T 0029/00 () of 3.9.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T002900.20020903
Datum der Entscheidung: 03 September 2002
Aktenzeichen: T 0029/00
Anmeldenummer: 93103088.6
IPC-Klasse: C22C 1/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 994 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Metallschaumkörpern
Name des Anmelders: MEPURA METALLPULVERGESELLSCHAFT mbH
Name des Einsprechenden: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung
e.V.
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 R 76(2)
European Patent Convention 1973 R 76(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Rechtliches Gehör (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 0 559 097 zu widerrufen. Mit dem Einspruch war das Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (Mangel an erfinderischer Tätigkeit) gestützt auf acht Druckschriften angegriffen worden.

D1: Zeitschrift Metallkunde, 73, 1982, Heft 7, Seiten 411 bis 419

D2: Metall, Deutsche Gesellschaft für Metallkunde, 36. Jahrgang, 1982, Heft 3, Seiten 269 bis 279

D3: Aluminium Taschenbuch, 3. Auflage, 1988, Seiten 274 bis 277

D4: DE-C-4 018 360

D5: DE-A-4 101 630

D6: US-A-3 087 807

D7: DE-A-1 164 102

D8: GB-A-1 370 894.

In ihrer am 2. November 1999 zur Post gegebenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Auffassung, daß dem patentierten Gegenstand die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf die Zusammenschau der Lehre der Druckschrift D6 mit einer der Druckschriften D2, D3 oder D8 fehle.

Gegen die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 5. Januar 2000 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. In der am 13. März 2000 eingegangenen Beschwerdebegründung verwies die Beschwerdeführerin, neben der im Einspruchsverfahren genannten Druckschrift D5, unter anderem auf

D11a: Eidesstattliche Erklärung von H. Wörz

D11b: Gutachtliche Stellungnahme von Prof. Singer

D15: Liste der von den Firmen HOLTON und BWE verkauften CONFORM-Anlagen

und die Druckschriften

D16: CHEMETALL Merkblätter TiH2 und ZrH2, Precautionary and Handling Advice

D17: DE-C-4 124 591 (nachveröffentlicht).

II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat ihrerseits im Beschwerdeverfahren die Druckschriften

D13: Metal Powder Report, A. Henly: Conform- continuous extrusion of powder products, April 1991, Seiten 44 bis 47

D14: GB-A-2 015 035

zitiert.

III. Am 3. September 2002 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt, an deren Ende die Antragslage wie folgt war:

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte

- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung;

- die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des mit Schriftsatz vom 31. Juli 2002 eingereichten, in der mündlichen Verhandlung angepaßten Anspruchs 1 (Hauptantrag) oder

- mit dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruch 1 (Hilfsantrag), jeweils gefolgt von den abhängigen Ansprüchen wie erteilt.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Metallschaumkörpern, bei welchem ein Metallpulver mit einem Treibmittelpulver gemischt, das Pulvergemisch in einem Rezipienten auf eine erhöhte Temperatur gebracht und durch eine Matrize hindurch stranggepreßt wird, das Preßteil durch Erwärmen unter Zersetzung des Treibmittelpulvers nachfolgend aufgeschäumt und als fertiger Schaumkörper abgekühlt wird, dadurch gekennzeichnet, daß

- das Gemisch Metallpulver/Treibmittelpulver kontinuierlich in einen zur Matrize führenden Kanal eingeführt wird,

- der Kanal eine zur Matrize hin fördernde, sich bewegende Wandkomponente aufweist, durch die das Pulvergemisch im Kanal durch Reibung ohne zusätzliche Beheizung unter Vorkompaktierung zur Matrize transportiert wird,

- das vorkompaktierte Pulvergemisch durch die Matrize hindurch mit einem Umformgrand von wenigstens 5:1 zu einem aufschäumbaren Extrudat ausgepreßt wird, wobei die Geschwindigkeit der Wandkomponente so gewählt wird, daß die für die Vorkompaktierung erforderliche Erwärmung der bei dem Transportvorgang erzeugten Wärme entstammt."

