R 0012/21 (Antrag auf Überprüfung) of 22.1.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:R001221.20250122
Datum der Entscheidung: 22 Januar 2025
Aktenzeichen: R 0012/21
Antrag auf Überprüfung von: T 0784/17
Anmeldenummer: 11707994.7
IPC-Klasse: F03D1/00
F03D11/00
F03D11/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR ÜBERPRÜFUNG DES BAULICHEN ZUSTANDS VON WINDKRAFTANLAGEN
Name des Anmelders: GDDC GmbH
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie, dieser vertreten durch den Präsidenten der Bundesanstalt für Materialforschung und - prüfung (BAM)
Kammer: EBA
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
EPC Art. 112a(2)(c), 113(1)
EPC R. 106, 108(3), 110
Schlagwörter: Verletzung des rechtlichen Gehörs (ja) – fehlendes Ansprechen eines entscheidungserheblichen Gesichtspunkts durch die Beschwerdekammer in der mündlichen Verhandlung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0006/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

[Die folgenden Ausführungen sind - abgesehen von wenigen redaktionellen Änderungen - wörtlich der Mitteilung gemäß Artikel 13 und 14 (2) VOGBK vom 23. Oktober 2024 (im Folgenden: "die Mitteilung") entnommen.]

1. Der Überprüfungsantrag

Der Überprüfungsantrag der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.04 in der Beschwerdesache T 784/17. In dieser Sache hatte die Patentinhaberin Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, mit welcher letztere das europäische Patent Nr. 2 547 903 widerrufen hatte. Mit der zur Überprüfung stehenden Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Die Entscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2021 verkündet, und die mit Entscheidungsgründen versehene schriftliche Entscheidung wurde am 10. Mai 2021 dem Postdienstleister übergeben.

Die Bezeichnung der Erfindung lautet: Verfahren zur Überprüfung des baulichen Zustands von Windkraftanlagen.

Der Überprüfungsantrag der Patentinhaberin und Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Beschwerdekammer wird auf mehrere behauptete schwerwiegende Verfahrensmängel gestützt, die unter die Überprüfungsgründe von Artikel 112a (2) c) in Verbindung mit Artikel 113 (1) sowie Artikel 112a (2) d) EPÜ fallen sollen.

Im Einzelnen macht die Antragstellerin folgende Verfahrensmängel geltend:

- Verletzung des Rechts der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen Artikel 113 EPÜ (Nr. 1 des Überprüfungsantrags); die Antragstellerin nennt die folgenden einzelnen Verstöße:

unter Nr. 1.1: "Technische Probleme"

- Technische Probleme bei der Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz - erster Verfahrensmangel

- Bindende Wirkung des für die Antragstellerin günstigen Ladungsbescheides vom 26. September 2019, den die Antragstellerin als durch die E-Mail der Kammer vom 17. März 2020 als bestätigt betrachtete (der die Seiten 4 und 5 überbrückende Absatz) wird in der Entscheidung nicht befolgt - zweiter Verfahrensmangel

- Kein neuer Kammerbescheid vor der mündlichen Verhandlung wegen Änderung der vorläufigen Meinung (Seite 5, erster voller Absatz) - dritter Verfahrensmangel

- Keine Mitteilung der Änderung der vorläufigen Meinung zu Beginn der mündlichen Verhandlung (Seite 5, zweiter voller Absatz) - vierter Verfahrensmangel

unter Nr. 1.2: "Nichtzulassung des Hilfsantrags"

- Zurückweisung des Hilfsantrags als verspätet bei Nichtbeachtung der Mitteilung der Beschwerdekammer (per E-Mail) vom 17. März 2020, wodurch ein faires Verfahren nicht sichergestellt gewesen sei. "Insbesondere fehlt es an einer zielgerichteten Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung." - fünfter Verfahrensmangel

- Keine Erlaubnis für die Antragstellerin, sich zum sachlichen Inhalt des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags zu äußern, sondern lediglich zur Frage, "warum keine zusätzliche Begründung zum Inhalt des Hilfsantrags eingereicht wurde" - sechster Verfahrensmangel.

- unter Nr. 2: schwerwiegender, der Entscheidung entnommener Verfahrensmangel durch Nichtzulassung des Hilfsantrags gemäß Artikel 112a (2) d) EPÜ

- unrichtige Sachverhaltsdarstellung wegen Übersehens der Angabe der Offenbarungsstelle des in Anspruch 1 des Hilfsantrags hinzugefügten Merkmals (Mitte Seite 7 bis Mitte Seite 8) und fehlerhafte Einschätzung im Rahmen von Artikel 12 (2) VOBK 2007, der Sachverhalt sei nicht vollständig (Mitte Seite 8 bis 1. Absatz von Seite 9) - siebter Verfahrensmangel

- keine Möglichkeit des sachlichen Vortrags zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags (Seite 9, 2. und 3. Absatz) - achter Verfahrensmangel.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die angefochtene Entscheidung in Sachen T 784/17 vom 30. März 2021 aufzuheben und die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer anzuordnen,

2. hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Redaktioneller Hinweis:

Bei engzeiligem Text handelt es sich nachfolgend um Zitate. Soweit nicht anders angegeben, wurden etwaige Hervorhebungen im Original vorgenommen.

2. Der Verlauf des Verfahrens vor der Beschwerdekammer

Eine Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK erging am 26. September 2019 zusammen mit der Ladung zu einer mündlichen Verhandlung am 7. April 2020. In der Mitteilung teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zu den folgenden Punkten mit:

1. Unzulässige Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ)

2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

3. Inanspruchnahme der Priorität (Artikel 87 (1) b) EPÜ)

4. Neuheit (Artikel 54 (1), (3) EPÜ) im Hinblick auf Dokumente:

4.1 ZP2

4.2 D2 (ZP3)

4.3 ZP4

Die Kammer erhob keine Einwände hinsichtlich der obigen Punkte. Zu Nr. 4.1 teilte sie mit, Neuheit im Hinblick auf ZP2 sei ggf. zu berücksichtigen.

Sie führte unter Nr. 5 aus:

5. Zurückverweisung

Die Einspruchsentscheidung setzt sich nur mit den erhobenen Einspruchsgründen der mangelnden Ausführbarkeit, unzulässigen Erweiterung und mangelnden Neuheit auseinander. Der erhobene Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit wurde aber nicht geprüft. Die Kammer ist daher zur Zeit geneigt, die Sache zur Prüfung dieses Einspruchsgrund [sic] zurückzuverweisen, Artikel 111(1) EPÜ. Die Parteien werden um Stellungnahme gebeten.

Mit Schreiben vom 26. Februar 2020 machte die Einsprechende 2 "Anmerkungen auf die Ladung". Zu "Ausführbarkeit und Neuheit gegenüber der ZP3" (D2) trug sie vor, dass für den Fall, dass die Ausführbarkeit der Erfindung bejaht werde, die Neuheit gegenüber der ZP3 nicht gegeben sei. Neuheit gegenüber ZP4 werde ebenfalls verneint.

Die Einsprechende 1 äußerte sich mit Schreiben vom 6. März 2020 "in Erwiderung auf die Ladung" dahingehend, dass die Gegenstände von Anspruch 1 und 10 nicht neu gegenüber D2 und ZP4 seien. "Für den Fall einer Überprüfung des Einspruchsgrundes der mangelnden erfinderischen Tätigkeit wird einer Zurückverweisung der Sache zugstimmt [sic]".

