European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2002:J001098.20021202 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 02 Dezember 2002 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0010/98 | ||||||||
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer: | G 0003/02 | ||||||||
Anmeldenummer: | 96908415.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | C12N 15/81 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | AstraZeneca AB | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage vorgelegt: Ist der Anmelder einer ursprünglich als Euro-PCT-Anmeldung eingereichten europäischen Patentanmeldung nach Maßgabe des TRIPS-Übereinkommens berechtigt, die Priorität einer ersten Anmeldung in einem Staat zu beanspruchen, der weder am Anmeldetag der ersten Anmeldung noch am Anmeldetag der Euro-PCT-Anmeldung Mitglied der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, am Anmeldetag der ersten Anmeldung aber Mitglied des WTO/TRIPS-Übereinkommens war? |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Euro-PCT-Anmeldung - indische Priorität - Berechtigung nach dem PCT - Anwendbarkeit des Artikels 87 (5) - Auslegung des Artikels 87 - unter Berücksichtigung von TRIPS - nach dem Wiener Übereinkommen - unter Berücksichtigung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten - unmittelbar bindende Wirkung und direktwirkender Charakter von TRIPS-Bestimmungen | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdesache J 9/98 betrifft die europäische Patentanmeldung Nr. 96 906 991.3, die am 12. März 1996 beim schwedischen Patentamt als internationale Patentanmeldung (PCT/SE96/00319) eingereicht wurde. Als früheste Priorität wurde für die PCT-Anmeldung die Priorität der indischen Anmeldung Nr. 293/MAS/95 vom 13. März 1995 beansprucht. Die Beschwerdesache J 10/98 betrifft die europäische Patentanmeldung Nr. 96 908 415.1, die ebenfalls am 12. März 1996 beim schwedischen Patentamt als internationale Patentanmeldung (PCT/SE96/00318) eingereicht wurde und für die als früheste Priorität die Priorität der indischen Anmeldung Nr. 351/MAS/95 vom 23. März 1995 beansprucht wurde.
Mit Mitteilungen vom 25. April 1996 (PCT/RO/121) informierte das schwedische Patentamt die Beschwerdeführerin in beiden Fällen nach Regel 4.10 b) Satz 1 PCT und Abschnitt 302 der Verwaltungsvorschriften darüber, daß die Prioritätsansprüche in bezug auf die indischen Anmeldungen von Amts wegen gestrichen worden seien, weil das Land, in dem die Prioritätsanmeldungen eingereicht worden seien, nicht der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums angehöre.
II. Beim Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung der durch die indischen Anmeldungen begründeten Prioritäten. Sie verwies auf Artikel 3 des WTO/TRIPS-Übereinkommens und auf die Tatsache, daß sie erst in der nationalen bzw. regionalen Phase eine Berichtigung der Streichung der beanspruchten Prioritäten beantragen könne, weil es im PCT keine Bestimmung gebe, die es ihr erlaube, die Handlungen des Anmeldeamts in der internationalen Phase anzufechten.
III. In zwei Entscheidungen, die jeweils am 27. November 1997 zur Post gegeben wurden, erklärte die Eingangsstelle, daß den Anträgen nicht stattgegeben werden könne. Die Beschwerdeführerin sei nicht berechtigt, die Prioritäten der betreffenden indischen Anmeldungen nach Artikel 87 (1), (2) oder (5) EPÜ in Anspruch zu nehmen. Selbst zum Zeitpunkt der Entscheidung sei Indien noch kein Vertragsstaat der Pariser Verbandsübereinkunft gewesen. Außerdem sei die EPO kein WTO-Mitglied und somit nicht an die Artikel 3 und 4 des TRIPS-Übereinkommens gebunden. Die Erfordernisse für die Anerkennung eines Prioritätsrechts nach Artikel 87 (5) EPÜ seien ebenfalls nicht erfüllt. Im Zusammenhang mit der Umsetzung des Artikels 87 (5) EPÜ habe das EPA Indien angeschrieben; nachdem es keine Antwort erhalten habe, seien diesbezüglich keine weiteren Schritte unternommen worden.
IV. Am 27. Januar 1998 legte die Beschwerdeführerin Beschwerden gegen die Entscheidungen der Eingangsstelle ein. Die Beschwerdegebühren wurden am gleichen Tag entrichtet. Auf Ersuchen der Beschwerdeführerin vom 9. Februar 1998 sandte ihr die Eingangsstelle Kopien von zwei Schreiben des EPA an den Leiter des indischen Patentamts zu. Die schriftliche Beschwerdebegründung wurde von der Beschwerdeführerin am 27. März 1998 eingereicht.
V. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, die in beiden Fällen identisch ist, läßt sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die Erfindungen, die den vorliegenden Anmeldungen zugrunde lägen, für die die indischen Prioritäten beansprucht würden, stammten von indischen Wissenschaftlern, die für den indischen Forschungsarm der Anmelderin arbeiteten, eines großen europäischen Unternehmens mit umfangreichem finanziellem Engagement in Indien. Sinn und Zweck von WTO und TRIPS-Übereinkommen sei es ja gerade, eine solche internationale Kooperation im Interesse der Globalisierung des Handels zu fördern. Wie die meisten Länder (einschließlich diverser EPÜ-Vertragsstaaten) verlange Indien, daß seine Staatsangehörigen nationale Patentanmeldungen einreichten, bevor sie im Ausland anmeldeten. Eine Verweigerung der Prioritäten durch das EPA wäre ein Signal, daß der EPO mehr an Formalitäten gelegen sei als an der von ihren Mitgliedstaaten übernommenen Verpflichtung, den Technologietransfer in andere Länder zu fördern und finanziell zu unterstützen.
