T 0737/00 (Süßungsmittel/SÜDZUCKER) of 21.5.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T073700.20030521
Datum der Entscheidung: 21 Mai 2003
Aktenzeichen: T 0737/00
Anmeldenummer: 93120934.0
IPC-Klasse: C12P 19/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Süßungsmittel, Verfahren zur Herstellung desselben sowie dessen Verwendung
Name des Anmelders: SÜDZUCKER AKTIENGESELLSCHAFT MANNHEIM/OCHSENFURT
Name des Einsprechenden: Cerestar Holding B.V.
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0012/81
T 0205/91
T 0270/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2160/18

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 625 578, mit dem Titel "Süssungsmittel, Verfahren zur Herstellung desselben sowie dessen Verwendung", wurde mit zehn Ansprüchen erteilt, wovon Anspruch 1 lautete:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Süßungsmittel mit einem Gehalt an 6-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-sorbit (=1,6 GPS) durch enzymatische Umwandlung von Saccharose in ein vorwiegend Isomaltulose enthaltendes Produkt und spätere Hydrierung zu 1,6 GPS und 1-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-mannit (=1,1 GPM) enthaltenden Produkten, dadurch gekennzeichnet, daß man

a) in einem ersten Verfahrensschritt Saccharose enzymatisch in ein als "isomerisierte Saccharose" bezeichnetes, Trehalulose und Isomaltulose enthaltendes Saccharidengemisch mit einem Disaccharidanteil von mehr als 85% umwandelt,

b) in einem zweiten Schritt die "isomerisierte Saccharose" von nicht isomerisierter Restsaccharose durch enzymatische und/oder H+-katalysierte Spaltung befreit,

c) in einem weiteren Verfahrensschritt die "isomerisierte Saccharose" katalytisch hydriert, wobei vorzugsweise

d) entweder vor oder nach der katalytischen Hydrierung das erhaltene Gemisch einer chromatographischen Trennung unterworfen wird,

e) und ein Gemisch isoliert, das 6-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D- sorbit (=1,6 GPS) 1-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-sorbit (=1,1 GPS) und 1-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-mannit (=1,1 GPM) enthält."

II. Dieses Patent wurde im Einspruchsverfahren gemäß Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen. Der der Einspruchsabteilung vorliegende Hauptantrag wurde unter Artikel 123 (2) EPÜ als nicht zulässig erachtet, weil Anspruch 3 wegen der Rückbeziehung auf Anspruch 1 eine neue Kombination technischer Merkmale beinhalte, die als solche aus der Anmeldung nicht hervorging. Hilfsanträge 1 und 2b wurden wegen Nichterfüllung des Erfordernisses von Artikel 54 EPÜ zurückgewiesen, weil die Vergleichsversuche gemäß Entgegenhaltung (10) (cf. infra, Paragraph IV) schlüssig belegt hätten, daß eine in Entgegenhaltung (1,2)(cf. infra, Paragraph IV) beschriebene Verfahrensvariante ein Produkt ergebe, das die in den Ansprüchen 6 und 7 enthaltenen Merkmale aufwiese. Hilfsanträge 3b und 4b wurden wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) zurückgewiesen, weil sich der Einsatz von immobilisierten Bakterienzellen im Verfahren der Entgegenhaltung (1,2)(cf. infra, Paragraph IV) in naheliegender Weise aus Entgegenhaltungen (16), (17) oder (19)(cf. infra, Paragraph IV) ableiten ließe. Hilfsanträge 5b, 6b und 7 wurden auch wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) zurückgewiesen, weil sich die Gegenstände der Produktansprüche in einer naheliegender Weise aus der Kombination der Entgegenhaltungen (18) und (6)(cf. infra, Paragraph IV) ergäben.

III. Die von der Patentinhaberin erhobene Beschwerde richtet sich gegen diese Entscheidung.

IV. Die folgenden Entgegenhaltungen werden in dieser Entscheidung herangezogen:

(1) DE-A-2 217 628*

(2) GB 1 429 334*

(4) H. Schiweck, Alimenta, 1980, Band 19, Seiten 5 bis 16

(6) M. Munir et al., Carbohydrate Research, 1987, Band 164, Seiten 477 bis 485

(8) Bericht über die Herstellung von isomaltitol nach Entgegenhaltung (1,2)

(9) Bericht über die Herstellung von isomaltitol nach Entgegenhaltung (1) eingereicht am 19. November 1997

(10) Stellungnahme von Dr. U. Weichert vom 17. September 1998

(15) "Glucose Syrups", herausgegeben von S.Z. Dziedzic und M.W. Kearsley, Elsevier Applied Science Publishers, London und New York, 1984, Seiten 117 bis 135

(16) EP 0 028 900

(17) EP 0 091 063

(18) H. Bollinger, Gordian 87/5, Seiten 92 bis 95

(19) P.S.J. Cheetham et al., Nature, 1982, Band 299, Seiten 628 bis 631

(22) "Principles of Sugar Technology", herausgegeben von P. Honig, Elsevier Publishing Company, 1959, Seiten 77 und 78

(23) Vergleichende gutachterliche Stellungnahme von Pr. Dr. Lichtenthaler vom 17. Oktober 2000

(24) Gutachterliche Stellungnahme von Pr. Dr. Redlich vom 29. Juni 2001

(25) M.L. Wolfrom et al., J. Am. Chem. Soc., 1952, Band 74, Seiten 1062 bis 1064

(26) DE-A-25 20 173

(27) Vergleich von physikalischen Parametern der in Entgegenhaltungen (1,2), (25) und (26) beschriebenen Substanzen