Am 5. März 2020 reichte die Antragstellerin ein Schreiben ein, das seinem wesentlichen Inhalt nach wie folgt lautet:

Auf die Ladung...

Hilfsweise wird die Aufrechterhaltung... gemäß... Hilfsantrag beantragt.

Gemäß diesem Hilfsantrag wird ein geänderter Anspruch 1 überreicht, der ein Merkmal aus der Beschreibung aufnimmt, wonach "beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblatts die Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt werden".

Die Unteransprüche wurden angepasst...

Das Scannen wird durch dieses ergänzte Merkmal spezifiziert.

Dem Schreiben lagen die Ansprüche eines Hilfsantrags in Reinschrift und mit nachverfolgbaren Änderungen bei. Im unabhängigen Verfahrensanspruch 1 wurde das folgende Merkmal eingefügt: "wozu beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblattes die Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt werden". In der Version, in der die Änderungen nachverfolgbar sind, heißt es nach dem eingefügten Merkmal in Klammern: "Offenbarung: Patentschrift, Sp. 2, Z. 25-28 und WO, S. 4, Z. 16-18".

Die Zeilen, auf die Bezug genommen wurde, lauten jeweils wie folgt:

- Patentschrift, Spalte 2, Zeile 25 bis 28:

sungseinheit. D.h. etwa beim Abfliegen des jeweiligen

Rotorblattes oder aller Rotorblätter gemeinsam werden

die entsprechenden Aufnahmen im Wege des Scannings

hergestellt.

- WO-Schrift (eingereichte Anmeldung wie veröffentlicht), Seite 4, Zeile 16 bis 18:

Zielführung der Erfassungseinheit. D.h. etwa beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblattes oder aller Rotorblätter gemeinsam werden die entsprechenden Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt.

"Auf den Ladungszusatz der Kammer" teilte die Einsprechende 3 mit Schreiben vom 9. März 2020 mit, dass sie "eine Zurückverweisung in die 1. Instanz für angemessen" halte, sollte die Kammer zu dem Schluss gelangen, der Gegenstand des Anspruchs sei neu. Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit beruhe auf einer "komplexen Abwägung", so dass die Einsprechende 3 eine "Diskussion in zwei Instanzen für sachdienlich" halte. Eine ungebührliche Verzögerung des Verfahrens werde hierin nicht gesehen, da Gründlichkeit in der Sache der Schnelligkeit des Verfahrens vorzugehen habe.

Mit Verfügung vom 17. März 2020 wurde der für 7. April 2020 bestimmte Termin für die mündliche Verhandlung wegen der seinerzeitigen Vorsichtsmaßnahmen rund um die Ausbreitung des Coronavirus aufgehoben. Deshalb sei - so hieß es in der Verfügung - eine Verlegung erforderlich. Ein neuer Termin werde schnellstmöglich anberaumt werden.

Sodann wurde wörtlich ausgeführt:

Eine Entscheidung auf Grund des schriftlichen Vorbringens der Parteien sowie dem ausführlichen Kammerbescheid wäre möglich. Unter diesen besonderen Umständen wird es den Verfahrensbeteiligten anheimgestellt, ihren Antrag auf mündliche Verhandlung nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls eine Entscheidung nach Aktenlage zu beantragen. Sollte dies der Fall sein, wird alsbald um entsprechende Mitteilung gebeten.

Auf denselben Tag datiert eine E-Mail mit im Wesentlichen identischem Inhalt in den drei Amtssprachen. Der E-Mail war laut entsprechender Angabe eine Anlage "T0784-17-3204.pdf" angehängt.

Da als Anlage 4 zum Überprüfungsantrag neben der E-Mail auch die Verfügung vom 17. März 2020 vorgelegt wurde, wodurch die E-Mail sodann zum ersten Mal der elektronischen Akte des EPA beigefügt wurde, geht die Große Beschwerdekammer davon aus, dass es sich bei der Anlage "T0784-17-3204.pdf" zur E-Mail um besagte Verfügung vom 17. März 2020 handelt. Im Folgenden werden "E-Mail", "Verfügung" und "Mitteilung vom 17. März 2020" synonym verwendet.

Mit Schreiben vom 19. März 2020 nahm die Antragstellerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage "im Hinblick auf den ausführlichen Kammerbescheid." Sie führte weiter wörtlich aus:

Der Behauptung der Einsprechenden [3], wonach eine Zurückverweisung in die erste Instanz für angemessen erachtet wird, wird hiermit widersprochen. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit kann sofort positiv beantwortet werden und beruht keinesfalls auf einer komplexen Abwägung. Die Einsprechende hat hierzu auch keine Gründe und keinen Sachverhalt genannt, der eine komplexe Abwägung erforderlich machen würde.

In einer Mitteilung vom 25. März 2020 äußerte sich die Kammer ähnlich wie in der Verfügung vom 17. März 2020. Der letzte Satz der Mitteilung lautet:

Im Fall einer übereinstimmenden Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung könnte die Kammer in naher Zukunft eine Entscheidung nach Aktenlage treffen.

Auf diese Mitteilung haben die Beteiligten - soweit ersichtlich - in ihren Antworten auf den Überprüfungsantrag (unten, Nr. 5) nicht Bezug genommen.

Am 30. April 2020 lud die Kammer zu einer mündlichen Verhandlung für 30. März 2021, die an diesem Tag - wie ausgeführt - auch stattfand.

3. Die zu überprüfende Entscheidung

Dort heißt es wörtlich (Hervorhebung der Großen Beschwerdekammer/GBK):

5. Zulassung des Hilfsantrags

5.1 Die Beschwerdeführerin [Patentinhaberin] hat mit Schreiben vom 5. März 2020, also nach Ladung vom 26. September 2019 zur mündlichen Verhandlung, einen Hilfsantrag eingereicht. Da die Ladung vor Inkrafttreten der neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020 erfolgte, unterliegt nach Artikel 25(3) VOBK 2020 die Zulassung dieses Hilfsantrags somit dem Ermessen der Kammer unter Artikel 13 VOBK 2007. Nach geltender Rechtsprechung, siehe RdBK 9.Auflage 2019, V.A.4.11.2 [im Folgenden: Rechtsprechung 2019], sind in diesem Zusammenhang auch die Bestimmungen der Artikel 12(4) VOBK 2007 anzuwenden. Danach berücksichtigt die Kammer das Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 unter anderem, soweit es die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 erfüllt.

In ihrem Schreiben hat die Beschwerdeführerin zu ihrem Hilfsantrag lediglich geäußert, der folgende Schritt sei aus der Beschreibung in Anspruch 1 aufgenommen worden, um das Scannen zu spezifizieren: "wobei beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblatts die Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt werden".

5.2 Zunächst ist "aus der Beschreibung" keine hinreichende Angabe einer Offenbarungsgrundlage, die den anderen Beteiligten ohne weiteres eine Prüfung der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ ermöglicht. Sodann ist nicht dargelegt worden, aus welchen Gründen und auf welche Weise der dem unabhängigen Anspruch hinzugefügte Schritt den von den Beschwerdegegnerinnen erhobenen Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit ausräumen soll. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin nicht darauf eingegangen, dass D2 laut Einspruchsentscheidung (Punkte 5.1 und 5.2) und Beschwerdeerwiderungen die hinzugefügten Merkmale offenbart. Obwohl sie bereits im Rahmen des Hauptantrags bestritten hat, dass in D2 Rotorblätter gescannt werden, hat sie nicht in Abrede gestellt, dass dort Aufnahmen beim Abfliegen eines Rotorblatts angefertigt werden.

