T 0578/00 () of 30.1.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T057800.20030130
Datum der Entscheidung: 30 Januar 2003
Aktenzeichen: T 0578/00
Anmeldenummer: 94810308.0
IPC-Klasse: D01G 15/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wanderdeckelkarde
Name des Anmelders: MASCHINENFABRIK RIETER AG
Name des Einsprechenden: Trützschler GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Zulässigkeit des geänderten Patentanspruchs - ja
Neuheit - ja
Erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 27. Mai 1994 unter Inanspruchnahme zweier schweizerischer Prioritäten vom 3. Juni 1993 und vom 20. August 1993 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 94 810 308.0 wurde das europäische Patent Nr. 0. 627 507 erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent legte die Beschwerdeführerin Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 seien entgegen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ gegenüber der ursprünglichen Anmeldung unzulässig erweitert worden (Einspruchsgrund Artikel 100 c) EPÜ). Außerdem seien die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1, 2, 13 und 14 nicht patentfähig im Hinblick auf die Erfordernisses der Artikel 52 bis 57 EPÜ (Einspruchsgrund Artikel 100 a) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 25. April 2000 verkündeten und am 10. Mai 2000 zur Post gegebenen Entscheidung zurück.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß das in zulässiger Weise geänderte europäische Patent auch unter Berücksichtigung des in den von der Beschwerdeführerin genannten Entgegenhaltungen E1 bis E17 offenbarten Standes der Technik den Erfordernissen des EPÜ genüge.

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Einsprechende am 3. Juni 2000 beschwert, gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt und mit der am 21. August 2000 eingereichten Beschwerdebegründung ihren Antrag auf Widerruf des Patents aus den im Einspruchsverfahren vorgebrachten Gründen weiter verfolgt.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung vom 15. November 2002 darauf hingewiesen, daß bei den Fragen der Offenbarung der Erfindung und der erfinderischen Tätigkeit derselbe Fachmann heranzuziehen sei. Die Offenbarung der Erfindung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen und in der Patentschrift scheine nach vorläufiger Einschätzung ausreichend zu sein. Die Neuheit scheine nicht in Frage zu stehen und die erfinderische Tätigkeit werde zu diskutieren sein.

VI. Am 30. Januar 2002 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen einzigen geänderten Anspruch vorlegte. In der Verhandlung wurden nur die folgenden im Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen aufgegriffen:

E1: DE-A-38 14 412

E8: DE-A-39 07 396

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 592 799.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in geänderter Form aufrechtzuerhalten mit folgenden Unterlagen:

- Patentanspruch 1;

- Beschreibung Seite 2 mit Einfügung A, Seiten 3 bis 6;

- Figuren 1 bis 7,

wie überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Der geänderte Patentanspruch lautet wie folgt:

"1. Antriebsriemen für eine Wanderdeckelkarde in Kombination mit einem Deckelstab, wobei der Antriebsriemen (9; 9.1; 9.2; 9.3; 9.5) auf der dem Deckelstab (1) gegenüberliegenden Seite mit einem Vorsprung (10; 10.1; 10.2; 10.3; 10.4; 10.5) ausgebildet ist, der mit einem entsprechenden Aufnahmeelement (7) an den Enden des Deckelstabes im Eingriff steht, dadurch gekennzeichnet, dass der ein Verbindungselement (10) darstellende Vorsprung zum Verbinden eines Deckelstabes (1) mittels einer Schnappverbindung einstückig mit dem Riemen (9) gebildet ist und mit dem Aufnahmeelement (7) klemmbar im Eingriff steht."

VII. Die Beschwerdeführerin äußerte sich nicht zur formalen Zulässigkeit des geänderten Anspruchs und trug vor, die Kombination nach Anspruch 1 sei gegenüber E8 nicht neu, weil aus dieser Druckschrift bereits eine formschlüssige elastische Verbindung zwischen Antriebsriemen und Deckelstab bekannt sei. Der Fachmann denke beim Betrachten dieser Verbindung sofort an eine Druckknopfverbindung, so daß die Entgegenhaltung implizit eine Schnappverbindung im Sinne des angefochtenen Patents offenbare.

Zumindest aber beruhe die beanspruchte Lösung gegenüber der Kombination von E8 und E1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil E1 eine lösbare Schnappverbindung zur Befestigung eines Deckelstabendes an den Deckelketten zeige, die der Fachmann beim Gegenstand der E8 selbstverständlich anwende und somit ohne erfinderische Leistung zum Gegenstand des Patentanspruchs gelange.

VIII. Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, der aus den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 12 (entsprechend den erteilten Ansprüchen 3 und 13) gebildete Patentanspruch sei formal zulässig und sein Gegenstand neu und erfinderisch.

