudien ("Case Studies") würden erst am Ende der D4 kurz erörtert. Die Erfindung beziehe sich auf ein Verfahren zur Verbesserung von Betriebsparametern, besonders in einem Walzwerk, welches aber kein Thema von D4 sei. In D4 gehe es darum, die Anlagen effektiv zu planen und aufzubauen. Die Erfindung aber kümmere sich um den dynamischen Arbeitsablauf in einer industriellen Anlage. In D4 sei besonders der Abschnitt bezüglich des neuronalen Netzwerkes als ein von dem übrigen Text getrennter Abschnitt anzusehen, wo über die Entwicklung der artifiziellen Intelligenz und auch über die Verwendung von neuronalen Netzwerken geredet werde. Die Beschwerdeführerin könne deshalb nicht verstehen, wie die Einspruchsabteilung zum Schluß gekommen sei, daß aus der Lehre der D4 die Merkmale (a) bis (e) zu entnehmen seien. Das Merkmal (e) jedenfalls sei in Verbindung mit den Merkmalen (a) bis (d) keinesfalls der D4 zu entnehmen.

D6 sei eine Druckschrift, die sich mit der traditionellen Regelungstechnik beschäftige und es gebe keine Hinweise, daß die Lehre dieser Schrift sich in irgendeiner Weise mit neuronalen Netzwerken in Verbindung bringen lasse. Es sei zwar richtig, daß in D6 angegeben sei, daß Expertenwissen benutzt werden könne. Dies sei aber in einem anderen Zusammenhang zu sehen als bei der Erfindung, nämlich nur dann, wenn ein Modell auf den letzten technischen Stand gebracht werden müsse ("updating"). Wenn dabei der Meßfehler so groß sei, daß er eine gewisse Grenze überschreite, müsse dieser Fehler verworfen werden oder dürfe jedenfalls nicht in normaler Weise berücksichtigt werden. In D6 gehe es darum, ein mathematisches Modell zu simulieren und somit nicht um die Berechnung von Betriebsparametern eines Arbeitsablaufes. Deshalb sei nicht zu verstehen, daß die Einspruchsabteilung zum Schluß gekommen sei, daß der Fachmann, unter Berücksichtigung der Lehre der D6, in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde. Wie könne es bei einer Verbesserung der Betriebsparameter mittels einer auf neuronalen Netzen basierenden Informationsverarbeitung nach Merkmal (e) naheliegen, die Eingangsgrößen der Parameter, unter Berücksichtigung von Expertenwissen nach Merkmal (f), aufzubereiten, wenn in D6 von neuronalen Netzen oder von dynamischen Arbeitsabläufen überhaupt keine Rede sei? Diese Schlußfolgerung der Einspruchsabteilung sei um so bemerkenswerter, als sich auch das Merkmal (e) nicht mit den Merkmalen (a) bis (d) in Verbindung setzen lasse.

Die Erfindung sei gerade darin zu sehen, daß die Verwendung von Expertenwissen bei der Informationsverarbeitung mittels neuronaler Netze als eine ungewöhnliche und kühne Neuerung angesehen werden müsse, weil die traditionelle Vorstellung immer gewesen sei, daß sich bei Verwendung von neuronalen Netzen Expertenwissen verbiete, weil ein solches Netz ja selbst lernen könne und z. B. bei einer Regelungsanwendung laufend den Regelungsverlauf verbessere. Einen Eingriff von außen in den Regelungsverlauf habe man ohne Störungen der Regelung nicht für möglich gehalten. Dieses Vorurteil sei aber mit der Erfindung überwunden worden.

Anspruch 1 des Hilfsantrags I definiere die Meßwertaufbereitung, welche mit prozessabhängigen, vorzugsweise aufgrund von Expertenwissen bestimmten Regeln erfolge. Obwohl nach dem Anspruch nicht zwingend sei, daß dies in bezug auf die Vertrauensintervalle und die Standardabweichung geschehe, gebe der Wortlaut des Anspruchs dem Fachmann einen Hinweis darauf, wie die Meßwertaufbereitung durchgeführt werden könne.

Anspruch 1 des Hilfsantrags II sei noch deutlicher gegenüber der herkömmlichen Technik abgegrenzt worden, indem beansprucht sei, daß unscharfe Eingangsgrößen mit prozessabhängigen Regeln aufbereitet würden. Dies sei nirgendwo in den Entgegenhaltungen vorgeschlagen worden.