5.3 Die Kammer betrachtet den Sachvortrag der Beschwerdeführerin zu ihrem Hilfsantrag deshalb nicht als vollständig im Sinne von Artikel 12(2) VOBK 2007.

Zudem kann sie nicht erkennen, dass der gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügte Schritt des Abfliegens prima facie die Neuheit gegenüber D2 herstellt und damit dem Anspruch zu einer prima facie Gewährbarkeit als Zulassungskriterium unter Artikel 13(1) VOBK 2007 verhilft.

5.4 Die von der Beschwerdegegnerin [Beschwerdeführerin] vorgetragene Rechtfertigung, sie hätte nach der vorläufigen Meinung der Kammer von der Gewährbarkeit des Hauptantrags ausgehen dürfen und nicht unnötig Kosten verursachen wollen, vermag nicht zu überzeugen. Warum hätte sie dann überhaupt einen Hilfsantrag eingereicht, wenn nicht vorsorglich für den Fall, dass der Hauptantrag als nicht gewährbar erachtet würde?

Im Beschwerdeverfahren hat aber grundsätzlich jede Partei die von ihr gestellten Anträge frühzeitig und vollständig zu begründen, sei es mit Beschwerdebegründung oder mit Erwiderung, um ein faires Verfahren sicherzustellen und gegebenenfalls den anderen Parteien und der Kammer eine zielgerichtete Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung zu ermöglichen, siehe RSBK V.4.12.5.

5.5 Weil der Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 nicht erfüllt und nicht prima facie gewährbar erscheint, hat die Kammer ihn in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4), 13(1) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zugelassen.

4. Der Vortrag der Antragstellerin (Patentinhaberin) zu Verfahrensmängeln 6 bis 8 im Überprüfungsantrag

Die Patentinhaberin habe den Hilfsantrag am 5. März 2020 und damit zeitlich vor der "abschließenden Mitteilung der Beschwerdekammer über den voraussichtlichen Ausgang des Beschwerdeverfahrens", womit sie die E-Mail vom 17. März 2020 meint, eingereicht.

Die Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdekammer unter Nr. 5.1, letzter Absatz, und Nr. 5.2 sei unrichtig. Die Patentinhaberin habe mit Eingabe vom 5. März 2020 eine Übersicht der Änderungen zum Patentanspruch 1 überreicht, d.h. die Fassung der Ansprüche des Hilfsantrags mit nachverfolgbaren Änderungen. Dort sei die Offenbarungsgrundlage aufgeführt, nämlich Patentschrift, Sp. 2, Z. 25-28, und WO, S. 4, Z. 16-18. Die Beschwerdekammer habe die "Übersicht über die Änderungen" (Überschrift) zum Patentanspruch 1, die von der Patentinhaberin eingereicht worden sei, unberücksichtigt gelassen. Es sei nur die Seite 1 der Eingabe erfasst (wo es heißt, dass der geänderte Anspruch 1 ein Merkmal aus der Beschreibung aufnimmt) und daraus ein fehlerhafter Rückschluss gezogen worden. Die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern sehe vor, dass der Vortrag der Parteien vollständig zu berücksichtigen sei. Nachdem dies nicht geschehen sei, beruhe die Entscheidung auf einem schwerwiegenden Verfahrensmangel.

Die Beschwerdekammer irre auch in der Ausführung, dass die Patentinhaberin nicht dargelegt habe, welche Bedeutung das ergänzte Merkmal in Bezug auf D2 (Stand der Technik) habe. Die von der Patentinhaberin zur Offenbarung des ergänzten Merkmals angegebene Offenbarungsstelle erkläre Folgendes:

Das Scannen erfolgt durch die elektronische oder mechanische Zielführung der Erfassungseinheit, d.h. etwa beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblatts oder aller Rotorblätter gemeinsam werden die entsprechenden Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt.

Hierdurch werde technisch der Begriff des Scannens definiert, nämlich als eine elektronische oder mechanische Zielführung der Erfassungseinheit, wodurch im Gegensatz zum Fotografieren gemäß D2 nicht beliebige Fotos zusammengesetzt würden, sondern es eine Zielführung der Erfassungseinheit gebe. Dies sei von der Beschwerdekammer unberücksichtigt geblieben.

Die Ausführung der Kammer, der Sachvortrag der Beschwerdeführerin zu ihrem Hilfsantrag sei deshalb nicht als vollständig im Sinne des Artikels 12 (2) VOBK 2007 zu verstehen, sei ein weiterer schwerwiegender Verfahrensverstoß, da der Vortrag der Patentinhaberin nicht gewertet werde.

Schließlich sei als schwerwiegender Verfahrensverstoß zu werten, dass die Beschwerdekammer die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag gegenüber D2 in der Entscheidung in Nr. 5.2 bewertet habe, ohne der Patentinhaberin oder deren Vertreterin die Möglichkeit gegeben zu haben, sich sachlich hierzu in der mündlichen Verhandlung einzulassen (vgl. Entscheidung Nr. 5.3 und 5.4). Es wäre vielmehr erforderlich gewesen, insbesondere nachdem die Beschwerdekammer trotz wiederholter Bestätigung ihre vorläufige Meinung geändert habe, der Patentinhaberin und deren Vertreterin die Möglichkeit zu geben, bezüglich der Neuheit des geänderten Anspruchs 1 gegenüber D2 sachlich vorzutragen. Dies habe die Beschwerdekammer nicht zugelassen. Das Vorbringen der Patentinhaberin zur Zulassung des Hilfsantrags sei auf den Vortrag im Schriftsatz vom 5. März 2020 beschränkt worden. In der mündlichen Verhandlung hätten die Patentinhaberin und deren Vertreterin lediglich dazu vortragen dürfen, ob der Schriftsatz vom 5. März 2020 den Erfordernissen eines verspäteten Vorbringens genüge.

Die GBK bemerkt hierzu, dass die Antragstellerin im Rahmen des sechsten Verfahrensmangels konkret geltend gemacht hat, sie habe sich lediglich zur Frage äußern dürfen, "warum keine zusätzliche Begründung zum Inhalt des Hilfsantrags eingereicht wurde".

5. Die Antworten der Einsprechenden auf den Überprüfungsantrag der Patentinhaberin

Die Einsprechenden 1, 2 und 3 widersetzen sich dem Überprüfungsantrag (mit Schreiben vom 17. bzw. 22. bzw. 12. April 2024).

Die Einsprechende 1 führt zu Nr. 1 des Überprüfungsantrags: "Verletzung des Rechts der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen Art. 113 EPÜ" (auf Seite 2 ihres Schreibens vom 17. April 2024), u.a. aus (Hervorhebung der GBK):

...

Zusätzlich verweist die Patentinhaberin auf eine am 17.03.2020 an alle Parteien ergangene E-Mail seitens der Beschwerdekammer, durch welche nach Interpretation der Patentinhaberin die Beschwerdekammer erneut gegenüber den Parteien ausführt, dass Anspruch 1 gegenüber D2/ZP3 als neu angesehen wird und damit die Beschwerde der Patentinhaberin Aussicht auf Erfolg hat.

