R 0010/22 (Antrag auf Überprüfung) of 1.4.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:R001022.20250401
Datum der Entscheidung: 01 April 2025
Aktenzeichen: R 0010/22
Anmeldenummer: 10075420.9
IPC-Klasse: A24C 5/39
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verteilervorrichtung und Verfahren zum Beschicken einer Zigarettenstrangmaschine
Name des Anmelders: Hauni Maschinenbau GmbH
Name des Einsprechenden: G.D S.p.A.
Kammer: EBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 112a(1)
European Patent Convention Art 112a(2)(c)
European Patent Convention Art 112a(4)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 106
European Patent Convention R 107
European Patent Convention R 109(2)(a)
Rules of procedure of the Enlarged Board of Appeal Art 13
Rules of procedure of the Enlarged Board of Appeal Art 14(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 17(2)
Schlagwörter: Antrag auf Überprüfung - offensichtlich unzulässig
Antrag auf Überprüfung - offensichtlich unbegründet
Einhaltung der Rügepflicht - nein
Schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0001/08
R 0017/10
R 0019/11
R 0021/11
R 0015/12
R 0002/14
R 0012/14
R 0008/17
R 0010/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2022 wurde von der Beschwerdeführerin/Einsprechenden (Antragstellerin) unter gleichzeitiger Zahlung der entsprechenden Gebühr ordnungsgemäß ein Antrag gemäß Artikel 112a EPÜ auf Überprüfung (Überprüfungsantrag) der in der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2022 verkündeten und am 2. März 2022 den Parteien mit schriftlicher Begründung übermittelten Entscheidung T 1458/17 der Technischen Beschwerdekammer 3.2.01 gestellt.

II. Mit dieser Entscheidung war die Beschwerde zurückgewiesen worden, die die Antragstellerin gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs durch die Einspruchsabteilung eingelegt hatte. Die Antrag­stellerin hatte im Beschwerdeverfahren u.a. mangelnde Neuheit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche 1 und 15 des erteilten Patents (Hauptantrag) gegenüber D4 mit der Argumentation begründet, dass

- unter den Begriff ,,sichten einer Materialmischung" auch ein Sieben des Materials falle,

- entsprechend eine Siebvorrichtung einen ,,Sichter zur Trennung von Mischungskomponenten" darstelle,

- sich dieses Verständnis auch aus den im Beschwerdeverfahren erstmals eingereichten Dokumenten D1a und D18 bis D20 ableiten ließe, und

- die Offenbarung des Dokuments D4 auch die weiteren Anspruchsmerkmale offenbare.

In der zu überprüfenden Entscheidung befand die Beschwerdekammer aber, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 15 neu und erfinderisch sei.

III. Die Antragstellerin stützte den Überprüfungsantrag auf Artikel 112a (2) c) EPÜ und machte zusammenfassend geltend, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ dadurch schwerwiegend verletzt worden sei, dass

a) die Entscheidung sich auf Beweismittel stützte, die nicht zugelassen und somit nicht im Beschwerde­verfahren seien (D18 und ,,D20b"; vgl. Entscheidungsgründe, Punkte 1.3 und 1.3.2);

b) das rechtserhebliche Vorbringen, das die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgetragen habe, nicht berücksichtigt worden sei;

c) die Beweismittel, auf die sich diese rechts­erheblichen Argumente stützten (,,D20a") außer Acht gelassen worden seien, und

d) die Entscheidung auf Gründen fuße, die der Antragstellerin nie mitgeteilt worden seien, zu keinem Zeitpunkt für sie erkennbar gewesen seien und zu denen sie keine Gelegenheit erhalten hätte, sich zu äußern (vgl. Entscheidungsgründe, Punkte 1.3.2, 1.3.4 und 1.5).

Nachfolgend wird die Beanstandung der Antragstellerin betreffend die Punkte 1.3.2 und 1.3.4 der Entscheidungsgründe als Verfahrensmangel d)(i) und betreffend den Punkt 1.5 als Verfahrensmangel d)(ii) bezeichnet.

IV. Die Antragstellerin beantragte die Aufhebung der Entscheidung T 1458/17 vom 11. Februar 2022 und die Wiedereröffnung des Verfahrens vor der zuständigen Beschwerdekammer sowie die Ersetzung der Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der Entscheidung mitwirkten.

V. Antragsgemäß lud die Große Beschwerdekammer in der Besetzung nach Regel 109 (2) a) EPÜ die Antragstellerin zur mündlichen Verhandlung.

VI. In einer gemäß Artikel 13 und 14 (2) VOGBK zum Zwecke der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung unterrichtete die Große Beschwerdekammer die Antragstellerin davon, dass nach vorläufiger Auffassung der Großen Beschwerdekammer der Überprüfungsantrag offensichtlich unbegründet sei.

VII. In einem weiteren Schriftsatz, eingegangen am 18. März 2025, machte die Antragstellerin weitere Ausführungen zur Stützung ihres Überprüfungsantrags.

VIII. Die mündliche Verhandlung vor der Großen Beschwerde­kammer fand am 1. April 2025 in Anwesenheit der Antragstellerin statt. Es wurden die im Überprüfungs­antrag geltend gemachten Verfahrensmängel im Hinblick auf die Zulässigkeit und Begründetheit erörtert. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende den Tenor der vorliegenden Entscheidung.

IX. In Bezug auf die oben genannten Dokumente D18, ,,D20a" und ,,D20b" und das Verfahren vor der Beschwerdekammer sei Folgendes vorweggeschickt:

a) Mit der Beschwerdebegründung hatte die Antrag­stellerin die neuen Dokumente D1a, D18, D19 und D20 eingereicht und deren Zulassung zum Verfahren beantragt.

