T 0960/00 (Peroxihexansäure/CLARIANT) of 27.2.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T096000.20030227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 2003
Aktenzeichen: T 0960/00
Anmeldenummer: 89112062.8
IPC-Klasse: C07D 207/40
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Phthalimidoperoxihexansäure, Verfahren zu deren Herstellung und deren Verwendung
Name des Anmelders: Clariant GmbH
Name des Einsprechenden: Ecolab GmbH & Co. OHG, Patentabtlg., Geb. Z22/3. OG
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
Schlagwörter: Neuheit (ja) - Offenbarung von Verbindungsklasse - mehrfache Auswahl aus Substituentenlisten - Auswahl von Einzelverbindung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0007/86
T 0124/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 25. September 2000 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechender) richtet sich gegen die am 26. Juli 2000 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäischen Patent Nr. 349 940 zurückgewiesen wurde. Das Streitpatent enthielt sechs Ansprüche; dessen Anspruch 1 lautete wie folgt:

1. Verbindung der Formel

FORMEL

Die Ansprüche 2 bis 5 betrafen ein Verfahren zur Herstellung dieser Verbindung und der Anspruch 6 deren Verwendung.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen fehlender Neuheit der Ansprüche 1 bis 6 und mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Ansprüche 2 bis 5 angegriffen worden. Zur Stützung des Einspruchs wurden unter anderem die folgenden Druckschriften angezogen:

(1) EP-A-325 288 und

(2) EP-A-325 289.

III. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, daß der Gegenstand des Streitpatents neu sei. Die Entgegenhaltungen (1) und (2) stellten beide Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ dar. Sie offenbarten imidoaromatische Peroxicarbonsäuren mit den variablen Substituenten A, R und n. Aus den für diese Substituenten angegebenen Bedeutungen sei die Bedeutung Phenyl für den Substituent A, Wasserstoff für R und 5 für n gleichzeitig auszuwählen, um zu der beanspruchten Verbindung zu gelangen. Der Fachmann habe folglich aus drei Listen von variablen Substituenten auswählen müssen. Auf die Kombination aus diesen drei spezifischen Elementen sei indessen dem angezogenen Stand der Technik kein Hinweis zu entnehmen, so daß die beanspruchte Verbindung neu sei. Die erfinderische Qualität der beanspruchten Verbindung sei nie, auch nicht auf Nachfrage durch die Einspruchsabteilung, bestritten worden. Die Patentfähigkeit der Verbindung nach Anspruch 1 stütze auch die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens zur Herstellung dieser Verbindung und deren Verwendung.

IV. Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, daß die beanspruchte Verbindung im Hinblick auf die Druckschriften (1) und (2) gemäß Artikel 54 (3) EPÜ nicht mehr neu sei, wobei beide Druckschriften die gleiche Offenbarung beinhalteten. Die imidoaromatischen Peroxicarbonsäuren gemäß allgemeiner Formel (I) der Druckschrift (1) besäßen die drei variablen Substituenten A, R und n. Der Substituent A bedeute einen gegebenenfalls substituierten Phenyl- oder Naphthylring, so daß hier eine Liste von Bedeutungen vorliege. Der Substituent R bedeute vorzugsweise Wasserstoff laut Anspruch 2 und Seite 2, Zeile 32 der Druckschrift (1), so daß insoweit keine Liste von Bedeutungen vorliege, sondern eine Auswahl bereits getroffen worden sei. Der Index n bedeute in dieser Druckschrift 1 bis 5. Damit sei eine Methylengruppe (n=1) und eine Pentylengruppe (n=5) explizit offenbart. Somit verbleibe zur Auswahl einzig die Liste der Bedeutungen für den Substituenten A. Die Auswahl einer Einzelverbindung, hier mit der Bedeutung A=Phenyl, aus nur einer Liste könne die Neuheit dieser Auswahl indessen nicht begründen.

Der Beschwerdeführer hat betont, daß die allgemeine Formel (I) der Druckschrift (1) jede Einzelverbindung, welche unter diese allgemeine Formel falle, individualisiert offenbare und somit auch die beanspruchte Einzelverbindung neuheitsschädlich vorwegnehme.

Im Ergebnis gelange man zur gleichen Schlußfolgerung durch Anwendung der in der Entscheidung T 124/87 (ABl. EPA 1989, 491) für eine Auswahl aufgestellten Grundsätze.

