European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2004:T076700.20040526 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 Mai 2004 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0767/00 | ||||||||
Anmeldenummer: | 93107333.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | D03D 15/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Textiles Anti-Vandalismus Flächengebilde | ||||||||
Name des Anmelders: | Akzo Nobel N.V. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | E.I. Du Pont de Nemours & Company, Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulassung neuen Standes der Technik - ja Verfahrensmißbrauch - nein Rückverweisung an die erste Instanz - ja |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 6. Mai 1993 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 13. Mai 1992 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 93 107 333.2 wurde das europäische Patent Nr. 569 849 erteilt.
II. Gegen das erteilte Patent legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende), gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) und b) EPÜ, Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents.
III. Die Einspruchsabteilung hielt das Patent mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2000 verkündeten und am 23. Mai 2000 zur Post gegebenen Entscheidung in geänderter Form aufrecht. Sie kam zu dem Ergebnis, es erfülle in der von der Patentinhaberin geänderten Fassung die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ und die beanspruchte Lösung sei sowohl neu als auch erfinderisch (Artikel 100 a) EPÜ).
Der Anspruch 1 hiernach lautet wie folgt:
"Textiles Anti-Vandalismus Flächengebilde, das einen Raum zumindest teilweise umgibt und aus mindestens drei Lagen besteht, wobei mindestens eine der Lagen Aramid- Garne enthält und die Lage(n) aus Aramid-Garnen als Zwischenlage(n) zwischen den weiteren Lagen als Außenlagen des Flächengebildes angeordnet ist (sind), dadurch gekennzeichnet, daß die Lagen lediglich abschnittsweise miteinander verbunden sind und zumindest eine der Lagen aus Aramid- Garnen punkt- oder linienförmig mit mindestens einer der Außenlagen verbunden ist, wobei die punkt- oder linienförmigen Verbindungen in einem Abstand von 20 bis 100 cm angeordnet sind, und daß die Garne der Aramid- Garne enthaltenden Lage(n) mit geringer Kraft zusammenschiebbar sind, so daß bei einer parallel zu der (den) Lagen(n) und der Fläche dieser Lage(n) wirkenden Kraft von etwa 100 N mindestens drei Garne zusammengeschoben sind."
IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 18. Juli 2000 beschwert und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit der am 29. September 2000 eingereichten Beschwerdebegründung hat sie ihren Antrag auf Widerruf des europäischen Patents Nr. 569 849 aus den Gründen des Artikels 100 a) EPÜ weiter verfolgt.
V. Zusätzlich zu den in der Einspruchsentscheidung berücksichtigten Entgegenhaltungen:
D1: EP-A-0 377 813 mit dem nachveröffentlichten Patentfamilienmitglied US-A-5 385 774
D2: US-A-4 297 607
D3: JP-A-61-275 440 mit englischer Übersetzung
hat sie mit der Beschwerdebegründung drei weitere Druckschriften:
D4: EP-A-0 323 763
D5: US-A-3 855 632
D6: DE-A-19 802 135
eingereicht und mit ihrer Eingabe vom 18. Oktober 2001 zusätzlich noch vorgelegt:
D7: US-A-2 765 192
D8: EP-A-0 441 719
Von der Beschwerdegegnerin wurde zitiert:
D9: WO-A-01/37691 (nachveröffentlicht)
VI. Die Beschwerdekammer hat in ihrem Bescheid vom 17. April 2003 mitgeteilt, daß sie D4 bis D7 nicht relevanter einschätze als D1 bis D3. Die zuletzt eingereichte Entgegenhaltung D8 scheine jedoch von solcher Relevanz zu sein, daß ihre Zulassung zum Verfahren zu erwägen sei. Die Einführung neuen Standes der Technik in das Einspruchsbeschwerdeverfahren könne die Zurückverweisung an die erste Instanz erfordern.