VI. Die Ausführungen der Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Es sei zwar richtig, daß in D4 die unterschiedlichen Abschnitte gewissermaßen selbstständig dargestellt würden. Die Ausführungen seien aber für den Fachmann geschrieben - und natürlich mit der Absicht, daß dieser die Informationen der unterschiedlichen Abschnitte mit einander in geeigneter Weise kombinieren könne. In D4 sei schon auf der ersten Seite (S. 21) in der Zusammenfassung angegeben, daß artifizielle neuronale Netzwerke zusammen mit traditioneller Technik, wie z. B. Regelung, Systemmodellierung und qualitatives menschliches Wissen, zur Lösung der Optimierungsprobleme auf dem Gebiet der Eisen und Stahlherstellung benutzt werden könnten. Später werde mehrmals in den unterschiedlichen Abschnitten der D4 auf die Möglichkeit hingewiesen, artifizielle Intelligenz und neuronale Netzwerke bei den unterschiedlichen Problemlösungen zu benutzen. Nach Meinung der Beschwerdegegnerinnen seien die Merkmale (a) bis (e) des Anspruchs 1 des Hauptantrags der Entgegenhaltung D4 zu entnehmen. Das Merkmal (f) ergebe sich aber ohne weiteres aus der D6. Dort erfolge eine Aufbereitung der Meßwerte unter Berücksichtigung von Expertenwissen. Wenn, nämlich, Meßwerte beim Modell "updating" um mehr als 500 Tonnen von den errechneten Werten abwichen, werde die Korrektur mit einem Fehler von nur 500 Tonnen durchgeführt. Übrigens sei es immer für den Fachmann selbstverständlich, daß Meßwerte, die bei einer Regelung deutlich normale Grenzwerte überschritten, verworfen, oder jedenfalls nachbearbeitet werden müßten, um sicherzustellen, daß der Regelungsverlauf nicht außer Kontrolle geraten würde. In dieser Hinsicht könne es auch bei der Funktion der neuronalen Netzwerke keinen Unterschied zur konventionellen Technik geben, weil es selbstverständlich sei, daß auch bei diesen Netzwerken, z. B. wegen Meßfehler entstandene, "Ausreißer" vermieden werden müßten. Würde es "übertriebene" oder deutlich fehlerhafte Meßwerte geben, müßten diese verworfen werden. Deshalb seien die Beschwerdegegnerinnen der Meinung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag für den Fachmann naheliege.

Aber auch die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge, insoweit diese Ansprüche verstanden werden könnten, seien für den Fachmann naheliegend. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags I gebe nur die Selbstverständlichkeit wieder, daß die Meßwertaufbereitung mit prozessabhängigen Regeln erfolge. Es sei aber bei der Regelung immer so gewesen, daß eine Meßwertaufbereitung gemäß Regeln durchgeführt werden müsse, die vom Prozeß abhängig seien. Dies könne auch bei neuronalen Netzwerken nicht anders sein. Es sei zwar richtig, daß Prozesse, bei denen ein neuronales Netzwerk verwendet werde, lernfähig seien, jedoch sei es selbstverständlich, daß "unmögliche" Meßwerte auch bei diesen Prozessen verworfen werden müßten. Die Beschwerdegegnerinnen verwiesen dabei auf die Entgegenhaltung D12, die deutlich zeige, daß auch bei neuronalen Netzwerken prozessabhängige Regeln benutzt würden (siehe, insbesondere, Figur 2 - "preprocessing rules", Seite 14 und die Tabellen II und V). Das neu hinzugefügte Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags II vermittele nur, daß eine Meßwertaufbereitung mit prozessabhängigen Regeln so erfolge, daß unscharfe Eingangsgrößen aufbereitet würden. Dieses Merkmal dürfte aber undeutlich sein, weil nicht klar hervorgehe, was mit unscharfen Eingangsgrößen gemeint sei. Jeder Wert, der gemessen werde, müsse an sich ein scharfer Wert sein in dem Sinne, daß dieser Wert deutlich definiert sei.

VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den in Regel 65 (1) EPÜ angeführten Erfordernissen und ist daher zulässig.

Hauptantrag

2. Die im vorliegenden Fall zu entscheidende Frage ist, ob der beanspruchten Erfindung eine erfinderische Tätigkeit zukommt oder nicht.

In der mündlichen Verhandlung waren beide Parteien sich darin einig, daß die Merkmale (a) bis (d) aus D4 zu entnehmen seien. Die strittige Frage ist aber, ob Merkmal (e) in Verbindung mit den Merkmalen (a) bis (d) auch der D4 zu entnehmen ist.