Der Wortlaut von Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich hiervon dadurch, daß er die fettgedruckten Passagen von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht enthält und an seinem Ende der Wortlaut

"...und das aufschäumbare Extrudat dann kontrolliert zur Herstellung eines Schaumes erhitzt wird."

eingefügt wurde.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) argumentierte wie folgt:

Die Einspruchsabteilung gründe ihre Entscheidung hauptsächlich darauf, daß der Fachmann, ausgehend von der Lehre von Druckschrift D6, zwangsläufig (d. h. "in einer Art Einbahnstraßen-Situation") zur Anwendung des CONFORM-Verfahrens gelangen würde, um aufschäumbare Extrudate beliebiger Länge herzustellen. Sie behaupte, diese Bewertung sei vom Patentinhaber (Herrn Wörz) in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingeräumt worden. Dieses sogenannte "Zugeständnis des Patentinhabers", nämlich daß nur das CONFORM-Verfahren am Anmeldetag der Erfindung zur Herstellung von Extrudaten aus Metallpulvern zur Verfügung gestanden habe, sei jedoch objektiv falsch, sinnentstellt wiedergegeben und auch so vom Erfinder niemals ausgesagt worden (siehe D11: Eidesstattliche Erklärung von Herrn Wörz). Da kein von der Patentinhaberin gegengezeichnetes Protokoll mit einem solchen "Zugeständnis" des Patentinhabers vorliege, gründe die Einspruchsabteilung ihre Ansicht auf eine in einem Gedächtnisprotokoll niedergeschriebene (falsche) Annahme, zu der sich der Patentinhaber nicht in ausreichendem Maße habe äußern können. Dies bedeute eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Weiterhin habe die Einspruchsabteilung den sogenannten "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" im vorliegenden Fall falsch angewendet, indem sie sich zu sehr auf den Ausdruck "Extrudat" konzentrierte. Die Erfindung betreffe jedoch allgemein die Herstellung von Metallschaumkörpern in beliebiger Länge, nicht nur von Extrudaten. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise sei die mit der diskontinuierlichen Herstellung von aufschäumbaren "Extrudaten" befaßte Druckschrift D6, obwohl sie in der Patentschrift erwähne sei, nicht der nächstkommende Stand der Technik, sondern vielmehr die Druckschriften D5 bzw. D4. Diese zeitlich näher am Prioritätstag der Erfindung liegenden Druckschriften offenbarten bereits die kontinuierliche Herstellung von aufschäumbaren Metallkörpern durch Pulverwalzen oder Pulverschmieden. Das Patent habe zwar gegenüber der Lehre von Druckschrift D5 die gleiche Aufgabe, löse diese allerdings durch ein alternatives, technisch weniger aufwendiges Verfahren.

Die Verarbeitung von Pulver sei mit dem CONFORM-Verfahren - im Gegensatz zu den wiederholten Aussagen in D2, D3 und D8 - zum Prioritätszeitpunkt nicht möglich gewesen. Dies belegten die Verkaufslisten der Firmen BWE und HOLTON (D15), wonach entweder nur Stangenmaterial ("rods") oder allenfalls Granulat verarbeitet worden sei. Auch die spätere Druckschrift D13 stütze die Aussage, daß erst durch die Entwicklung von abgewandelten Bauteilen ("modified tooling designs") für das CONFORM-Verfahren eine Verarbeitung von Pulver zu Extrusionsprodukten mit befriedigender Qualität möglich wurde. Zwar erwähne D13 die Verarbeitung von Aluminium-Pulver mit nichtmetallischen Anteilen aus Graphit oder Siliziumcarbid, jedoch nicht das Extrudieren einer Pulvermischung aus Al-Pulver und einem extrem gefährlichen, gar explosiven Zusatzstoff wie Titanhydrid oder Zirkoniumhydrid (siehe D16). Von der Verarbeitung solcher gefährlicher Mischungen sei der Fachmann auch bereits durch die Überlegung abgehalten worden, daß er die beim CONFORM-Verfahren durch die Reibung des Treibrades entstehende Wärmeentwicklung in dem zur Matrize führenden Kanal überhaupt nicht habe abschätzen können und somit das Risiko beim Extrudieren solcher Mischungen kaum einschätzbar gewesen sei. Es habe mithin nicht nahegelegen, das Conform-Verfahren für die Herstellung von aufschäumbaren Extrudaten einzusetzen.