Seitens der Einsprechenden 1 können die obigen Ausführungen der Patentinhaberin nicht nachvollzogen werden. In der besagten Mail vom 17.03.2020 weist die Beschwerdekammer (neben der Aufhebung des ursprünglich anberaumten Termins vom 7.04.2020) lediglich darauf hin, "dass eine Entscheidung auf Grund des schriftlichen Vorbringens der Parteien sowie dem ausführlichen Kammerbescheid möglich wäre". Entgegen der Ausführung der Patentinhaberin wird an keiner Stelle der E-Mail seitens der Beschwerdekammer ausgeführt bzw. bestätigt, dass der Anspruch 1 gegenüber D2/ZP3 als neu angesehen wird. Auch lässt sich daraus keinesfalls ableiten, dass damit die Beschwerde der Patentinhaberin Aussicht auf Erfolg hat. Seitens der Beschwerdekammer wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung aufgrund des schriftlichen Vorbringens der Parteien sowie des Kammerbescheids möglich wäre.

Dies deckt sich mit dem Verständnis der Einsprechenden 1. Denn zum Zeitpunkt der Aussendung der E-Mail am 17.03.2020 waren neben dem Kammerbescheid (mit der vorläufigen Meinung der Beschwerdekammer) vom 26.09.2019 bereits weitere Eingaben seitens der Einsprechenden 1 (06.03.2020) sowie der Einsprechenden 2 (26.02.2020) sowie der Einsprechenden 3 (09.03.2020) vorgebracht worden, welche im Antrag auf Überprüfung unerwähnt bleiben. Basierend auf den zum Zeitpunkt der E-Mail vom 17.3.2020 vorliegenden Informationen bzw. Argumentationen war nach Meinung der Einsprechenden 1 die Beschwerdekammer sehr wohl in der Lage eine angemessene Entscheidung basierend auf dem schriftlichen Vorbringen der Parteien zu treffen.

Keinesfalls konnte die Patentinhaberin wie von ihr in ihrem Antrag auf Überprüfung behauptet, von einer Änderung der vorläufigen Meinung der Beschwerdekammer überrascht worden sein -vielmehr waren sehr wohl alle Fakten und Argumente, welche zu der abschließenden Meinung der Beschwerdekammer geführt haben vor der Absendung der Mail vom 17.03.2020 und erst recht vor Durchführung der neu anberaumten Verhandlung am 30.03.2021 bekannt.

...

Zu Nr. 2 des Überprüfungsantrags: "Schwerwiegender Verfahrensmangel durch Nichtzulassung des Hilfsantrags gemäß Artikel 112a(2)d EPÜ" führt die Einsprechende 1 u.a. aus (auf Seite 3 ihres Schreibens vom 17. April 2024, Hervorhebung der GBK), laut Meinung der Patentinhaberin sei von der Beschwerdekammer unberücksichtigt geblieben,

dass die Offenbarungsstelle des hinzugefügten Merkmals (Patentschrift, Sp. 2, Z. 25 - 28) den technischen Begriff des Scannens definiert, nämlich als eine elektronische oder mechanische Zielführung der Erfassungseinheit, wodurch "im Gegensatz zum Abfotografieren gemäß D2 nicht beliebige Fotos zusammengesetzt werden, sondern es eine Zielführung der Erfassungseinheit gibt. ...

Dem wird widersprochen. Genau diese an zitierter Textstelle zu findende Definition des Scannens wurde bereits von der Einsprechenden 1 in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vom 13.9.2017 [29.9.2017] aufgenommen (siehe Seite 2, Absatz 5 ff.) mit der Argumentation, dass die Beschreibung des Streitpatents und insbesondere die Definition des Scannens gemäß Absatz [0007] keine Grundlage für eine enge Auslegung des Begriffs Scannen bietet, so dass D2 insbesondere mit Hinblick auf Absatz [00020] von D2 sehr wohl ein Scannen im Sinne des Streitpatent [sic] offenbart.

Obwohl diese neuheitsschädlichen Fakten bereits 2017 vorgetragen und somit bekannt waren, hat die Patentinhaberin bei Einreichen des Hilfsantrages am 5.03.2020 keine weiteren Angaben gemacht, wie die neu hinzugefügten Merkmale eine Neuheit gegenüber D2 begründen sollen, insbesondere da dies bereits im Schriftsatz der Einsprechenden 2017 bestritten wurde. Zurecht weist die Kammer in Punkt 5.2. in ihrer Entscheidung vom 30.3.2021 darauf hin, dass die Beschwerdeführerin nicht darauf eingegangen ist, dass D2 laut Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 23.01.2017 (siehe Punkte 5.1 und 5.2) und den Beschwerdeerwiderungen (wie die der Einsprechenden 1 am 13.9.2017 [29.9.2017]) die hinzugefügten Merkmale bereits offenbart. Es war somit bei Vorlage des Hilfsanspruch [sic] in keiner Weise erkennbar, dass bzw. auf welche Weise der gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügte Schritt "prima facie" die Neuheit gegenüber D2 herstellt und damit dem Anspruch zu einer prima facie Gewährbarkeit als Zulassungskriterium unter Artikel 13(1) VOBK 2007 verhelfen kann.

Somit betrachtet die Beschwerdekammer in Punkt 5.3 ihrer Entscheidung zurecht den Sachvortrag der Beschwerdeführerin zu ihrem Hilfsvortrag als nicht vollständig im Sinne von Artikel 12(2) VOBK 2007. Ein schwerer Verfahrensmangel ist nicht zu erkennen, die Nichtzulassung des Hilfsantrages war somit begründet.

In ihrem Schreiben vom 12. April 2024 trägt die Einsprechende 3 u.a. wörtlich vor (siehe Seite 4, Randnr. 10, Hervorhebung der GBK):

Die Patentinhaberin verkennt weiterhin, daß die Kammer sich nicht abschließend zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 geäußert hat. Vielmehr stellt die Kammer in einer summarische [sic] Prüfung fest, daß die prima facie Prüfung des Hilfsantrags 1 keine Anhaltspunkte für eine Gewährbarkeit ergeben hätten, was eine Zulassung unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls nicht geboten scheinen ließe.

Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 18. April 2024 auf das Schreiben der Einsprechenden 3 reagiert.

[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]

6. Die Mitteilung der GBK

Teil A der Mitteilung: "Sachverhalt und Verfahren" ist vorstehend (abgesehen von wenigen redaktionellen Änderungen) wörtlich wiedergegeben.

In ihrer vorläufigen Meinung in Teil B der Mitteilung führte die GBK zur Zulässigkeit aus, bezüglich des ersten bis fünften geltend gemachten Verfahrensmangels fehle es an der gemäß Regel 106 EPÜ erforderlichen Rüge. Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß Artikel 112a (4) und Regel 107 EPÜ schienen für alle geltend gemachten acht Verfahrensmängel erfüllt zu sein.

Im Hinblick auf die Begründetheit des Überprüfungsantrags behandelte die GBK in der Sache den Überprüfungsgrund nach Artikel 112a (2) c) i.V.m. Artikel 113 (1) EPÜ, der den Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör betrifft. Konkret befasste sich die GBK mit den beiden Fragen, ob die Antragstellerin im Lichte der von der Kammer in der Entscheidungsbegründung herangezogenen Kriterien zur Ausübung des Ermessens bei der Nichtzulassung des Hilfsantrags ausreichend gehört worden ist (Nr. 2.2), darüber hinaus ggf., ob unabhängig davon die zutreffenden Rechtsgrundlagen für die Ausübung des Ermessens zu Grunde gelegt und das Ermessen damit nicht offensichtlich unrichtig angewandt worden ist (Nr. 2.3).

