T 0852/00 () of 18.2.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T085200.20030218
Datum der Entscheidung: 18 Februar 2003
Aktenzeichen: T 0852/00
Anmeldenummer: 94116382.6
IPC-Klasse: B29C 70/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur kontinuierlichen Herstellung von Glasfaserronden für Schleif- und Trennscheiben
Name des Anmelders: LEUROP Leutheusser KG Schleifmittelwerk
Name des Einsprechenden: Lückenhaus Technische Textilien GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der ihr Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 707 943 (nachstehend Streitpatent genannt) zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.

Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ (mangelnde Ausführbarkeit) angegriffen worden.

II. Am 18. Februar 2003 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

III. Es wurden folgende Anträge gestellt:

i) Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

ii) Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Die unabhängigen Ansprüche des Streitpatents in der erteilten Fassung, d. h. Ansprüche 1 und 4, lauten wie folgt:

Anspruch 1:

"1. Verfahren zur Herstellung von insbesondere als Armierung von Schleif- und Trennscheiben dienenden Glasfaserronden, bei dem ein beharzter Glasfaserfaden (10) nach einem vorgegebenen Wickelmuster über mehrere gleichmäßig über den Umfang verteilte Wickelpunkte (4) gewickelt und anschließend fixiert wird, dadurch gekennzeichnet, daß das Wickeln kontinuierlich aufeinanderfolgend und durch teilweises Umschlingen der Wickelpunkte (4) bis zur fertigen Wickelronde (13) durchgeführt, die fertige Wickelronde (13) sodann über eine Leerstation (6) bis zu einer Preßstation (7) weitergetaktet, in der Preßstation (7) fixiert und schließlich zu einer Entnahmestation (8) getaktet wird, wobei die kontinuierlich und in zeitlicher Parallelbearbeitung taktweise erzeugten Wickelronden (13) über den Glasfaserfaden (10) jeweils im Berührungspunkt der Wickelronden (13) zusammenhängen und dieser Faden (10) erst während oder nach dem Fixieren bzw. vor dem Entnehmen der Wickelronden (13) abfallos durchtrennt wird."

Anspruch 4:

"4. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß ein drehbar gelagerter Rundtisch (2) zur Parallelbearbeitung mehrere Stationen, wie Wickelstation (5), Leerstation (6), Preßstation (7) und Entnahmestation (8) aufweist, und die kreisförmig angeordneten, jeweils eine Formgeberinsel (3) bildenden Wickelpunkte (4) als Fadenaufnehmer ausgebildet sind, wobei über der Wickelstation (5) ein rotierender Wickelkopf (9) und über der Preßstation (7) ein axial verlagerbarer Preßstempel (11) angeordnet ist, während der Entnahmestation (8) eine Entnahmeeinrichtung zugeordnet ist."

V. Im Beschwerdeverfahren wurde auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:

D1 EP-A-0 591 822

D2 EP-B-0 567 091

D5 US-A-4 289 564

VI. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne.

Zwei nacheinander hergestellte Wickelronden könnten sich nur in einem Berührungspunkt berühren, wenn für die benachbarten Wickelronden ein und derselbe Wickelpunkt verwendet werde. Daher müßten die zwei benachbarten Wickelronden an einer nicht definierten Stelle zusammenstoßen und über den Glasfaserfaden zusammenhängen. Das Merkmal des Anspruchs 1, gemäß dem die "Wickelronden (13) über den Glasfaserfaden (10) jeweils im Berührungspunkt der Wickelronden (13) zusammenhängen", lasse sich nur erfüllen, wenn der letzte Wickelpunkt der zuerst hergestellten Wickelronde mit dem ersten Wickelpunkt der danach hergestellten Wickelronde zusammenfalle.

Die in Figur 1 gezeigte Vorrichtung könne zur Durchführung dieser geschützten Lehre nicht verwendet werden. Wenn Anspruch 1 nicht so ausgelegt werde, daß der Berührungspunkt nicht ein Punkt im mathematischen Sinne sein müsse, sei die Erfindung zwar ausführbar, jedoch sei es nicht klar, wie lang die Fadenstrecke zwischen den zwei Ronden sein könne.

Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 4 beruhten auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der Entgegenhaltung D1 seien alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 bekannt; ferner auch das Merkmal, wonach die fertige Wickelronde zu einer Preßstation weitergeleitet wird (Figur 6), wo der Faden abgetrennt wird (Spalte 2, Zeilen 45 bis 47).

Aus der Entgegenhaltung D2 sei ein Verfahren bekannt, in dem ein fertiger Wickelkörper in der Entnahmeposition über einen tangential auflaufenden Faden mit einem neuen Wickelkörper verbunden ist (siehe Entgegenhaltung D2, Figur 4). Eine Zusammenschau der Entgegenhaltungen D1 und D2 führe zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Aus der Entgegenhaltung D5 seien ein Verfahren und eine Vorrichtung bekannt, die darauf gerichtet seien, einen drei-dimensionalen Gegenstand herzustellen, wobei der Gegenstand von einer Station zur nächsten getaktet werde. Eine Zusammenschau der Entgegenhaltungen D1 und D5 führe auch zum Gegenstand des Anspruchs 1.