VII. Die Beschwerdeführerin korrigierte die in der Eingabe vom 27. Juni 2003 verwechselte Numerierung der Druckschriften mit Schreiben vom 11. März 2004 und bekräftigte, daß sie nicht nur D8, sondern auch D4 bis D7 als hochrelevant ansehe.
Sie vertrat weiterhin die Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber D1, denn die von der Einspruchsabteilung gesehenen Unterschiede seien in D1 implizit bei einem Verdeckstoff für Fahrzeuge verwirklicht. Daß die Maßnahmen der punkt- oder linienförmigen Verbindung zwischen mittlerer und äußerer Lage mit den angegebenen Abständen bei faltbaren Automobildächern üblich sei, sei nämlich in D7 offenbart, so daß der Fachmann diese Art der Konstruktion beim Faltdach nach D1 als selbstverständlich zugrunde lege.
Auch gegenüber D2 und D3 fehle die Neuheit, denn es komme nicht darauf an, in welcher Weise das textile Flächengebilde benutzt werde. Die offenbarten schußsicheren Westen umschlössen einen Körper, was auf dasselbe hinausliefe als wenn sie einen Raum umgäben.
Jedenfalls beruhe der beanspruchte Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil das Zusammenschieben der Garne der Aramid-Garne enthaltenden Lage in D1 durch ein Projektil in der gleichen Weise geschehe wie nach Anspruch 1 des angefochtenen Patents.
Außerdem sei auch gegenüber der neu aufgefundenen D8 keine erfinderische Tätigkeit vorhanden, weil die Merkmale des beanspruchten Anti-Vandalismus Flächengebildes mit dem einzigen Unterschied verwirklicht seien, daß die Garne der verschiebbaren Lage nicht aus Aramid, sondern aus einem anderen hochfesten Material bestünden.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie beantragte weiter, die zuletzt eingereichten zwei Dokumente (D7 und D8) wegen verspäteten Vorbringens nicht zu berücksichtigen.
Von mangelnder Neuheit könne keine Rede sein, da D1 keinen Anhaltspunkt für die behauptete implizite Offenbarung der Maßnahmen enthalte, die mittlere und äußere Lage punkt- oder linienförmig unter Einhaltung der definierten Abstände nach Anspruch 1 zu verbinden. Ebenso sei die Neuheit gegenüber D2 und D3 gegeben, da ballistische Schutzwesten ganz unterschiedliche Gegenstände seien als das patentgemäße Anti-Vandalismus Flächengebilde.
Auch die erfinderische Tätigkeit könne nicht in Frage stehen, denn zwischen dem Schutzmaterial, um das es in D1 sowie auch im angegriffenen Patent handle, und ballistischen Schutzwesten bestehe ein grundlegender Unterschied, welcher auch durch die nachveröffentlichte D9, eine Anmeldung der Beschwerdeführerin, bestätigt werde. Daher werde der Fachmann die Lehre der Druckschrift D1 auch nicht mit D2 oder D3 kombinieren.
Da D4 bis D6 keine weiteren Hinweise in Richtung der beanspruchten Lösung gäben, sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch durch diesen Stand der Technik nicht nahegelegt.
IX. Beide Parteien haben sich für den Fall einer Zurückverweisung an die erste Instanz, abweichend von ihrem jeweils gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung, auf den Bescheid der Beschwerdekammer vom 17. April 2003 hin mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit gegenüber D1
2.1. Die Beschwerdeführerin hält an ihrer Einschätzung mangelnder Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber D1 fest und bezieht sich zum Beleg, daß eine punkt- oder linienförmige Befestigung von mittlerer und oberer Gewebeschicht in größeren Abständen bei faltbaren Automobildächern üblich sei, auf D7.
