T 0763/00 () of 9.9.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T076300.20030909
Datum der Entscheidung: 09 September 2003
Aktenzeichen: T 0763/00
Anmeldenummer: 92910005.5
IPC-Klasse: B43K 8/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schreibgerät mit in einem Behälter frei aufgenommener Schreibflüssigkeit
Name des Anmelders: DATAPRINT R. Kaufmann GmbH
Name des Einsprechenden: J. S. Staedtler GmbH & Co.
CONTE SA
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (Hauptantrag) - ja
Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag) - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 584 149 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.

II. Die Einsprüche waren auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit, Artikel 54 EPÜ, und mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ) und Artikel 100 b) EPÜ (mangelnde Ausführbarkeit, Artikel 83 EPÜ) gestützt und gegen das Patent in seinem gesamten Umfang gerichtet.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 in geänderter Fassung neu und erfinderisch gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik sei und daß das Patent die beanspruchte Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, daß ein Fachmann sie ausführen könne.

III. Am 9. September 2003 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin und die weitere (oder übrige) Verfahrensbeteiligte im Sinne des Artikels 107 EPÜ (Einsprechende 01) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der folgenden Dokumente:

a)1. Hilfsantrag: Anspruch 1, eingereicht am 6. August 2003 als erster Hilfsantrag, und Ansprüche 2 bis 5, eingereicht am 17. Dezember 1999; oder

b)2. Hilfsantrag: Anspruch 1, eingereicht am 6. August 2003 als zweiter Hilfsantrag, und Ansprüche 2 bis 5, eingereicht am 17. Dezember 1999; oder

c)3. Hilfsantrag: Anspruch 1, eingereicht am 6. August 2003 als dritter Hilfsantrag, und Ansprüche 2 bis 5, eingereicht am 17. Dezember 1999.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, wie er der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, lautet wie folgt:

"1. Schreibgerät, umfassend einen eine Öffnung aufweisenden Behälter, in dem Schreibflüssigkeit frei aufgenommen wird, eine wenigstens teilweise kapillar ausgebildete Förderleitung für Schreibflüssigkeit, die den Behälter zur Förderung von Schreibflüssigkeit mit einer Schreibspitze verbindet, und einen mit der Förderleitung in Verbindung stehenden kapillaren Speicher, dadurch gekennzeichnet, daß die Förderleitung (14) die Öffnung (12) ausfüllt und unmittelbar in Kontakt mit dem kapillaren Speicher (16) steht, wobei die mittlere Kapillarität der Förderleitung (14) wenigstens in der Öffnung (12) größer als die mittlere Kapillarität des kapillaren Speichers (16) ist, der kapillare Speicher (16) Kapillaren mit einer kleineren Kapillarität als die kleinste Kapillarität der in der Öffnung (12) des Behälters (11) befindlichen Kapillaren der Förderleitung (14) aufweist, und die Förderleitung (14) und/oder der kapillare Speicher (16) aus einem Werkstoff mit kapillar ausgebildeter Struktur bestehen."

VI. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: DE-C 1 269 010

D3: CH-A 422 575

D4: DE-C 1 511 395

D7: Versuchsbericht vom 3. August 1989 vom Institut Textile de France Nord

VII. Im Zusammenhang mit dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin haben die Beschwerdeführerin und die übrige Verfahrensbeteiligte im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Druckschrift D1 zeige ein Schreibgerät, bei dem ein kapillar ausgebildetes Regulierteil vorgesehen sei, das überschüssige Schreibflüssigkeit aufnehme, die infolge temperaturbedingter Luftdruckerhöhung in der Tintenpatrone oder Absinkens des äußeren Luftdrucks aus der Patrone gedrückt werde. Ein unkontrolliertes Austreten der Schreibflüssigkeit aus der Schreibspitze werde so verhindert. Das Regulierteil stelle somit einen Speicher im Sinne der Erfindung des Streitpatents dar. Dieses Schreibgerät weise weiter eine kapillare Förderleitung auf, die die Öffnung der Patrone ausfülle und unmittelbar in Kontakt mit dem Regulierteil stehe. Die relativen Kapillaritäten der Förderleitung und des Regulierteils, wie im Anspruch 1 beansprucht, seien zwar der Druckschrift D1 nicht expressis verbis zu entnehmen, sie seien jedoch für den Fachmann implizit offenbart, da das Schreibgerät sonst nicht funktionieren würde. Wenn das Regulierteil Kapillaren mit der größten Kapillarität hätte, würde es sich während des Normalbetriebs auf Kosten der Tinte in der Förderleitung mit Tinte füllen und könnte somit keine überschüssige Tinte mehr aufnehmen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher nicht neu.

