T 0304/00 () of 12.9.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T030400.20020912
Datum der Entscheidung: 12 September 2002
Aktenzeichen: T 0304/00
Anmeldenummer: 94120369.7
IPC-Klasse: B60R 21/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur Erkennung der Sitzbelegung in Fahrzeugen
Name des Anmelders: Conti Temic Microelectronic GmbH
Name des Einsprechenden: Autoliv Development AB
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) gegen das europäische Patent Nr. 0 669 227 eingelegte, auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit) gestützte Einspruch führte zum Widerruf des Patents mangels erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die im Einspruchsverfahren genannte US-A-4 625 329 (D2) durch die am 17. Februar 2000 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 3. März 2000 bei gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 10. Juni 2000 eingegangen.

III. Am 12. September 2002 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anspruch 1 und den Ansprüchen 2 bis 4 sowie der Beschreibung und den Figuren wie erteilt.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der geltende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Vorrichtung zur Erkennung der Sitzbelegung in Fahrzeugen,

- bei der ein auf den Sitz gerichteter Lichtemitter (101) sowie ein Detektor (102) vorgesehen sind, wobei der Detektor (102) die am Sitz oder der darauf befindlichen Person auftretenden Reflektionen empfängt

- und mit einem Prozessor (202) eine Auswertung erfolgt,

dadurch gekennzeichnet, daß eine Einrichtung (100) zur Erfassung eines linearen oder flächigen Bildes des Sitzes vorgesehen ist, bestehend aus

a) einer Anzahl von auf den Sitz gerichteten Lichtemittern (101), die mehrere einzelne Leuchtflecken ausbilden, um die Kontur des Sitzes in Form von Leuchtflecken zu erfassen und

b) einem Photodetektorenfeld (102), das in einer definierten Entfernung vom Sitz angeordnet ist, und auf dessen Empfangsflächen die einzelnen Leuchtflecken über die Fläche des Sitzes abgebildet werden

und mit dem Prozessor (202), das erfaßte Bild verarbeitet wird, indem aus der geometrischen Zuordnung der auf der Fläche des Sitzes abgebildeten einzelne Leuchtflecken zu den beleuchteten Empfangsflächen des Photodetektors die Kontur des Sitzes ermittelt wird, wobei die Belegung des Sitzes mit einer Person, mit einem Gegenstand, oder ein nicht belegter Sitz unterscheidbar ist."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Die D2 betreffe eine optische Sitzpositionserkennung in einem dreidimensionalen Raum zum Zwecke der automatischen Einstellung von Rückspiegeln und dergleichen und befasse sich im Gegensatz zum Streitpatent nicht mit einer Sitzbelegungserkennung für Sicherheitssysteme. Mit einer Lampe werde eine zusammenhängende Fläche ausgeleuchtet, wobei dann über Abstandsmessung die räumliche Position von weißreflektierenden Bereichen dieser Fläche bestimmt werde. Aus der D2 könne daher keine Anregung ausgehen, zur Erkennung der Sitzbelegung in Fahrzeugen die gesamte Kontur eines Sitzes in Form von einzelnen Leuchtflecken zu erfassen. Bei der im Beschwerdeverfahren von der Einsprechenden erstmals genannten DE-A-4 023 109 (D4) würden mittels mehrerer Abstandssensoren die Sitzpositionen von Fahrzeuginsassen in Verbindung mit Insassenschutzsystemen verwendet. Dabei kämen die Meßstrahlen aus unterschiedlichen Richtungen, um die Abstände, z. B. des Kopfes einer Person, von bestimmten Fixpunkten in verschiedenen Koordinatenrichtungen zu ermitteln. Es sei nicht möglich, Konturen von Personen oder Gegenständen auf dem Sitz wie beim Streitpatent zu erfassen. Für eine Sitzbelegungserkennung sei in der D4 im übrigen auf die Verwendung eines zusätzlichen Sitzkontaktes verwiesen. Weder die D2 noch die D4 könnten daher eine Sitzkonturbestimmung mit einzelnen Leuchtflecken im Sinne des Streitpatents nahelegen.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Bei der Vorrichtung zur Erkennung der Sitzbelegung nach dem Streitpatent ergebe sich die Kontur des Sitzes der Person oder der Gegenstände aus der Verteilung der reflektierten Leuchtflecken. Bei den Sensoreinrichtungen nach der D2 und der D4 werde zwar in erster Linie die Sitzposition eines Fahrzeuginsassen ermittelt, jedoch werde auch die Sitzbelegung bei der D2 automatisch durch den vom Fahrer für die Sensorvorrichtung ausgelösten Startvorgang festgestellt, und bei der D4 sei ein zusätzlicher Sitzbelegungssensor vorhanden. Es gehöre zudem zum allgemeinen Fachwissen, daß Positionssensoren auch zur Erkennung der Präsenz, d. h. der Sitzbelegung verwendbar sind, wie dies z. B. der im Einspruchsverfahren genannten DE-A-4 005 598 (D3), Spalte 4, Zeilen 4 bis 6 zu entnehmen sei. Daher sei es naheliegend, die Positionsermittlungsvorrichtung nach der D2 auch zur Feststellung der Sitzbelegung durch Ermittlung der Sitzkontur zu verwenden. Bei der D2 werde zwar ein ganzflächiges Bild ermittelt, jedoch stelle die beim Streitpatent beanspruchte Sensorvorrichtung, die mit mehreren einzelnen Leuchtflecken arbeite, lediglich einen vereinfachende Rückentwicklung der bekannten Sensorvorrichtung dar, die nichts anderes als eine fortschrittlichere Ausführung der beanspruchten Vorrichtung sei. Außerdem werde in der D2, Spalte 4, Zeile 65, auf die Erfassung eines Brustbildes und in Spalte 8, Zeilen 4 bis 6, auf die Ermittlung der Konturen von abgebildeten Flächen verwiesen. Auch diese Textstellen in der D2 gäben dem Fachmann einen Hinweis, daß die bekannte Positionsermittlungsvorrichtung im Sinne einer Konturenfeststellung wie beim Streitpatent verwendet werden könne. In der D4 sei weiterhin schon der Einsatz von mit Leuchtflecken arbeitenden Sensoren bekannt, mit denen die jeweilige Position eines Fahrers sowie dessen Bewegung sensiert würden. Bei der D4 komme außerdem das gleiche Auswerteprinzip wie beim Streitpatent zur Anwendung, nämlich die sensierten Werte mit Werten aus gespeicherten Musterabläufen zu vergleichen. Es sei daher nicht erfinderisch, ausgehend von der D2, die flächige Ausleuchtung unter Anwendung des bekannten Leuchtfleckenprinzips auf das beim Streitpatent angewandte Leuchtfleckenprinzip zur Konturenerfassung zu reduzieren. Der Gegenstand nach dem Anspruch 1 des Streitpatents beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Zulässigkeit der vorgenommenen Änderungen