Zur ersten Frage kam die GBK (unter Nr. 2.2) auf der Grundlage des von ihr feststellbaren Sachverhalts zum vorläufigen Ergebnis, dass

- ein Gehörsverstoß wegen des Übersehens der Offenbarungsstelle des in Anspruch 1 des Hilfsantrags hinzugefügten Merkmals mangels Kausalität für die Heranziehung von Artikel 12 (2) VOBK 2007 im Rahmen der Ermessensausübung verneint werden müsse (Nr. 2.2.1),

- hingegen ein Gehörsverstoß in der - lt. Antragstellerin - fehlenden Einräumung einer Gelegenheit zur Beantwortung der Frage der prima facie-Neuheit in der Verhandlung vorliege (Nr. 2.2.2). Denn auch unabhängig von der fehlenden Relevanz des Übersehens der Offenbarungsstelle im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen von Artikel 12 (2) VOBK 2007 hätten dieser Punkt und die prima facie fehlende Neuheit kumulativ zur negativen Ausübung des Ermessens nach Artikel 13 (1) i.V.m. 12 (4) VOBK 2007 im Sinne der Nichtzulassung des Hilfsantrags geführt.

- Die Frage, ob das Ermessen im Hinblick auf die Heranziehung des - möglicherweise nicht anwendbaren - Artikels 12 (2) VOBK 2007 offensichtlich unrichtig ausgeübt worden sei, behandelte die GBK (unter Nr. 2.3) ebenfalls - und bejahte sie, obwohl es hierauf im Hinblick auf den bereits (unter Nr. 2.2.2) erkannten Gehörsverstoß nicht mehr angekommen sei.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2024 nahm die Antragstellerin zur Mitteilung Stellung.

7. Die mündliche Verhandlung vor der GBK

Die mündliche Verhandlung vor der GBK fand am 22. Januar 2025 als Videokonferenz statt,

Der Vorsitzende wies auf die (im vorstehenden Abschnitt 6 zusammengefasste) Mitteilung der GBK hin, in der diese ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage mitgeteilt hatte. In der mündlichen Verhandlung wurde im Wesentlichen die Begründetheit des Überprüfungsantrags und dabei die in der Mitteilung in Abschnitt B.II.2.2.2 behandelte Frage diskutiert, ob die prima-facie Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer tatsächlich erörtert worden war.

Es sei daran erinnert, dass in Anspruch 1 des Hilfsantrags das Merkmal "beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblatts die Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt werden" eingefügt wurde.

Die Patentinhaberin bekräftigte ihre schriftlich vorgetragene Beanstandung, wonach sie im Rahmen der Diskussion über die Zulassung des Hilfsantrags in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zur prima facie-Neuheit nicht habe vortragen dürfen.

Von Seiten der Einsprechenden wurde die Auffassung vertreten, dass im Rahmen der Debatte zur Zulassung des Hilfsantrags das im Anspruch 1 eingefügte Merkmal nicht habe behandelt werden müssen, da die technische Diskussion vollumfänglich - und damit auch zu diesem Merkmal - bereits zum Hauptantrag geführt worden sei. Damit sei eine entsprechende Äußerung der Patentinhaberin entbehrlich gewesen.

Das Thema "Scannen" sei inhaltlich intensiv diskutiert worden. Die Patentinhaberin habe ihm im Schreiben vom 5. März 2020, mit dem der Hilfsantrag eingereicht wurde, die folgende Bedeutung beigemessen:

Gemäß diesem Hilfsantrag wird ein geänderter Anspruch 1 überreicht, der ein Merkmal aus der Beschreibung aufnimmt, wonach "beim Abfliegen des jeweiligen Rotorblatts die Aufnahmen im Wege des Scannings hergestellt werden". ...

Das Scannen wird durch dieses ergänzte Merkmal spezifiziert.

Dass das Thema "Scannen" in der mündlichen Verhandlung erörtert worden sei, so die Einsprechende 1, folge aus dem Satz oben auf Seite 9 in Abschnitt 5.2 der Entscheidung (beginnend mit : "Obwohl sie bereits ...") sowie Seite 4, 2. Absatz, wo die Ansicht der Kammer zum Vorliegen eines Scannens im Sinne von Anspruch 1 erläutert werde. Aus Abschnitt 5.2 geht lt. der Einsprechenden 1 auch hervor, dass die Patentinhaberin auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu der Thematik nicht erwidert habe.

In der Entscheidung, in Abschnitt 5.2, unten auf S. 8 bis oben auf S. 9, heißt es:

[Ende Seite 8] Insbesondere ist die Beschwerdeführerin nicht darauf eingegangen, dass D2 laut Einspruchsentscheidung (Punkte 5.1 und 5.2) und

[Beginn Seite 9] Beschwerdeerwiderungen die hinzugefügten Merkmale offenbart.

Obwohl sie bereits im Rahmen des Hauptantrags bestritten hat, dass in D2 Rotorblätter gescannt werden, hat sie nicht in Abrede gestellt, dass dort Aufnahmen beim Abfliegen eines Rotorblatts angefertigt werden.

Lt. der Einsprechenden 3 hat sich das Nicht-in-Abrede-stellen auf den Hauptantrag bezogen und das Thema ist in diesem Zusammenhang diskutiert worden. Die inhaltliche Diskussion zu dem hinzugefügten Merkmal sei damit schon geführt gewesen. Die Beschwerdekammer habe das Verfahren so geführt, dass alle technischen Fragen beim Hauptantrag diskutiert worden seien. Hinsichtlich der Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 des Hilfsantrags hätten sich keine zusätzlichen Fragen mehr gestellt.

Zur Frage, ob die Patentinhaberin zur Neuheit vortragen durfte, vertraten die Einsprechenden unterschiedliche Auffassungen:

Die Einsprechende 1 konnte nicht ausschließen, dass die Patentinhaberin nichts hierzu sagen durfte.

Die Einsprechende 2 zitierte aus der Mitschrift. Sinngemäß heiße es dort: Nach der vorläufigen Meinung der Kammer wäre eine Begründung zum Hilfsantrag verspätet. Es sei zusammen mit der Einreichung des Hilfsantrags keine Begründung gegeben worden, warum Anspruch 1 erfinderisch sei, und bei Zulassung des Hilfsantrags würde sich eine Vielzahl von Fragen stellen. Die Patentinhaberin habe die Rechtmäßigkeit des Verfahrens infrage gestellt; sie habe den Hilfsantrag begründen wollen. Der Vorsitzende habe gefragt, warum dieser bis dahin nicht begründet worden sei. Daraufhin sei über die Zulassung des Hilfsantrags entschieden worden.

Die Einsprechende 2 trug auch vor, der Vorsitzende habe Neuheit und erfinderische Tätigkeit als Debattenthema erwähnt. Der Patentinhaberin sei niemals das Wort verboten worden. Die Einsprechende 2 könne nicht bestätigen, dass die Patentinhaberin keine Gelegenheit zur - über die Frage der unvollständigen Begründung hinaus - weitergehenden Äußerung gehabt habe.