2. Auch wenn das Wiener Übereinkommen nicht ausdrücklich für die Auslegung des EPÜ, des PCT oder der Pariser Verbandsübereinkunft gelte, weil es später in Kraft getreten sei als diese Verträge, seien seine Auslegungsregeln gemäß den Feststellungen der Großen Beschwerdekammer in der Entscheidung G 1/83, ABl. EPA 1985, 60 doch ein wertvoller Hinweis für die Auslegung aller davor und danach geschlossenen Verträge. Die Beschwerdeführerin verwies auf Artikel 26 (Pacta sunt servanda), auf Artikel 30 und insbesondere auf Artikel 31, der Auslegungsregeln für Verträge enthalte. Weder im PCT noch im TRIPS-Übereinkommen sei angeführt, daß sie der Pariser Verbandsübereinkunft untergeordnet seien, so daß Staaten mit ihrem Beitritt zur WTO unter Umständen weitere Verpflichtungen eingingen, ohne der Pariser Verbandsübereinkunft formal beigetreten zu sein. Nach Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens seien alle Mitglieder der WTO verpflichtet, die Artikel 1 bis 12 sowie Artikel 19 der Pariser Verbandsübereinkunft zu befolgen. Daher gelte die Pariser Verbandsübereinkunft in den rechtserheblichen Punkten für alle WTO-Mitglieder, die somit als Verbandsländer zu behandeln seien. Insbesondere verlange dieser TRIPS-Artikel, daß seine Mitglieder ein System für die Anerkennung von Prioritäten gemäß Artikel 4 der Pariser Verbandsübereinkunft unterhielten. Bei Anwendung der in Artikel 31 des Wiener Übereinkommens enthaltenen Auslegungsregel auf Artikel 4 A. (1) der Pariser Verbandsübereinkunft bedeute dies somit, daß der Begriff "Verbandsländer" so zu verstehen sei, daß er auch ein Land umfasse, das WTO-Mitglied sei. Dies gelte analog für den PCT. Eine engere Auslegung würde dem in der Präambel zum TRIPS-Übereinkommen dargelegten Sinn und Zweck dieses Übereinkommens zuwiderlaufen. Ein Staat, der nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehöre, wäre dann verpflichtet, Prioritätsanmeldungen zu ersten Anmeldungen von Erfindern in den Verbandsländern anzuerkennen, während seine eigenen Staatsangehörigen nicht berechtigt wären, in den Verbandsländern entsprechende Prioritäten in Anspruch zu nehmen. Dies stünde auch im Widerspruch zu der in den Artikeln 1 und 3 des TRIPS-Übereinkommens verankerten allgemeineren Verpflichtung. Aus diesen Gründen sei die indische Priorität in den PCT-Anmeldungen rechtswirksam beansprucht worden.
3. Aus denselben Gründen sei Artikel 87 (1) EPÜ so auszulegen, daß er den WTO-Mitgliedern ein Prioritätsrecht gewähre, weil alle diese Staaten wie Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft zu behandeln seien. Da das durch ein europäisches Patent gewährte Ausschlußrecht ein nationales Recht bleibe, würde jeder benannte Staat unter Verletzung von Artikel 3 des TRIPS-Übereinkommens Anmelder indischer Staatsangehörigkeit diskriminieren, wenn die Priorität indischer Anmeldungen verweigert würde. Daher sei es irrelevant, daß die EPO als solche kein WTO-Mitglied sei.
4. Aufgrund der in Artikel 3 des TRIPS-Übereinkommens enthaltenen Verpflichtung, den Angehörigen der anderen Mitglieder eine Behandlung zu gewähren, die nicht weniger günstig ist als die den eigenen Angehörigen gewährte Behandlung, müsse jeder EPÜ-Vertragsstaat als WTO-Mitglied die Priorität in Indien eingereichter Anmeldungen anerkennen und umgekehrt. Indien sei seinen Verpflichtungen durchaus nachgekommen. Die Beschwerdeführerin verwies auf eine in "The Gazette of India" vom 3. Januar 1995 veröffentlichte Liste von Staaten, aus denen künftig Prioritäten anerkannt würden. Das Vereinigte Königreich und Irland fehlten wegen bereits bestehender bilateraler Prioritätsvereinbarungen mit Indien in dieser Liste. Gemäß der in Artikel 4 des TRIPS-Übereinkommens enthaltenen "Meistbegünstigungsklausel" müßten Staaten, die der Pariser Verbandsübereinkunft beigetreten seien, allen anderen WTO-Mitgliedern sofort dasselbe Prioritätsrecht gewähren.
5. Was die Anerkennung von Prioritätsrechten gemäß Artikel 87 (5) EPÜ anbelange, könne der formale Aspekt, daß der Verwaltungsrat keine Bekanntmachung erlassen habe, nicht als ausschlaggebend betrachtet werden. Es dürfe nicht zugelassen werden, daß verfahrenstechnische Formalitäten das materielle Recht außer Kraft setzten. Wenn die Voraussetzungen für die Bekanntmachung nach diesem Artikel inhaltlich erfüllt seien, müsse der Verwaltungsrat die Bekanntmachung auch erlassen, und wenn dies bislang nicht geschehen sei, solle so vorgegangen werden, als habe er es bereits getan. Die grundlegende Tatsache, daß Indien das betreffende Prioritätsrecht seit dem 3. Januar 1995 gewähre, sei nachgewiesen worden. Nach der Erteilung bleibe das europäische "Bündel"patent ein nationales Ausschlußrecht. Würde die Priorität einer indischen Anmeldung verweigert, so würde jeder benannte Staat ein Ausschlußrecht unter Bedingungen erteilen, die Anmelder indischer Staatsangehörigkeit unter Verletzung von Artikel 3 des TRIPS-Übereinkommens diskriminierten. Andererseits sei es nach der Erteilung Sache der nationalen Gerichte, darüber zu befinden, ob eine Priorität nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats wirksam beansprucht worden sei. Daher sollten die Prioritätsansprüche im Verfahrensstadium der Bearbeitung der Anmeldung bis zur Erteilung aufrechterhalten werden.
VI. In einem Bescheid teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre Absicht mit, die Beschwerdesachen J 9/98 und J 10/98 miteinander zu verbinden und der Großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage zu den etwaigen Auswirkungen des TRIPS-Übereinkommens auf das Recht eines Anmelders vorzulegen, für eine ursprünglich als Euro-PCT-Anmeldung eingereichte Anmeldung die Priorität einer ersten Anmeldung in einem Staat zu beanspruchen, der weder am Anmeldetag der früheren Anmeldung noch am Anmeldetag der Euro-PCT-Anmeldung Mitglied der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums war, aber am Anmeldetag der ersten Anmeldung dem WTO/TRIPS-Übereinkommen angehörte. Die rechtlichen Gründe, aus denen die Kammer diese Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer vorlegen wollte, und der Wortlaut der Frage wurden der Beschwerdeführerin mitgeteilt.