Auch die Kammer ist der Auffassung, daß die Kombination der Merkmale (a) bis (d) aus D4 bekannt ist (siehe insbesondere Seite 24, linke Spalte. 2. Absatz und ff.). Um herauszufinden, ob Merkmal (e) in Kombination mit den Merkmalen (a) bis (d) auch im Stand der Technik offenbart ist, müssen die Ausführungen der D4 genauer untersucht werden.

In dem Abschnitt der D4 auf Seite 25, der sich mit den neuronalen Netzwerken ("artificial neural network" - ANN) beschäftigt, wird ausgeführt, daß diese Art von Netzwerken in unterschiedlichen Formen bei Systemmodellierungen immer mehr Anwendung findet. Gegen Ende des Abschnittes werden die Vorteile der der Verwendung von neuronalen Netzen im Vergleich zu anderen Methoden zusammengefaßt. Es wird insbesondere festgestellt, daß die ANN-Methoden eine sehr effektive Lernfunktion haben, und daß bei diesen Verfahren Vorkenntnisse ("prior-knowledge") bezüglich Systemstrukturen oder Parametern nicht so wichtig sind wie bei den traditionellen Methoden. Das Einsetzen von Vorkenntnissen, z. B. von Expertenwissen, in diesem Zusammenhang wird jedoch nicht ausgeschlossen. Dies findet seine Bestätigung ganz am Ende dieses Abschnittes, wonach eine derartige Regelung automatisch Änderungen der Systemumgebung berücksichtigt und ein Zusammenwirken von modellbasierten und wissensbasierten Regeltechniken ermöglicht.

Ebenso wird auf Seite 26, letzter Absatz ausgeführt, daß eine Struktur von einem intelligenten Regelungssystem erörtert worden ist, die die "traditionelle moderne" Regelung mit der wissensbasierten Regelung ("knowledge based") kombiniert.

Ferner werden schon am Anfang von D4, in der Zusammenfassung (Seite 21), Methoden, die neuronale Netzwerke verwenden, zusammen mit anderen Methoden genannt, die geeignet sind, Probleme bei der Eisen- und Stahlherstellung zu lösen. Es wird auch angedeutet, daß Vorkenntnisse und Expertenwissen bei der Formulierung von mathematischen Modellen benutzt werden müßten, um zukünftig Prozesse der Eisen-und Stahlherstellung intelligent zu regeln. Auch am Ende der Einleitung (Seite 21) wird darauf hingewiesen, daß in der modernen Regelungstechnik artifizielle Intelligenz und neuronale Netzwerke benutzt werden können. Schließlich wird im Abschnitt "Knowledge based control and optimization strategies" (Seite 24) erneut zum Ausdruck gebracht, daß eine intelligente Regelungstheorie in der Zukunft offensichtlich die gegenwärtige Regelungstheorie mit der Problematik der artifiziellen Intelligenz und der Computerwissenschaft verbindet. Ergänzend wird in dem Abschnitt "Knowledge Base Model" (Seite 24) noch ausgeführt, daß bei industriellen Prozessen das Regelungssystem sowohl quantitative mathematische Formulierungen, als auch qualitative und heuristische Informationen berücksichtigen muß.

Die Kammer kommt deshalb zum Schluß, daß die Merkmale (a) bis (e) in Verbindung mit einander aus D4 zu entnehmen sind, weil für den Fachmann wegen den vielen (oben genannten) Stellen im Text, die sich auf artifizielle Intelligenz oder neuronale Netzwerke beziehen, beim Lesen des Artikels eine derartige Kombination selbstverständlich erscheinen muß. Wie oben ausgeführt, ist das Merkmal (e) in D4 nicht nur vielfach erwähnt, sondern wird auch als ein zentraler Bestandteil ganz deutlich mit den Merkmalen (a) bis (d) in Zusammenhang gesetzt.

Demnach unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruch 1 nur durch das Merkmal (f) vom nächstliegenden Stand der Technik, der nichts über die Aufbereitung der Eingangsgrößen aussagt. Ausgehend von der Lehre der D4, könnte die zu lösende Aufgabe darin zu sehen sein, das bekannte Regelverfahren hinsichtlich seiner Genauigkeit weiter zu verbessern (siehe Spalte 2, Zeile 42 bis Spalte 3, Zeile 3 des Streitpatents). Eine derartige Optimierungsaufgabe fällt in den Rahmen üblichen fachmännischen Handelns und läßt als solche nichts Erfinderisches erkennen.