Die Einsprechende 3 wies auf Abschnitt 5.4, Seite 9, der Entscheidung als Beleg für die Diskussion zur Zulassung des Hilfsantrags hin. Der erste Satz lautet:

Die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene Rechtfertigung, sie hätte nach der vorläufigen Meinung der Kammer von der Gewährbarkeit des Hauptantrags ausgehen dürfen und nicht unnötig Kosten verursachen wollen, vermag nicht zu überzeugen.

Die Patentinhaberin antwortete auf das Vorbringen der Einsprechenden, das Scannen sei als ergänzendes Merkmal in den Hilfsantrag aufgenommen worden und habe sich nicht im Hauptantrag befunden. Zum Vorhalt, die Patentinhaberin hätte von sich aus die Neuheit ansprechen müssen, erwiderte sie, ihr sei das Wort zu diesem Thema vollständig abgeschnitten worden, sie habe zum Inhalt des Hilfsantrags nichts sagen dürften. Daher trügen die Einsprechenden vor, wegen der Diskussion zum Hauptantrag wäre alles ausdiskutiert gewesen.

8. Schlussanträge der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung

Die Antragstellerin beantragte

- die Entscheidung T 784/17 der Technischen Beschwerdekammer 3.2.04 aufzuheben und

- die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer anzuordnen.

Die drei Antragsgegnerinnen bestätigten ihre Anträge aus dem schriftlichen Verfahren auf Zurückweisung des Überprüfungsantrags.

Entscheidungsgründe

[Es folgt ein Auszug aus Teil B der Mitteilung.]

I. Zulässigkeit

1. Allgemein

Gemäß Regel 126 (2) EPÜ gilt die am 10. Mai 2021 dem Postdienstleister übergebene, mit Gründen versehene Entscheidung als am 20. Mai 2021 zugestellt. Der auf 9. Juli 2021 datierte Antrag auf Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ ging, zusammen mit der entsprechenden Gebühr, am 12. Juli 2021 und damit fristgerecht (Artikel 112a (4) EPÜ) ein.

Keine Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ bestand lediglich für den geltend gemachten sechsten bis achten Verfahrensmangel, da diese behaupteten Mängel erst aus der Entscheidung hervorgingen und daher eine vorherige Rüge nicht möglich war. Für den siebten und achten Verfahrensmangel ist das evident; für den sechsten folgt das daraus, dass die Antragstellerin erst aus der schriftlichen Entscheidung erkennen konnte, dass die Nichtzulassung auch auf andere Gesichtspunkte als die Frage des Umfangs der Begründung des Hilfsantrags gestützt wurde, nämlich der Nichtangabe der Offenbarungsstelle und der prima facie fehlenden Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1. Diesbezüglich durfte sich die Antragstellerin im Übrigen darauf verlassen, dass die Kammer die Offenbarungsstelle der Änderung nicht unberücksichtigt lassen würde und brauchte nicht ausdrücklich auf diese Stelle - und die von ihr hieraus gezogenen Konsequenzen für eine ausreichend ausführliche Begründung hinweisen.

Der erste bis fünfte geltend gemachte Verfahrensmangel hätte von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung gerügt werden können und daher gemäß Regel 106 EPÜ auch gerügt werden müssen. Insoweit ist der Überprüfungsantrag unzulässig. Siehe hierzu den folgenden Abschnitt.

Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß Regel 107 EPÜ [sind] für alle geltend gemachten Verfahrensmängel erfüllt.

2. Rügepflicht betreffend den ersten bis fünften Verfahrensmangel

- Erster Verfahrensmangel: Die Antragstellerin hätte ohne weiteres rügen können, dass technische Probleme bei der Video-Übertragung bestünden. Sie hat im Übrigen nicht geltend gemacht, warum die Audio-Verbindung nicht ausreichte

- Zweiter Verfahrensmangel: Eine Rüge betreffend die bindende Wirkung des Ladungsbescheides, welche nicht befolgt worden sei, nach Kenntnisnahme der geänderten Meinung der Kammer wäre möglich gewesen, jedenfalls nach Zurückweisung des Hauptantrags. (Im Übrigen handelt es sich um eine materiell-rechtliche Frage und damit um keinen denkbaren Verfahrensmangel.)

- Dritter Verfahrensmangel: Eine Rüge, dass kein neuer Kammerbescheid ergangen sei, wäre nach Kenntnisnahme der geänderten Meinung der Kammer möglich gewesen, jedenfalls nach Zurückweisung des Hauptantrags.

- Vierter Verfahrensmangel: siehe den dritten Verfahrensmangel.

- Fünfter Verfahrensmangel: Eine Rüge betreffend die Zurückweisung des Hilfsantrags als verspätet bei Nichtbeachtung der Verfügung der Beschwerdekammer vom 17. März 2020 und der fehlenden Möglichkeit einer zielgerichteten Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung wäre spätestens nach Bekanntgabe der Nichtzulassung des Hilfsantrags vor Schluss der Debatte möglich gewesen.

II. Begründetheit

1. Überprüfungsgrund nach Artikel 112a (2) d) EPÜ

In Bezug auf diesen Überprüfungsgrund ist der Antrag unbegründet, da der geltend gemachte Mangel nicht einem der beiden in Regel 104 a) und b) EPÜ genannten Mängel, d.h. dem Übergehen eines Antrags auf mündliche Verhandlung oder eines sonstigen Antrags zugeordnet werden kann.

Artikel 112a (2) d) EPÜ bildet keine Generalklausel für Verfahrensmängel, sondern ermächtigt den Gesetzgeber lediglich zur Bestimmung weiterer Mängel in der Ausführungsordnung über die in Artikel 112a EPÜ im Einzelnen bezeichneten Mängel hinaus. Davon sind in Regel 104 EPÜ genau die beiden vorgenannten abschließend bestimmt worden.

Allerdings können die von der Antragstellerin im Rahmen des Überprüfungsgrundes gemäß Artikel 112a (2) d) EPÜ gemachten Darlegungen betreffend den siebten und achten Verfahrensmangel dem Überprüfungsgrund gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 113 (1) EPÜ) zugeordnet werden, der bezüglich des sechsten Verfahrensmangels zulässig geltend gemacht wurde. Diese Darlegungen werden im nächsten Abschnitt betreffend Artikel 113 (1) EPÜ behandelt.

2. Überprüfungsgrund nach Artikel 112a (2) c) i.V.m. Artikel 113 (1) EPÜ: Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör

2.1 Allgemeines

Insoweit sind der geltend gemachte sechste, siebte und achte Verfahrensmangel zu bewerten; diese Mängel betreffen die Nichtzulassung des Hilfsantrags, die auf "Artikel 13 VOBK 2007" i.V.m. Artikel 12 (4) VOBK 2007 gestützt wurde. Die GBK geht davon aus, dass Absatz 1 dieses Artikels 13 gemeint ist, da dieser in der von der Kammer (in Nr. 5.1, erster Absatz) zitierten Stelle der "Rechtsprechung" 2019 zur Begründung der Anwendbarkeit von Artikel 12 (4) VOBK 2007 allein erwähnt ist und in der Entscheidung im Übrigen auch ausdrücklich genannt wurde (in Nr. 5.3 und Nr. 5.5). Artikel 12 (4) VOBK 2007 verweist seinerseits auf dessen Absatz 2, den die Kammer als Pflicht zum vollständigen Vortrag ausgelegt hat. Diese Pflicht sei nicht erfüllt worden, und der Gegenstand von Anspruch 1 erfülle nicht prima facie das Erfordernis der Neuheit. Die Kammer übte daher ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2007 dahingehend aus, den Hilfsantrag nicht zum Verfahren zuzulassen.