VII. In Erwiderung darauf reichte die Beschwerdeführerin einen Gegenvorschlag mit Fragen ein, die vorgelegt werden sollten. Sie begründete dies damit, daß die von der Kammer abgefaßte Frage so verstanden werden könne, als nehme sie vorweg, daß die Entscheidung über die Gewährung der beanspruchten Priorität davon abhängig sei, ob das TRIPS-Übereinkommen selbst für die EPO bindend sei, wie es im Bescheid der Kammer (Absatz 2) angeregt werde. Das Hauptargument der Beschwerdeführerin bezüglich der Auslegung des Artikels 87 EPÜ sei aber nicht davon abhängig, ob das TRIPS-Übereinkommen eine andere Wirkung habe als die eines Auslegungsinstruments. Zudem falle das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument - daß das EPA verpflichtet oder zumindest ermächtigt sei, einen Prioritätsanspruch anzuerkennen, der ansonsten nicht den Erfordernissen des Artikels 87 EPÜ genügen würde, wenn die Verweigerung eines solchen Anspruchs dazu führen würde, daß Mitgliedstaaten gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen verstoßen würden - zwar unter die von der Kammer vorgeschlagene allgemeine Frage, müßte aber unabhängig analysiert und daher gesondert behandelt werden. Dasselbe gelte auch für die Fragen in Zusammenhang mit dem PCT.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerdesachen J 9/98 und J 10/98 betreffen Beschwerden derselben Anmelderin/Beschwerdeführerin gegen die Entscheidungen der Prüfungsabteilung, mit denen die Anträge der Beschwerdeführerin, wonach die Prioritäten wiedereingesetzt werden sollten, die ursprünglich unter Bezugnahme auf in Indien eingereichte Anmeldungen beansprucht worden waren, in der regionalen Phase der Euro-PCT-Anmeldungen vor dem EPA zurückgewiesen wurden. Somit sind die beiden Beschwerdesachen sehr eng miteinander verwandt. In beiden geht es um dieselbe Rechtsfrage, ob eine als internationale Anmeldung eingereichte europäische Patentanmeldung zu einem Zeitpunkt, an dem Indien dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, Anlage 1C zum Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (nachstehend TRIPS-Übereinkommen genannt) der Welthandelsorganisation (nachstehend WTO genannt), aber noch nicht der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (nachstehend Pariser Verbandsübereinkunft genannt) angehörte, wirksam die Priorität einer indischen Anmeldung beanspruchen konnte. Daher hat die Kammer entschieden, die Beschwerdesachen J 9/98 und J 10/98 gemäß Artikel 9 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern miteinander zu verbinden (s. a. Entscheidungen T 114/82 und T 115/82, ABl. EPA 1983, 323, Leitsatz I).
2. Die Anmeldungen, die den vorliegenden Beschwerden zugrunde liegen, wurden als internationale Anmeldungen nach dem PCT eingereicht.
2.1 Eines der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente lautete, daß bei der Anwendung des Artikels 8 PCT und der in Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (nachstehend Wiener Übereinkommen genannt) enthaltenen Auslegungsregel auf Artikel 4 A. (1) der Pariser Verbandsübereinkunft der Begriff "Verbandsländer" so zu verstehen sei, daß er auch ein Land umfasse, das Mitglied der WTO sei. Nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens zur Errichtung der WTO und des TRIPS-Übereinkommens könne für eine internationale Anmeldung nach dem PCT automatisch die Priorität einer Anmeldung in einem Land beansprucht werden, das - wie Indien (seit dem 1. Januar 1995) - am Anmeldetag der Prioritätsanmeldung WTO-Mitglied gewesen sei, selbst wenn der Wortlaut des Artikels 8 PCT unverändert geblieben sei. Dies liege daran, daß WTO-Mitglieder nach Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens wie Mitglieder der Pariser Verbandsübereinkunft zu behandeln seien und daher die Priorität einer in einem WTO-Mitgliedstaat eingereichten Anmeldung beansprucht werden könne, selbst wenn dieser Staat zum damaligen Zeitpunkt nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehört habe.
2.2 Nach Artikel 8 (1) PCT kann die internationale Anmeldung eine Erklärung enthalten, mit der die Priorität einer oder mehrerer in einem oder für einen Mitgliedstaat der Pariser Verbandsübereinkunft eingereichter früherer Anmeldungen beansprucht wird.
2.3 Selbst am Anmeldetag der PCT-Anmeldungen, d. h. am 12. März 1996, gehörte Indien noch nicht dieser Übereinkunft an. Für Indien wurde die Pariser Verbandsübereinkunft erst am 7. Dezember 1998 wirksam (Bl. f. PMZ 2001, 120). Daher erließ das schwedische Patentamt als Anmeldeamt für die internationalen Anmeldungen gemäß der bestehenden Praxis die Mitteilungen nach (der damals geltenden, s. WIPO-Ausgabe des PCT 1994) Regel 4.10 b) PCT Satz 1 und nach Abschnitt 302 der Verwaltungsvorschriften, wonach die Prioritätsansprüche der indischen Anmeldungen von Amts wegen gestrichen worden seien, weil das Land, in dem die früheren Anmeldungen eingereicht worden seien, nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehöre (s. diesbezüglich den für diese Mitteilungen verwendeten PCT-Vordruck Formblatt PCT/RO/121).
2.4 Wie aus dem Ausdruck "für das Verfahren nach dem Vertrag" in der damals geltenden Regel 4.10 b) PCT ersichtlich ist, betrifft jede Feststellung eines Anmeldeamts, daß ein Prioritätsanspruch als nicht erhoben gilt oder "gestrichen" wird, nur die internationale Phase der Anmeldung. Sie ist keineswegs eine endgültige, für die Bestimmungsämter verbindliche Entscheidung in der Sache (s. a. PCT-Leitfaden für Anmelder, Band I, 1. Auflage, März 2001, Internationale Phase, Nr. 97).
2.5 Indien war weder am Anmeldetag in Indien noch am Anmeldetag der europäischen Anmeldungen ein Verbandsland im Sinne von Artikel 4 A. (1) der Pariser Verbandsübereinkunft. Daher ist es im vorliegenden Fall unerheblich, ob nach diesem Artikel der Staat, in dem die erste Anmeldung erfolgt, am Anmeldetag dieser ersten Anmeldung der Pariser Verbandsübereinkunft angehören muß, damit ein Prioritätsrecht begründet wird, oder ob es auch als ausreichend gelten könnte, wenn der betreffende Staat am Anmeldetag der späteren Anmeldung Mitglied der Pariser Verbandsübereinkunft war, wobei sich die große Mehrzahl der vorliegenden Meinungen für die erste Alternative ausspricht (s. z. B. Ladas, Patents, Trademarks, and Related Rights, Cambridge 1975, Band I, ' 265, und insbesondere die Erörterung der Problematik in Ruhl, Unionspriorität, Köln 2000, Nr. 167 ff. und Wieczorek, Die Unionspriorität im Patentrecht, Köln 1973, S. 77 ff.).