Der geltende Anspruch 1 umfaßt sinngemäß die Lehre des erteilten Anspruchs 1, wobei zusätzliche Teilmerkmale aus der ursprünglichen Beschreibung aufgenommen wurden. Der Anspruch 1 erfüllt daher die Anforderungen von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Gegenstand des Anspruchs 1

Ausgehend von den in der Beschreibungseinleitung erörterten Sitzbelegungserkennungssystemen, die aufgrund einer punktuellen Belegungskontrolle, z. B. mit einer Lichtschranke die Art der Sitzbelegung nicht unterscheiden können, bzw. von solchen Systemen, die infolge der Verwendung von Kamerasystemen für die Massenproduktion im Kraftfahrzeugbereich viel zu teuer sind, besteht die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin, die Erfassungseinrichtung für das Bild eines Fahrzeugsitzes in einer Vorrichtung zur Erkennung der Sitzbelegung einfacher und billiger auszubilden. Mittels der im Anspruch 1 des Streitpatents definierten Vorrichtung, bei der eine Anzahl von auf den Sitz gerichteten Lichtemittern mehrere einzelne Leuchtflecken erzeugen, werden die vom Sitz oder der darauf befindlichen Person oder vom Kindersitz reflektierten Lichtflecken in Form eines linearen oder flächigen Bildes erfaßt, wobei ein Prozessor das erfaßte Bild verarbeitet. Aus dem erfaßten Bild wird dann abgeleitet, ob der Sitz belegt oder nicht belegt ist oder ob ein Kindersitz auf dem Sitz angebracht ist und ob sich die Person zum Armaturenbrett hin verlagert hat.

4. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

4.1. Die D2 betrifft ein System zur Erkennung von Körperhaltungen durch Vermessung von Fahrzeugnutzern, von denen ein Brustbild ganzflächig erfaßt wird. Anhand heller Flächen des Bildes, z. B. dem Gesicht der Person, wird die Position von Gesichtsteilen, z. B. eines Auges, in einem dreidimensionalen Koordinatensystem bestimmt. Aufgrund der ermittelten Position wird dann die automatische Einstellung von Rückspiegeln, Luftauslässen, Lenkradwinkel usw. vorgenommen. Eine Erfassung der Kontur des Sitzes einschließlich darauf befindlicher Personen oder Gegenstände durch einzelne Leuchtflecken wie beim Streitpatent ist nicht vorgesehen.