Ein gattungsgemäßes Schreibgerät werde in der Druckschrift D4 beschrieben. Diese Druckschrift offenbare explizit, daß die Förderleitung Kapillaren mit einer größeren Kapillarität als die Kapillaren des Speichers hat. Genauso wie beim Schreibgerät gemäß Streitpatent werde im Speicher ein geringfügiger Unterdruck erzeugt. Dies zeige, daß die von einem mit Tinte gefüllten kapillaren Ringspalt umgebene Förderleitung die Öffnung des Behälters auffülle. Diese von einem Ringspalt umgebene Förderleitung stehe unmittelbar mit dem Speicher in Kontakt. Damit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Druckschrift D4 nicht neu.

Auch die Druckschrift D3 beschreibe ein Schreibgerät mit allen Merkmalen des Anspruchs 1. Aus den bereits im Zusammenhang mit der Druckschrift D1 vorgetragenen Gründen müßten die Kapillaren der Förderleitung die größte Kapillarität haben. Das Merkmal des Anspruchs 1, wonach der Speicher Kapillaren mit einer kleineren Kapillarität als die kleinste Kapillarität der Kapillaren der Förderleitung aufweist, ergebe sich zwingend aus dem Umstand, daß der Speicher im Normalfall leer bleibe. Die Einspruchsabteilung habe in der angefochtenen Entscheidung diesen Sachverhalt als Begründung dafür aufgeführt, daß das erst im Einspruchsverfahren aufgenommene diesbezügliche Merkmal den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genüge. Der Speicher umfasse eine schwammartige Masse, die von einer Hülse umgeben sei, in der ein kapillarer Spalt vorgesehen sei. Dieser Speicher stehe unmittelbar mit der Förderleitung in Kontakt, die paßgenau in die Öffnung der Patrone hineinrage. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher auch gegenüber der Druckschrift D3 nicht neu.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von der Druckschrift D1 als nächstliegendem Stand der Technik würde der Fachmann, der sich vor die Aufgabe gestellt sehe, ein Schreibgerät bereitzustellen, das auch bei großen Luftausdehnungsschwankungen und großem Volumen der Tintenpatrone unabhängig vom momentanen Befüllungsgrad derselben sicher funktioniert, ohne erfinderisches Zutun den aus der Druckschrift D4 bekannten Speicher im Schreibgerät gemäß der Druckschrift D1 verwenden und so zu der Erfindung gelangen.

Die Merkmale des Anspruchs 1, die die Kapillaritäten der Förderleitung bzw. des Speichers beschreiben, seien absolut konventionell. So weise ein Docht aus Fasern üblicherweise eine Verteilung von kleineren und größeren Kapillaren auf, wobei die größeren Kapillaren bevorzugt der Luftzufuhr dienten, siehe z. B. Druckschrift D7 (Versuchsbericht). Die Funktionsweise des Schreibgeräts wie es im Streitpatent beschrieben sei, nämlich daß die größten Kapillaren der Förderleitung als Luftzufuhr dienten, sei daher ebenfalls konventionell.

Sollte die Kammer dem Argument, daß die im Ausführungsbeispiel der Druckschrift D3 gezeigte Hülse dem Speicher zuzurechnen sei, nicht folgen, dann sei zu bedenken, daß die Hülse erst im abhängigen Anspruch 3 der Druckschrift D3 erwähnt werde und somit ein fakultatives Element der Erfindung gemäß der Druckschrift D3 darstelle. Der Fachmann werde somit durch die Druckschrift D3 angeregt, die Hülse wegzulassen, und werde so zu der Erfindung gelangen.