(31) J.M. de Bruijn et al., Recl. Trav. Chim. Pays-Bas, 1986, Band 105, Seiten 176 bis 183

(32) A. Ishizu et al., Acta Chemica Scandinavica, 1967, Band 21, Seiten 424 bis 432

(33) "Advances in Carbohydrate Chemistry", herausgegeben von M.L. Wolfrom und R.S. Tipson, Academic Press Inc, Publishers, New York, 1957, Band 12, Seiten 35. bis 79

(35) Ergänzende Stellungnahme zur gutachterlichen Stellungnahme von 5. Juli 2001 von Pr. Dr. Redlich vom 9. Januar 2003

(36) Erklärung von Dr. Weichert vom 9. Januar 2003

(42) "Handbuch Süßungsmittel", herausgegeben von G.W. von Rymon Lipinsky und H. Schiweck, Behr's Verlag, 1990, Seiten 244 bis 251

(46) DE-A-38 18 884

*: Entgegenhaltungen (1) und (2), die den gleichen Offenbarungsgehalt haben, werden in dieser Entscheidung auch als "Entgegenhaltung (1,2)" bezeichnet.

V. Die Kammer erließ gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern einen Bescheid, in dem sie ihre vorläufige Meinung kundtat, daß eine Vernehmung von Zeugen und Begutachtung durch Sachverständige gemäß Artikel 117 d) e) EPÜ in Anbetracht der Aktenlage nicht nötig erscheine (cf. infra, Paragraph VIII).

VI. Am 24. Juni 2002 reichte die Beschwerdeführerin einen sechs Ansprüche enthaltenden Anspruchsatz als Hauptantrag ein, wovon Ansprüche 1, 3 und 6 lauteten:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Süßungsmittels mit einem Gehalt an 6-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-sorbit (=1,6- GPS), 1-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-sorbit (=1,1-GPS) und 1-O-Alpha-D-Glucopyranosyl-D-mannit (=1,1-GPM) durch enzymatische Umwandlung von Saccharose in ein vorwiegend Isomaltulose enthaltendes Produkt und spätere Hydrierung zu 1,6-GPS, 1,1-GPM und 1,1-GPS enthaltenden Produkten, dadurch gekennzeichnet, daß man

a) in einem ersten Verfahrensschritt Saccharose enzymatisch unter Einsatz von immobilisierten Zellen von Bakterienstämmen aus der Gruppe von Protaminobacter rubrum (CBS 574.77), Serratia plymuthica (ATCC 15928), Serratia marcescens (NCIB 8285), Leuconostoc mesenteroides (NRRL-B 512F(ATCC 1083a)) und Erwinia rhapontici (NCPPB 1578) in ein als "isomerisierte Saccharose" bezeichnetes, Trehalulose und Isomaltulose enthaltendes Saccharidengemisch mit einem Disaccharideanteil von mehr als 85 Gew.-% umwandelt,

b) in einem zweiten Schritt die "isomerisierte Saccharose" von nicht isomerisierter Restsaccharose durch enzymatische und/oder H+ katalysierte Spaltung befreit,

c) in einem weiteren Verfahrensschritt die "isomerisierte Saccharose" katalytisch hydriert, wobei vorzugsweise

d) entweder vor oder nach der katalytischen Hydrierung das erhaltene Gemisch einer chromatographischen Trennung unterworfen wird,

e) und das Süßungsmittel isoliert, das 10 bis 50 Gew.-% 1,6-GPS, 2 bis 20 Gew.-% 1,1-GPS und 30 bis 70 Gew.-% 1,1-GPM enthält."

"3. Süßungsmittel mit einem Gehalt an 1,6-GPS, 1,1- GPS und 1,1-GPM, hergestellt nach einem Verfahren gemäß der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß das Süßungsmittel 10 bis 50 Gew.-% 1,6-GPS, 2 bis 20 Gew.-% 1,1-GPS und 35 bis 70 Gew.-% 1,1-GPM enthält."

"6. Verwendung von Süßungsmitteln nach einem der Ansprüche 3, 4 oder 5 in fester oder flüssiger Form als Süßungsmittel für Nahrungs- und Genussmittel."

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 21. Mai 2003 statt.

VIII. Die im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefaßt werden:

Artikel 117 d) e) EPÜ:

- Anträge gemäß Artikel 117 d) e) EPÜ nach Vernehmung von zwei Zeugen und Begutachtung durch Sachverständige seien gestellt. Die Vernehmung des ersten Zeugen sollte beweisen, daß es im Jahr 1973 (Veröffentlichungsjahr von Entgegenhaltung (1)) dem Fachmann nicht bekannt war, daß die enzymatische Saccharose- Isomerisierung durch P. rubrum zu Trehalulose führte, und daß 1,1 GPS aus Trehalulose hergestellt bzw. von 1,1 GPM durch Chromatographie getrennt werden konnte. Die Vernehmung des zweiten Zeugen und die Begutachtung durch Sachverständige gemäß Artikel 117 e) EPÜ sollte klären, ob das Nacharbeiten der Entgegenhaltung (1,2) zuverlässig zu einem Süßungsmittel, das 10 bis 50 Gew.-% 1,6-GPS, 2 bis 20 Gew.-% 1,1-GPS und 30 bis 70 Gew.-% 1,1-GPM enthälte, führt.