E8 offenbare gerade keine klemmende Verbindung, weil die Deckelstabenden im Rücklaufbereich lose auf den Riemen lägen, wo sie durch Formschluß und Schwerkraft gehalten würden und von wo sie ungehindert abgenommen werden könnten. Im Umlenk- und Arbeitsbereich würden sie durch das Führungs- und Halteelement 18 und die Gleitführung 17. geführt und von den Vorsprüngen am Zahnriemen vorwärts geschoben. Eine Schnappverbindung sei hier nicht erkennbar und daher auch nicht offenbart, da die Kinematik dieser bekannten Anlage auch keine solche Verbindung erfordere.

Das aus E1 bekannte Befestigungselement zwischen den starren Teilen - Deckelstab und Kette - könne nicht dazu anregen, eine integrierte Schnappverbindung am flexiblen Zahnriemen auszubilden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1. Gemäß Artikel 123 (2) EPÜ dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden, daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

2.2. Der neue Patentanspruch setzt sich aus dem vollständigen Inhalt der erteilten Ansprüche 3 und 13 zusammen, welche auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 2 und 12 zurückgehen. Beide Ansprüche beziehen sich auf den Antriebsriemen in Verbindung mit dem Deckelstab und enthalten jeweils eine spezielle Ausgestaltung dieser Verbindung. Folglich ist die Zusammenfassung der Merkmale beider Ansprüche zulässig, welche die in beiden Ansprüchen offenbarte und sich ergänzende Ausgestaltung der Verbindung enthält.

2.3. Der auf der Basis des unabhängigen erteilten Anspruchs 13 gebildete neue Patentanspruch wurde in der Weise eingeschränkt, daß das Verbindungselement der Schnappverbindung am Riemen aus einem Vorsprung besteht, der mit dem entsprechenden Aufnahmeelement an den Deckelstabenden klemmbar im Eingriff steht. Er ist daher auch im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ zulässig.

2.4. Die Beschreibung sowie die Zeichnungen wurden in zulässiger Weise auf den zur Erläuterung des Gegenstandes des einzigen Patentanspruches notwendigen Umfang eingeschränkt und die Beschreibungseinleitung um die Würdigung des Standes der Technik gemäß E8 ergänzt.

3. Neuheit

3.1. Die zum Nachweis mangelnder Neuheit genannte E8 bezieht sich auf eine Vorrichtung an einer Karde, bei der die Außenseite eines flexiblen Riemens und die Enden der Deckelstäbe formschlüssig miteinander in Eingriff stehen. Dabei liegen die Deckelstäbe im Bereich der Rücklaufstrecke lose auf dem oberen Trum des Riemens auf (Spalte 1, Zeilen 50 bis 59). Die Führungs- und Halteelemente 18, 19 verhindern, daß die Deckelstäbe im Umlenkbereich herabfallen (Spalte 3, Zeilen 60 bis 63; Spalte 6, Zeilen 5 bis 10).

3.2. Die Beschwerdeführerin meinte, daß gemäß E8 die formschlüssig in die Bohrungen 24 eingreifenden Ansätze 25a bis 25n aus Gummi bestehen (Spalte 4, Zeilen 24 bis 26) und deshalb aufgrund der werkstofftypischen Elastizität von Gummi eine klemmende Verbindung bewirken könnten. Diese Interpretation steht jedoch im Widerspruch zur übrigen Beschreibung der E8, denn bei einer klemmenden Verbindung würden die Deckelstäbe nicht lose auf dem oberen Trum des Riemens aufliegen und könnten nicht ungehindert von dort entnommen werden (Spalte 1, a.a.O.). Daß in diesem Rücklaufbereich keine weitere Sicherung gegen das Herabfallen erforderlich ist, erkennt der fachkundige Leser eindeutig daraus, daß sie einerseits durch ihr Gewicht und andererseits durch formschlüssigen Eingriff der Ansätze in den hohlzylinderförmigen Bohrungen auf dem Riemen gehalten werden, also gegen seitliches Verrutschen gesichert sind. Diese Sicherung funktioniert jedoch, ohne daß ein Klemmen nötig wäre. Im Bereich der Umlenkung sind folglich die Deckelumlenkelemente 18 und 19 erforderlich, die die Deckelköpfe bei der Umkehrbewegung so führen, daß ihr Eingriff mit den Ansätzen am Antriebsriemen aufrechterhalten bleibt.

Formschlüssiger Eingriff kann also im Zusammenhang der E8 nur bedeuten, daß die Ansätze mit loser Passung in den entsprechenden Aufnahmeöffnungen sitzen.

3.3. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß E8 im Gegensatz zu den Darlegungen der Beschwerdeführerin keine Klemmverbindung und noch weniger - implizit - eine Schnappverbindung offenbart. Der Antriebsriemen nach dem Patentanspruch ist somit neu (Artikel 54 (1) EPÜ).

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Der nächstkommende Stand der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, wird durch E8 repräsentiert. Diese Druckschrift beschreibt einen Antriebsriemen für eine Wanderdeckelkarde in Verbindung mit einem Deckelstab gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs.