VIII. Im Zusammenhang mit ihrem Hauptantrag hat die Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Das aus der Druckschrift D1 bekannte Schreibgerät weise ein Regulierteil auf, das im Normalfall nicht leer, sondern mit Tinte gefüllt sei. Beim schnellen Schreiben werde auch Tinte aus dem Regulierteil verwendet. Hieraus ergebe sich, daß die im Anspruch 1 festgelegten Bedingungen für die Kapillarität der Förderleitung und des Speichers bei dem bekannten Schreibgerät nicht erfüllt sein könnten. Die Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber der Druckschrift D1 sei somit nicht zu beanstanden.

Die Druckschrift D4 beschreibe zwar die gleiche Problematik, die der Erfindung zugrunde liege, die Lösung sei jedoch völlig anders. Beim Schreibgerät nach der Druckschrift D4 fülle die Förderleitung die Öffnung des Behälters nicht aus, da die Förderleitung mit Spiel in der Öffnung aufgenommen sei. Luft, die durch diesen undefinierten Ringspalt zwischen Öffnung und Förderleitung hindurch in die Patrone gelange, könne das System in undefinierte Verhältnisse überführen. Nach der Druckschrift D4 sollten der Speicher und die Förderleitung mittels eines Ringspalts, der im Normalfall keine Tinte enthalte, in kapillarer Verbindung stehen. Die Druckschrift D4 offenbare somit keine unmittelbare Verbindung zwischen Förderleitung und Speicher. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher in Hinblick auf diese Entgegenhaltung neu.

Auch im Schreibgerät nach der Druckschrift D3 befinde sich die Förderleitung nicht in Berührung mit dem Speicher. Der dort beschriebene Speicher solle keine Tinte absorbieren und habe somit selbst keine Kapillarität. Bei Überdruck werde Tinte in das poröse Material des Speichers hineingedrückt, da der Speicher keine Tinte aufsaugen könne. Wenn der Überdruck nachlasse, werde die Tinte von dem sie nicht absorbierenden porösen Material wieder zurück gedrückt. Über die relative Kapillarität der Förderleitung und des Speichers sei der Druckschrift D3 nichts zu entnehmen. Aus alledem folge, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auch gegenüber der Druckschrift D3 neu sei.

Die Erfindung basiere auf der Erkenntnis, daß durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Förderleitung und Speicher Übergangswiderstände, wie sie bei den Schreibgeräten nach der Druckschrift D4 oder D3 aufträten, vermieden würden. Dadurch, daß die Förderleitung die Öffnung vollständig ausfülle, seien die Lufteinlasskapillaren durch die Kapillaren mit geringster Kapillarität der Förderleitung definiert.

Der Fachmann habe keinen Anlaß, das aus der Druckschrift D1 bekannte Tintenregulierteil durch den Speicher gemäß der Druckschrift D4 zu ersetzen. Würde er es tun, dann ergebe sich dennoch nicht die Erfindung, weil bei dem aus einer Kombination dieser Druckschriften resultierenden Schreibgerät zwischen Förderleitung und Speicher kein unmittelbarer Kontakt bestehe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Zulässigkeit der Änderungen, Ausführbarkeit und Klarheit der Ansprüche

Die Beschwerdeführerin und die übrige Verfahrensbeteiligte haben in Bezug auf Anspruch 1 keine Einwände unter Artikel 83, 84 oder 123 EPÜ vorgebracht. Die Beschwerdeführerin hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ihre Einwände unter Artikel 123 EPÜ in Bezug auf den abhängigen Anspruch 2 gemäß Hauptantrag, der gegenüber dem erteilten Anspruch 2 geändert worden ist, zurückgenommen. Die Kammer sieht nach eingehender Prüfung keine Gründe, von Amts wegen diesbezügliche Einwände in Bezug auf die Ansprüche 1 und 2 zu erheben.

In Einklang mit den Ausführungen der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, die die Kammer sich zu Eigen macht, stellt die Kammer fest, daß die Unterlagen gemäß Hauptantrag den Erfordernissen der Artikel 83, 84 und 123 (2), (3) EPÜ genügen.