Artikel 54 EPÜ:

- Entgegenhaltung (1,2) befasse sich mit der Hydrierung von isomerisierter Saccharose und erwähne zwei Verfahrensvarianten, die sich dadurch unterschieden, daß in der ersten die aus dem Isomerisierungsgemisch kristallisierten Isomaltulose hydriert werde, während in der zweiten die Hydrierung des aus der Saccharose-Isomerisierung resultierenden Gemisches beschrieben sei. Nur die Hydrierung der kristallisierten Isomaltulose sei tatsächlich durchgeführt worden. Diese Verfahrensvariante führe zu einem Gemisch aus 1,6-GPS und 1,1-GPM, sei aber in Entgegenhaltung (1,2) fälschlicherweise als nur 1,6-GPS (Isolmaltit) enthaltend beschrieben worden.

- Gemäß Entscheidung T 205/91 (16. Juni 1992) solle der Inhalt des Stands der Technik im Rahmen einer Neuheitsprüfung so ausgelegt werden, wie ihn der Fachmann zum Zeitpunkt der Zugänglichmachung verstehen konnte. Dementsprechend habe die Entgegenhaltung (1,2) dem Fachmann nur die Herstellung von 1,6 GPS (Isomaltit) zugänglich gemacht.

- Der Fachmann sei 1973 nicht in der Lage gewesen, diese Lehre als falsch zu erkennen bzw. sie zu berichtigen, weil die in Entgegenhaltung (1,2) angegebenen Werte für den Schmelzpunkt und die spezifische Drehung mit denen der Entgegenhaltung (25) wegen der unterschiedlichen Meßbedingungen nicht vergleichbar seien.

- Dagegen sei in Entgegenhaltung (1,2) die Hydrierung des aus der Isomerisierung der Saccharose resultierenden Gemisches nicht durchgeführt worden und Entgegenhaltungen (10) bzw. (24) seien keine bona fide Nacharbeitung dieser Hydrierungsvariante, von der sie in mehreren Aspekten (Temperatur während der Deionisierung, Katalysatormenge, Rührrate, Heizrate während der Hydrierung) abwichen. Darüber hinaus seien die Ergebnisse in einer unglaubwürdigen Form dargestellt worden (Normalisierung der Daten unter Nicht- Berücksichtigung der Nebenprodukte und Oligomeren). Die in Entgegenhaltung (1,2) angegebene Isomaltulose-Isomaltit Konversionrate von 98% sei für den Fachmann keine Richtlinie für die Ermittlung der richtigen Bedingungen der Hydrierung, weil sie mit der kristallinen Isomaltulose erreicht worden sei, deren Hydrierung ein anderes Gemisch ergebe. Darüber hinaus, da 1,1-GPM mit zwei Wassermolekülen kristallisiere, könne höchstens eine Konversionsrate von 92% erreicht werden.

- Im Gegensatz dazu zeigten Entgegenhaltungen (9) und (23), daß eine bona fide Nacharbeitung der zweiten Variante der Entgegenhaltung (1,2) nicht zu dem in den vorliegenden Ansprüchen angegebenen Produkt führe.

- Wenn Nacharbeitungsversuche einer Entgegenhaltung zu widersprüchlichen Ergebnissen führen, sei ein wesentliches Merkmal dieser Entgegenhaltung dem Fachmann nicht zugänglich gemacht worden und diese Entgegenhaltung sei gemäß Entscheidung T 270/97 (20. Dezember 1999) nicht neuheitsschädlich.

- Das nunmehr beanspruchte Verfahren unterscheide sich durch die Verwendung von immobilisierten Bakterien von der Entgegenhaltung (1,2).

Artikel 56 EPÜ

- Entgegenhaltung (1,2) sei kein realistischer nächstliegender Stand der Technik, weil 20 Jahre alt, falsch und lückenhaft. Darüber hinaus seien alle in der Entgegenhaltung (1,2) beschriebenen Anwendungsbeispiele als Süßungsmittel mit Isomaltit durchgeführt worden und nicht mit dem beanspruchten Gemisch.

- Der nächstliegende Stand der Technik für das nunmehr beanspruchte Produkt sei Entgegenhaltung (18), die Palatinit (ein Gemisch aus 1,6-GPS und 1,1-GPM) beschreibe, deren Einsatz als Süßungsmittel wegen der Tendenz von 1,1-GPM zum Auskristallisieren eingeschränkt sei. Die zu lösende Aufgabe bestehe in der Bereitstellung eines Zuckeraustauschstoffs mit verbesserten Löslichkeitseigenschaften. Die nunmehr beanspruchte Lösung, also ein aus 1,6-GPS, 1,1-GPM und 1,1-GPS bestehendes Gemisch, könne auch nicht in naheliegender Weise von Entgegenhaltung (6) hergeleitet werden, die das Kristallisieren von 1,1-GPM, trotz der Anwesenheit von 1,1- GPS, als "prächtig" bezeichne.

- Der Stand der Technik biete auch andere mögliche Lösungsansätze, wie z. B. Isomalt I aus Entgegenhaltung (4).

- Es gebe keine allgemein anwendbare Regel, die den Einfluß einer ersten Substanz auf die Löslichkeit einer zweiten Substanz beschriebe und, in diesem Sinne, zeige Tabelle 2 von Entgegenhaltung (22) die Verminderung der Löslichkeit der Saccharose durch Zugabe von Invertzucker.

- Diese Argumente seien mutatis mutandis auch für die vorliegenden Verfahrensansprüche gültig.

IX. Die im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefaßt werden:

Artikel 117 e) EPÜ

- Die Beschwerdegegnerin schloß sich dem Antrag der Beschwerführerin gemäß Artikel 117 e) EPÜ an.