Die D3 beschreibt mehrere Ausführungsmöglichkeiten, mit denen die Erkennung der Präsenz, der Position und/oder der Bewegungsgeschwindigkeit der Fahrzeuginsassen relativ zur Fahrgastzelle möglich ist. Die Kontur des Sitzes wird ebenfalls nicht erfaßt.

Nach der D4 wird die Position eines Fahrzeuginsassen durch einen oder mehrere Sensoren, z. B. optisch-geometrische Vielfach-Abstandssensoren, ein-, zwei- oder dreidimensional ermittelt. Dabei werden Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung erfaßt und in ein Rückhaltesystem für Personenschutz eingegeben, um eine geeignete Schutzmaßnahme auszulösen. Die Präsenz der Person wird vorher mittels eines Sitzkontaktes festgestellt. Bei dieser bekannten Vorrichtung erzeugen zwar die Sensoren ebenso wie beim Streitpatent mehrere Leuchtflecken, eine Ermittlung der Sitzkontur und der Art der Belegung des Sitzes wird aber nicht angestrebt und ist aufgrund der Anordnung der Sensoren und der Art der Auswerteeinrichtung nicht möglich.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist im Vergleich zum insgesamt aufgedeckten Stand der Technik unbestritten neu.

4.2. Die bekannten Einrichtungen zum Erfassen der räumlichen Position eines Fahrzeugbenutzers enthalten zwar direkte oder auch indirekte Hinweise auf Sitzbelegungs-Ermittlungsvorrichtungen, vgl. das bei der D2 hierzu indirekt wirksame Zündschloßsignal bzw. den bei der D4 erwähnten Sitzkontakt bzw. den in der D3 erwähnten Mikrowellen-Radar-Sensor zur Erkennung der Präsenz. Diese unterscheiden sich jedoch von dem beanspruchten Erkennungssystem dadurch, daß mit ihnen die Art der Sitzbelegung im Sinne des Streitpatents nicht zu ermitteln ist. Die Vorrichtung nach dem Anspruch 1 des Streitpatents umfaßt die Verwendung von nach dem Lichtfleckenprinzip arbeitenden Sensorvorrichtungen für die Erfassung einer Kontur, wofür sich beim Stand der Technik kein Vorbild findet. Es handelt sich daher beim Streitpatent nicht um den einfachen Austausch einer bekannten ganzflächigen Ausleuchtung gegen eine mit Leuchtflecken arbeitende Vorrichtung, wie dies die Beschwerdegegnerin geltend macht, sondern um die Verwendung des für einen anderen Zweck (vgl. D4) benutzten Leuchtfleckenprinzips innerhalb eines neuen Systems zur Erfassung der Kontur eines Sitzes zwecks Unterscheidung von dessen Belegung mit einer Person oder einem Gegenstand. Der Stand der Technik nach den Druckschriften D2 bis D4 vermag daher auch in Kombination keine Anregung im Sinne der beanspruchten Vorrichtung zu geben.

Im übrigen kommt es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht darauf an, ob in rückschauender Betrachtungsweise der Fachmann durch Modifikation des Standes der Technik zur Erfindung hätte kommen können; zu fragen ist vielmehr, ob er in Erwartung der mit dem Streitpatent erzielten Vorteile, d. h. ob er angesichts der technischen Aufgabe dies getan hätte, weil dem Stand der Technik Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren. Dies ist hier nicht der Fall, da, wie schon ausgeführt, der Stand der Technik keine Belegungserkennungseinrichtung offenbarte, die nach dem Prinzip der Konturenerfassung mit dem vom Streitpatent angestrebten Resultaten arbeitete. Somit war es für einen Fachmann nicht möglich, unter Anwendung seines Fachwissens die bekannten Vorrichtungen in naheliegender Weise im Sinne des Streitpatents abzuwandeln bzw. anstelle der in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents genannten, im Ergebnis ungenügenden, punktuell arbeitenden Erkennungssysteme oder eines teueren Kamerasystems das relativ einfache und billigere System gemäß dem Streitpatent vorzuschlagen.

4.3. Aufgrund dieser Betrachtungen kommt die Beschwerdekammer zu dem Schluß, daß der Gegenstand nach dem Anspruch 1 des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Das Patent hat somit auf der Basis der geltenden Unterlagen Bestand.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruch 1 und den Ansprüchen 2 bis 4 sowie der Beschreibung und den Figuren wie erteilt aufrechtzuerhalten.

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