Bei dem Dokument D20 handelt es sich um eine Seite 219 ohne Quellennachweis mit Text in englischer Sprache u.a. beinhaltend eine Erläuterung des Ausdrucks ,,sifting". Das Dokument war von der Antragstellerin mit dem Hinweis eingereicht worden, dass es sich um einen Auszug aus der ,,Tobacco Encyclopedia" handelte.

Im Überprüfungsantrag wurde das Dokument D20 von der Antragstellerin als ,,D20a" bezeichnet.

b) Die Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin hatte in ihrer Beschwerdeerwiderung den fehlenden Quellennachweis des Dokuments D20 beanstandet und ihrerseits als ,,Anlage A1" die Seiten 420 bis 423 der ,,Tobacco Encyclopedia", Erscheinungsjahr 1984 (von der Antragstellerin im Überprüfungsantrag als ,,D20b" bezeichnet), eingereicht.

In Bezug auf die von der Antragstellerin neu eingereichten vier Dokumente hatte die Beschwerde­gegnerin beantragt, diese nicht zum Verfahren zuzulassen, hatte sich darüber hinaus aber auch inhaltlich mit diesen Dokumenten auseinander­gesetzt, wobei sie sich zur Stützung ihres eigenen Standpunkts zur Auslegung der Begriffe ,,sichten" bzw. ,,Sichter" auch auf Passagen in den von der Antragstellerin neu eingereichten Dokumenten berief.

c) Weitere schriftliche Einlassungen zum Streitstoff gab es im Beschwerdeverfahren nicht, mithin also auch keinen Antrag der Antragstellerin, das von der Beschwerdegegnerin eingereichte Dokument ,,Anlage A1" nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.

d) In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK, die die Beschwerdekammer in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erließ, lautet es u.a. wie folgt:

,,I. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beantragt..., die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D18 - D20 zum Verfahren zuzulassen. D1a sieht sie als ein sich bereits im Verfahren befindliches Dokument an.

II. Die Beschwerdegegnerin/Inhaberin beantragt,... die Dokumente D1a und D18 - D20 nicht zum Verfahren zuzulassen.

III. Die Parteien verwenden bei ihrem Vortrag die folgenden Dokumente:

D18 DE 34 38 125 A1

D19 Auszug aus dem Duden zum Wort

'sichten'

D20 Auszug aus Tabacco [sic]

Encyclopedia, Seiten [sic] 219

D21 Auszug aus Tabacco [sic]

Encyclopedia, Seiten 420 - 423

...folgende vorläufige... Meinung: ...

2.1 Im Zusammenhang mit der Interpretation des Begriffs 'sichten' hat die Einsprechende die Dokumente D1a und D18 - D20 mit der Beschwerdebegründung eingereicht...

2.2 Abgesehen von der Frage einer möglichen Nichtzulassung dieser Beweismittel (Artikel 12(4) VOBK), scheint die Beschwerdegegnerin zu Recht einzuwenden, dass aus diesen Dokumenten nicht geschlossen werden kann, dass 'Sieben' und 'Sichten' gleichzusetzen sind..."

e) Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2022 vor der Beschwerdekammer verlief der Gang der Erörterung wie folgt:

,,...Zunächst wurden die Auslegung der Begriffe 'sichten' und 'Sichter', die Zulassung der vom Beschwerdeführer eingereichten Dokumente D1a, D18-D20 und die Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 15 gegenüber D4 erörtert.

Nach Beratung der Kammer teilte der Vorsitzende den Parteien mit, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 15 neu gegenüber D4 sei. D4 offenbare weder einen Sichter, noch dass bei der Herstellung die aus den Mischungskomponenten M1 und M2 gebildete Tabakmischung frühestens in einem gemeinsamen Aufnahmeraum hinter dem Stauschacht herstellbar sei. Entsprechend könne offen bleiben, ob die Dokumente D1 [sic] und D18 - D20 zum Verfahren zuzulassen sind..."

f) In der schriftlich begründeten Entscheidung lautet es in der Dokumentenliste wie folgt:

"...

D20 Auszug aus Tabacco [sic] Encyclopedia,

S. 219, später seitens der Beschwerde­gegnerin ergänzt um die Seiten 420-423"

In den Entscheidungsgründen der zu überprüfenden Entscheidung nahm die Beschwerdekammer zur Stützung ihrer Ansicht u.a. auf folgende Passagen Bezug:

- D20, S. 422, linke Spalte, 2. Absatz (in Punkt 1.3 der Entscheidungsgründe)

- D1a, Absatz [0004] (in Punkt 1.3.1 der Entscheidungsgründe)

- D18, Seite 7, Zeile 13 (in Punkt 1.3.2 der Entscheidungsgründe).

Punkt 1.3.4 der Entscheidungsgründe lautet:

,,Die mögliche Nichtzulassung des Dokuments D1 [sic] sowie der Dokumente D18 - D20 kann offen bleiben, da selbst bei einer Zulassung dieser Dokumente deren Inhalt nicht zu einem anderen Verständnis der Begriffe 'sichten' und 'Sichter' führen würde."

Die vorgenannten Passagen der Entscheidungs­begründung (Punkte 1.3, 1.3.1, 1.3.2 und 1.3.4) wurden von der Antragstellerin als Grundlage für die geltend gemachten Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i) herangezogen (siehe oben III.).