V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) argumentierte wie folgt:

Die Einspruchsabteilung habe ihre Entscheidung nicht ausschließlich auf die im Protokoll der mündlichen Verhandlung angegebene Aussage des Erfinders, Herrn Wörz, gegründet. Vielmehr sei sie aufgrund der fachlichen Bewertung des vorgebrachten Standes der Technik zu der Überzeugung gelangt, daß der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zu der Lehre des Patents gelangt wäre. Sie mußte sich dabei nicht auf eine unklare Gedächtniserinnerung bezüglich der Aussagen von Herrn Wörz stützen, welcher im übrigen das im Einspruchsverfahren entstandene Gesamtbild nur bestätigt habe. Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs könne deshalb keine Rede sein.

In der Beschreibungseinleitung des angefochtenen Patents werde unmißverständlich die Verarbeitung von Extrudaten aus Metallpulver und Treibmittel angesprochen. Deshalb sei auch - technisch zutreffend - die Druckschrift D6 bereits als nächstkommender Stand im Patent gewürdigt, denn der daraus bekannte Extrudierprozeß ermögliche das Aufbrechen der die Al-Pulverteilchen umhüllenden Oxidfilme, wodurch ein sicheres und festes Einbetten des Treibmittels in der Aluminium-Matrix gewährleistet werde. Bei der Suche nach einem Verfahren, das die Herstellung von Extrudaten beliebiger Länge, d. h. eines schaumfähigen Endlosprodukts, erlaube, stoße der Fachmann aber unweigerlich auf das CONFORM-Verfahren, denn dieses Verfahren ermögliche als einziges ein kontinuierliches Extrudieren von Pulvermaterialien und eigne sich insbesondere für die Verarbeitung von Aluminiumpulver. Dieser technische Sachverhalt werde immer wieder im Stand der Technik aufgezeigt und letztlich in aller Deutlichkeit auch in der kurz vor dem Prioritätstag des Patent veröffentlichten Druckschrift D13 beschrieben und bestätigt. Auch die das CONFORM-Verfahren betreffende Druckschrift D14 belege bereits das Extrudieren von pulverartigen Al-2%Fe Material ("splats"). Im übrigen zeigten die im Patent genannten Korngrößen von =< 3000 um, bzw. =< 600 um, daß es sich bei dem im Patent verarbeiteten Aluminium-Material letztendlich um Granulat im üblichen Sinne oder zumindest um sehr grobes Pulver handele, wofür sich das CONFORM-Verfahren ja auch nach den Verkaufslisten der Patentinhaberin in jedem Fall eigne.

Weiterhin sei die vom Patentinhaber immer wieder betonte Gefährlichkeit und Explosionsneigung von Titanhydrid oder Zirkoniumhydrid keineswegs so kritisch zu bewerten wie sie es behauptet. Dies ergebe sich bereits aus der Tatsache, daß das Treibmittel in relativ starker Verdünnung von nur ca. 0.1 Gewichtsprozent dem Aluminiumpulver zugesetzt werde und das Extrudat erst bei einer Erhitzung auf 600 °C langsam und in kontrollierter Weise aufgebläht werde, anstatt explosionsartig den gespeicherten Wasserstoff freizugeben. Im übrigen sei der Fachmann bereits aus dem Stand der Technik D6 mit der Verarbeitung solcher Gemische bestens vertraut und wisse, wie er mit solchen Materialien umzugehen habe. Deshalb seien auch die Überlegungen der Patentinhaberin, die Temperaturverhältnisse im Vorkompaktierkanal des Conform-Verfahrens seien ganz und gar nicht einschätzbar gewesen, für den Fachmann kein entscheidendes Hindernis gewesen, dieses Verfahren wenigstens in Betracht zu ziehen. Die Anwendung des CONFORM-Verfahrens zur Herstellung von aufschäumbaren Endlos-Extrudaten habe somit für den Fachmann nahegelegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag; Änderungen

Das im kennzeichnenden Teil eingefügte Merkmal, daß das Pulvergemisch im Kanal durch Reibung ohne zusätzliche Beheizung vorkompaktiert wird, stützt sich auf die Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 35 bis 46. Die Einfügung "zu einem aufschäumbaren Extrudat" ergibt sich eindeutig aus dem Oberbegriff von Anspruch 1. In formaler Hinsicht ist Anspruch 1 des Hauptantrags somit nicht zu beanstanden.