Artikel 12 VOBK 2007 lautet in seinen Absätzen 2 und 4 wie folgt (Hervorhebung der GBK):

(2) Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und sollen ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen. ...

(4) Unbeschadet der Befugnis der Kammer, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt.

Zur Frage der Zulassung neuen Vorbringens wird in einem Teil der Rechtsprechung der GBK zu Artikel 112a EPÜ verlangt, dass der Beteiligte zu dessen Zulassung (lediglich) ausreichend zu hören ist, nach einem anderen Teil der Rechtsprechung ist darüber hinaus die Ausübung des Ermessens im Rahmen der Zulassung nicht nur auf Willkür, sondern darüber hinaus auch auf offensichtliche Unrichtigkeit zu überprüfen (im Einzelnen siehe R 6/20, Nr. 3.1.2).

Vorliegend stellt sich bereits die Frage, ob die Antragstellerin ausreichend gehört worden (unten, Nr. 2.2), darüber hinaus ggf., ob unabhängig davon die zutreffenden Rechtsgrundlagen für die Ausübung des Ermessens zu Grunde gelegt und das Ermessen damit nicht offensichtlich unrichtig angewandt worden ist (unten Nr. 2.3). Nur bei positiver Beantwortung beider Fragen kann der Überprüfungsantrag unbegründet sein.

2.2 Ausreichendes Gehör betreffend die Zulassung?

Die Nichtzulassung des Hilfsantrags wurde auf zwei Gründe kumulativ gestützt: Fehlen der Voraussetzungen von Artikel 12 (2) VOBK 2007 und eine prima facie fehlende Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags. Siehe die bereits oben zitierte Passage (Hervorhebung der GBK):

5.5 Weil der Hilfsantrag [2.2.1] die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 nicht erfüllt und [2.2.2] nicht prima facie gewährbar erscheint, hat die Kammer ihn in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4), 13(1) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zugelassen.

[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]

Da die GBK die erste o.g. Frage negativ beantwortete und der Überprüfungsantrag aus diesem Grund bereits Erfolg hatte, kam es auf die zweite Frage nicht an. Nachgehend wird daher lediglich die Frage des ausreichenden Gehörs der Antragstellerin im Hinblick auf die Nichtzulassung des Hilfsantrags im Hinblick auf die geltend gemachte fehlende Möglichkeit, zur prima facie-Neuheit Stellung zu nehmen, erörtert. Das entspricht dem zulässig geltend gemachten sechsten und achten Verfahrensmangel (siehe oben, Abschnitt A.1):

- sechster Verfahrensmangel: Keine Erlaubnis für die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung, sich zum sachlichen Inhalt des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags zu äußern;

- achter Verfahrensmangel, der Entscheidung entnommen aufgrund der Nichtzulassung des Hilfsantrags: keine Möglichkeit des sachlichen Vortrags zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags.

Damit wird inhaltlich derselbe Mangel, aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, geltend gemacht,

[Es folgt erneut eine wörtliche Wiedergabe der Mitteilung.]

2.2.2 Hilfsantrag nicht prima facie gewährbar (keine Erlaubnis zur Stellungnahme zur Frage der prima-facie Neuheit)

Die Antragstellerin trägt vor, sie habe in der mündlichen Verhandlung lediglich dazu vortragen dürfen, ob der Schriftsatz vom 5. März 2020 den Erfordernissen eines verspäteten Vorbringens genüge. Sie habe sich "lediglich" zur Frage äußern dürfen, "warum keine zusätzliche Begründung zum Inhalt des Hilfsantrags eingereicht wurde". Der sachliche Inhalt des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag werde von der Beschwerdekammer in der Entscheidung diskutiert, ohne dass sie sich dazu äußern durfte. Zur Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 des Hilfsantrags sei sie damit nicht gehört worden.

Die GBK versteht den Vortrag der Antragstellerin dahingehend, dass es der Antragstellerin im Rahmen der Erörterung der Zulassung des Hilfsantrags 1 während der mündlichen Verhandlung nur gestattet war, zur Ursache für den vermeintlich unzureichenden Inhalt des Schreibens vom 5. März 2020 vorzutragen, und seitens der Beschwerdekammer die Diskussion hinsichtlich der Zulassung des Hilfsantrags 1 dementsprechend auf diesen Punkt beschränkt war. Die Antragstellerin habe sich daher nicht zum Aspekt, auf den sich die Beschwerdekammer in der Entscheidungsbegründung stützt, nämlich ob der "hinzugefügte Schritt des Abfliegens prima facie die Neuheit gegenüber D2 herstellt und damit dem Anspruch zu einer prima facie Gewährbarkeit als Zulassungskriterium unter Artikel 13(1) VOBK 2007 verhilft", in der mündlichen Verhandlung äußern dürfen.

Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer besagt, dass nach der Mitteilung des Beratungsergebnisses der mangelnden Neuheit in Bezug auf den Hauptantrag, "Hilfsantrag 1 diskutiert [wurde], insbesondere die Frage, ob dieser Antrag zuzulassen ist im Lichte von Artikel 12 und 13 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der Fassung von 2007." (siehe Protokoll, Seite 2, vorletzter Absatz). Zum Inhalt der Diskussion gibt es keine Information.

Die Einsprechende 1 trägt hierzu (in ihrem Schreiben vom 17. April 2024, oben Nr. A.5) vor, die drei Einsprechenden hätten sich auf die Mitteilung der Kammer vom 26. September 2019 hin geäußert. Die GBK bemerkt, dass sich die Einsprechenden 1 und 2 in diesen Eingaben gegen die Annahme der Neuheit des im Hauptantrag beanspruchten Gegenstands ausgesprochen hatten (s.o. Nr. A.2).

Die Antragstellerin hat nach der ersten Mitteilung der Kammer vom 26. September 2019 am 5. März 2020 den Anspruchssatz des fraglichen Hilfsantrags eingereicht. Zur Neuheit des im Haupt- und Hilfsantrag beanspruchten Gegenstands hat sie sich - abgesehen von der Angabe der Offenbarungsstelle des im Anspruch 1 des Hilfsantrags hinzugefügten Merkmals - nicht ausdrücklich geäußert. Dabei mag aus Sicht der Antragstellerin von Bedeutung gewesen sein, dass die Mitteilung den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags als neu angesehen hatte. Darüber hinaus verstand die Antragstellerin die spätere Mitteilung der Kammer per E-Mail vom 17. März 2020 dahingehend, dass diese die positive Bewertung der Neuheit bestätige.

Es sei angenommen, dass man die Rechtsprechung der Beschwerdekammern dahingehend verstehen muss, dass auch bei für den Patentinhaber positiver vorläufiger Meinung einer Kammer dieser auf Einwände der Einsprechenden gegen den Inhalt dieser Mitteilung eingehen muss, da die Kammer ihre Meinung im Laufe des weiteren Verfahrens ändern kann.