X. Der Standpunkt der Antragstellerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i)

Für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens sei die Auslegung der im Wortlaut der unabhängigen Ansprüche des Streitpatents enthaltenen Begriffe ,,sichten" und ,,Sichter" von entscheidender Bedeutung gewesen.

Die Antragstellerin habe hierzu detailliert schriftlich und mündlich vorgetragen, und zwar unter Bezugnahme auf Passagen im Streitpatent sowie in den Dokumenten D1, D1a, D18, D19 und D20 (,,D20a").

Aus der zu überprüfenden Entscheidung lasse sich nicht erkennen, dass das insbesondere auf das Dokument ,,D20a" gestützte Vorbringen der Antragstellerin zur Begriffs­auslegung von der Beschwerdekammer je berücksichtigt worden sei, da es in der Entscheidungsbegründung nicht erwähnt sei. Es werde lediglich auf die Dokumente D1, D1a und D18 Bezug genommen, nämlich in den Punkten 1.3, 1.3.1 und 1.3.2. Hinzu komme, dass andere als die von der Antragstellerin angegebene Passagen zitiert worden seien. Dazu habe sie keine Gelegenheit zur Stellung­nahme gehabt. Zu dem Dokument D18 habe in der mündlichen Verhandlung überhaupt keine Erörterung stattgefunden. Ferner ergebe sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und der Entscheidungs­begründung, dass die von der Antragstellerin mit der Beschwerde eingereichten Dokumente D18, D19 und D20 (,,D20a") gar nicht im Beschwerdeverfahren seien, da über ihre Zulassung nicht entschieden worden sei. Auch sei nicht ersichtlich, dass über die Zulassung von D21 (,,D20b") entschieden worden sei, so dass auch dieses Dokument nicht im Beschwerdeverfahren sei. Zu Unrecht habe sich die Beschwerdekammer daher zur Stützung ihrer Auffassung zur Begriffsauslegung auf ,,D20b" berufen.

b) Verfahrensmangel d)(ii)

Punkt 1.5 der Entscheidungsbegründung enthalte eine Aussage, zu der die Antragstellerin ebenfalls zuvor keine Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe. Dort habe die Beschwerdekammer einen weiteren Grund für die Neuheit gegenüber der Offenbarung des Dokuments D4 darin gesehen, dass gemäß der Offenbarung des Dokuments D4 eine Tabakmischung aus den Mischungskomponenten M1 und M2 auf dem endlosen Förderband 4 gebildet werde, wobei dieses Förderband keinen Aufnahmeraum darstelle.

Dies sei neu und für die Antragstellerin überraschend gewesen:

- In der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK habe die Beschwerdekammer ausgeführt, dass

,,in D4 die beiden Mischungskomponenten nicht gemischt werden, sondern die zweite Mischungs­komponente als eigenständige Schicht auf einer Schicht der ersten Mischungskomponente aufgebracht wird. Eine Vermengung der beiden Komponenten findet somit nicht statt und entsprechend gibt es auch keinen Aufnahmeraum, in dem eine derartige Mischung stattfinden könnte." (siehe Punkt 4.4 der Mitteilung).

Damit habe die Beschwerdekammer signalisiert, dass die Lagen der Mischungskomponenten M1 und M2, entgegen der Auffassung der Beschwerde­gegnerin, nicht als Tabakmischung anzusehen seien.

- In der mündlichen Verhandlung habe die Beschwerde­gegnerin diesbezüglich keine Gegenargumente vorgetragen und sich zur Bildung der Tabakmischung nicht geäußert.

Die Antragstellerin hingegen habe weitere Argumente zur Stützung ihrer Auffassung vorgetragen, dass der Falltrichter der Offenbarung D4 einen Aufnahmeraum darstelle, in dem eine Vermengung der Komponenten M1 und M2 erfolge; sie habe dabei auch Ausführungen zur Gleichmäßigkeit der Beschickung gemacht.

Die Beschwerdekammer habe jedoch nicht angedeutet, dass sie von ihrer früheren, in der vorläufigen Meinung geäußerten Auffassung abweichen würde. Es sei auch nicht ersichtlich gewesen, dass die Beschwerdekammer den Stapel aus diesen zwei eigenständigen, d.h. getrennten Schichten nun als Tabakmischung ansehen würde.

- Erst aus der schriftlichen Entscheidungsbegründung sei ersichtlich geworden, dass die Beschwerdekammer die in Punkt 1.5 erwähnte Textstelle (D4, Seite 2, Zeilen 8 bis 14) dahingehend verstanden habe, dass die verschiedenen Schichten von Mischungs­komponenten auf dem Förderband eine Tabakmischung bildeten.

Durch dieses Vorgehen sei es der Antragstellerin verwehrt gewesen, sich zu dieser Textstelle und zur Frage zu äußern, ob die in D4 erwähnte Vereinigung eine Vermengung der Komponenten M1 und M2 impliziere und somit zur Bildung einer Tabakmischung führe. Da sich die Antragstellerin folglich nicht zu einem der entscheidungstragenden Gründe habe äußern können, sei ihr rechtliches Gehör verletzt worden.

Ferner sei auch ihr erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenes Argument zur Gleichmäßigkeit der Beschickung nicht berücksichtigt worden; die Relevanz des Vortrags für die Entscheidung in der Sache sei nicht überprüft worden.

c) Regel 106 EPÜ - Rügepflicht

Eine Rüge nach Regel 106 EPÜ in Bezug auf die Verfahrensmängel habe im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden können.

Die Beschwerdekammer habe die von der Antragstellerin eingereichten Dokumente nicht zugelassen, wie sich aus Punkt 1.3.4 der Entscheidungsbegründung ergebe.