VII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Das Streitpatent offenbare die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Das Merkmal des Anspruchs 1, gemäß dem die "Wickelronden (13) über den Glasfaserfaden (10) jeweils im Berührungspunkt der Wickelronden (13) zusammenhängen und dieser Faden (10) erst während oder nach dem Fixieren bzw. vor dem Entnehmen der Wickelronden (13) abfallos durchtrennt wird" bedeute, daß die Wickelronden so nahe nebeneinander angeordnet seien, daß eine abfallose Durchtrennung stattfinden könne.

Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 4 beruhten auf einer erfinderischen Tätigkeit. Den nächsten Stand der Technik bilde die Entgegenhaltung E1.

Der Kerngedanke des Streitpatents sei die beanspruchte Fadenübergabe. Diese sei aus dem Stand der Technik nicht bekannt. Im alternativen Verfahren der Entgegenhaltung D1, in dem die Preßplatte neben der Verlegeplatte angeordnet sei, werde der Faden nicht bis zur Preßstation mitgeschleppt. Im Verfahren der Entgegenhaltung D2 erfolge die Trennung nicht abfallos. Die Entgegenhaltung D5 beziehe sich auf ein anderes Fachgebiet, nämlich das Herstellen von Möbeln. Die Entgegenhaltung D5 lehre auch nicht die beanspruchte Fadenübergabe.

Entscheidungsgründe

1. Verspätet eingereichte Entgegenhaltung

Die Entgegenhaltung D5 ist von der Beschwerdeführerin erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht worden. Das Dokument, das bereits im europäischen Recherchenbericht aufgeführt worden war, ist als prima facie relevant einzustufen, denn es bezieht sich auf ein Verfahren, in dem ein beharzter Glasfaserfaden nach einem vorgegebenen Wickelmuster über mehrere gleichmäßig über den Umfang von zwei Tellern verteilte Wickelpunkte gewickelt und anschließend fixiert wird, wobei nach dem Wickelvorgang die gewickelten Gegenstände zu weiteren Bearbeitungsstationen in zeitlicher Parallelbearbeitung getaktet werden. Die Einführung des Dokuments bringt keine Verfahrenskomplikationen mit sich. Das Dokument ist daher nach Artikel 114 (1) EPÜ im Verfahren zu berücksichtigen.

2. Ausführbarkeit

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit richtet sich darauf, daß das Merkmal des Anspruchs 1, gemäß dem die "Wickelronden (13) über den Glasfaserfaden (10) jeweils im Berührungspunkt der Wickelronden (13) zusammenhängen", nach Auffassung des Beschwerdeführers nur dann einen Sinn ergibt, wenn der letzte Wickelpunkt der zuerst hergestellten Wickelronde mit dem ersten Wickelpunkt der danach hergestellten Wickelronde zusammenfällt.

Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Es genügt nämlich, daß der Glasfaserfaden von der zuerst hergestellten Wickelronde zur danach hergestellten Wickelronde über den tangentialen Berührungspunkt der beiden Wickelronden läuft, um zu gewährleisten, daß der Faden "nach dem Fixieren bzw. vor dem Entnehmen der Wickelronden (13) abfallos durchtrennt" werden kann. Das bedeutet, daß die Wickelronden so nahe nebeneinander angeordnet sind, daß beim Durchtrennen des Glasfaserfadens zwischen den Wickelronden kein wegzuwerfender Fadenrest entsteht.

Grundsätzlich ist festzustellen, daß der Adressat einer Patentschrift ein praktischer Fachmann ist und nicht ein theoretischer Mathematiker.

Die Offenbarung des Streitpatents ist daher so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann, vgl. Artikel 83 EPÜ.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Nächster Stand der Technik

Die Entgegenhaltung D1 stellt den nächsten Stand der Technik dar.

Aus dieser Entgegenhaltung ist ein Verfahren zur Herstellung von Glasfaserronden bekannt, bei dem ein beharzter Glasfaserfaden nach einem vorgegebenen Wickelmuster über mehrere gleichmäßig über den Umfang verteilte Wickelpunkte gewickelt und anschließend fixiert wird, wobei das Wickeln durch teilweises Umschlingen der Wickelpunkte bis zur fertigen Wickelronde durchgeführt wird, die fertig gewickelte Wickelronde dann fixiert und anschließend entnommen wird.