Nach Meinung der Kammer dürfte auch das Merkmal (f) für den Fachmann schon im Hinblick auf die oben angeführten Textstellen in D4 auf der Hand liegen. Diese Textstellen machen es klar, daß die Technik der neuronalen Netzwerke nicht isoliert von der traditionellen Regelungstechnik angewandt werden soll, sondern daß vielmehr an eine Kombination beider Techniken gedacht ist, dergestalt daß Expertenwissen in den Regelungsprozeß einfließt.

Die Beschwerdeführerin hat behauptet, daß es nirgendwo gezeigt worden sei, daß in diesem Zusammenhang Eingangsgrößen unter Berücksichtigung speziellen Expertenwissens aufbereitet würden. Wie aber von den Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht wurde, kann der Fachmann es nicht zulassen, daß Eingangsgrößen, die offenbar völlig falsch sind, ohne weitere Prüfung in einem Regelungssystem, sei mit oder ohne neuronale Netze, berücksichtigt werden. Es scheint selbstverständlich zu sein, daß nur Werte, die das System benutzen kann und die das System nicht stören, zugelassen werden dürfen. Deshalb dürfte der Fachmann diese Kenntnisse, die er von der traditionellen Regelungstechnik hat, auch bei einer Regelung und Steuerung mit Hilfe von neuronalen Netzen verwenden.

Die Kammer ist auch der Meinung, daß die einschlägigen Entgegenhaltungen D4 und D6 kombiniert werden können und daß auch der D6 das Merkmal (f) zu entnehmen ist (siehe insbesondere Seite 626, linke Spalte, "Convergence of models"). Es kann wohl sein, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde, daß es in D6 nicht direkt um einen dynamischen Regelungsverlauf geht. Jedoch wird in D6 ausgeführt, wie Modelle auf den letzten Stand ("updating") gebracht werden, wobei die Modelle, in Übereinstimmung mit dem vorliegenden Patent, für ein Verfahren zur Verbesserung von Betriebsparametern bei der Regelung von Walzwerken benutzt werden. Wie bereits im vorhergehenden Absatz ausgeführt, erscheint es der Kammer selbstverständlich, daß der Fachmann traditionelle Regelungskenntnisse, wie sie sich beispielsweise aus der D6 ergeben, bei der Lösung seines Problems in Betracht ziehen würde. D6 macht ausdrücklich klar, daß zu große Werte nicht berücksichtigt werden sollen, weil diese "falschen" Werte das ganze Verfahren negativ beeinträchtigen würden.

Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß der Fachmann ausgehend von der Lehre der D4 direkt, aber auch bei einer Kombination der Lehren der Entgegenhaltungen D4 und D6, ohne erfinderische Leistung zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

Hilfsantrag I

3. Das zusätzliche Merkmal im Anspruch 1 dieses Antrags lautet ohne die fakultativen Ergänzungen wie folgt: "wobei eine Meßwertaufbereitung mit prozessabhängigen Regeln erfolgt".

Der Kammer scheint es, daß, wie von den Beschwerdegegnerinnen ausgeführt worden ist, eine Meßwertaufbereitung immer mit prozessabhängigen Regeln erfolgen sollte, weil eine Aufbereitung, die die Eigenheiten des Prozesses nicht berücksichtigt zwangsläufig zu einem schlechten Regelungsergebnis und damit zu einer fehlerhaften Wirkungsweise des Prozesses führen muß. Die Kammer ist auch der Auffassung, daß die Entgegenhaltung D12 (siehe z. B. Seite 14) deutlich zeigt, daß es bei Verwendung von neuronalen Netzwerken üblich ist, prozessabhängige Regeln zu benutzen.

Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Hilfsantrag II

4. Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags II, nämlich daß eine Meßwertaufbereitung mit prozessabhängigen Regeln "so erfolgt, daß unscharfe Eingangsgrößen aufbereitet werden", ist nicht klar, wie schon in der mündlichen Verhandlung von den Beschwerdegegnerinnen beanstandet wurde. Wenn dieses Merkmal so zu verstehen ist, daß die Werte, die aufbereitet werden sollen, statistisch bearbeitet werden, z. B., wie fakultativ in dem Anspruch angegeben ist, "in bezug auf die Vertrauensintervalle und die Standardabweichung", muß eine solche Bearbeitung als eine naheliegende Verwendung von Expertenwissen angesehen werden.

Nach Meinung der Kammer können weder diese speziellen Expertenkenntnisse noch deren Verwendung eine erfinderische Tätigkeit begründen (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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