2.6 Nach Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens müssen die Mitglieder die Bestimmungen der Artikel 1 bis 12 sowie des Artikels 19 der Pariser Verbandsübereinkunft (1967) in bezug auf - unter anderem - Teil II des TRIPS-Übereinkommens befolgen. Teil II des TRIPS-Übereinkommens enthält in Abschnitt 5 Bestimmungen zu Patenten. Demnach müssen Mitglieder des TRIPS-Übereinkommens insbesondere Prioritätsrechte in bezug auf Anmeldungen gewähren, die unter den in Artikel 4 der Pariser Verbandsübereinkunft genannten Bedingungen in Mitgliedstaaten des TRIPS-Übereinkommens eingereicht wurden, selbst wenn der Mitgliedstaat von WTO und TRIPS, in dem die erste Anmeldung erfolgte, nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehört (Leitfaden für Anmelder, a. a. O.; Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 6. Auflage, Köln 2001, ' 41, Nr. 17).
2.7 Der PCT-Verband (Verband für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens gemäß Artikel 1 (1) PCT) ist als solcher nicht dem TRIPS-Übereinkommen beigetreten. Die Verpflichtungen aus dem TRIPS-Übereinkommen sind somit für den PCT-Verband als solchen nicht unmittelbar bindend, sondern nur für diejenigen Mitglieder des PCT-Verbands, die auch Mitglied der WTO sind (Leitfaden für Anmelder, a. a. O.).
Mit Wirkung vom 1. Januar 2000 - und somit auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar - wurde Regel 4.10 a) PCT geändert, um in Verbindung mit Artikel 8 PCT, der unverändert blieb, vorzusehen, daß jede Erklärung nach Artikel 8 Absatz 1 PCT die Priorität einer oder mehrerer früherer Anmeldungen beanspruchen kann, die in einem oder für einen Mitgliedstaat der WTO, der nicht Verbandsland der Pariser Verbandsübereinkunft ist, eingereicht wurden. Aber selbst nach seinem Inkrafttreten findet Absatz a gemäß Regel 4.10 d) keine Anwendung, wenn er am 29. September 1999 nicht mit dem von einem Bestimmungsamt anzuwendenden nationalen Recht vereinbar war, sofern dieses Amt das Internationale Büro davon unterrichtet hatte (was das EPA getan hat, Busse in Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 2. Auflage, Köln 2000, vor Artikel 150, Nr. 6).
Dies deutet darauf hin, daß die Mitgliedstaaten des PCT-Verbands allgemein der Ansicht waren, daß Artikel 8 PCT in Ermangelung einer konkreten einschlägigen Bestimmung nicht einfach durch eine Auslegung nach Maßgabe von Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens so ausgedehnt werden konnte, daß die Beanspruchung einer durch eine Anmeldung in einem Staat, der Mitglied der WTO, aber nicht der Pariser Verbandsübereinkunft ist, begründete Priorität generell zulässig ist, weil ansonsten die Einführung der geänderten Regel 4.10 PCT nicht nötig gewesen wäre und es noch viel müßiger gewesen wäre, die in ihrem Absatz d enthaltene Ausnahme vorzusehen. Obwohl das WTO/TRIPS-Übereinkommen für eine Reihe von PCT-Vertragsstaaten schon zum 1. Januar 1995 in Kraft getreten war, wird im Leitfaden für Anmelder erstmals in der Ausgabe vom Januar 2000, Nr. 97, wo auf die geänderte Regel 4.10 b) und d) PCT verwiesen wird, die Möglichkeit genannt, in einer internationalen Anmeldung nach dem PCT die Priorität einer Anmeldung in einem Staat in Anspruch zu nehmen, der Mitglied von WTO/TRIPS, nicht aber ein Verbandsland der Pariser Verbandsübereinkunft ist.
Somit scheint die oben dargelegte Meinung der allgemeinen Auffassung der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten des PCT-Verbands zu entsprechen.
3. Gemäß Artikel 87 (5) EPÜ kann auch die Priorität einer Anmeldung beansprucht werden, die in einem nicht zu den Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft gehörenden Staat eingereicht wurde, wenn dieser Staat nach einer Bekanntmachung des Verwaltungsrats aufgrund einer ersten Anmeldung beim Europäischen Patentamt und aufgrund einer ersten Anmeldung in jedem oder für jeden Vertragsstaat gemäß zwei- oder mehrseitigen Verträgen ein Prioritätsrecht gewährt, und zwar unter Voraussetzungen und mit Wirkungen, die denen der Pariser Verbandsübereinkunft vergleichbar sind.
3.1 Es ist unumstritten, daß der Verwaltungsrat bislang keine derartige Bekanntmachung in bezug auf Indien erlassen hat. Allerdings argumentierte die Beschwerdeführerin, daß dieser formale Aspekt nicht als entscheidend angesehen werden könne. Ausschlaggebend sei, daß Indien nachweislich seit dem 3. Januar 1995 Prioritätsrechte gewähre, die durch Anmeldungen in EPÜ-Staaten begründet seien. Da das europäische "Bündel"patent nach der Erteilung ein nationales Ausschlußrecht bleibe, würde jeder benannte Staat unter Verletzung von Artikel 3 des TRIPS-Übereinkommens Anmelder indischer Staatsangehörigkeit diskriminieren, wenn einer europäischen Patentanmeldung die Priorität einer indischen Anmeldung verweigert würde.
3.2 Die Kammer kann sich der Auffassung nicht anschließen, daß die Bekanntmachung nach Artikel 87 (5) EPÜ eine reine Formalität ohne jegliche materiellrechtliche Bedeutung sei. Ganz im Gegenteil stellt die Bekanntmachung mit bindender Wirkung für alle zuständigen Instanzen - auf europäischer und später auf nationaler Ebene - fest, daß die Erfordernisse für die Anerkennung der Priorität einer ersten Anmeldung in dem betreffenden Land für eine europäische Patentanmeldung erfüllt waren, obwohl dies nach Artikel 87 (1) EPÜ nicht der Fall war. Damit hat die Bekanntmachung eine echte materiellrechtliche Wirkung.
3.3 Außerdem waren im vorliegenden Fall andere sachliche Erfordernisse des Artikels 87 (5) EPÜ für die Anerkennung eines Prioritätsrechts nicht erfüllt, das durch die Anmeldung in Indien begründet worden wäre. Diese anderen sachlichen Erfordernisse wären selbst dann anwendbar, wenn dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ansonsten zugestimmt werden könnte und wenn auch akzeptiert würde, daß Indien - im Hinblick auf die Wirkung einer europäischen Patentanmeldung nach Artikel 66 EPÜ - nach dem Beitritt zum WTO/TRIPS-Übereinkommen verpflichtet wäre, die Priorität europäischer erster Anmeldungen anzuerkennen, in denen Mitglieder des TRIPS-Übereinkommens benannt wurden, und wenn zudem akzeptiert würde, daß das TRIPS-Übereinkommen grundsätzlich ein mehrseitiger Vertrag im Sinne von Artikel 87 (5) EPÜ sein könnte.