Artikel 54 EPÜ

- Das Verfahren der Entgegenhaltung (1,2) mit seinen zwei Varianten führe zwangsläufig zu Gemischen, die 1,6-GPS und 1,1- GPM (Hydrierung von kristalliner Isomaltulose) oder 1,6-GPS, 1,1-GPS und 1,1-GPM (Hydrierung des Saccharoseisomerisierungsgemisches) enthielten.

- Das Verfahren der zweiten Variante sei mit dem nunmehr beanspruchten identisch und führe zwangsläufig zu dem beanspruchten, aus 1,6-GPS, 1,1-GPM und 1,1-GPS bestehenden Gemisch. Irrtümlich sei dieses Gemisch als nur 1,6-GPS (Isomaltit) enthaltend identifiziert worden.

- Der Fachmann sei aber durch die in Entgegenhaltung (1,2) angegebenen Werte des Schmelzpunktes und der spezifischen Drehung, die nicht im Einklang mit denen der Entgegenhaltungen (25), (26) und (27) seien, in der Lage gewesen, festzustellen, daß diese Lehre falsch sei.

- Der Fachmann sei auch durch im Jahr 1973 schon bekannten Methoden wie HPLC, NMR oder Dünnschichtchromatographie in der Lage gewesen, die richtige Zusammensetzung dieses Gemisches festzustellen. Entgegenhaltungen (32) und (33) sowie, gutachterlich, die Entgegenhaltungen (6) und (26) bestätigten dies.

- Engegenhaltungen (10) und (24) seien bona fide Nacharbeitungen der Entgegenhaltung (1,2) und wiesen keine Oligomere oder Nebenprodukte auf, weil, durch die in Entgegenhaltung (1,2) angegebenen Richtlinie (die Isomaltulose- Isomaltit Konversionsrate von 98%) Bedingungen durch Routineversuche gefunden werden könnten, die die Bildung von Nebenprodukten und/oder Oligomeren verhinderten. Dagegen seien die in Entgegenhaltungen (9) und (23) verwendeten Bedingungen (Temperatur während der Deionisierung, Rührrate, Heizrate während der Hydrierung) ungünstig gewesen und führen zu ca. 15% Nebenprodukten und/oder Oligomeren. Dementsprechend seien Entgegenhaltungen (9) und (23) keine bona fide Nacharbeitungsversuche der Entgegenhaltung (1,2) und die Schlußfolgerung von T 270/97 (cf. supra) fänden hier keine Anwendung.

Artikel 56 EPÜ

- Entgegenhaltung (18) sei der nächstliegende Stand der Technik und offenbare Palatinit, das als Zuckeraustauschstoff wegen der Tendenz von 1,1-GPM zum Auskristallisieren nur eine begrenzte Anwendung finde. Die zu lösende Aufgabe sei, einen Zuckerersatz zu finden, der diesen Nachteil nicht mehr zeige. Ein Lösungsansatz sei schon in Entgegenhaltung (18) in der Form von der Zugabe von Lycasin (einem Saccharidengemisch) zu finden. Die in dem angefochtenen Patent beschriebene Lösung lasse sich in naheliegender Weise von Entgegenhaltung (6) herleiten, die 1,1-GPS als potentiellen Zuckeraustauschstoff mit der Hälfte der Süsskraft der Saccharose beschreibe. Entgegenhaltung (6) zeige (Absatz zwischen Seiten 483 und 484), daß die Hydrierung von Trehalulose zu einem Gemisch aus 1,1-GPS und 1,1-GPM in einem 1/1 Verhältnis führe. Jeweils eine Menge von 48 g von 1,1-GPM und 1,1-GPS werde aus 100ml Reaktionsmedium isoliert. Dagegen zeige Entgegenhaltung (4) in Tabelle 3, daß bei Zimmertemperatur 1,1-GPM eine Löslichkeit von nur ca. 20 gr/100 ml aufweise. Damit sei der positive Einfluß von 1,1-GPS auf die Löslichkeit von 1,1-GPM gezeigt.

- Es sei allgemeines Fachwissen, daß die Zugabe einer besser löslichen Substanz zu einer weniger löslichen zweiten Substanz die Löslichkeit dieser zweiten Substanz erhöhe, wie in Fig. 7 der Entgegenhaltung (4) gezeigt werde: Palatinit habe eine Löslichkeit, die ein Mittelwert zwischen denen von 1,6-GPS und 1,1-GPM sei. Tabelle 2 der Entgegenhaltung (22) zeige auch, daß durch Zugabe von Invertzucker die Summe von gelöster Saccharose und gelöstem Invertzucker höher sei als die der gelösten Saccharose in Abwesenheit von Invertzucker.

- Entgegenhaltung (1) könne auch als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. Im Rahmen der Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit sei für die Ermittlung des Stands der Technik das Prioritätsdatum des angefochtenen Patentes relevant, daher könne die Offenbarung der Entgegenhaltung (1,2) mit dem Wissen, das der Fachwelt bis zum Prioritätsdatum zugänglich gemacht geworden sei, berichtigt werden. Dementsprechend offenbare Entgegenhaltung (1,2) ein aus 1,6- GPS, 1,1-GPM und 1,1-GPS bestehendes Gemisch. In Anbetracht des im angefochtenen Patent beschriebenen Verfahrens lasse sich tatsächlich keine zu lösende Aufgabe finden, weil die Verwendung von immobilisierten Bakterien, die den einzigen Unterschied zu dem in Entgegenhaltung (1,2) beschriebenen Verfahren darstelle, am Prioritätsdatum auf Grund der Offenbarung der Entgegenhaltungen (16), (17) oder (18) selbstverständlich gewesen sei und keinen Einfluß auf die Zusammensetzung des Gemisches habe. Das Gleiche gelte auch für das in den Ansprüchen 3 bis 5 beanspruchte Produkt, besonders in Anbetracht der geringen Mengenunterschiede an 1,1-GPS verglichen mit denen der Entgegenhaltungen (9), (10), (23) und (24) und der ca. 5%igen-Ungenauigkeit der Detektionsmethoden.

X. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte

1) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes auf der Basis der Ansprüche 1-6 eingereicht am 24. Juni 2002 als Hauptantrag und der angepaßten Beschreibung (Seiten 2- 9) eingereicht während der mündlichen Verhandlung;

2) Beweisaufnahme nach Artikel 117(d)(e) EPÜ.

XI. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte

1) die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

2) Beweisaufnahme nach Artikel 117 e) EPÜ.

Entscheidungsgründe

Artikel 54 EPÜ

1. Für die Ermittlung des Offenbarungsgehalts einer im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ zum Stand der Technik gehörenden Druckschrift ist ihr Veröffentlichungsdatum maßgebend (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes, 4. Auflage 2001, Seite 45).

2. Entscheidung T 12/81 (EPA ABl 1982, 296) besagt im Punkt 7, daß die Lehre eines zitierten Dokuments nicht auf die detaillierte, sich in den Beispielen befindende Information beschränkt ist, sondern auch jegliche sich in den Ansprüchen oder in der Beschreibung befindende Information umfaßt, die dem Fachmann ermöglicht, die Erfindung auszuführen. Darüber hinaus umfaßt die Lehre eines zitierten Dokuments auch die Substanz, die das zwangsläufige Resultat eines in dem Dokument beschriebenen Verfahrens ist (Punkt 8), vorausgesetzt, alle vom Fachmann benötigte Informationen bezüglich Reagenzien und Verfahrensbedingungen sind offenbart.

3. Entgegenhaltung (1,2) beschreibt zwei Varianten eines Hydrierungsverfahrens der Saccharose, wobei die erste Variante eine Kristallisierung der aus der Saccharoseisomerisierung resultierenden Isomaltulose vor der Hydrierung ist, während in der zweiten Variante keine Kristallisationstufe vorgesehen ist, sondern die Hydrierung mit dem aus der enzymatischen Saccharoseisomerisierung resultierenden Gemisch durchgeführt wird. Nur die erste Variante ist tatsächlich ausgeführt worden und das daraus resultierende Produkt irrtümlich als nur 1,6- GPS enthaltend (Isomaltit) beschrieben worden. Tatsächlich führt jedoch diese Variante zu einem 1,6-GPS und 1,1-GPM enthaltenden Gemisch. Auf alle Fälle ist das Produkt der ersten Variante, was es auch immer sein mag (1,6-GPS oder 1,6- GPS und 1,1-GPM Gemisch), und das zu diesem Produkt führende Verfahren im Rahmen der Neuheitsprüfung des drei Komponenten (1,6-GPS, 1,1-GPM und 1,1-GPS) enthaltenden Gemischs der vorliegenden Ansprüche, irrelevant. Nur das Verfahren der zweiten Variante und das daraus resultierende Produkt könnten von Bedeutung sein, vorausgesetzt, die in der oben genannten Entscheidung T 12/81 genannten Erfordernisse bezüglich des "ermöglichenden Charakters" der Offenbarung sind erfüllt.

4. Die von der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin durchgeführten Nacharbeitungen der zweiten Variante der Entgegenhaltung (1,2) führen zu voneinander abweichenden und widersprüchlichen Ergebnissen (cf. Entgegenhaltungen (8), (9), (10), (23), (24), (35) und (36)). Einigkeit herrscht zwischen den Parteien bezüglich der Gründe für diese Abweichungen. Sie sind in den für die Hydrierung gewählten Rühr- und Heizraten in Abhängigkeit von der Geometrie des Gefäßes zu finden. Dagegen werfen sich Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin gegenseitig vor, bezüglich der Rühr-und Heizraten Bedingungen gewählt zu haben, die dem Wissen des Fachmannes vom Jahr 1973 nicht entsprächen.

5. Die Information, die der Fachmann aus Entgegenhaltung (1,2) bezüglich dieser Parametern entnehmen kann, ist spärlich und erschöpft sich in der Angabe, daß die Temperaturerhöhung langsam sein muß (Entgegenhaltung (1), Spalte 2, Zeilen 47 und 48. bzw. Entgegenhaltung (2), Spalte 3, Zeile 31). Ein Rühren während der Hydrierung ist in Entgegenhaltung (1,2) nicht erwähnt.