2. Neuheit

2.1. Die Beschwerdeführerin und die übrige Verfahrensbeteiligte haben mangelnde Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber den Druckschriften D1, D3 und D4 geltend gemacht.

2.2. Die Druckschrift D1 beschreibt ein Schreibgerät mit abnehmbarer Schreibspitze, in der die Förderleitung (Schreibfilz 4) fest eingeklemmt ist, und einer flüssige Tinte enthaltenden Patrone, zwischen welcher und der Schreibspitze die Tinte durch Kapillarwirkung gefördert wird (siehe Spalte 1, Zeilen 1 bis 10). Die Fördermenge der Tinte wird durch einen Speicher (Regulierteil 6) geregelt. Aus der Figur 3 geht hervor, daß der Schreibfilz, der innerhalb des zentralen Kerns angeordnet ist, die Öffnung der rohrartigen Verlängerung 15 des Regulierteils ausfüllt. Das Regulierteil weist zwar eine Längsnut 12 für die Entlüftung auf, aber diese Entlüftung dient nicht der Entlüftung der Patrone, da die Patrone tintendicht an die Außenwand der Verlängerung des Regulierteils angelegt ist (siehe Spalte 3, Zeile 32 bis Spalte 4, Zeile 3). Die Kammer geht somit davon aus, daß auch bei dem aus der Druckschrift D1 bekannten Schreibgerät die Patrone durch den Schreibfilz hindurch entlüftet wird.

Das Regulierteil besteht aus einer Anzahl von koaxial in Abstand voneinander parallel angeordneten, tellerartigen Elementen und weist eine Längsbohrung auf, in der der Schreibfilz spielfrei gelagert ist und durch diese hindurch ragt (siehe die Figuren 1 und 3). Die parallelen Hohlräume zwischen den Tellern dienen als Regulierschlitze für den Tintenfluss und stehen über eine kapillarförmige Nut 13 untereinander in Verbindung.

Die Druckschrift D1 offenbart somit die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1; ferner die folgenden Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 (die Merkmalsbezeichnung entspricht der von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung verwendeten):

c1) daß die Förderleitung (14) die Öffnung (12) ausfüllt und

c2) [daß die Förderleitung (14)] unmittelbar in Kontakt mit dem kapillaren Speicher (16) steht, und

f) [daß] die Förderleitung (14) und/oder der kapillare Speicher (16) aus einem Werkstoff mit kapillar ausgebildeter Struktur bestehen.

Dagegen sind in der Druckschrift D1 die folgenden Merkmale nicht ausdrücklich offenbart:

d) wobei die mittlere Kapillarität der Förderleitung (14) wenigstens in der Öffnung (12) größer als die mittlere Kapillarität des kapillaren Speichers (16) ist, und

e) der kapillare Speicher (16) Kapillaren mit einer kleineren Kapillarität als die kleinste Kapillarität der in der Öffnung (12) des Behälters (11) befindlichen Kapillaren der Förderleitung (14) aufweist.

Die Merkmale d) und e) bewirken, daß beim Schreibgerät gemäß der Erfindung des Streitpatents der kapillare Speicher im Normalfall leer bleibt (siehe Spalte 4, Zeilen 6 bis 12 des Streitpatents).

Die Beschwerdeführerin und die übrige Verfahrensbeteiligte haben vorgetragen, daß das Regulierteil gemäß der Druckschrift D1 im Normalfall ebenfalls leer bleibt und somit einen Speicher im Sinne der Erfindung darstellt. Diese Druckschrift würde dem Fachmann somit implizit die Merkmale d) und e) offenbaren, sonst würde das aus der Druckschrift D1 bekannten Schreibgerät bei Luftdehnungsschwankungen nicht funktionieren.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Erfindung gemäß der Druckschrift D1 ist eine Weiterbildung eines Schreibgeräts, bei dem zwischen der Schreibspitze und dem Tintenraum ein Regulierteil (aber keine Förderleitung) angeordnet ist (siehe Spalte 1, Zeilen 18 bis 40). Bei dieser bekannten Anordnung fließt die Tinte durch eine Kapillarnut des Regulierteils, die eine direkte Verbindung vom Tintenraum zu der Schreibspitze darstellt, und von dort zwischen die scheibenartigen Elemente 14 des Regulierteils. Nach Auffassung der Kammer bedeutet dies, daß das Regulierteil beim normalen Gebrauch ganz oder teilweise mit Tinte gefüllt ist, und daß, wenn beim schnellen Schreiben der Tintenfluss aus der Patrone wegen des Strömungswiderstands in den Verbindungswegen nicht mithalten kann, Tinte aus dem Regulierteil verbraucht wird. Der Tintenfluss hängt also bei der bekannten Anordnung nicht ausschließlich vom Verbrauch in der Schreibspitze ab, sondern auch vom Strömungswiderstand in den Verbindungswegen.