Der Beschwerdeführer hat die erfinderische Qualität der Verbindung gemäß Anspruch 1 nicht in Abrede gestellt. Sein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit richte sich ausschließlich gegen die Verfahrensansprüche und werde nur unter der Bedingung erhoben, daß der Anspruch 1 mangels Neuheit falle, anderenfalls die Patentfähigkeit des Stoffes nach Anspruch 1 die Patentfähigkeit des Herstellungsverfahrens mittrage.

V. Der Beschwerdegegner hat ausgeführt, daß die Druckschrift (1) für die allgemeine Formel (I) zwar die Bedeutungen A=Phenyl, R=H und n=5 unter anderen nenne, hierdurch jedoch nicht zwingend den Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich vorwegnehme. Die entscheidende Frage sei, ob die Druckschrift unzweideutig diese Kombination offenbare. Diese spezielle Kombination der Bedeutungen für die Substituenten A, R und n finde sich jedoch in der Druckschrift (1) nicht. Daher sei der Streitgegenstand neu.

Die vom Beschwerdeführer angezogene Entscheidung T 124/87 (loc cit.) sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da es dort um eine Auswahl aus Zahlenbereichen gehe, was sich gemäß Punkt 3.5 dieser Entscheidung von der Auswahl einer Verbindung aus einer bekannten Klasse von Verbindungen, worum es hier gehe, unterscheide.

VI. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 27. Februar 2003 stattfand, wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

2.1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist auf eine Einzelverbindung, nämlich Phthalimidoperoxihexansäure, mit der in Punkt I supra angegebenen Struktur gerichtet. Der Beschwerdeführer hat diese Verbindung mit den Druckschriften (1) und (2) wegen mangelnder Neuheit gemäß Artikel 54 (3) EPÜ angegriffen.

2.2. Die Druckschrift (1) offenbart in ihrem Anspruch 1 imidoaromatische Peroxicarbonsäuren der allgemeinen Formel

FORMEL

worin der Substituent A einen gegebenenfalls substituierten Phenyl- oder Naphthylring, der Substituent R Wasserstoff, eine gegebenenfalls substituierte Alkylgruppe, COOH oder COOOH und der Index n eine ganze Zahl von 1 bis 5 bedeuten. Laut abhängigem Anspruch 2 und Seite 2, Zeile 32 der Druckschrift (1) ist die Bedeutung Wasserstoff für den Substituent R bevorzugt. Keine der in dieser Druckschrift sonst noch angegebenen Einzelverbindungen offenbart die Struktur der beanspruchten Verbindung oder führt näher zu ihr hin, worüber zwischen den Parteien kein Streit besteht.

Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern enthält eine Druckschrift, welche polysubstituierte chemische Verbindungen umfaßt, keine differenzierte Offenbarung einer Einzelverbindung, wenn diese Einzelverbindung nur aus einer allgemeinen Offenbarung durch Auswahl jeweils einer einzelnen Substituentenbedeutung aus zwei oder mehr Listen hergeleitet werden kann (siehe z. B. T 7/86, ABl. EPA 1988, 381, Punkt 5.1 der Entscheidungsgründe).

Um im vorliegenden Fall von der allgemeinen Offenbarung der Ansprüche 1 und 2 der Druckschrift (1) zur konkret beanspruchten Einzelverbindung des Streitpatents zu gelangen, ist, neben dem offenbarten Fingerzeig auf die Bedeutung Wasserstoff für den Substituent R, die Auswahl der Einzelbedeutung Phenyl für den Substituenten A und die Auswahl des bestimmten Zahlenwertes von 5 für den Index n in der allgemeinen Formel (I) aus den beiden offenbarten, jeweils unabhängigen Listen mit alternativen Bedeutungen für A und mit alternativen ganzzahligen Zahlenwerten für n notwendig. Diese spezifische Ausführungsform mag zwar von der Offenbarung dieser Druckschrift allgemein umfaßt sein, gleichwohl stellt sie ein Konstrukt dar, das einer speziellen Merkmalskombination entspringt, die sich erst durch gezielte Auswahl je eines einzelnen Indexzahlenwertes und einer einzelnen Substituentenbedeutung aus zumindestens zwei unabhängigen Listen ergibt. Nachdem die Druckschrift (1) keinen Hinweis auf diese kombinatorische Auswahl des bestimmten Zahlenwertes und der bestimmten Substituentenbedeutung enthält, erschließt sich dem Fachmann diese spezielle Merkmalskombination nicht unmittelbar und eindeutig aus dem Offenbarungsgehalt dieser Druckschrift.