In diesem Zusammenhang hat die Einsprechende 1 darauf hingewiesen, dass trotz des bereits im Jahr 2017 erfolgten Vortrags neuheitsschädlicher Fakten die Patentinhaberin bei Einreichen des Hilfsantrages am 5. März 2020 keine weiteren Angaben gemacht habe, wie die neu hinzugefügten Merkmale eine Neuheit gegenüber D2 begründen sollten, was insbesondere bereits in der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden 1 vom 13. September 2017 (gemeint ist 29. September 2017) bestritten worden sei (siehe oben, Nr. A.5).

[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]

Es sei dementsprechend unterstellt, dass die Antragstellerin im schriftlichen Verfahren bereits vor Ergehen der Mitteilung der Kammer vom 26. September 2019 ausreichend Gelegenheit gehabt hat, zur Neuheit des Gegenstands des Hauptantrags gegenüber D2 vorzutragen, sowie zur Neuheit des Gegenstands des Hilfsantrags im Moment seiner Einreichung am 5. März 2020, und erst recht hinterher bis zur mündlichen Verhandlung.

Weiterhin sei vom Vortrag der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vor der GBK ausgegangen, wonach die technische Diskussion vollumfänglich - und damit auch zu dem im Hilfsantrag eingefügten, das Scannen betreffende Merkmal - bereits zum Hauptantrag geführt worden sei.

Die GBK teilt aber nicht die Schlussfolgerung von Seiten der Einsprechenden, dass damit eine entsprechende Äußerung der Patentinhaberin entbehrlich gewesen sei, soweit man daraus den Schluss ziehen müsste, die Kammer habe der Patentinhaberin auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Die Patentinhaberin stellte sich in der mündlichen Verhandlung vor der GBK nämlich auf den Standpunkt, die Bewertung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags konnte wegen des darin aufgenommenen zusätzlichen Merkmals nicht unmittelbar der Diskussion zum Hauptantrag entnommen werden. Die Tatsache, dass im Abschnitt 5.2 oben auf Seite 9 der Entscheidung gesagt wurde, die Patentinhaberin hätte die Schlussfolgerungen zum Hauptantrag, die auch für den Hilfsantrag gälten nicht bestritten, ist damit irrelevant, weil sie ja etwas anderes vortragen wollte.

Vielmehr hätte, damit sich die Beschwerdekammer auf den Aspekt der prima-facie fehlenden Neuheit des Gegenstands des Hilfsantrags in der Entscheidung betreffend die Nichtzulassung des Hilfsantrags hätte stützen dürfen, der Antragstellerin die Gelegenheit eingeräumt werden müssen, in der mündlichen Verhandlung dazu vorzutragen. Das hätte vorliegend vorausgesetzt, dass die Kammer das Thema im Rahmen der Debatte zur Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Zulassung des Hilfsantrags ausdrücklich ansprechen hätte müssen, da vorliegend für die GBK keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Einsprechenden den Aspekt der Neuheit im Rahmen der Zulassungsdebatte angesprochen hätten.

Im Protokoll heißt es insoweit lediglich:

... [Es] wurde Hilfsantrag 1 diskutiert, insbesondere die Frage, ob dieser Antrag zuzulassen ist im Lichte von Artikel 12 und 13 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der Fassung von 2007.

Dass die Kammer das Thema der prima facie Neuheit im Rahmen der Debatte zur Zulassung des Hilfsantrags angesprochen hätte, hat keine der Einsprechenden behauptet. Uneinig waren sie sich lediglich darin, ob die Patentinhaberin von der Kammer daran gehindert wurde, zum Hilfsantrag inhaltlich, also insbesondere zur prima facie Neuheit des Gegenstands dessen Anspruchs 1, vorzutragen. Dieser Punkt bildete den Kern der Debatte während der mündlichen Verhandlung vor der GBK. Darauf kommt es aber - mangels ausdrücklichen Ansprechens durch die Kammer - nicht mehr an.

Das gilt auch dann, wenn die Kammer - wie die Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vor der GBK - der Auffassung gewesen wäre, die technische Debatte zum hinzugefügten, das Scannen betreffende Merkmal in Anspruch 1 des Hilfsantrags sei bereits im Rahmen des Hauptantrags vollumfänglich geführt worden und eine weitere Debatte im Rahmen des Hilfsantrags überflüssig. In diesem Fall hätte die Kammer die Patentinhaberin auf ebendiese Auffassung hinweisen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Das folgt bereits aus dem Wortlaut von Artikel 113 (1) EPÜ, wonach Entscheidungen des EPA nur auf Gründe gestützt werden dürfen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Wie ausgeführt, hat die Kammer die Nichtzulassung des Hilfsantrags, kumulativ zusammen mit dem Grund der im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK 2007 unvollständigen Begründung des Hilfsantrags auf den Grund der fehlenden prima facie-Gewährbarkeit gestützt.

In Ermangelung des vorgenannten ausdrücklichen Ansprechens konnte die Antragstellerin erst der schriftlichen Entscheidung entnehmen, dass die Kammer die Nichtzulassung auch auf eine fehlende prima facie-Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gestützt hat. Daher war der Patentinhaberin auch eine diesbezügliche Rüge nach Regel 106 EPÜ nicht möglich (siehe oben Abschnitt I.1). Sie war damit daran gehindert, ihrer grundsätzlich bestehenden Pflicht, von sich aus im Verfahren ihre Interessen aktiv wahrzunehmen, nachzukommen.

Ergebnis

Nach alledem liegt im Umstand, dass die Kammer die Frage der prima facie-Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags bei der Debatte über die Ausübung des Zulassungs-Ermessens im Rahmen von Artikel 13 (1) VOBK 2007 nicht ausdrücklich angesprochen und dazu hat vortragen lassen, ein schwerwiegender Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör der Patentinhaberin (Artikel 113 (1) EPÜ) vor. Im Falle eines Ansprechens und damit einhergehend der Gelegenheit zur Stellungnahme zur prima facie-Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags kann nämlich nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Ermessensentscheidung anders ausgefallen wäre: Es wäre denkbar, dass die Kammer die Neuheit prima facie anders beurteilt hätte, hätte sie diesen Aspekt angesprochen, dazu vortragen lassen und etwaigen Vortrag der Patentinhaberin berücksichtigt. Möglicherweise hätte die Kammer dann die Bedeutung des fehlenden vollständigen Sachvortrags im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK 2007 anders, und zwar geringer gewichtet und hätte den Hilfsantrag zugelassen.

Die weiteren, in der Mitteilung der GBK behandelten Fragen (siehe oben Punkt 6)

bedürfen nach alledem keiner Beantwortung mehr.

III. Gesamtergebnis

Der - im Hinblick auf den sechsten, siebten und achten Verfahrensmangel - zulässige Überprüfungsantrag ist im Hinblick auf den sechsten und achten Verfahrensmangel, d.h. des fehlenden rechtlichen Gehörs zur prima facie-Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags begründet. Gemäß Regel 108 (3), Satz 1, EPÜ ist damit die Entscheidung der Beschwerdekammer aufzuheben und die Wiedereröffnung des Verfahrens vor der zuständigen Beschwerdekammer anzuordnen. Des Weiteren ist damit gemäß Regel 110 EPÜ auch die Rückzahlung der Gebühr für einen Antrag auf Überprüfung anzuordnen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die zu überprüfende Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer 3.2.04 wird angeordnet.

3. Die Gebühr für den Antrag auf Überprüfung wird zurückgezahlt.

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