An dieser Stelle ist anzumerken, daß in der Figur 6 der Entgegenhaltung D1 zwei alternative Verfahren gezeigt sind. Im ersten alternativen Verfahren werden die Wickelronden durch eine Preßplatte (47) bei der Wickelstation fixiert. Im zweiten alternativen Verfahren werden die Wickelronden zu einer Preßstation gefördert, wo die fertigen Wickelronden fixiert werden. Diese Alternative wird in Spalte 7, Zeilen 12 bis 17, beschrieben.

Obwohl in Spalte 2, Zeilen 34 bis 47 der Entgegenhaltung D1 beschrieben wird, daß die Schneidevorrichtung "sich in der Druckplatte und/oder der Unterlage befinden kann", bezieht sich diese Textstelle auf die erste Alternative, in der die Fixierung durch die Preßplatte in der Wickelstation stattfindet. Die Entgegenhaltung D1 offenbart daher nicht, daß im zweiten alternativen Verfahren, in dem die Preßplatte neben der Verlegeplatte angeordnet ist, der Faden mit der gewickelten Ronde zur Preßstation mitgeschleppt wird.

3.2. Aufgabe

Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein kontinuierliches und abfalloses Herstellen von Glasfaserronden bei Minderung der Störanfälligkeit und Steigerung des Mengendurchsatzes zu ermöglichen (Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 53 bis 58).

3.3. Lösung

Diese Aufgabe wird gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 dadurch gelöst, daß die Wickelronden kontinuierlich und in zeitlicher Parallelbearbeitung taktweise erzeugt werden, wobei die Wickelronden über den Glasfaserfaden jeweils im Berührungspunkt der Wickelronden zusammenhängen, und dieser Faden erst während oder nach dem Fixieren bzw. vor dem Entnehmen der Wickelronden abfallos durchtrennt wird.

Diese Lösung ist dem Stand der Technik nicht zu entnehmen, und dieser enthält auch keine Anregung für den Fachmann, diese Lösung anzuwenden.

Aus der Entgegenhaltung D2 ist eine Spulenwechseleinrichtung zum Aufspulen von Garn auf eine Spule bekannt, wobei zwei Spulenhalter vorgesehen sind, die sich in einem geschlossenen Kreis bewegen, so daß das Garn kontinuierlich auf die aufeinander folgenden Spulen gespult wird. Die Aufgabe, die dieser Vorrichtung zugrunde liegt, besteht darin, den Platzbedarf im Vergleich mit einer bekannten Vorrichtung mit einer Vielzahl von Spulenhaltern zu reduzieren (Entgegenhaltung D2, Spalte 1, Zeile 48 bis Spalte 2, Zeile 41). Diese Entgegenhaltung bezieht sich daher nicht auf die oben genannte Aufgabe des Streitpatents.

Außerdem gibt es in der Entgegenhaltung D2 keinen Hinweis auf das Merkmal "die kontinuierlich und in zeitlicher Parallelbearbeitung taktweise erzeugten Wickelronden über den Glasfaserfaden jeweils im Berührungspunkt der Wickelronden zusammenhängen". Vielmehr gibt es keinen Zustand der Vorrichtung, in dem zwei erzeugte Garnkörper gleichzeitig auf den respektiven Spulenhaltern bleiben und einen gemeinsamen Berührungspunkt haben (siehe Figuren 1 bis 8).

Aus der Entgegenhaltung D5 ist ein Verfahren zur Herstellung einer drei-dimensional gewickelten offenen Webstruktur aus einem beharzten Glasfasenfaden bekannt, in dem die Webstruktur in aufeinanderfolgenden Bearbeitungsstationen auf einem drehbaren Rundtakttisch bearbeitet wird. Nach dem Wickelvorgang in einer Wickelstation (90) wird die Webstruktur zu einer Heizstation (120) gebracht, wo das Harz ausgehärtet wird, und danach zu einer Entnahmestation (150) geführt. In einer vierten Bearbeitungsstation (180) wird die Vorrichtung gereinigt. Die Webstrukturen in den nacheinander folgenden Bearbeitungsstationen hängen jedoch nicht über den Glasfaden zusammen. Obwohl die Entgegenhaltung D5 keine Angaben zur Fadentrennung enthält, muß der Faden nach dem Wickeln einer Webstruktur, und vor deren Heizen, getrennt werden, denn die Webstruktur wird während des Wickelvorgangs gedreht. Ein Faden, der sich zwischen der Webstruktur in der Wickelstation und der Webstruktur in der Heizstation erstreckt, wäre um die Webstruktur in der Wickelstation gewickelt.

3.4. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ und stellt somit eine patentfähige Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ dar.

Das Gleiche gilt für den unabhängigen Anspruch 4, der sich auf eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 3 bezieht.

Das Gleiche gilt ferner auch für die Gegenstände der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 und 3 und für die Gegenstände der auf den Anspruch 4 rückbezogenen Ansprüche 5 bis 10, welche besondere Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 bzw. der Vorrichtung gemäß Anspruch 4 betreffen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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