Wie auf Seite 2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung erwähnt, sei auch die Zulassung der Dokumente angesprochen worden. Allerdings habe sich die Beschwerdekammer, und somit die gesamte Diskussion in der mündlichen Verhandlung auf den Inhalt der Dokumente fokussiert. Erst aus der schriftlichen Entscheidung habe die Antragstellerin erkennen können, dass die Dokumente D1a, D18, D19 und ,,D20a" nicht zugelassen worden seien, ihre inhaltlichen Ausführungen nicht ausreichend gewürdigt worden seien, und sich die Beschwerdekammer zu Unrecht auf ,,D20b", obwohl nicht im Verfahren befindlich und obwohl es während der mündlichen Verhandlung keine Diskussion zu ,,D20b" gegeben habe, gestützt habe.

In der mündlichen Verhandlung sei die Antragstellerin davon ausgegangen, dass die Mitteilung des Vorsitzenden, wonach ,,offen bleiben [könne], ob die Dokumente D1[a], D18 bis D20 zum Verfahren zuzulassen" seien, bedeutete, dass die Entscheidung auf Grundlage der anderen Argumente der Antragstellerin, die sich nicht auf die Dokumente bezogen, getroffen würde, da sie zur Frage der Auslegung auch auf Grundlage von Passagen des Patents argumentiert habe.

Die Antragstellerin sei durch das Vorgehen der Beschwerdekammer im Dunkeln darüber gelassen worden, ob die Dokumente zugelassen oder inhaltlich gewürdigt werden würden.

Die Antragstellerin habe allerdings nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung die Beschwerdekammer darüber informiert, dass für die Antragstellerin vor dem Hintergrund, dass die Einspruchsverfahren in der Regel auf Deutsch verfasste Patente beträfen, eine Entscheidung in der Sache und insbesondere eine Antwort auf die Frage wichtig sei, welche Relevanz einem auf Englisch verfassten Nachschlagewerk auf dem Gebiet der Tabak verarbeitenden Industrie beizumessen sei.

Auch habe sie einen Antrag auf Protokollberichtigung gestellt, da relevantes Vorbringen, das sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, nicht in die Niederschrift aufgenommen worden sei. Den Berichtigungsantrag habe sie erst nach Erhalt der schriftlichen Entscheidungsbegründung gestellt, da sie sich vergewissern wollte, ob die schriftliche Entscheidung das aus ihrer Sicht in der Niederschrift fehlende Vorbringen enthalte. Dies sei allerdings nicht der Fall gewesen.

Erst aus der Entscheidungsbegründung habe sich eine unzulängliche Würdigung ihres Vorbringens entnehmen können, so dass sie eine Rüge nicht früher habe erheben können.

Entscheidungsgründe

Zulässigkeit des Überprüfungsantrags

1. Der Überprüfungsantrag erfüllt die Erfordernisse von Artikel 112a (1),(4) und Regel 107 EPÜ.

2. Wie von der Antragstellerin geltend gemacht, fallen sämtliche der von ihr geltend gemachten Verfahrens­mängel unter den Überprüfungsgrund nach Artikel 112a (2) c) EPÜ.

3. Allerdings sind die Erfordernisse von Regel 106 EPÜ nicht in jeder Hinsicht erfüllt.

4. Gemäß Regel 106 EPÜ ist u.a. ein Antrag nach Artikel 112a (2) c) EPÜ nur zulässig, wenn der Verfahrensmangel während des Beschwerdeverfahrens beanstandet wurde und die Beschwerdekammer den Einwand zurückgewiesen hat, es sei denn, der Einwand konnte im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden.

5. Die Erhebung eines Einwands gemäß Regel 106 EPÜ ist eine Verfahrenshandlung und grundsätzlich eine Zugangsvoraussetzung zum außerordentlichen Rechtsbehelf des Überprüfungsantrags nach Artikel 112a EPÜ. Für die ordnungsgemäße Erhebung eines Einwands i.S.v. Regel 106 EPÜ ist es daher erforderlich, dass er so ausgedrückt wird, dass die betroffene Beschwerdekammer unmittelbar und zweifelsfrei erkennen kann, dass es sich um einen Einwand nach Regel 106 EPÜ handelt. Es muss sich daher um einen Einwand handeln, der zusätzlich und gesondert zu anderen Erklärungen erhoben wird. Auch muss erkennbar sein, welcher Verfahrens­mangel geltend gemacht wird (siehe auch R 8/17, Punkt 7 der Entscheidungsgründe; R 21/11, Punkt 9 der Entscheidungsgründe; R 17/10, Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe).

6. Werden im Überprüfungsantrag mehrere Verfahrensmängel geltend gemacht, müssen die Erfordernisse von Regel 106 EPÜ in Bezug auf jeden einzelnen von ihnen erfüllt sein, was eine entsprechende Überprüfung durch die Große Beschwerdekammer impliziert (siehe auch R 8/17, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; R 12/14, Punkt 6 der Entscheidungsgründe).

7. Im vorliegenden Fall wurde vorgetragen, dass das rechtliche Gehör der Antragstellerin aufgrund mehrerer Umstände verletzt worden sei (siehe oben III.).

8. In Bezug auf die von der Antragstellerin als Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i) geltend gemachten Umstände sind die Erfordernisse von Regel 106 EPÜ jedoch nicht erfüllt.

9. In der Beschwerdeakte finden sich keine Hinweise, dass ein Einwand i.S.v. Regel 106 EPÜ erhoben worden war. Die Antragstellerin räumte auch selbst ein, dass sie keinen Einwand erhoben hatte.