Hiervon ausgehend liegt dem Gegenstand des Patents die Aufgabe zugrunde, eine solche Verbindung derart zu verbessern, daß die Deckelstäbe auf sehr einfache und wirksame Art, besonders im Bereich der Umlenkung, geführt und dennoch die Deckelstäbe leicht austauschbar mit dem Antriebsriemen verbunden sind. (Patentschrift Spalte 4, Zeilen 37 bis 41).

Gelöst wird dieses technische Problem durch eine Kombination mit den Merkmalen des Patentanspruchs.

4.2. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, E8 würde dem Fachmann bereits die wesentlichen Lösungsmerkmale an die Hand geben und ihn zumindest nach Einbeziehung der Lehre der E1 zur beanspruchten Lösung führen.

Wie oben (Punkt 3.2) dargelegt, offenbart E8 keine klemmende Verbindung zwischen dem Antriebsriemen und den Deckelstabenden. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, die in einem anderen Verfahren vorgeführte klemmende Verbindung zwischen diesen beiden Elementen sei in der Entgegenhaltung offenbart, kann die Kammer nicht folgen. Entscheidend ist nur der objektive Offenbarungsgehalt der E8, der zwar einerseits formschlüssigen Eingriff umfaßt, andererseits jedoch ganz klar aussagt, daß die Deckelstabenden lose auf dem oberen Trum des Riemens liegen. Aufgrund dieser Angaben schließt der Fachmann eine klemmende Verbindung zwischen Antriebsriemen und Deckelstab aus und denkt auch nicht an eine Schnappverbindung, z. B. in Form einer Druckknopfverbindung, da dies im Widerspruch zur losen Auflage stünde.

Folglich kann E8 den Fachmann nicht dazu anregen, durch Umgestaltung der Ansätze 25a bis 25n eine klemmende Verbindung mit den Deckelstabenden oder eine Schnappverbindung herzustellen.

4.3. Die Beschwerdeführerin vertrat weiterhin die Ansicht, die E1 (Figur 8) zeige eine Schnappverbindung, durch deren Anwendung bei einer Vorrichtung nach E8 der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange.

E1 befaßt sich mit einer lösbaren Verbindung der Deckelstäbe einer Karde mit den Deckelketten durch ein Befestigungselement. In einer Ausgestaltung besteht das Befestigungselement aus einem an seinem Ende geschlitzten Bolzen 16, wodurch elastische Stege gebildet werden, die mit Ansätzen versehen sind, welche ihrerseits formschlüssig in einen Schlitz 14d in der Aufnahmebohrung eingreifen (Spalte 2, Zeilen 17 bis 27; Figur 8). Im fachmännischen Verständnis handelt es sich hierbei um eine Schnappverbindung; es ist jedoch zu prüfen, ob der Fachmann diese Schnappverbindung bei der Suche nach geeigneten Lösungen für das Ausgangsproblem aufgreift und ob ihre Anwendung beim Gegenstand der E8 zur beanspruchten Lehre führt.

Der prinzipielle Unterschied zwischen den Verbindungsarten nach E8 und E1 besteht darin, daß in E8 ein flexibles Teil, der Antriebsriemen, mit einem starren Teil, dem Ende eines Deckelstabes verbunden wird, wogegen gemäß E1 die Verbindung zwischen zwei starren Teilen, den Gliedern einer Deckelkette und dem Ende eines Deckelstabes, hergestellt wird. Im Fall der E8 handelt es sich um eine unmittelbare formschlüssige Verbindung, während bei der Verbindung nach E1 ein zusätzliches Verbindungselement, der Bolzen 16, benötigt wird. Wollte der Fachmann die Vorteile der aus E1 bekannten Schnappverbindung auf die formschlüssige Verbindung gemäß E8 übertragen, so würde er das entsprechende Befestigungselement verwenden und den Antriebsriemen derart anpassen, daß er eine Befestigungsmöglichkeit für den Bolzen bietet. Damit wäre die beanspruchte Lösung aber noch nicht erreicht, wonach das Verbindungselement einstückig mit dem Antriebsriemen ausgebildet ist.

Die Kammer kann weder eine durch den Stand der Technik noch durch allgemeine Fachkenntnis veranlaßte Anregung erkennen, die Schnappverbindung unmittelbar am bewegten Riemen anzuordnen. Da somit ein einstückig mit dem Riemen ausgebildetes Verbindungselement einer Schnappverbindung zum klemmbaren Eingriff mit dem Aufnahmeelement im Stand der Technik ohne Vorbild ist, beruht die aufgefundene Lösung auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

4.4. Der Antriebsriemen in Kombination mit einem Deckelstab nach dem einzigen Anspruch erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ, so daß das Patent in geänderter Form aufrechterhalten werden kann.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent aufgrund folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Patentanspruch 1;

- Beschreibung Seite 2 mit Einfügung A auf Seite 2, Seiten 3 bis 6;

- Figuren 1 bis 7;

wie überreicht in der mündlichen Verhandlung.

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