3. Der Gegenstand des Patents

Nach der Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 3 bis 5 betrifft das angefochtene Patent ein Verfahren zur Herstellung von Metallschaumkörpern, wobei ein aus Metallpulver und einem Treibmittel bestehendes Pulvergemisch durch eine Matrize gepreßt und zu einem Strangpreßteil geformt wird, welches durch Erhitzen unter Zersetzung des Treibmittels aufgeschäumt wird. Sowohl in Anspruch 1 als auch insbesondere in der Einleitung der Beschreibung ist immer wieder von "Strangpressteilen", "zu extrudierendem Material" und "Extrudaten" die Rede, (siehe Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 13/14; 19; 23/24; 27/28; 34), so daß für den technisch vorgebildeten Leser keinerlei Zweifel bestehen, daß es sich im vorliegenden Fall ausschließlich um ein Extrusionsverfahren handelt.

Die Kammer kann sich deshalb der von der Patentinhaberin geäußerten Ansicht, das Patent beschränke sich nicht nur auf Extrudierverfahren, sondern betreffe vielmehr eine Vielzahl von Verfahren zur Herstellung von Metallschaumkörpern allgemein nicht anschließen, denn diesbezüglich enthält die Patentschrift keinerlei Hinweise.

4. Nächstkommender Stand der Technik

In der Praxis der Beschwerdekammern wird bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit in der Regel der Aufgabe-Lösungs-Ansatz angewendet, dessen erster Schritt darin besteht, den nächstliegenden Stand der Technik zu ermitteln. Dazu haben die Beschwerdekammern bestimmte Kriterien aufgestellt, anhand derer der nächstkommende Stand der Technik bestimmt werden kann, der als Ausgangspunkt für die Beurteilung dient. Als nächstliegender Stand der Technik ist in der Regel eine Druckschrift anzusehen, welche einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde und am wenigsten strukturelle und funktionelle Änderungen erforderlich macht. Auch soll beim Auffinden des nächstkommenden Standes der Technik dem fiktiven Beurteilungsprozeß eine Ausgangssituation zugrunde gelegt werden, die sich möglichst realistisch der vom Erfinder vorgefundenen Ausgangssituation annähert (siehe dazu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Auflage 2001, I-D, insbesondere 3.1 und 3.2).

Da sich das angefochtene Patent, wie unter Punkt 3 dargelegt, unzweideutig auf das Extrudieren von Metallpulvermischungen mit einem darin enthaltenen Treibmittel zu einem Strangpreßteil bezieht, ist der nächstkommende Stand der Technik demzufolge in einer Druckschrift zu suchen, welche ein Extrusionsverfahren solcher Mischungen beschreibt. Ein solches Extrusionsverfahren bildet den Gegenstand der in der Patentschrift gewürdigten Druckschrift D6, aus der die Patentinhaberin offensichtlich den Oberbegriff von Anspruch 1 abgeleitet hat.

Die von der Pateninhaberin im Beschwerdeverfahren als nächstliegender Stand der Technik angesehenen Druckschriften D4 und D5 betreffen keine Extrusionsverfahren, sondern entweder ein Heißpressen bzw. heißisostatisches Pressen ("HIPing") der Metall-Treibmittel-Pulvermischung zu einem Halbzeug (siehe D4, Spalte 2, Zeilen 13 bis 20) oder aber ein Heißkompaktieren dieser Mischung durch Walzen bei erhöhter Temperatur und bei einem Druck, der ein Zersetzen des Treibmittels verhindert (siehe D5, Ansprüche 1, 4 und 5). Aufgrund dieser Sachlage besteht keine Veranlassung, eine andere als die von der Patentinhaberin selbst in der Beschreibungseinleitung genannte Druckschrift D6 als nächstliegenden Stand der Technik heranzuziehen, denn diese spiegelt realistisch die vom Erfinder vorgefundene Ausgangssituation wider.