10. Sie vertrat allerdings die Ansicht, dass für jeden geltend gemachten Verfahrensmangel die Ausnahme von Regel 106 EPÜ einschlägig sei, dass also ein Einwand in Bezug auf keinen der geltend gemachten Verfahrensmängel im Beschwerdeverfahren erhoben werden konnte.

11. Die Große Beschwerdekammer teilt diese Auffassung nicht. Vielmehr hätte die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung einen bzw. mehrere Einwände i.S.v. Regel 106 EPÜ erheben müssen.

12. Die Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i) betreffen allesamt die Frage des verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Umgangs der Beschwerdekammer mit den im Beschwerdeverfahren von beiden Parteien eingereichten Dokumenten, insbesondere D18, ,,D20a" und ,,D20b", und mit dem darauf gestützten Vorbringen der Parteien, insbesondere dem Vorbringen der Antragstellerin zur Auslegung der Begriffe ,,sichten" und ,,Sichter".

13. Mit der laut Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2022 nach der Beratung der Beschwerdekammer gegebenen Information, dass das Dokument D4 keinen Sichter offenbare (siehe oben Abschnitt IX.e)), konnte die Antragstellerin erkennen, dass sie die Beschwerdekammer mit ihrem Vorbringen zur Auslegung des Begriffs ,,Sichter" und dem Ansatz, dass das Dokument D4 einen Sichter im Sinne der Ansprüche des Streitpatents offenbare, nicht überzeugt hatte. Insbesondere konnte die Antragstellerin erkennen, dass sie die Beschwerdekammer bei der Begriffsauslegung weder mit ihrer Argumentationslinie überzeugt hatte, die rein auf dem Inhalt der Patentschrift beruhte, noch auf Basis ihrer Argumente, die sie auf die neu eingereichten Dokumente, insbesondere D1a, D18 und ,,D20a", stützte.

14. Aus der weiteren Information seitens der Beschwerdekammer ,,[e]ntsprechend könne offen bleiben, ob die Dokumente D1[a] und D18 - D20 zum Verfahren zuzulassen sind" (siehe oben Abschnitt IX.e)) konnte entnommen werden, dass die genannten Dokumente in der Entscheidung eventuell nicht berücksichtigt werden würden. Da es sich bei diesen Dokumenten gerade und ausschließlich um diejenigen handelte, die von der in diesem Punkt nicht durchdringenden Antragstellerin zur Stützung ihrer Ansicht herangezogen worden waren, hätte diese Information die Antragstellerin zum Handeln bzw. zur Erhebung eines Einwands i.S.v. Regel 106 EPÜ veranlassen müssen, wenn sie denn sicherstellen wollte, dass sich die Beschwerdekammer im Rahmen der Entscheidungsfindung tatsächlich inhaltlich mit diesen Dokumenten befasste.

15. Die Antragstellerin hätte dabei um Klärung der Situation bitten und an ihren in der Beschwerde­begründung schriftlich gestellten Antrag auf Zulassung der Dokumente D1a, D18, D19 und D20 (,,D20a") erinnern können, und bei Unterlassung einer Entscheidung über diesen Antrag einen Einwand nach Regel 106 EPÜ, ggf. unter Bezugnahme auf Regel 104 b) EPÜ, erheben können.

16. Ferner konnte die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Mitteilung des Beratungsergebnisses erkennen, dass das von der Beschwerdegegnerin eingereichte und in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich angesprochene Dokument ,,Anlage A1" (,,D20b") dass dieses Dokument von der Zulassungsdiskussion und der Mitteilung betreffend das Offenbleiben der Zulassung nicht mitumfasst war, da es von der Beschwerdekammer in der vorangehenden Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK als D21 bezeichnet worden war (siehe oben Abschnitt IX.d)).

17. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin keinen Antrag auf Nichtzulassung des von der Beschwerde­gegnerin eingereichten Dokuments D21 (,,D20b") gestellt hatte und die Zulassung des Dokuments D21 zum Verfahren von der Beschwerdekammer selbst bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht in Frage gestellt worden war, musste die Antragstellerin damit rechnen, dass die Beschwerde­kammer sich auf den Inhalt dieses Dokuments stützen könnte.

18. Dass die Beschwerdekammer das Dokument D21 (,,D20b") als im Beschwerdeverfahren befindlich ansehen könnte, ergibt sich ferner auch daraus, dass die Beschwerdekammer, wie sich aus Punkt 2.2 der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK (,,Abgesehen von der Frage einer möglichen Nichtzulassung dieser [D1a, D18 - D20] Beweismittel") ableiten lässt, zu diesem Verfahrens­zeitpunkt den Anschein erweckte, dass sie in Anlehnung an den Wortlaut von Artikel 12 (4) VOBK 2007 (,,Unbeschadet der Befugnis der Kammer,... Beweismittel...nicht zuzulassen,... wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten... von der Kammer berücksichtigt...") sämtliche von den Parteien im Beschwerdeverfahren neu eingereichten Dokumente vorbehaltlich einer ausdrücklichen Nichtzulassung berücksichtigen würde.

19. Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass die Situation hinsichtlich der Dokumente in der mündlichen Verhandlung verwirrend gewesen sei.