Daß die Tintenmenge im Regulierteil der bekannten Anordnung nicht gleichmäßig ersetzt wird, wird in der Druckschrift D1 als ein Nachteil angesehen. Um diesen Nachteil zu beseitigen, wird in der Druckschrift D1 vorgeschlagen, die bekannte Anordnung mit einem Schreibfilz zu versehen, der durch den zentralen Kern des Regulierteils längs hindurchragt und in die Tintenpatrone hineinragt (siehe Spalte 1, Zeilen 46 bis 50).

Diese bauliche Änderung hat zur Folge, daß das Regulierteil nicht länger im Haupttintenstrom, sondern im Nebenstrom liegt. Nach Auffassung der Kammer bekommt das Regulierteil durch diese bauliche Änderung nicht eine ganz andere Funktion: das Regulierteil, das bei der bekannten Anordnung im Normalfall gefüllt war, wird bei dem Schreibgerät nach der Druckschrift D1 im Normalfall ebenfalls gefüllt sein. Der von der Beschwerdeführerin und der übrigen Verfahrensbeteiligte zitierte Passus "die durch die Kapillarwirkung aus dem Tintenraum aufgenommene überschüssige Tinte wird an das Regulierteil bzw. bei starkem Tintenverbrauch an der Schreibspitze zusätzlich zum normalen Zufluß aus dem Tintenraum abgegeben" in der Druckschrift D1 (siehe Spalte 2, Zeilen 24 bis 29) kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Die Beschwerdeführerin und die übrige Verfahrensbeteiligte haben vorgetragen, daß dem Begriff "überschüssige Tinte" in diesem Passus die gleiche Bedeutung wie im Streitpatent zukomme, daß es sich nämlich um Tinte handle, die infolge temperaturbedingter Luftausdehnung in der Patrone aus der Letzteren gedrückt werde (vgl. Spalte 4, Zeilen 13 bis 17 des Streitpatents). Diese überschüssige Tinte könne aber nur an das Regulierteil abgegeben werden, falls dieses Regulierteil vorher ja leer gewesen sei.

Die Druckschrift D1 befasst sich jedoch nicht mit dem Problem des unkontrollierten Austretens von Schreibflüssigkeit aus einem Schreibgerät infolge Luftsausdehnungs- oder Temperaturschwankungen. Der Erfindung gemäß der Druckschrift D1 liegt die Aufgabe zugrunde, einen Filzschreiber zu schaffen, der, unabhängig von der an der Schreibspitze verbrauchten Tintenmenge, diese in jedem Fall gleichmäßig ersetzt. Diese Aufgabenstellung ist auf das in Spalte 1, Zeilen 11 bis 17 erwähnte Problem zurückzuführen. An dieser Stelle wird ausgeführt: "Ein wesentliches Problem bei derartigen Filzschreibern besteht darin, einerseits während des Schreibens einen ungehinderten gleichförmigen Tintenfluss von der Patrone bis zu der Schreibspitze sicherzustellen, andererseits jedoch bei Unterbrechung der Schreibtätigkeit die überschüssige Tintenmenge aufzunehmen."