3.4 Zunächst einmal waren zu dem Zeitpunkt, als die indischen Anmeldungen eingereicht wurden, nicht alle EPÜ-Vertragsstaaten Mitglied des TRIPS-Übereinkommens. Für Liechtenstein, die Schweiz und Monaco war das WTO/TRIPS-Übereinkommen noch nicht in Kraft getreten (s. die Liste der WTO-Mitglieder in Bl. f. PMZ 2001, 135). Somit verpflichtete das TRIPS-Übereinkommen Indien zu diesem Zeitpunkt nicht, ein Prioritätsrecht auf der Grundlage von ersten Anmeldungen in jedem Vertragsstaat im Sinne von Artikel 87 (5) EPÜ zu gewähren. Durch die Revision des Artikels 87 (5) EPÜ durch die Akte zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5. Oktober 1973, zuletzt revidiert am 17. Dezember 1991, Artikel 1, Nr. 34 (Sonderausgabe Nr. 4 zum ABl. EPA 2001, 3, 22) wurde das letztere Erfordernis gestrichen, weil davon ausgegangen wurde, daß Artikel 87 (5) EPÜ im Falle seiner Beibehaltung nach wie vor nicht praktikabel wäre (s. a. Basisvorschlag für die Revision des Europäischen Patentübereinkommens, MR/2/00, S. 81, Nr. 7). Im Gegensatz zu einigen geänderten Bestimmungen, die nach Artikel 6 der Akte vorläufig anwendbar sind, sieht Artikel 7 vor, daß die revidierte Fassung des Artikels 87 EPÜ nur auf europäische Patentanmeldungen Anwendung findet, die nach dem Inkrafttreten der revidierten Fassung des Übereinkommens eingereicht wurden (s. a. Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000, Sonderausgabe Nr. 4, 139, und Erläuterungen zu den Übergangsbestimmungen, Sonderausgabe Nr. 4, 137, Nr. 16). Daher kann diese Änderung noch nicht auf derzeit anhängige Anmeldungen angewandt werden.
3.5 Zudem ist es dem Wortlaut des Artikels 87 (5) EPÜ zufolge nicht entscheidend, ob der betreffende Staat verpflichtet ist, durch europäische erste Anmeldungen begründete Prioritäten anzuerkennen, sondern es ist eine Voraussetzung für die Anerkennung eines durch eine Anmeldung in diesem Staat begründeten Prioritätsrechts für eine europäische Anmeldung, daß er ein solches Prioritätsrecht gewährt, d. h. tatsächlich anerkennt. Der Zweck dieses Wortlauts besteht ganz klar darin sicherzustellen, daß die gegenseitige Anerkennung von Prioritäten auch wirklich in bezug auf europäische Anmeldungen gewährleistet ist, und die Anerkennung eines durch eine erste Anmeldung in einem Staat, der nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehört, begründeten Prioritätsrechts davon abhängig zu machen (s. den seinerzeit für Artikel 67 (6) EPÜ verwendeten Wortlaut in der allerersten Fassung des ersten Arbeitsentwurfs eines Abkommens über ein europäisches Patentrecht vom 2. August 1961: "wenn die erste Anmeldung in einem Staat eingereicht worden ist, der ... Gegenseitigkeit gewährt" und im Vorentwurf eines Abkommens über ein europäisches Patentrecht vom 26. Mai 1962).
Der vorliegende Fall veranschaulicht den - und sei es nur zeitlichen - Unterschied zwischen dem Eingehen einer gesetzlichen Verpflichtung in einem internationalen Abkommen und der tatsächlichen praktischen Umsetzung einer solchen Verpflichtung. Wie aus den beiden der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Schreiben des EPA aus den Jahren 1995 und 1996 an den Leiter des indischen Patentamts ersichtlich ist (Bl. 12 bis 14 der Beschwerdeakte J 9/98), hatte Indien zum Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Anmeldungen und auch später keinerlei Erklärung dahingehend abgegeben, daß es durch europäische erste Anmeldungen begründete Prioritäten anerkennen werde. Die einzige verfügbare Information war die von der Beschwerdeführerin angeführte Veröffentlichung in "The Gazette of India", wonach Indien die Priorität erster Anmeldungen in einer Reihe von EPÜ-Vertragsstaaten anerkenne, wozu aber keine Staaten gehörten, für die das WTO/TRIPS-Übereinkommen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war.
4. Des weiteren argumentierte die Beschwerdeführerin, daß die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens bei der Auslegung des Artikels 87 (1) EPÜ gemäß den Artikeln 26, 30 und 31 des Wiener Übereinkommens berücksichtigt werden müßten, und folgerte, daß der Ausdruck "Vertragsstaat der Pariser Verbandsübereinkunft" in Artikel 87 EPÜ so auszulegen sei, daß er auch ein WTO-Mitglied umfasse, das nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehöre.
4.1 Wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend gemacht hat, müssen die im Wiener Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen zur Auslegung von Verträgen nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern tatsächlich bei der Auslegung des EPÜ berücksichtigt werden, auch wenn sie nach Artikel 4 des Wiener Übereinkommens formal nicht anwendbar sind, weil das EPÜ vor dem Inkrafttreten des Wiener Übereinkommens geschlossen wurde (G 1/83 (deutsche Fassung), ABl. EPA 1985, 60, Nr. 3 der Entscheidungsgründe; T 1173/97, ABl. EPA 1999, 609, Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe).
4.2 Im vorliegenden Fall ist aber Artikel 25 (Pacta sunt servanda) des Wiener Übereinkommens in bezug auf die EPO und TRIPS nicht anwendbar, weil die EPO kein Mitglied des TRIPS-Übereinkommens ist. Artikel 30 (3) des Wiener Übereinkommens kann im vorliegenden Fall nicht in bezug auf TRIPS angewandt werden, da sich der Kreis der EPÜ-Vertragsstaaten - wie bereits angeführt - nicht ganz mit dem Kreis der TRIPS-Mitglieder deckte, d. h. nicht alle EPÜ-Vertragsstaaten gehörten gleichzeitig dem WTO/TRIPS-Übereinkommen an (T 1173/97, a. a. O., Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe). Aus demselben Grund ist auch Artikel 31 (3) des Wiener Übereinkommens, wonach spätere Übereinkünfte, Übungen oder Regeln zwischen den Vertragsparteien unter bestimmten Bedingungen bei der Auslegung eines früheren Vertrags zu berücksichtigen sind, im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Artikel 30 (4) des Wiener Übereinkommens ist ebenfalls nicht anwendbar, weil das Prioritätsrecht für eine europäische Anmeldung nur für die europäische Anmeldung als solche bestehen oder nicht bestehen kann und für verschiedene in der europäischen Anmeldung benannte Staaten keine unterschiedlichen Regeln angewandt werden können.
Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens sieht vor, daß ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Angesichts dieser Auslegungsregel ist es nicht möglich, Artikel 87 (1) EPÜ so auszulegen, daß er auf Staaten anwendbar wäre, die nicht der Pariser Verbandsübereinkunft angehören. Die gewöhnliche Bedeutung und der Zusammenhang des Begriffs "Vertragsstaat der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums" sind insofern ganz eindeutig, als sie die Anmeldungen, die ein Prioritätsrecht für eine europäische Anmeldung begründen, durch den Verweis auf die Mitglieder dieser Übereinkunft definieren. Ziel und Zweck dieses Wortlauts des Artikels 87 (1) EPÜ bestanden klar und eindeutig darin, die Anwendbarkeit dieses ersten Absatzes des Artikels 87 EPÜ auf Anmeldungen in Staaten zu beschränken, die der Pariser Verbandsübereinkunft angehören. Was die Entstehungsgeschichte des Artikels 87 (1) EPÜ anbelangt, so war der Verweis auf die Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft schon ursprünglich im ersten Absatz der geplanten Bestimmung zur Priorität enthalten (Erster Arbeitsentwurf eines Abkommens über ein europäisches Patentrecht vom 2. August 1961, S. 2). Später wurde er gestrichen (Vorentwurf eines Abkommens über ein europäisches Patentrecht, ausgearbeitet von der Arbeitsgruppe "Patente", 1962, S. 46a), im Jahre 1970 aber wieder eingefügt, um das Prioritätsrecht nach dem ersten Absatz des (damaligen) Artikels 73 auf Anmeldungen in Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft zu begrenzen und alle weiteren Prioritätsrechte von der gegenseitigen Anerkennung gemäß dem heutigen Artikel 87 (5) EPÜ (dem damaligen Artikel 73 (5), s. Protokoll (vom 26. Oktober 1970) der Arbeitsgruppe I der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens, BR/49/70, S. 42, Nr. 124) abhängig zu machen.
5. Wenn das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Grundsatz "pacta sunt servanda" solle angewandt werden, dahin ausgelegt wird, daß die EPO verpflichtet sei, die Priorität erster Anmeldungen in WTO-Staaten zu gewähren, weil die Mehrheit ihrer Mitgliedstaaten durch das TRIPS-Übereinkommen dazu verpflichtet sei, so ist folgendes zu bemerken:
5.1 In einigen Fällen haben sich die Beschwerdekammern ja schon mit der Frage der Übereinstimmung der anzuwendenden Bestimmungen des EPÜ mit Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens befaßt. Allerdings kamen sie dabei entweder zu dem Schluß, daß die betreffenden Bestimmungen des EPÜ nicht gegen die einschlägigen Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens verstießen (G 1/97, ABl. EPA 2000, 322, Nr. 5 der Entscheidungsgründe: Übereinstimmung mit den Artikeln 31, 32 und 62 (5) TRIPS, und J 32/97 vom 20. Juli 1998, unveröffentlicht, Nr. 16 der Entscheidungsgründe: Übereinstimmung mit Artikel 4 TRIPS), oder die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens wurden bei der Auslegung eines Begriffs aus dem EPÜ berücksichtigt, der ausgelegt werden konnte und auch mußte (T 1173/97, ABl. EPA 1999, 609, Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe, T 935/97 vom 4. Februar 1999, unveröffentlicht, zur Definition des Ausschlusses von Computerprogrammen als solchen von der Patentierbarkeit in Artikel 52 (2) und (3) EPÜ).
Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der hinsichtlich des EU-Rechts zwar die unmittelbare Anwendbarkeit der TRIPS-Bestimmungen verneint (s. Nr. 6 unten), aber die nationalen gerichtlichen Instanzen verpflichtet sieht, nationale Rechtsvorschriften soweit wie möglich unter Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck der TRIPS-Bestimmungen anzuwenden (s. Entscheidung "Christian Dior", verbundene Rechtssachen C-300/98 und C-392/98, IIC 2001, 664, 670, Nr. 47, unter Verweis auf ein weiteres Urteil).
5.2 Die Anwendung des Artikels 87 (1) EPÜ auf erste Anmeldungen in WTO/TRIPS-Mitgliedstaaten ginge aber wesentlich weiter. Sie würde vom EPA verlangen, ein Prioritätsrecht zu gewähren, das über den klaren Wortlaut und die klare Bedeutung des Artikels 87 (1) EPÜ, die beide das Prioritätsrecht auf erste Anmeldungen in Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft beschränken, hinausgehen, d. h. dagegen verstoßen würde.
Im EU-Recht hat der Europäische Gerichtshof anerkannt, daß sich ein EU-Bürger unter bestimmten Umständen vor einem nationalen Gericht auf Rechte berufen kann, die nicht in schriftlichem EU-Recht verankert sind, sondern aus internationalen Übereinkommen ableitbar sind, denen - nur - die Vertragsstaaten angehören, selbst wenn dies über bestehende nationale Vorschriften hinausgeht oder dagegen verstößt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß solche internationalen Übereinkommen nicht angewandt werden, weil sie im Rahmen der EU als formell anwendbare und bindende Vorschriften gelten würden. Vielmehr werden sie vom Gerichtshof als Quelle allgemeiner Rechtsgrundsätze für die Bestimmung der Grundrechte der EU-Bürger benutzt, die der Gerichtshof in Einklang mit den Verfassungsgrundsätzen der Mitgliedstaaten einheitlich als Korpus nicht-schriftlichen zwingenden EU-Rechts entwickelt hat (s. Iglesias, Gedanken zum Entstehen einer Europäischen Rechtsordnung, NJW 1999, 1, 5). So scheint es im EU-Recht keine Bestimmung zu geben, wonach die EU an ein internationales Übereinkommen gebunden wäre, weil ihre Mitgliedstaaten daran gebunden sind. Außerdem bezweifelt die Kammer, daß die im TRIPS-Übereinkommen für die WTO-Mitgliedstaaten verankerte Definition des Umfangs eines zu gewährenden Prioritätsrechts über das hinausgeht, was als übliche Festlegung rechtlicher Bedingungen für Handel und Wettbewerb anzusehen ist, über die jeder Gesetzgeber frei entscheiden kann und Grundrechte der Beteiligten berührt. Damit scheint die Rechtslage nicht vergleichbar zu sein.
6. Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin vor, daß die von ihr angeführten Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens das EPA unmittelbar verpflichteten, die Priorität einer ersten Anmeldung in einem Land anzuerkennen, das kein Vertragsstaat der Pariser Verbandsübereinkunft, aber ein Mitglied des WTO/TRIPS-Übereinkommens sei. Ob sich dies so verhält oder nicht, scheint von zwei Bedingungen abhängig zu sein. Zum einen davon, ob das TRIPS-Übereinkommen als unmittelbar bindend für die EPO gelten kann. Zum anderen davon, ob die von der Beschwerdeführerin angeführten Bestimmungen als direktwirkend, d. h. als unmittelbar anwendbar, zu betrachten sind, weil bislang keine Umwandlung in EPÜ-Recht erfolgt ist (zur Definition des Begriffs "unmittelbar anwendbar" bzw. "direktwirkend" s. beispielsweise Europäischer Gerichtshof in der Sache "Christian Dior", a. a. O., Nr. 42, wo auf die weitere Rechtsprechung des Gerichts verwiesen wird; s. a. Staehelin, Das TRIPs-Abkommen, Bern 1997, S. 138, und Entscheidung des High Court of Justice des Vereinigten Königreichs in der Sache Lenzing vom 20. Dezember 1996, R.P.C. 1997, 245, 270).
6.1 In der Akte zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) (a. a. O.) wurde Artikel 87 (1) EPÜ dahingehend geändert, daß unter b) das Recht aufgenommen wurde, für eine europäische Patentanmeldung die Priorität einer in einem WTO-Mitgliedstaat eingereichten Anmeldung in Anspruch zu nehmen. Wie bereits ausgeführt, gilt die revidierte Fassung des Artikels 87 EPÜ aber nur für europäische Patentanmeldungen, die nach dem Inkrafttreten der revidierten Fassung des Übereinkommens eingereicht wurden.
So scheint es, daß der EPÜ-Gesetzgeber wie der PCT-Gesetzgeber der Auffassung war, daß die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens zur Priorität im Rahmen des EPÜ keinen unmittelbar bindenden und direktwirkenden Charakter haben, weil es anderenfalls denkbar erschienen wäre, sie für vorläufig anwendbar zu erklären, wie es bezüglich anderer geänderter Bestimmungen des EPÜ geschehen ist, oder zumindest ihre Anwendbarkeit auf anhängige Anmeldungen nach dem Inkrafttreten der Revisionsakte vorzusehen (s. Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens, a. a. O.).
6.2 Auf internationaler Ebene wurde weitgehend bezweifelt, daß die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens überhaupt eine Direktwirkung haben könnten (s. die sehr umfassende Erörterung der Problematik in Staehelin, Das TRIPs-Abkommen, Bern 1997, S. 138 ff. und die darin angeführten weiteren Quellen sowie den persönlichen Standpunkt des Verfassers zu dieser Frage auf S. 144 ff.; s. a. Cook, Judicial Review of the EPO and the Direct Effect of TRIPS in the European Community, EIPR 1997, 367, 372).
Insoweit der Europäische Gerichtshof in der Sache "Christian Dior" seine Zuständigkeit zu entscheiden anerkannt hat (a. a. O., Nr. 32 ff.), weil die ihm vorgelegte Frage ein Gebiet betraf, auf dem die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hatte (zur Bedeutung dieser Einschränkung s. Groh/Wündisch, Die Europäische Gemeinschaft und TRIPS: Hermès, Dior und die Folgen, GRUR Int. 2001, 497), hat er befunden, daß die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens unabhängig davon, wie die betreffenden einzelnen Bestimmungen abgefaßt sind, keine Direktwirkung haben können. Sie begründeten für den einzelnen keine Rechte, auf die er sich unmittelbar vor den Gerichten berufen könne (s. a. die Kritik an der allgemeinen Verneinung der unmittelbaren Anwendbarkeit in Groh/Wündisch, a. a. O., S. 503).
Derselbe Standpunkt wurde im britischen Recht vom High Court of Justice des Vereinigten Königreichs in seiner Entscheidung in der Sache Lenzing vom 20. Dezember 1996 (a. a. O.) vertreten. Der High Court erklärte ganz eindeutig und legte eingehend dar, warum das TRIPS-Übereinkommen seiner Auffassung nach kein Vertrag sei, dem eine Direktwirkung in dem Sinn zugedacht sei (269), daß einzelne aus dem WTO-Übereinkommen persönliche Rechte herleiten könnten (270), sondern daß es lediglich ein Übereinkommen zwischen verschiedenen Nationen ohne unmittelbare Direktwirkung sei (271).
6.3 In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern vor der Entscheidung G 1/97 wurde die Meinung geäußert (T 1173/97, a. a. O., Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe, und T 935/97 vom 4. Februar 1999, Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe), daß das TRIPS-Übereinkommen nicht direkt auf das EPÜ angewandt werden könne, weil TRIPS nur für seine Mitgliedstaaten verbindlich sei und die Europäische Patentorganisation nicht Mitglied der WTO sei und das TRIPS-Übereinkommen nicht unterzeichnet habe.
In ihrer Entscheidung G 1/97 (ABl. EPA 2000, 322, Nr. 5 a) der Entscheidungsgründe) äußerte die Große Beschwerdekammer zwar Zweifel an der Direktwirkung des TRIPS-Übereinkommens und seiner Anwendbarkeit im Rahmen des EPÜ, weil die EPO nicht Mitglied des TRIPS-Übereinkommens sei, ließ diese Frage aber ausdrücklich offen. Der Standpunkt der Großen Beschwerdekammer zu dieser Frage ist somit als nicht abschließend geklärt zu betrachten.
7.1 Nach Auffassung der Kammer sind die unter den Nummern 5 und 6 dargelegten Fragen so beschaffen, daß es die Kammer für unangemessen befunden hätte, selbst darüber zu entscheiden. Wie auch aus den Nummern 2 bis 4 ersichtlich ist, erachtet die Kammer die unter den Nummern 5 und 6 angesprochenen Fragen als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Artikels 112 (1) a) EPÜ. Sie sind für den Ausgang der vorliegenden Fälle entscheidend. Nur wenn die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens im Rahmen des EPÜ angewandt werden können - sei es nun angesichts bestehender Verpflichtungen von EPÜ-Vertragsstaaten oder unmittelbar -, kann die Anmelderin berechtigt sein, die Priorität der indischen Anmeldungen in Anspruch zu nehmen.