5. Aufgabe und Lösung

Das beanspruchte Verfahren unterscheidet sich von demjenigen nach Druckschrift D6 dadurch, daß dort die Metallpulver-Treibmittel-Mischung chargenweise in einen Preßzylinder mit begrenztem Inhalt gefüllt und extrudiert wird und somit die Länge der Extrudate begrenzt ist. Ausgehend von der Lehre von Druckschrift D6 liegt dem angefochtenen Patent folglich die Aufgabe zugrunde, diesen Nachteil zu beheben und ein Verfahren für die genannten Mischung bereitzustellen, mit dem Extrudate beliebiger Länge hergestellt werden können (siehe Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 26 bis 29).

Die Lösung dieser Aufgabe besteht in der Anwendung des CONFORM-Extrudierverfahrens, das einen kontinuierlichen Materialstrom zur Matrize erlaubt und somit die Herstellung von Endlos-Extrudaten ermöglicht.

Dieser Aufgabe-Lösungs-Ansatz wurde auch von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung gewählt (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 4.1 bis 4.3). Er stimmt im übrigen vollkommen mit dem in der Patentschrift aufgezeigten Problem-Lösungs-Ansatz überein. Die Kammer kann somit - entgegen der von der Patentinhaberin vorgetragenen Bedenken - auf dem Hintergrund der in den Punkten 3 und 4 dargestellten Methodik eine unrichtige Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes durch die Einspruchsabteilung nicht erkennen.

6. Erfinderische Tätigkeit

Die gefundene Lösung liegt jedoch aus den folgenden Gründen für den Fachmann nahe.

Um stranggepreßte Extrudate beliebiger Länge herstellen zu können, wird sich der Fachmann nach einem im wesentlichen kontinuierlich arbeitenden Strangpreßverfahren umsehen, denn allein ein solches Verfahren ist in der Lage, die gestellte Aufgabe lösen. Dabei wird er beim Studium der Druckschriften D1 bis D3, welche eine Übersicht über die technisch einsetzbaren Verfahren bieten, und der Druckschriften D8 und D13 wiederholt auf den Hinweis stoßen, daß mit dem LINEX-Verfahren und dem CONFORM-Verfahren zwei kontinuierliche Strangpreß-Verfahren zur Verfügung stehen, von denen jedoch allein das CONFORM-Verfahren eine wirtschaftliche Bedeutung erlangt hat (vgl. D1, Seite 417, rechte Spalte, Absatz 2 bis 4; D2, Seite 273, mittlere und rechte Spalte, Punkte 3.1 bis 3.6, Punkt 5; D8 und D13 insgesamt). In den genannten Druckschriften wird immer wieder hervorgehoben, daß das CONFORM-Verfahren sich besonders für die Verarbeitung von Aluminium in Stab- und Granulatform eignet und daß auch die Verarbeitung von Pulver grundsätzlich als möglich angesehen wird. Bereits in dem 1974 veröffentlichen Basispatent (D8) für das CONFORM-Verfahren wird das Zuführen und Extrudieren von Pulver ("powdered material") angesprochen (siehe D8, Seite 3, Zeile 40 und Seite 4, Zeilen 15 bis 29). Auch die 1979 veröffentlichte Patentschrift D14 betrifft die Verarbeitung von pulverförmigen Al-2%Fe Teilchen mit dem CONFORM-Verfahren (D14, Seite 1, Spalte 2, Zeilen 85 bis 109). Weiterhin wird in dem 1982 veröffentlichten Übersichtsartikel D2 darauf hingewiesen, daß (im Gegensatz zum LINEX-Verfahren, das ein Material in vorgeformten Rechteckquerschnitten erfordert) das Vormaterial beim CONFORM-Verfahren beliebig gewählt werden kann, (siehe D2, Seite 273, mittlere Spalte, Absatz 3.2) und daß das Ausgangsmaterial auch aus Spänen bzw. Granulat bestehen oder pulverförmig sein kann (D2, Seite 275, rechte Spalte, Punkt 3.6; D3, Seite 275, Punkt 5.2.2.4). Schließlich zeigt der 1991 veröffentliche Artikel D13: "Conform - continuous extrusion of powder products" unmißverständlich, daß sich das CONFORM-Verfahren leicht an die Verarbeitung von Pulvermaterialien, insbesondere pulverförmigem Aluminium, anpassen läßt und die Möglichkeit eröffnet, Spezialwerkstoffe ("designer materials") wie Verbundwerkstoffe ("metal matrix composites") aus Metallen mit nichtmetallischen Anteilen herzustellen. Als Beispiele werden Extrudate aus Aluminium mit Anteilen an SiC oder Graphit genannt.