In dem von der Beschwerdeführerin und der übrigen Verfahrensbeteiligte zitierten Passus (siehe oben) wird mit dem Begriff "überschüssige Tinte" offensichtlich diejenige Tintenmenge bezeichnet, die bei Unterbrechung der Schreibtätigkeit an das Regulierteil abgegeben wird, um verbrauchte Tinte zu ersetzen, oder die Tintenmenge, die bei starkem Tintenverbrauch an der Schreibspitze zusätzlich zum normalen Zufluss aus dem Tintenraum abgegeben wird. In diesem Sinne wird der Tintenfluss in dem Schreibgerät nach der Druckschrift D1 von dem Regulierteil, wie der Name schon sagt, "reguliert".

Im Gegensatz dazu soll gemäß Streitpatent "überschüssige" Tinte, d. h. Tinte, die infolge Luftdruck- oder Temperaturschwankungen aus dem die Schreibflüssigkeit enthaltenden Behälter austritt, eben nicht an der Schreibspitze abgegeben werden, da die Tinte sonst unkontrolliert aus dem Schreibgerät austreten würde.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Druckschrift D1.

2.3. Die Druckschrift D4 beschreibt ein Schreibgerät mit einem Vorratsraum für Schreibflüssigkeit und einer Schreibspitze, die über eine kapillare Zuführeinrichtung mit dem Vorratsraum verbunden ist (siehe Spalte 1, Zeile 55 bis Spalte 2, Zeile 57). Das Schreibgerät weist auch einen kapillaren Ausgleichsraum (porösen Körper 62) zum zeitweiligen Aufnehmen überschüssiger Schreibflüssigkeit auf, welche infolge einer Temperaturerhöhung im Vorratsraum oder Absinkens des äußeren Luftdrucks entstehen kann. Der poröse Körper 62 steht mit der Zuführeinrichtung auf einem Teil ihrer Länge in kapillarer Verbindung und weist eine geringere Kapillarität als die Zuführeinrichtung auf (siehe Spalte 2, Zeilen 24 bis 29).

Die Zuführeinrichtung 58 weist einen Schreibspitzenabschnitt 56, einen Zwischenabschnitt 54 und einen im Durchmesser verringerten sowie mit dem Vorratsraum 32 in Verbindung stehenden Abschnitt 60 auf. Der Schreibspitzenabschnitt 56 ist in einer mit Rippen versehenen Bohrung 50 aufgenommen. Der Zwischenabschnitt 54. und ein erster Teil des Abschnitts 60 sind ebenfalls in einer Längsbohrung 64 im porösen Körper 62 aufgenommen, die einen größeren Durchmesser als die benachbarten Abschnitte 54, 60 aufweist. Der zweite Teil des Abschnitts 60 ist von einem Bohrrohr 44 umgeben, das einen größeren Durchmesser als der Abschnitt 60 besitzt. Die in Längsrichtung der Zuführeinrichtung 58 gebildeten Zwischenräume der Rippen und der Ringspalt um die Abschnitte 54, 60 bilden einen Rückluftkanal, mit dessen Hilfe der Vorratsraum entlüftet wird (siehe Spalte 5, Zeilen 7 bis 18). Aufgrund dieses Ringspalts besteht zwischen der Zuführeinrichtung 58 und dem porösen Körper 62. keine direkte Verbindung, sondern nur eine kapillare Verbindung (siehe Spalte 2, Zeilen 24 bis 29, und Anspruch 1).

Die Merkmale "daß die Förderleitung (14) die Öffnung (12) ausfüllt" und "daß die Förderleitung (14) unmittelbar in Kontakt mit dem kapillaren Speicher (16) steht" sind somit bei dem aus der Druckschrift D4 bekannten Schreibgerät nicht erfüllt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Druckschrift D4.

2.4. Die Druckschrift D3, die in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents analysiert wird, beschreibt ein Schreibgerät, bei welchem die Schreibspitze über eine kapillare Förderleitung 11 in Verbindung mit einem Behälter steht, in dem sich die Schreibflüssigkeit befindet (siehe Seite 1, Zeile 46. bis Seite 2, Zeile 14). Die Förderleitung füllt die Öffnung des Behälters aus. Das Schreibgerät besitzt einen Speicher in der Gestalt eines schwammartigen Materials 13, das aus offenen Zellen besteht (vgl. Seite 2, Zeilen 1 und 2), zum zeitweiligen Aufnehmen überschüssiger Schreibflüssigkeit. Obwohl dieses schwammartige Material selbst keine Tinte absorbieren soll und zum Beispiel aus Plastik (Polyethylen) bestehen kann, bedeutet dies nicht, daß dieser Speicher kein kapillarer Speicher ist. Nach Auffassung der Kammer würde der Fachmann den Ausdruck "schwammartiges Material" in diesem Zusammenhang als saugfähiges Material betrachten. Der mittlere Abschnitt der kapillaren Förderleitung ist von einer Hülse 5 umgeben, in der ein kapillarer Spalt vorgesehen ist. Durch den Spalt hindurch kann Schreibflüssigkeit in den Speicher 13 gelangen.

Das Merkmal, wonach "die Förderleitung (14) unmittelbar in Kontakt mit dem kapillaren Speicher (16) steht", ist jedoch bei dem aus der Druckschrift D3 bekannten Schreibgerät nicht erfüllt. Ferner ist der Druckschrift D3 kein Hinweis auf die relative Größe der Kapillaritäten der Förderleitung und des Speichers zu entnehmen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit auch gegenüber der Druckschrift D3 neu.

2.5. Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Der Erfindung des Streitpatents liegt die Aufgabe zugrunde, ein Schreibgerät zu schaffen, "das auch bei großen Luftausdehnungsschwankungen und großem Volumen des Schreibflüssigkeitsbehälters sicher funktioniert, ohne daß ein unkontrolliertes Austreten von Schreibflüssigkeit aus dem Schreibgerät, unabhängig vom momentanen Befüllungsgrad des Behälters, auftritt, wobei das Schreibgerät einfach und kostengünstig herstellbar sein soll" (siehe Spalte 2, Zeilen 8 bis 16 des Streitpatents).

Die Lösung der Aufgabe besteht unter anderem darin, eine Förderleitung vorzusehen, die unmittelbar in Kontakt mit dem kapillaren Speicher steht (vgl. Anspruch 1).

3.2. Als nächstliegender Stand der Technik kann nach Auffassung der Kammer entweder das aus der Druckschrift D4 bekannte Schreibgerät oder das aus der Druckschrift D3 bekannte Schreibgerät, das im Streitpatent in Spalte 1, Zeile 46 bis Spalte 2, Zeile 7, beschrieben ist, betrachtet werden, da beide Schreibgeräte einen Speicher zum Aufnehmen von überschüssiger Schreibflüssigkeit aufweisen, die infolge temperaturbedingter Luftdruckerhöhung in der Tintenpatrone oder Absinkens des äußeren Luftdrucks aus der Patrone gedrückt wird.

Beide Druckschriften befassen sich mit dem den Benutzern von Füllfederhaltern wohl bekannten Problem, daß Tinte durch Erwärmung oder während einer Flugreise unerwünschterweise aus dem Schreibgerät austreten kann.

Wie das aus der Druckschrift D4 bekannte Schreibgerät im Normalfall funktioniert wird in Spalte 5, Zeilen 18 bis 25 dieser Druckschrift beschrieben: "Da beim Schreiben Tinte gewöhnlich im Bohrrohr vorhanden ist, wird im Speicher 32 ein geringfügiger Unterdruck erzeugt, auf Grund dessen kleinste Luftblasen durch den gerade beschriebenen Luftkanal hindurchgezogen werden, um diesen Unterdruck abzubauen und eine fortgesetzte Tintenzufuhr aus dem Speicher zum weiteren Schreiben zu gestatten."

Beim Schreibgerät nach der Druckschrift D3 füllt die Förderleitung, genauso wie bei der Erfindung gemäß Streitpatent, die Öffnung des Behälters aus. Die Kammer geht davon aus, daß der Docht (mèche 6) Kapillaren unterschiedlicher Größe aufweist (vgl. Dokument D7) und daß die größten Kapillaren des Dochts als Lufteinlass dienen (dies wird übrigens in Anspruch 1 nicht beansprucht). Die Funktionsweise des Schreibgeräts nach der Druckschrift D3 (siehe Seite 1, Zeilen 6 bis 14) ist ähnlich wie die Funktionsweise des Schreibgeräts nach der Druckschrift D4 und stimmt weitgehend mit der Funktionsweise des erfindungsgemäßen Schreibgeräts gemäß Streitpatent überein, vgl. Spalte 1, Zeilen 11 bis 16 und 24 bis 30 des Streitpatents.