20. In Anbetracht einerseits der Aussage in Punkt 2.2 der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK (siehe oben Abschnitt IX.d)), die suggeriert, dass die dort bezeichneten Dokumente (d.h. die von der Antragstellerin eingereichten) vorbehaltlich einer Nichtzulassung als Bestandteile des Beschwerde­verfahrens angesehen würden, und andererseits der Mitteilung in der mündlichen Verhandlung, dass ,,offen bleiben [könne], ob die[se] Dokumente ... zum Verfahren zuzulassen [sind]" (siehe oben Abschnitt IX.e)), was suggeriert, dass die Dokumente nicht zugelassen sind, erscheint es nachvollziehbar, dass aus der Sicht der Antragstellerin die Situation in Bezug auf den Status der von ihr eingereichten Dokumente unklar war.

21. Allerdings entband dies die Antragstellerin nicht, auf eine Klarstellung des Status der Dokumente im Verfahren zu drängen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die von ihr eingereichten Dokumente D1a, D18, D19 und D20 (,,D20a"), sondern ggf. auch im Hinblick auf das von der Beschwerdegegnerin eingereichte Dokument D21 (,,D20b"), welches diese zur Untermauerung ihrer Auslegung der Begriffe ,,sichten" und ,,Sichter" herangezogen hatte.

22. Da die Antragstellerin nicht auf Klärung der Situation bestand, gegebenenfalls unter Erhebung eines Einwands i.S.v. Regel 106 EPÜ, kann sie im Nachhinein nicht im Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer geltend machen, dass sie von der Herangehensweise der Beschwerdekammer in Bezug auf die Dokumente überrascht gewesen sei und damit verbundene Verfahrensmängel geltend machen.

23. Die an die Beschwerdekammer gerichtete Information der Antragstellerin nach Ende der mündlichen Verhandlung über die Bedeutung einer inhaltlichen Entscheidung zu gewissen Punkten stellt keine Rüge i.S.v. Regel 106 EPÜ dar, da sie den an eine Rüge zu stellenden inhaltlichen Anforderungen (siehe oben Punkt 5) nicht entsprach und nicht im Beschwerdeverfahren erfolgte.

24. Ein Einwand i.S.v. Regel 106 EPÜ hätte von der Antragstellerin noch im Beschwerdeverfahren, nämlich während der mündlichen Verhandlung in Reaktion auf die Mitteilung des Vorsitzenden und vor Verkündung der das Beschwerdeverfahren abschließenden Entscheidung, erhoben werden können, da mit der Mitteilung des Beratungsergebnisses das Beschwerdeverfahren noch nicht abgeschlossen war. Dafür, dass die Mitteilung des Beratungsergebnisses durch den Vorsitzenden, ,,dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 15 neu gegenüber D4 sei" (siehe oben Abschnitt IX.e)), die Verkündung einer (Zwischen)entscheidung der Beschwerdekammer darstellte, finden sich keinerlei Anhaltspunkte.

25. Im Übrigen wäre im Zweifelsfall ein Einwand zu erheben gewesen, damit die Beschwerdekammer sich im Rahmen der Befassung mit dem vermeintlichen Verfahrensmangel auch zur Frage hätte erklären können, ob die Mitteilung des Beratungsergebnisses im konkreten Fall in Form einer sie bindenden (Zwischen)entscheidung erfolgt war, oder ob dies - wie in derartigen Fällen üblich - eine zum Zeitpunkt der Mitteilung weiterhin unverbindliche Äußerung der Auffassung der Beschwerdekammer darstellte.

26. Da das Vorgehen der Beschwerdekammer nicht mittels eines Einwands im Beschwerdeverfahren i.S.v. Regel 106 EPÜ beanstandet worden ist, konnte die Beschwerdekammer sich einem etwaigen Auftreten eines Verfahrensmangels nicht befassen und ihr weiteres Vorgehen im Hinblick auf die Behandlung der Dokumente D1a, D18, D19, D20 (,,D20a") und D21 (,,D20b") nicht vor dem Hintergrund der Beanstandung überdenken.

27. Es ist nicht auszuschließen, dass die Beschwerdekammer im Beschwerdeverfahren anders vorgegangen wäre und damit die Umstände, die von der Antragstellerin als schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ in Form der Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i) (siehe oben III.) geltend gemacht wurden, ausgeräumt worden wären.

28. Die geltend gemachten Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i) (siehe oben III.) können daher mangels Beanstandung i.S.v. Regel 106 EPÜ im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nicht inhaltlich überprüft werden.

29. In Bezug auf den mit Punkt 1.5 der Entscheidungsgründe in Zusammenhang stehenden geltend gemachten Verfahrensmangel d)(ii) (siehe oben III.) kann die Große Beschwerdekammer der Antragstellerin dahingehend folgen, dass sich dieser Verfahrensmangel erst aus dem Inhalt der schriftlichen Entscheidungsbegründung ergab und dieser Verfahrensmangel von der Antragstellerin nicht im Beschwerdeverfahren beanstandet werden konnte.

Begründetheit des Überprüfungsantrags

30. Insoweit die geltend gemachten Verfahrensmängel inhaltlich zu überprüfen sind, ist der Überprüfungsantrag unbegründet, da die Große Beschwerdekammer in Bezug auf das mit Punkt 1.5 der Entscheidungsgründe in Zusammenhang stehende Vorbringen der Antragstellerin (Verfahrensmangel d)(ii)) keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin, geschweige denn eine schwerwiegende, erkennen kann.