Alle diese Hinweise führten den Fachmann bereits am Prioritätszeitpunkt zu dem Schluß, daß mit dem CONFORM-Verfahren das kontinuierliche Extrudieren von Aluminiumpulver auch mit anderen nichtmetallischen Anteilen wie TiH2 oder ZrH2 grundsätzlich als möglich erachtet wurde. Es muß nämlich bei dieser Kenntnis als im Bereich fachmännischen Handelns liegend angesehen werden, das kontinuierlich arbeitende CONFORM-Verfahren zur Lösung der gestellten Aufgabe zumindest auszuprobieren, zumal ja das Extrudieren von Al-TiH2-Pulvermischungen an sich bereits bekannt und technisch beherrschbar war. Es mag zwar zutreffen, daß die Temperaturverhältnisse beim Vorkompaktieren im Kanal des CONFORM-Extruders nicht in jeder Hinsicht genau einschätzbar waren und deshalb die Gefahr einer Verpuffung oder Explosion nicht völlig ausgeschlossen werden konnte, wie die Patentinhaberin behauptet. Die angesprochenen Risiken erscheinen jedoch überschaubar und beherrschbar und würden den Fachmann nicht davon abhalten, das CONFORM-Verfahren schrittweise auszuprobieren. Dabei wird er sich den genannten Problemen dadurch nähern, daß er zunächst in Anfangsversuchen den Anteil der gefährlichen Komponente (in diesem Fall TiH2) sehr gering hält und die durch Reibungskräfte erzeugten Temperaturen in der Anlage durch Messungen am Extrudat sorgfältig überwacht. Gerade das CONFORM-Verfahren bietet die Möglichkeit, über die Reibung durch das Treibrad die Temperaturentwicklung im Verdichtungskanal so zu steuern, daß genügend Wärme erzeugt wird und eventuell auf ein Heizen oder Kühlen verzichtet werden kann (siehe dazu D2, Seite 273, rechte Spalte). Im Rahmen eines solchen Gefahrenmanagements wird der Fachmann dann den Anteil an TiH2 allmählich bis zum optimalen Wert von ca. 0.2 Gewichtsprozent steigern. Dabei kann er auf seine Erfahrungen aus der konventionellen Technik, wie sie D6 beschreibt, zurückgreifen. Somit ist nichterkennbar, daß es zur Verarbeitung von Al-TiH2 Pulvermischungen mit dem CONFORM-Verfahren der ernsthaften Überwindung eines in der Fachwelt bestehenden Vorurteils bedurft hätte, daß der CONFORM-Prozeß zur Lösung der gestellten Aufgabe völlig auszuschließen sei.