Wie oben unter Punkt 2.2 bereits ausgeführt, bewirken die Merkmale d) und e), die die relative Kapillaritäten der Förderleitung bzw. des Speichers beschreiben, daß beim Schreibgerät gemäß der Erfindung der kapillare Speicher im Normalfall leer bleibt. Diese Merkmale setzen voraus, daß die Kapillaren der Förderleitung bzw. des Speichers nicht alle die gleiche Größe haben, ein Erfordernis, das bei kapillaren Werkstoffen wie Faserbündel erfüllt ist (vgl. das Dokument D7). Merkmal e) kann nach Auffassung der Kammer als eine Präzisierung des Merkmals d) angesehen werden. Wenn die Merkmale d) und e) nicht erfüllt sind, würde der Speicher mit Tinte aus der Förderleitung gefüllt. Ob diese Merkmale für den Fachmann eine naheliegende Maßnahme darstellen, ist hier nicht zu entscheiden, da aus den nachstehend unter den Punkten 3.3 und 3.4 aufgeführten Gründen der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

3.3. Bei dem aus der Druckschrift D4 oder D3 bekannten Schreibgerät ist das Merkmal, wonach "die Förderleitung (14) unmittelbar in Kontakt mit dem kapillaren Speicher (16) steht", nicht erfüllt. Beim Schreibgerät nach der Druckschrift D4 wird ferner von einem derartigen unmittelbaren Kontakt abgeraten, da eine kapillare Verbindung zwischen Förderleitung und Speicher dort als erfindungswesentlich angesehen wird (vgl. Spalte 2, Zeilen 24 bis 29). Im einzigen in der Druckschrift D3 beschriebenen Ausführungsbeispiel stehen Förderleitung und Speicher mittels eines engen, in einer Hülse angebrachten Spalts miteinander in Verbindung. Der kapillare Spalt hat eine Breite von 0,1 bis 0,7 mm. Aus der Tatsache, daß die Hülse kein Gegenstand des Hauptanspruchs ist, kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, daß diese Druckschrift den Fachmann lehre, auf die Hülse zu verzichten. Das Fehlen eines unmittelbaren Kontakts zwischen Förderleitung und Speicher hat zur Folge, daß überschüssige Schreibflüssigkeit, die infolge temperaturbedingter Luftdruckerhöhung in der Tintenpatrone oder Absinkens der äußeren Luftdrucks aus dieser Patrone gedrückt wird, verzögert dem Speicher zugeführt wird.

Die Druckschriften D4 und D3 können daher den Fachmann, für sich allein oder in Kombination, nicht dazu anregen, ein Schreibgerät bereitzustellen, bei dem die Förderleitung unmittelbar in Kontakt mit dem Speicher steht.

3.4. Die Druckschrift D1 betrifft ein Schreibgerät, das ein Regulierteil aufweist. Dieses Regulierteil hat eine ganz andere Funktion als der Speicher gemäß der Druckschrift D4 oder D3, vgl. Punkt 2.2 oben. In dieser Druckschrift ist ein unmittelbarer Kontakt zwischen Förderleitung und Speicher erforderlich, weil das Regulierteil, im Gegensatz zum Speicher gemäß Streitpatent, im Normalfall mit Tinte gefüllt sein soll. Der Fachmann würde mithin eine Zusammenschau der Druckschriften D4 und D1 bzw. D3 und D1 nicht in Erwägung ziehen.

3.5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ und stellt somit eine patentfähige Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ dar.

Das Gleiche gilt für die Gegenstände der auf den Anspruch 1 rückbezogenen abhängigen Ansprüche 2 bis 5, welche besondere Ausführungsformen des Schreibgeräts gemäß Anspruch 1 betreffen.

4. Die Beschwerde kann somit keinen Erfolg haben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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