Folglich ist die beanspruchte individuelle Einzelverbindung in der Druckschrift (1) nicht differenziert offenbart, weswegen jene auch nicht dem Streitpatent neuheitsschädlich entgegenstehen kann.

2.3. Der Beschwerdeführer hat eingewandt, daß die allgemeine Formel (I) der Druckschrift (1) jede Einzelverbindung, welche unter diese allgemeine Formel falle, individualisiert offenbare und damit neben anderen auch die beanspruchte Einzelverbindung neuheitsschädlich vorwegnehme.

Wie im Punkt 2.2 oben bereits ausgeführt offenbart eine Klasse chemischer Verbindungen, die nur durch eine allgemeine Strukturformel mit mindestens zwei variablen Gruppen definiert ist, nicht alle Einzelindividuen, die sich aus der Kombination aller möglichen Varianten innerhalb dieser Gruppen ergeben können (siehe T 7/86, loc cit., Punkt 5.1, letzter Satz der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall offenbart folglich die allgemeine Strukturformel der Druckschrift (1), welche mindestens zwei variable Gruppen, nämlich den Substituenten A und den Index n, enthält, nicht die Einzelverbindungen, die aus der Kombination aller möglichen Varianten des Substituenten A und des Index n hergeleitet werden können. Somit offenbart die allgemeine Formel dieser Druckschrift auch nicht die Struktur der beanspruchten Einzelverbindung mit der Variante Phenyl für den Substituenten A und der Variante 5. für den Index n. Aus diesen Gründen vermag der Einwand nicht durchzugreifen.

2.4. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Entscheidung T 124/87 (loc cit.) angezogen und vorgetragen, aus den hierin für eine Auswahl aufgestellten Grundsätzen ergebe sich ebenfalls die Neuheitsschädlichkeit der Druckschrift (1).

Indessen ging es dort um die Frage der Auswahl von Werten für Stoffparameter aus bekannten Zahlenbereichen, während es hier um die Auswahl einer Einzelverbindung aus einer bekannten Klasse von Verbindungen geht. Die angezogenen Entscheidung weist explizit in ihrem Punkt 3.5. der Entscheidungsgründe darauf hin, daß der dort entschiedene Fall von der hier vorliegenden Fallgestaltung zu unterscheiden ist, wo die beanspruchte Erfindung in der Auswahl einer bestimmten Verbindung aus einer offenbarten Klasse von Verbindungen besteht. Die angezogene Entscheidung ist damit für den vorliegenden Fall nicht einschlägig.

2.5. Der Neuheitseinwand des Beschwerdeführers kann aus den oben ausgeführten Gründen nicht durchgreifen. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß die Druckschrift (1) den beanspruchten Gegenstand nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt.

2.6. Der Beschwerdeführer hat seinen Einwand der mangelnden Neuheit außerdem auf die Druckschrift (2) gestützt, jedoch gleichzeitig vorgetragen, daß deren Offenbarungsgehalt hinsichtlich der beschriebenen Verbindungen nicht über den der Druckschrift (1) hinausgehe. Beide Entgegenhaltungen unterscheiden sich auch lediglich darin, daß die Druckschrift (1) auf die Verbindungsklasse als solche und die Druckschrift (2) auf diese als Bleichmittelbestandteil gerichtet ist. Daher gelten die obigen Ausführungen zur Entgegenhaltung (1) ebenfalls für die Entgegenhaltung (2), mit der gleichen Schlußfolgerung, daß auch letztere den beanspruchten Gegenstand nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt.

2.7. Die Kammer kommt aus den oben angeführten Gründen zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 nicht zum Stand der Technik gehört und somit neu im Sinne von Artikel 54 (3) EPÜ ist. Die weiteren Ansprüche 2 bis 6 enthalten einen Rückbezug auf die Verbindung des Anspruchs 1 und sind daher ebenso neu.

3. Erfinderische Tätigkeit

Der Beschwerdeführer hat die erfinderische Qualität der Verbindung gemäß Anspruch 1 nie in Abrede gestellt, sondern vor der Kammer ausdrücklich anerkannt. Er hat festgehalten, daß er den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nur dann und auch nur gegen die Verfahrensansprüche 2 bis 5 erhebt, falls der Anspruch 1 mangels Neuheit fällt. Nachdem wie oben ausgeführt der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist, erhebt der Beschwerdeführer gegen die Verfahrensansprüche keine Einwendungen wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Da die festgestellte Patentfähigkeit des Stoffes nach Anspruch 1 die Patentfähigkeit seines Herstellungsverfahrens und seiner Verwendung mitträgt, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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