6. Entgegenhaltung (9) ist ein Versuchsbericht über die Nachbearbeitung der Lehre aus Entgegenhaltung (1) und macht keine Angabe bezüglich der Heizungsrate. In ihrem Schreiben vom 19. Juni 2002 (Seite 16, letzter Absatz) stellt die Beschwerdeführerin fest, daß der Temperaturgradient in der ersten Erwärmungsphase der in Entgegenhaltung (23) durchgeführten Hydrierung (bis zu einer Temperatur von 100°C) mit einem Gradient von 3.7°C/min durchgeführt worden ist. Entgegenhaltung (23) ist eine vergleichende gutachterliche Stellungnahme zur Herstellung von Isomaltulose (Palatinose) und Isomalt nach der Lehre der Entgegenhaltungen (1) und (10). Ferner kann aus Engegenhaltung (23)(Absatz zwischen Seiten 5 und 6) entnommen werden, daß die Temperatur der Lösung für die Hydrierung nach Erhöhung des Wasserstoffsdrucks innerhalb 15 Minuten von 100°C auf 128°C erhöht wurde. Die zweite Temperaturerhöhung entspricht einem Gradient von ca. 2°C/min. Dagegen betrug der Temperaturgradient in der von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Entgegenhaltung (10) 0.5, bzw. 0.6°C/min (Seite 4) und in Entgegenhaltung (8) 0.7°C/min. Entgegenhaltungen (10) und (8) sind jeweils eine Stellungnahme Aber die Nachbearbeitung der Lehre von Entgegenhaltung (1,2) und ein Bericht über die Herstellung von Isomaltitol aus Isomaltulose nach der Lehre von Entgegenhaltung (1,2).

7. Entgegenhaltung (23) zeigt auf Seite 6 (erster Absatz), daß die Rührrate während der Hydrierung 600 Upm betrug. Entgegenhaltung (9) sagt lediglich, daß die Hydrierung in einem gerührten Autoklaven stattfand. Die von der Beschwerdegegnerin durchgeführten Nacharbeitungen, nämlich die Entgegenhaltungen (8) und (10), machen diesbezüglich keine Angabe. Entgegenhaltung (36) stellt lediglich fest, daß die Hydrierung in Entgegenhaltung (10) auch unter Rühren durchgeführt worden ist und erklärt die in Entgegenhaltung (10) diesbezügliche fehlende Angabe dadurch, daß es für den Fachmann "trivial" sei, diese Stufe unter Rühren durchzuführen.

8. Die von der Beschwerdegegnerin vorgelegte Entgegenhaltung (24) hat den Einfluß von Rührraten von 500 bis 1500 Upm und Heizungraten von 1 und 4°C/min auf die Entstehung von Nebenprodukten untersucht und kommt zu der Schlußfolgerung, daß die in Entgegenhaltung (23) gewählten Bedingungen die Bildung von Nebenprodukten begünstigen, weil der Temperaturgradient zu hoch und die Rührrate zu niedrig seien.

9. Dagegen hält die Beschwerdeführerin (Schreiben vom 19. Juni 2002, Seiten 11 bis 18, 22 und 23) den von der Beschwerdegegnerin in Entgegenhaltungen (10) und (24) gewählten Temperaturgradient für zu niedrig, was zu einer zu langen Verweildauer des zu hydrierenden Saccharidengemisches im basischen pH führe und die Umlagerung der Isomaltulose in Saccharinsäuren bzw. Nebenproduktbildung begünstige, wie es in den Entgegenhaltungen (15)(Seite 124, letzter Absatz bis Seite 127, erster Absatz), (31)(die gesamte Veröffentlichung), (32)(die gesamte Veröffentlichung), (33)(die gesamte Veröffentlichung) und (42)(Seite 250) beschrieben sei.

10. Im Gegensatz zur Beschwerdegegnerin ist die Kammer nicht davon überzeugt, daß die in Entgegenhaltung (1,2) erwähnte "98% Konversionsrate" eine Richtlinie darstellt, die dem Fachmann ermöglicht, eine mühelose Optimierung der Hydrierungsparametern durchzuführen, weil sie mit reiner, auskristallisierter Isomaltulose erreicht wurde und daher das Verhalten der anderen, aus der Saccharoseisomerisierung resultierenden, Komponenten während der Hydrierung nicht berücksichtigen kann. Abgesehen davon zeigt sie nur das zu erreichende Ziel, aber sie gibt dem Fachmann keinen Hinweis darauf, wie es zu erreichen ist.

11. Die Kammer akzeptiert, daß die in den Entgegenhaltungen (8), (9), (10), (23), (24), (35) und (36) vorgelegten Ergebnisse bona fide Nacharbeitungsversuche der zweiten Verfahrensvariante der Entgegenhaltung (1,2) darstellen. Ferner kann auch davon ausgegangen werden, daß die von der Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin gewählten Heiz- und Rührungrate in Abhängigkeit zu der Gefäßgeometrie nicht willkürlich, sondern auf Grund von Überlegungen gewählt worden sind, die den Rahmen des Fachwissens im Jahr 1973 (Veröffentlichungsjahr der Entgegenhaltung (1,2)) ausschöpfen. Allerdings führen nun diese Nacharbeitungsversuche zu unterschiedlichen Ergebnissen, so daß, im Gegensatz zu den in der Entscheidung T 12/81 entwickelten Bedingungen (cf. supra Punkt 2), das beanspruchte Produkt nicht das zwangsläufige Resultat der in der Entgegenhaltung (1,2) beschriebenen zweiten Variante des Hydrierungsverfahrens ist. Vielmehr ergeben sich, abhängig von den gewählten Verfahrensbedingungen, verschiedene Produkte. Dies zeigt, daß in der Entgegenhaltung (1,2) wesentliche Parametern der zweiten Variante des Hydrierungsverfahrens nicht so deutlich und vollständig offenbart sind, daß der Fachmann ohne weiteres ein den vorliegenden Ansprüchen entsprechendes Gemisch wiederholt herstellen kann.

12. Daher ist die Lehre der Entgegenhaltung (1,2) für die vorliegenden Ansprüche 1 bis 6 nicht neuheitsschädlich, so daß das Erfordernis von Artikel 54 EPÜ erfüllt ist.