31. Gemäß Artikel 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamts, also auch der Beschwerde­kammern, nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

32. Nach ständiger Rechtsprechung der Großen Beschwerde­kammer ist eine Beschwerdekammer nicht dazu verpflichtet, während der mündlichen Verhandlung alle Gründe, die zu ihrer Entscheidung führen, den Parteien ausführlich zu nennen. Diese sind Bestandteil der schriftlichen Begründung einer Entscheidung (siehe R 1/08, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe; R 15/12, Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Von der Tatsache, dass eine Beschwerdekammer nach der Diskussion und den Vorträgen der Parteien ihre eigenen Schlüsse zieht, um zu einer Entscheidung zu gelangen, kann nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geschlossen werden (siehe R 19/11, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).

33. Der von der Antragstellerin beanstandete Punkt 1.5 der Entscheidungsgründe betrifft die Ausführungen der Beschwerdekammer zu dem kennzeichnenden Merkmal des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 1 des Streitpatents, wonach ,,die aus den Mischungskomponenten M1 und M2 gebildete Tabakmischung frühestens im gemeinsamen Aufnahmeraum (16) herstellbar ist". Ein ähnlich formuliertes Merkmal findet sich im unabhängigen Verfahrensanspruch 15 des Streitpatents.

34. Es war im Beschwerdeverfahren zwischen der Antrag­stellerin und der Beschwerdegegnerin u.a. umstritten, ob das einzige, von der Antragstellerin im Beschwerde­verfahren für eine mangelnde Neuheit angeführte Dokument D4 auch dieses Anspruchsmerkmal offenbare.

35. Diesbezügliche gegenläufige Auffassungen seitens der Parteien finden sich schriftsätzlich u.a. unter Bezugnahme auf die in Punkt 1.5 der Entscheidungs­begründung erwähnte Passage des Dokuments D4 (d.h. Seite 4, Zeilen 8 bis 14) in der Beschwerdebegründung der Antragstellerin sowie in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin.

36. Beide Parteien setzten sich in ihren Eingaben mit der Frage auseinander, ob und inwieweit die in der Offenbarung des Dokuments D4 erwähnten ,,Trichter 3", ,,Stauschacht 8", ,,endloses Band 4" und ,,Falltrichter 9" anspruchsgemäße Merkmale verwirklichten, einschließlich der Frage, was an den jeweiligen Stellen der im Dokument D4 offenbarten Vorrichtung geschieht.

37. Insbesondere wurde thematisiert,

- was mit den zwei Tabakkomponenten auf dem ,,endlosen Band 4" geschieht (laut Beschwerdegegnerin: Ablegen der Tabakkomponenten auf dem Förderband, Vereinigung der zwei Tabakkomponenten, lagenweises Übereinanderlegen, Bilden der Tabakmischung, jedoch kein Mischen; siehe Beschwerdeerwiderung, Seite 9 und 10, jeweils zweiter Absatz)

- was anschließend an oder in dem ,,Falltrichter 9" stattfindet (laut Beschwerdegegnerin: Zuführung am Ende des Förderbands der bereits aus Lagen gebildeten Tabakmischung in einen Falltrichter; falls der Falltrichter den Aufnahmeraum im Sinne des Streitpatents bilden solle, erfolge das Bilden der ,,Tabakmischung" vor dem Aufnahmeraum, nämlich auf dem Förderband; alle Mischungskomponenten würden entlang desselben Weges geführt wohingegen der Anspruch voraussetze, dass die Mischungs­komponenten erstmals im Aufnahmeraum aufeinander­träfen; siehe Beschwerdeerwiderung, Seite 10 zweiter Absatz) und

- ob in dem Dokument D4 ein Aufnahmeraum im Sinne des Streitpatents offenbart sei (laut Beschwerde­gegnerin stelle weder das Förderband noch der Trichter einen Aufnahmeraum dar; vielmehr existiere in der offenbarten Vorrichtung der D4 kein Aufnahmeraum; siehe siehe Beschwerdeerwiderung, Seite 11 erster Absatz und Seite 12, zweiter Absatz).

38. Die Beschwerdegegnerin hat somit zusammenfassend geltend gemacht, dass die lagenweise Vereinigung der zwei Tabakkomponenten das Herstellen einer Tabakmischung, jedoch kein Mischen darstelle; das Förderband sei kein Aufnahmeraum, da dort kein Mischen erfolge; es sei in der D4 kein Aufnahmeraum im Sinne des Streitpatents offenbart, in dem die Mischungs­komponenten erstmals aufeinanderträfen.

39. Die von der Antragstellerin als überraschend geltend gemachte Passage der Entscheidungsgründe der zu überprüfenden Entscheidung lautet wie folgt (Hervorhebung im Original):

,,1.5 Zudem offenbart D4 aber auch nicht, dass die aus den Mischungskomponenten M1 und M2 gebildete Tabakmischung frühestens in einem Aufnahmeraum hinter dem Stauschacht herstellbar ist.

Stattdessen werden in D4 beide Mischungskomponenten aus den jeweiligen Stauschächten 8 auf dem endlosen Band 4 abgelegt und dort vereinigt (siehe Seite 2, Zeilen 8 - 14). Ein Förderband stellt aber keinen Aufnahmeraum dar."

40. Aus dem Akteninhalt lässt sich somit erkennen, dass sich die Beschwerdekammer der Ansicht der Beschwerde­gegnerin angeschlossen hat.

41. Bereits in Punkt 4.4 der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hatte die Beschwerdekammer festgestellt, dass

,,... in D4 die beiden Mischungskomponenten nicht gemischt werden, sondern die zweite Mischungskomponente als eigenständige Schicht auf einer Schicht der ersten Mischungskomponente aufgebracht wird. Eine Vermengung der beiden Komponenten findet somit nicht statt und entsprechend gibt es auch keinen Aufnahmeraum, in dem eine derartige Mischung stattfinden könnte."