Wenn die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens grundsätzlich anwendbar wären, könnte argumentiert werden, daß der in Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens enthaltene Verweis auf die Bestimmungen der Pariser Verbandsübereinkunft - zumindest soweit es um den bloßen Ersatz der Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft durch die Mitgliedstaaten des WTO/TRIPS-Übereinkommens geht - präzise genug war, um im Rahmen des EPÜ unmittelbar angewandt zu werden. In der Rechtsliteratur wird Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens so ausgelegt, daß er die Mitglieder des TRIPS-Übereinkommens verpflichtet, das nationale Recht an die einschlägigen Bestimmungen der Pariser Verbandsübereinkunft anzupassen (Gervais, The TRIPS Agreement, Drafting History and Analysis, London 1998, Art. 2, Nr. 2.18, S. 45; Staehelin, a. a. O., S. 144). Es wird aber auch vorgebracht, daß die Tatsache, daß eine TRIPS-Bestimmung die Mitglieder verpflichtet, bestimmte Rechte vorzusehen, nicht schon die Möglichkeit ausschließt, solche Bestimmungen als direktwirkend zu betrachten, solange sie so präzise sind, daß sie von den Gerichten unmittelbar angewandt werden können (Staehelin, a. a. O., S. 145). Außerdem wird die Meistbegünstigungsklausel in Artikel 4 des TRIPS-Übereinkommens in Verbindung mit Artikel 2 (1) des TRIPS-Übereinkommens so ausgelegt, daß sie die WTO-Mitglieder, die Prioritätsrechte auf der Grundlage der Pariser Verbandsübereinkunft gewähren, verpflichtet, WTO-Mitgliedern dieselben Prioritätsrechte zu gewähren (Staehelin, a. a. O., S. 27). Dagegen bezweifelt die Kammer in bezug auf Artikel 3 (Inländerbehandlung) des TRIPS-Übereinkommens, daß die in Artikel 87 (1) EPÜ enthaltene Beschränkung des Prioritätsrechts auf erste Anmeldungen in Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft gegen diesen TRIPS-Artikel verstoßen würde, weil diese Beschränkung als Grundlage von Prioritätsrechten für alle Anmelder europäischer Patentanmeldungen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit gilt und damit auch für Anmelder, die Staatsangehörige der EPÜ-Vertragsstaaten sind. Daß indische Anmelder nach indischem Recht unter Umständen zuerst in ihrem Heimatland anmelden müssen, könnte vor dem Beitritt Indiens zur Pariser Verbandsübereinkunft tatsächlich zu einem Nachteil für indische Anmelder geführt haben. Dieser Nachteil ist aber nicht der EPÜ-Gesetzgebung anzulasten. Außerdem hätte das Erfordernis, die erste Anmeldung in Indien einzureichen, einen indischen Anmelder wahrscheinlich nicht daran gehindert, zu Prioritätszwecken in anderen Ländern Anmeldungen einzureichen.
7.2 Weder der PCT noch das EPÜ sieht eine Frist vor, innerhalb deren der Anmelder beim EPA die Anerkennung einer ursprünglich beanspruchten Priorität beantragen muß, die von der in der internationalen Phase nach dem PCT als Anmeldeamt tätigen Behörde als nicht erhoben erachtet wurde (s. Nr. 2.4). Daher sind unter Umständen weitere Anmeldungen beim EPA anhängig, für die die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer über die vorgelegte Frage von Bedeutung sein könnte, und dies nicht nur in bezug auf erste Anmeldungen aus Indien. So gibt es eine beträchtliche Zahl von Staaten, die dem WTO/TRIPS-Übereinkommen beigetreten sind, bevor die Pariser Verbandsübereinkunft für sie wirksam wurde (vgl. die Veröffentlichung der Staaten, die der WTO und der Pariser Verbandsübereinkunft angehören, Stand: 15. Januar 2002, Bl. f. PMZ 2002, 181 bis 188 und 196). Außerdem sind eine Reihe von Mitgliedern des WTO/TRIPS-Übereinkommens wie Pakistan, Taiwan und Thailand bis heute noch keine Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft.
8. Obwohl diese Vorlage erfolgt, weil die Kammer die unter den Nummern 5 und 6 angesprochenen Punkte als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erachtet, die noch nicht geklärt sind, hat die Kammer entschieden, die der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage etwas breiter zu fassen, um es der Großen Beschwerdekammer zu überlassen, auf welche Aspekte sie eingehen möchte.
9. Außerdem hat die Kammer nach Prüfung der Erwiderung der Beschwerdeführerin auf den Bescheid der Kammer entschieden, die Frage in der Fassung beizubehalten, die der Beschwerdeführerin mitgeteilt wurde. Wie die Beschwerdeführerin eingeräumt hat, ist diese Fassung allgemein genug, um alle Rechtsfragen abzudecken, die von der Beschwerdeführerin wie auch von der Kammer in den Entscheidungsgründen angeführt wurden. Durch die Verwendung des allgemeinen Ausdrucks "nach Maßgabe des TRIPS-Übereinkommens" deckt diese Fassung alle rechtlichen Aspekte ab, aufgrund deren das TRIPS-Übereinkommen Auswirkungen auf die Antwort haben könnte, sei es durch Heranziehung des TRIPS-Übereinkommens als Instrument für die Auslegung des Artikels 87 EPÜ oder - wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht - durch Berücksichtigung etwaiger Verpflichtungen von EPÜ-Vertragsstaaten, die auch dem TRIPS-Übereinkommen angehören. Auf beide Aspekte wurde unter den Nummern 4 und 5 der vorliegenden Entscheidung und zuvor unter den Nummern 4 und 5 des Bescheids der Kammer an die Beschwerdeführerin ausführlich eingegangen (der Verweis der Beschwerdeführerin auf die Nummer 2 des Bescheids der Kammer scheint ein Fehler zu sein, weil es dort um den PCT geht). Ebenso ist dadurch, daß die Art der Anmeldung angegeben wurde, zu der die Frage vorgelegt wird (eine ursprünglich als Euro-PCT-Anmeldung eingereichte europäische Patentanmeldung), klar, daß die Frage, ob der PCT und sein Verhältnis zum TRIPS-Übereinkommen irgendwelche Auswirkungen auf die Antwort haben, ebenfalls im Umfang der Frage enthalten ist, falls die Große Beschwerdekammer auf diese Thematik eingehen möchte.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerden J 9/98 und J 10/98 werden miteinander verbunden.
2. Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Ist der Anmelder einer ursprünglich als Euro-PCT-Anmeldung eingereichten europäischen Patentanmeldung nach Maßgabe des TRIPS-Übereinkommens berechtigt, die Priorität einer ersten Anmeldung in einem Staat zu beanspruchen, der weder am Anmeldetag der ersten Anmeldung noch am Anmeldetag der Euro-PCT-Anmeldung Mitglied der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, am Anmeldetag der ersten Anmeldung aber Mitglied des WTO/TRIPS-Übereinkommens war?