13. Diese Schlußfolgerung ist im Einklang mit der auf die Entscheidung T 12/81 bezugnehmenden Entscheidung T 270/97 (cf. supra), in der eine Entgegenhaltung im Rahmen einer Neuheitsprüfung nicht berücksichtigt wurde, weil Verfahrensbedingungen, die wesentlich für den Erhalt eines Produktes waren, nicht so beschrieben waren, daß das gleiche Produkt wiederholt erhalten werden konnte.

Artikel 117 d) e) EPÜ

14. Da Entgegenhaltung (1,2) aus den obigen Gründen nicht neuheitsschädlich ist, erübrigt sich eine Vernehmung von Zeugen gemäß Artikel 117 d) EPÜ oder eine Begutachtung durch Sachverständige gemäß Artikel 117 e) EPÜ bezüglich dessen ob der Fachmann im Jahre 1973 1,6-GPS und 1,1-GPM durch chromatographische Analyse voneinander hätte trennen können oder ob die Entgegenhaltung (1,2) hätte nachgearbeitet werden können, so daß diese Anträge zurückgewiesen werden.

Artikel 56 EPÜ

15. Das aus drei Hauptkomponenten bestehende Gemisch aus der zweiten Hydrierungsvariante der Entgegenhaltung (1,2) ist nach Auffassung der Kammer nicht der nächstliegende Stand der Technik. Wie von der Beschwerdeführerin gezeigt, offenbart Entgegenhaltung (1,2) keine Lehre bezüglich der Eignung dieses Gemisches als Zuckeraustauschstoff, weil sich die dort durchgeführten Eignungexperimente (z. B. Entgegenhaltung (1), Spalte 3, Zeile 33 bis Spalte 4, Zeile 60 und Spalte 6, Zeile 63. bis Spalte 8, Zeile 21) nur auf das aus der Hydrierung von kristallisierter Isomaltulose hergestellten und aus nur den beiden Komponenten 1,6-GPS und 1,1-GPM bestehenden Isomaltit beziehen. Darüber hinaus bieten diese Eignungsbeispiele dem Fachmann, der als ein praxisorientierter Lebensmittelchemiker anzusehen ist, kein "Sprungbrett", weil sie nur die Vorteile des Isomaltits betonen. Insbesondere ist die Löslichkeit des Isomaltits als ausreichend groß angegeben (Entgegenhaltung (1), Spalte 3, Zeilen 37 bis 40), um an Stelle von Zucker in Nahrungsmitteln und Getränken eingesetzt zu werden.

16. Entgegenhaltung (18) ist nach Auffassung der Kammer der nächstliegende Stand der Technik für die Produktansprüche 3 bis 5. Sie beschreibt Palatinit, ein äquimolekulares, aus 1,6- GPS und 1,1-GPM bestehendes und durch Hydrierung der Isomaltulose hergestelltes Gemisch, das dank seiner Eigenschaften seit 1983 Verwendung als Zuckeraustauschstoff findet (Seite 92, rechte Spalte, letzter Absatz der "Einleitung"). Allerdings werden auf Seite 93 (linke Spalte, Absatz "Technologische Eigenschaften von Palatinit") Nachteile von Palatinit gegenüber der Saccharose erwähnt, die auf eine geringere Löslichkeit zurückzuführen sind und den Einsatz von Palatinit beschränken trotz der Zugabe von Lycasin (ein Saccharidengemisch) zu Palatinit (Seite 94, linke Spalte, "Löslichkeit"). Die zu lösende Aufgabe besteht darin, einen Zuckeraustauschstoff zur Verfügung zu stellen, der diese Nachteile nicht aufweist.

17. Die Lösung liegt in den vorliegenden Ansprüchen 3 bis 5 und besteht aus dem die drei Komponente 1,6-GPS, 1,1-GPS und 1,1- GPM in den angegebenen Gew.-% enthaltenden Gemisch. Dies kommt einer Zugabe von 1,1-GPS zu Palatinit gleich. Die Beispiele 9 und 10 des angefochtenen Patents zeigen, daß die Aufgabe tatsächlich gelöst wurde.

18. Im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt sich die Frage, ob sich diese Lösung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

19. Die Beschwerdegegnerin bejaht diese Frage aus den folgenden Gründen:

i) 1,1-GPS habe eine höhere Löslichkeit als 1,1-GPM (Entgegenhaltung (6), Absatz zwischen Seiten 483 und 484),

ii) die Zugabe einer besser löslichen Substanz erhöhe die Löslichkeit einer schlechter löslichen Substanz, so daß das aus diesen beiden Substanzen bestehende Gemisch eine Löslichkeit aufweise, die einen Mittelwert zwischen den Löslichkeitswerten der beiden einzelnen Substanzen darstelle, wie aus der Abbildung 7 der Entgegenhaltung (4) ersichtlich sei: Palatinit weise eine Löslichkeit auf, die ein Mittelwert zwischen der ihrer Komponenten 1,1-GPS und 1,1-GPM sei. Dies werde auch in Tabelle 2 von Entgegenhaltung (22) bestätigt, die zeigt, daß die Zugabe von Invertzucker die Löslichkeit von Saccharose erhöht.

iii) der Vergleich zwischen Tabelle 3 der Entgegenhaltung (4), der die Löslichkeit von 1,1-GPM in Abhängigkeit der Temperatur darstellt, und der Mengenangaben an solubilisiertem 1,1-GPM im Absatz zwischen Seiten 483 und 484 von Engegenhaltung (6) zeige, daß die Anwesenheit von 1,1-GPS die Löslichkeit von 1,1-GPM erhöht.

20. Die Kammer kann sich dieser Sichtweise aus den folgenden Gründen nicht anschließen:

Zu i): Entgegenhaltung (6) erwähnt (Seite 478, dritter Absatz) die "prächtige" und "zwangslose" Kristallisation von 1,1-GPM in Anwesenheit von 1,1-GPS und gibt dadurch dem Fachmann keinen Anhaltspunkt, 1,1-GPS anzuwenden, um die Löslichkeit von 1,1-GPM zu erhöhen.

Zu ii): Tabelle 2 von Entgegenhaltung (22) zeigt vielmehr, daß sich die Menge an gelöster Saccharose umgekehrt proportional zu der zugegebenen Menge an Invertzucker verhält. Invertzucker erhöht daher nicht die Löslichkeit der Saccharose, sondern übt eher ein "salting-out" der Saccharose aus, also deren Vertreibung aus der Lösung. Tabelle 2 von Entgegenhaltung (22) steht somit in Widerspruch zu der aus Abbildung 7 der Entgegenhaltung (4) ableitbaren Lehre. Es ergibt sich somit aus der Kombination der Entgegenhaltungen (4) und (22) keine allgemein anwendbare Regel bezüglich des gegenseitigen Einflußes zweier Substanzen auf ihre Löslichkeit.

Zu iii): Tabelle 3 der Entgegenhaltung (4) zeigt bei verschiedenen Temperaturen die jeweils maximale Menge an gelöstem 1,1-GPM (also eine 100% Sättigung an 1,1-GPM für die jeweiligen Temperaturen). Sie kann nicht ohne weiteres mit dem Absatz zwischen den Seiten 483 und 484 der Entgegenhaltung (6) verglichen werden. Zunächst zeigt Entgegenhaltung (6) auf Seite 484 (Zeile 1), daß 38.5 g von 1,1-GPM kristallisiert haben, dagegen werden 48 g von 1,1-GPS erhalten. Darüber hinaus stammen diese 38.5g 1,1-GPM aus 100g Trehalulose, die mit 100ml Wasser in Lösung gebracht und bei einer Temperatur von 120°C hydriert worden sind. Die Kristallisation fand beim Abkühlen der Hydrierungslösung statt. Der Vergleich sollte für die Temperatur durchgeführt werden, für die 38.5g 1,1-GPM unter den Bedingungen der Entgegenhaltung (6), also in Anwesenheit von 1,1-GPS, eine 100%-Sättigung ergibt. Diese Temperatur ist aber in Entgegenhaltung (6) nicht angegeben. Daher hat der von der Beschwerdegegnerin angestellte Vergleich keine Aussagekraft.

Darüber hinaus wies der Stand der Technik am Prioritätsdatum auf andere Lösungsansätze. Entgegenhaltung (6)(Seite 478, dritter Absatz) zeigt, daß 1,1-GPS "praktisch identisch in seinem sensorischen Verhalten mit dem Isomalt (Palatinit)" ist. Diese Aussage würde den Fachmann ermutigen, nur das hoch lösliche 1,1-GPS als Zuckeraustauschstoff zu verwenden statt eines aus drei Komponenten bestehenden Gemisches, wie im angefochtenen Patent. Entgegenhaltung (26) stellt in Spalte 2 (Zeilen 12 bis 19) und in Spalte 5 (Zeilen 42. bis 52) fest, daß 1,1-GPM an sich als Zuckeraustauschstoff geeignet ist. Diese Lösungen wären kostengünstiger und einfacher durchführbar als die Optimierung der Konzentrationen der drei Komponenten des beanspruchten Gemisches. Entgegenhaltung (46), die die für Palatinose wegen ihrer geringen Löslichkeit verursachten Anwendungsbeschränkungen beschreibt, schlägt auf Seite 6 (Zeilen 12 bis 17) eine Mischung aus Palatinose und Palatinose-Kondensationsprodukte vor. Der Fachmann hätte somit auch entweder die Mischung Palatinose-Palatinose-Kondensationsprodukte anstatt Palatinit als Zuckeraustauschstoff verwenden können oder die Palatinose-Kondensate statt des in Entgegenhaltung (18) erwähnten Lycasins zur Palatinit zugeben können.

21. Daher ist die Kammer der Überzeugung, daß das aus 1,6-GPS, 1,1-GPM und 1,1-GPS bestehende Gemisch in den beanspruchten Mengenverhältnissen, nur eine von mehreren Lösungsmöglichkeiten darstellt, um einen Zuckeraustauschstoff herzustellen, der die Löslichkeitsprobleme des Palatinits nicht aufweist, die nicht in einer naheliegenden Weise von der Entgegenhaltung (18) allein betrachtet oder in Zusammenhang mit Entgegenhaltungen (6), (4), (22) bzw. (46) hergeleitet werden kann. Infolgedessen erfüllen die Produkt- und Verwendungsansprüche 3 bis 6 des vorliegenden Anspruchsatzes die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ. Das Gleiche gilt auch für die Verfahrensansprüche 1 und 2, da der Fachmann wegen des erfinderischen Charakters des Produkts der Ansprüche 3 bis 5 kein Verfahren für dessen Herstellung entwickelt hätte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Anträge auf Beweisaufnahme werden zurückgewiesen;

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben;

3. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen, mit der Anordnung das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1- 6, eingereicht am 24. Juni 2002, und der angepaßten Beschreibung, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.

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