42. Die Antragstellerin machte diesbezüglich im Überprüfungsverfahren geltend, dass sich die Meinung der Beschwerdekammer geändert habe.

43. Ob der Antragstellerin in dieser Hinsicht tatsächlich zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben.

44. Es widerspricht nämlich nicht dem Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs, dass sich die Beschwerdekammer, in Abweichung von ihrer zuvor geäußerten Meinung, der Auffassung eines Beteiligten angeschlossen hat. Die in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK geäußerte Meinung stand unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit und Unverbindlichkeit für die endgültige Entscheidungs­findung (siehe auch Artikel 17 (2) VOBK sowie Punkt III der Mitteilung der Technischen Beschwerdekammer vom 20. Dezember 2019).

45. Auch wenn, wie von der Antragstellerin vorgetragen und vorliegend unterstellt, die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung keine Ausführungen mehr zur Frage des Bildens der Tabakmischung gemacht hatte, ist dies nicht von Relevanz. Maßgeblich kommt es allein darauf an, ob die Entscheidung sich auf Gründe stützt, zu denen die Antragstellerin sich hat äußern können. Dies ist vorliegend in Anbetracht des Vortrags der Parteien im schriftlichen Verfahren der Fall.

46. Daher sieht die Große Beschwerdekammer in den Ausführungen der Beschwerdekammer in Punkt 1.5 der Entscheidungsgründe keine Verletzung des Anspruchs der Antragstellerin auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ. Die einschlägigen Begründungen stützen sich nicht auf neue Gründe im Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ, sondern sind Ausführungen auf Grundlage des Vorbringens der Parteien.

47. Die aus dem Überprüfungsantrag hervorgehende Kritik der Antragstellerin daran, dass ihr schriftliches oder mündliches Vorbringen nicht so umfänglich in der zu überprüfenden Entscheidung behandelt wurde, wie von ihr erhofft oder erwartet, mag als nachvollziehbar erachtet werden, verhilft dem Antrag allerdings nicht zum Erfolg.

48. Eine Unvollständigkeit der Entscheidungsbegründung bedeutet nämlich nicht per se eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ. Nach ständiger Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer käme eine Verletzung erst in Frage, wenn relevantes Vorbringen und Argumente in der schriftlichen Entscheidung nicht so umfassend berücksichtigt werden, dass die Gründe für die Entscheidung nicht objektiv nachzuvollziehen sind (siehe R 2/14 vom 22. April 2016, Punkt 6 der Entscheidungsgründe).

49. Nach der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer wird dabei vermutet, dass eine Beschwerdekammer das Vorbringen eines Beteiligten berücksichtigt hat, welches sie in den Entscheidungsgründen nicht behandelt hat, d.h. erstens, dass sie es zur Kenntnis genommen und zweitens erwogen hat, d.h. geprüft hat, ob es relevant und ggf. richtig ist. Eine Ausnahme kann bei Anzeichen für das Gegenteil vorliegen, z.B. wenn eine Beschwerdekammer in den Entscheidungsgründen das Vorbringen eines Beteiligten nicht behandelt, welches objektiv betrachtet entscheidend für den Ausgang eines Falles ist, oder derartiges Vorbringen von der Hand weist, ohne es zuvor auf seine Richtigkeit zu überprüfen (siehe R 10/18, Punkt 2.1.1.2 der Entscheidungsgründe).

50. Was den mit dem Verfahrensmangel d)(ii) in Zusammenhang stehenden Vortrag anbelangt, so hatte die Antrag­stellerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, in dem Dokument D4 sei eine gleichmäßige Vermengung der Mischungskomponenten im Falltrichter implizit offenbart, da die auf das Förderband beschickten Mengen der beiden Mischungskomponenten jeweils gleich seien.

51. Aus objektiver Sicht war dieser Vortrag allerdings nicht entscheidend für den Ausgang des der Beschwerdekammer vorliegenden Falles.

52. Eine diesbezügliche Begründung gab die Beschwerdekammer mit der Ablehnung des von der Antragstellerin gestellten Antrags auf Protokollberichtigung (siehe Mitteilung der Beschwerdekammer vom 24. März 2022):

,,4.2.1 Die Kammer sah D4 als nicht neuheitsschädlich an, da der Falltrichter zum einen keinen Aufnahmeraum darstellt (siehe Entscheidungsgründe 3.6.4) und die Mischungskomponenten andererseits bereits auf dem Laufband vor dem Falltrichter zu einer Tabakmischung vereinigt werden (siehe Entscheidungsgründe 1.5 und 2.4).

4.2.2 Ob die Komponenten zusätzlich später auch noch weiter im Falltrichter vermengt werden, ist dann nicht mehr relevant für die Entscheidung, da das maßgebliche Merkmal den frühesten Zeitpunkt der Herstellung einer Tabakmischung in einem Aufnahmeraum betrifft."

Schlussfolgerung

53. Die Große Beschwerdekammer kommt daher zum Ergebnis, dass der Überprüfungsantrag in Bezug auf die geltend gemachten Verfahrensmängel a), b), c) und d)(i) offensichtlich unzulässig und in Bezug auf den geltend gemachten Verfahrensmangel d)(ii) offensichtlich unbegründet ist.

54. Da die zu überprüfende Entscheidung nicht aufzuheben ist und es nicht zu einer Wiedereröffnung des Verfahrens kommt, ist über den weiteren Antrag auf Ersetzung der Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der Entscheidung mitwirkten, nicht zu entscheiden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unzulässig oder unbegründet verworfen.

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