2.2. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts muß sich zum Beweis mangelnder Neuheit der Gegenstand der Erfindung klar und eindeutig aus dem Stand der Technik ergeben. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung zutreffend ausgeführt, daß dieses Erfordernis durch D1 nicht erfüllt wird, da über die Art der Befestigung der Aramid-Garne enthaltenden mittleren Lage mit der oberen Lage dort explizit nichts ausgesagt ist. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Entgegenhaltung lassen sich aus fachmännischer Sicht die von der Beschwerdeführerin mit a) bis c) bezeichneten Merkmale nicht ohne weiteres herleiten. Ein Verweis auf Figur 1 der D7 hilft hier ebenfalls nicht weiter, da dort lediglich schematisch Nähte mit größerem Abstand zu einander gezeigt sind, ohne daß ein dreischichtiger Aufbau des Verdeckstoffes erkennbar wäre.
2.3. Die Beurteilung der Neuheit gegenüber D2 und D3 durch die Einspruchsabteilung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Kammer ist darüber hinaus der Meinung, daß das Merkmal des Oberbegriffs "das einen Raum zumindest teilweise umgibt" und welches sich auf die Anwendung des Flächengebildes bezieht, durch ballistische Schutzwesten nicht erfüllt ist, da diese dazu bestimmt sind, am Körper getragen zu werden, also keinen "Raum" umgeben in dem Sinne, daß dieser Raum etwas aufnehmen könnte.
3. Erfinderische Tätigkeit
Auch im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit gegenüber der Kombination von D1 mit D2 oder D3 schließt sich die Kammer im Ergebnis der Entscheidung der Einspruchsabteilung an, denn die Anforderungen an ballistische Schutzwesten, die neben der Abwehr eines Angriffes z. B. mit einem Messer vor allem als Schutz gegen Projektile getragen werden, unterscheiden sich doch erheblich von dem Anti-Vandalismus Flächengebilde der dem Patent zugrunde liegenden Art.
4. Zulassung neuen Standes der Technik
4.1. Nachdem die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren unterlegen war, hat sie mit der Beschwerdebegründung vom 29. September 2000 drei neue Entgegenhaltungen (D4 bis D6) eingereicht, um ihren Antrag auf Widerruf des angefochtenen Patents weiter zu untermauern. Sie hat mit diesem Material versucht zu beweisen, daß ballistische Schutztextilien und das patentgemäße Antivandalismus- Flächengebilde zu demselben technischen Gebiet gehörten und daß deshalb die im Einspruchsverfahren behandelten Entgegenhaltungen D1 bis D3 relevanter seien als von der Einspruchsabteilung angenommen. Gegen diese Beweisführung hat die Kammer keine Bedenken, da sie sich direkt gegen die angefochtene Entscheidung richtet.
4.2. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist jedoch bei der Zulassung neuer Entgegenhaltungen im Verfahren ein umso strengerer Maßstab anzulegen, je später die Dokumente eingeführt werden. Wenn der neue Stand der Technik erst im Beschwerdeverfahren eingeführt wird, muß er prima facie gegenüber dem Gegenstand des erteilten Patents von solcher Relevanz sein, daß er die getroffene Entscheidung erheblich beeinflussen kann (vgl. T 1070/96, unveröffentlicht).
4.3. In Bezug auf die erforderliche Relevanz geht aus den Druckschriften D4 bis D6 nicht eindeutig hervor, daß dreischichtige Gewebe mit ähnlichem Aufbau wie das Flächengebilde nach Anspruch 1 gleichermaßen als ballistisches Schutzgewebe und als Anti-Vandalismus- Gewebe geeignet sind. Keine dieser Entgegenhaltungen offenbart die Merkmale, daß die Lagen abschnittsweise in einem Abstand von 20 bis 100 cm verbunden sind und daß die Garne der Aramid-Garne enthaltenden Lage mit geringer Kraft zusammenschiebbar sind, wobei mit einer Kraft von 100 N mindestens drei Garne zusammengeschoben sind. So sind nach Beispiel 1 und 2 der D4 für verschiedene Einsatzzwecke verschiedene Vlieslagen aus Aramid kombiniert. Die aus D5 bekannte ballistische Schutzweste hat eine Einlage aus mehreren Schichten miteinander verbundener, dicht gewebter Polyamidgewebe. Beim textilen Flächengebilde nach D6 sind Schuß- und/oder Kettfäden vorgesehen, die mittels einer Bindeeinrichtung miteinander verbunden sind, wobei das Flächengebilde als Kettengewirk ausgestaltet ist.
4.4. Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2001 wurde D7 zum Nachweis eingereicht, daß die Merkmale a) bis c) (siehe Seite 3 der Beschwerdebegründung) bereits der Figur 1 dieser Druckschrift entnehmbar seien. Dort sind zwar Nähte erkennbar, die in einem gewissen Abstand voneinander verlaufen, jedoch wird in diesem Dokument nichts über einen dreilagigen Aufbau des Flächengebildes mit mindestens einer Verstärkungslage ausgesagt. Diese Entgegenhaltung ist daher weniger relevant als der bereits im Verfahren befindliche Stand der Technik und kann deshalb außer Betracht bleiben.
4.5. Im Hinblick auf die ebenfalls mit diesem Schreiben vom eingereichte D8 machte die Beschwerdeführerin geltend, daß ihr diese Entgegenhaltung bis September 2001 nicht bekannt gewesen sei. Dieses Dokument sei erst im Zusammenhang mit einer Recherche nach Nachweisen wie D4 gefunden worden, welche zeigten, daß die in der Beschwerdebegründung vom 18. Oktober 2001 genannten Parameter a) bis c) in der Anwendung bei faltbaren Autodächern üblich waren.
4.6. Diese neu genannte Entgegenhaltung D8 enthält nach Überzeugung der Kammer bei vergleichbarer Aufgabenstellung wesentliche Lösungsmerkmale des Textilen Anti-Vandalismus Flächengebildes nach Anspruch 1 und kommt diesem Gegenstand wesentlich näher als der bislang nächstliegende Stand der Technik nach D1. Die in D8 angestrebte Problemlösung bezieht sich nämlich auf die Schaffung eines verbesserten Gewebes mit erhöhtem Widerstand gegen Angriffe mit einem schneidenden Werkzeug, vor allem zum Schutz gegen Diebstahl.
Dieses in D8 offenbarte Material hat einen dreilagigen Aufbau, wobei die mittlere Lage aus Fäden hoher Festigkeit, nämlich Metallfäden, besteht. Die Fäden dieser mittleren Lage lassen sich mit geringer Kraft zusammenschieben und bilden dann einen erhöhten Widerstand gegen Einschnitte (vgl. Spalte 7, Anspruch 1). Es wird zu prüfen sein, ob der zuständige Fachmann mit durchschnittlichen fachlichen Fähigkeiten aufgrund des Aufbaus dieses Materials und seiner Funktionsweise im Falle eines Vandalismus-Angriffes, gegebenenfalls durch Kombination mit einem weiteren Dokument des entgegengehaltenen Standes der Technik, zu einem Flächengebilde mit den Merkmalen des Anspruchs 1 angeregt wird und ob das Auffinden der beanspruchten Lösung auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
Da einerseits kein Anlaß für die Vermutung einer fahrlässigen oder schuldhaften Handlungsweise auf Seiten der Einsprechenden besteht und andererseits auch die IPC-Klassifikation der D8 erheblich von der des Patents abweicht, so daß sie bei sachgerechter Recherche tatsächlich nicht ohne weiteres auffindbar war, sieht die Kammer keinen Grund, dieses Dokument nicht zu berücksichtigen.
5. Zurückverweisung an die erste Instanz
Da infolge des neu eingereichten Materials eine neue Ausgangslage entstanden ist, die wesentlich von der der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde liegenden Sachlage abweicht, hält es die Kammer für sachgerecht, die Sache zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens an die Einspruchsabteilung zu zurückzuverweisen, damit die Patentinhaberin keinen Instanzverlust erleidet (vgl. T 258/84, ABl. 1987, 119; T 273/84, ABl. 1986, 346;).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zur erneuten Behandlung zurückverwiesen.