Selbst wenn die Verarbeitung von (feinem) Al-Pulver mit dem CONFORM-Verfahren entsprechend D13 erst gegen 1991 technisch durchführbar gewesen sein sollte, so ist zu bemerken, daß die Patentschrift das Verpressen von Al-Korngrößen von bis zu 3000 um = 3 mm mit einschließt. Solche Korngrößen sind aber bereits als Granulat zu betrachten. Die in Druckschrift D15 von der Patentinhaberin vorgelegten Verkaufslisten beweisen jedoch, daß bereits seit 1984 Aluminiumgranulate mit dem CONFORM-Verfahren verarbeitet wurden. Auch diese Tatsache würde den Fachmann dazu führen, den Einsatz des CONFORM-Verfahrens für seine Zwecke zumindest ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Zwar hätte der Fachmann, wie von der Patentinhaberin vorgetragen, die Herstellung von Endlosprodukten beliebiger Länge auch gemäß dem in Druckschrift D5 beschriebene kontinuierliche Heißwalzen vornehmen und dies als nächstkommenden Stand der Technik in Betracht ziehen können. Diese Technologie liefert jedoch keine Extrudate und kann damit die im Patent, Spalte 1, Zeilen 26 bis 29, formulierte Aufgabe nicht lösen. Wollte der Fachmann - ausgehend von D5 - jedoch Extrudate beliebiger Länge herstellen, so würde er unweigerlich wieder auf das CONFORM-Verfahren stoßen, denn wie oben dargelegt bietet allein dieses Verfahren die kontinuierliche Verarbeitung pulverförmiger Mischungen aus Metallen und nichtmetallischen Anteilen. Somit läge auch bei dieser Betrachtungsweise das beanspruchte Verfahren nahe.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Hilfsantrag; erfinderische Tätigkeit

Die gleichen Überlegungen gelten für Anspruch 1 des Hilfsantrags. Da in allen Verfahren das mit dem Treibmittel versehene Extrudat (bzw. Zwischenprodukt) anschließend in kontrollierter Weise zur Herstellung eines Schaums erhitzt wird, enthält der Gegenstand von Anspruch des Hilfsantrags keine weiteren Merkmale, welche das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen könnten.

8. Rechtliches Gehör der Patentinhaberin vor der Einspruchsabteilung

8.1. In den Gründen der angefochtenen Entscheidung (4. Absatz von Punkt 4.4) wird ausgeführt, die Patentinhaberin habe eingeräumt, daß am Prioritätstag des Streitpatents kein anderes Verfahren zum Kompaktieren von Metallpulvern als das CONFORM-Verfahren bekannt gewesen sei. Dies sei jedoch, so die Beschwerdeführerin, eine unkorrekte Wiedergabe der Antwort des Erfinders Wörz auf eine entsprechende Frage in der mündlichen Verhandlung. Sie reichte dazu eine eidesstattliche Erklärung des Herrn Wörz ein und brachte vor, es widerspreche bzw. verletze Artikel 113 EPÜ, ein derart wichtiges Zugeständnis nicht von den Parteien in Form eines unterzeichneten Protokolls oder dergleichen zu sichern, sondern sich auf das bloße Gedächtnis der Einspruchsabteilung zu verlassen.

8.2. Die ordnungsgemäße und inhaltlich richtige Festhaltung jeder Äußerung eines Verfahrenbeteiligten - und um eine solche handelt es sich hier, da der Erfinder Wörz nicht als Zeuge vernommen wurde - in der Niederschrift über eine mündliche Verhandlung ist nicht bestimmend für die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ. Maßgeblich nach dieser Bestimmung ist vielmehr, ob die jeweilige "Entscheidung .... nur auf Gründe gestützt [wurde], zu denen die Beteiligten sich äußern konnten". Demnach ist die Entscheidung(sbegründung) unter diesem Kriterium zu überprüfen, wobei der Begriff "Gründe" nicht bloß im engen Sinne einer zu erfüllenden Voraussetzung nach dem EPÜ zu verstehen ist, sondern Bezug nimmt auf die sich auf die Tatsachen und rechtlichen Gründe stützenden Überlegungen, die zur angefochtenen Entscheidung geführt haben (eine Entscheidung für viele: T 951/92 - ABl. EPA 1996, 53). Ob diese Angaben und Überlegungen auch richtig sind, ist für das rechtliche Gehör allerdings nicht relevant, sondern Gegenstand der Beurteilung in der Sache (hier abgehandelt im vorangehenden Abschnitt Pkt. 2 bis 7).

8.3. Die in der angefochtenen Entscheidung befundene mangelnde erfinderische Tätigkeit, die zum Widerruf des Streitpatents geführt hat, ist jedoch keineswegs auf ein (angebliches,) das CONFORM-Verfahren betreffendes Anerkenntnis der Beschwerdeführerin gegründet. Vielmehr ist die Einspruchsabteilung dazu aufgrund einer von ihr eigenständig vorgenommenen inhaltlichen Analyse und Zusammenschau insbesondere der Dokumente D1 bis D3 und D8 (CONFORM-Verfahren zur Herstellung kontinuierlicher Extrudate aus Metallpulvern) sowie D6 (Verpressen von mit Treibmittelpulvern versetzten Metallpulvern zu massiven Extrudaten) gelangt; dies wird nicht zuletzt auch dadurch unterstrichen, daß diese Überlegungen und Schlußfolgerungen, einschließlich der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, deutlich und nachvollziehbar bereits im die mündliche Verhandlung vorbereitenden Bescheid vom 15. Dezember 1998 aufgezeigt wurden. Somit hatten die Beteiligten jedenfalls Gelegenheit, sich zu diesen Gründen zu äußern, bevor die sich darauf stützende Entscheidung am 13. Oktober 1998 ergangen ist. Sie haben davon auch tatsächlich Gebrauch gemacht, wie aus der Verhandlungsniederschrift, den Entscheidungsgründen und letztlich auch dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren, einschließlich der dort vorgelegten eidesstattlichen Erklärung, ersichtlich ist. Selbst die vom Erfinder abgegebene Äußerung - ob sie nun wie in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt oder in der eidestattlichen Erklärung angegeben lautete - war Teil der mündlichen Erörterung der entscheidenden Frage, ob die Anwendung des unstreitig bekannten CONFORM-Verfahrens auf treibmittelhaltige Metallpulver naheliegend i. S. v. Artikel 56 EPÜ war oder nicht.

8.4. Aus den in Pkt. 8.2 oben dargelegten Grundsätzen folgt auch, daß aus Formfehlern einer Niederschrift als solchen kein Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ abgeleitet kann, da die Niederschrift nicht Teil der Entscheidung(sgründe) ist. Abgesehen davon lag hier keine solcher Formfehler vor: Abfassung und Genehmigung der Niederschrift über eine mündliche Verhandlung vor dem EPA ist in Regel 76 (3) EPÜ klar und vollständig festgelegt. Demnach wird die Niederschrift "von dem Bediensteten, der sie aufnimmt, und dem Bediensteten, der die mündliche Verhandlung ... leitet, durch ihre Unterschrift ... als authentisch bestätigt". Das ist hier ordnungsgemäß erfolgt. Die Genehmigung einer Niederschrift ist nur für eine Aussage vorgesehen, die im Rahmen einer Beweisaufnahme gemacht wurde ("testimony"/"déposition"), und zwar durch die "Person, die ausgesagt hat" und nicht durch die Verfahrensbeteiligten als solche (Regel 76 (2) EPÜ).

Diese Regelung, die zahlreiche nationale Vorbilder hat, ist durchaus sachgerecht, einerseits im allseitigen Interesse eines zügigen Verfahrensabschlusses und einer raschen Entscheidung (nach der Praxis des EPA am Ende der mündlichen Verhandlung), andererseits auch unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Rechte der Parteien: Als Korrektiv für immer mögliche Unrichtigkeiten einer Verhandlungsniederschrift ist deren förmliche, unmittelbare Genehmigung durch alle Verfahrensbeteiligten gar nicht erforderlich, da jeder von ihnen die - auch aus nationalem Recht bekannte - Möglichkeit hat, Protokollrüge direkt an das Entscheidungsorgan zu erheben, vor dem die mündliche Verhandlung stattgefunden hat und welches für die Verfassung der Niederschrift verantwortlich ist. Von dieser Möglichkeit hat die Patentinhaberin jedoch keinen Gebrauch gemacht. Für eine über den klaren Wortlaut von Regel 76 (3) EPÜ hinausgehendes Genehmigungserfordernis von Niederschriften über Verhandlungen vor dem EPA besteht weder ein sachlicher Bedarf noch eine rechtliche Grundlage.

8.5. Im Ergebnis kann daher, ohne dem tatsächlichen Inhalt der betreffenden Aussage (oder der Richtigkeit deren Wiedergabe in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und in der Begründung der angefochtenen Entscheidung) nachgehen zu müssen, festgestellt werden, daß die seitens der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 113 (1) EPÜ) nicht gegeben ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation