European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1989:J002288.19890428 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 28 April 1989 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0022/88 | ||||||||
Anmeldenummer: | 86901024.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | G08B 21/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Radakovic | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | Unverschuldete finanzielle Schwierigkeiten, die zur Versäumung von Fristen zur Zahlung von Gebühren führen, können ein Grund für die Gewährung einer Wiedereinsetzung sein. Die Gewährung setzt voraus, daß sich der Antragsteller mit der gebotenen Sorgfalt um finanzielle Unterstützung bemüht hat. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Wiedereinsetzung - unverschuldete finanzielle Schwierigkeiten | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Im Verfahren der Euro-PCT-Anmeldung Nr. 86 901 024.9 entrichtete der Anmelder die nationale Gebühr und die Benennungsgebühren gemäß Artikel 22 (1) PCT und Artikel 158 (2) und Regel 104b (1) EPU nicht. Die Frist zur Zahlung dieser Gebühren lief am 10. November 1986 ab.
II. Mit Schreiben vom 7. Januar 1987 unterrichtete die Eingangsstelle den Beschwerdeführer, daß die Gebühren nicht innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist entrichtet worden seien, und daß sie nur noch innerhalb einer Nachfrist von zwei Monaten mit einer Zuschlagsgebühr von 50 % gemäß Regel 85a EPU wirksam entrichtet werden könnten. Dieses Schreiben erhielt der Beschwerdeführer am 10. Januar 1987, der ein Samstag war. Am Montag, den 12. Januar 1987 richtete der Beschwerdeführer ein Schreiben an die Vorinstanz, das am 14. Januar 1987 einging. Er führte aus, daß es ihm leider nicht möglich sei, der Gebührenforderung in der genannten Frist nachzukommen und bat mit Rücksicht darauf um eine Verlängerung der Frist um 30 Tage bis zum 13. Februar 1987. Mit Schreiben vom 22. Januar 1987 informierte die Eingangsstelle den Beschwerdeführer über die Erfordernisse gemäß Artikel 67 (3) EPU hinsichtlich der Ubersetzung und das Datum des 4. März 1987, an dem die Euro-PCT- Anmeldung veröffentlicht werden würde. Dieses Schreiben ging nicht auf die Bitte des Beschwerdeführers um eine 30tägige Fristverlängerung ein. Der Beschwerdeführer zahlte daraufhin die ausstehenden Gebühren am 10. Februar 1987 ein.
III. Mit Bescheid vom 17. März 1987 teilte die Eingangsstelle dem Beschwerdeführer mit, daß nach Regel 69 (1) EPU die Patentanmeldung als zurückgenommen gelte, weil die nationale Gebühr und die Benennungsgebühren nicht innerhalb dieser Fristen gemäß Regel 104b (1) EPU und Regel 85a EPU entrichtet worden seien. Der Beschwerdeführer wurde darauf hingewiesen, daß er gemäß Regel 69 (2) EPU eine Entscheidung des Europäischen Patentamts beantragen könne, wenn er der Auffassung sei, daß diese Feststellung nicht zutreffe. In einem Postskriptum teilte die Eingangsstelle mit, daß eine Verlängerung der Gebührenfrist nicht möglich gewesen sei, der Beschwerdeführer aber die Möglichkeit habe, Wiedereinsetzung zu beantragen.
IV. Mit Schreiben vom 13. Mai 1987 beantragte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsbegehrens führte der Beschwerdeführer aus, daß er Staatenloser und Flüchtling sei und für einen beträchtlichen Zeitraum arbeitslos gewesen sei. Er habe sich daher in einer äußerst schwierigen finanziellen Lage befunden, so daß er keinen Bankkredit habe erhalten können. Da der Brief der Eingangsstelle vom 7. Januar 1987 ihn erst am 10. Januar 1987 (der ein Samstag war) erreicht habe, sei es für ihn unmöglich gewesen, den erforderlichen Betrag nach Regel 85a EPU in der vorgesehenen Frist (12.1.1987) zu zahlen. Jedoch habe er mit Beginn des Monats Januar 1987 eine Beschäftigung finden können, die ihn in die Lage versetzt habe, einen Bankkredit zu erhalten und die ausstehenden Gebühren am 10. Februar 1987 zu zahlen.
V. Mit einem Zwischenbescheid vom 27. Juli 1987 wies die Eingangsstelle den Beschwerdeführer darauf hin, daß sein Wiedereinsetzungsbegehren gemäß Art. 122 EPU nicht ausreichend begründet sei, weil nach dieser Bestimmung finanzielle Schwierigkeiten kein Grund für Wiedereinsetzung seien. Mit der bloßen Bitte um Fristverlängerung habe der Beschwerdeführer nicht die gebotene Sorgfalt beachtet.
VI. Mit Schreiben vom 26. September 1987 beharrte der Beschwerdeführer auf seinem Wiedereinsetzungsantrag und bat ferner um Abhilfe gemäß Artikel 90 (2) EPU und Regel 84 EPU.
VII. Mit Entscheidung vom 10. März 1988 wies die Eingangsstelle die Anträge des Beschwerdeführers zurück, nämlich
a) den Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 EPU, weil nach der ständigen Praxis des Europäischen Patentamts wirtschaftliche Schwierigkeiten, die den Anmelder an der rechtzeitigen Zahlung der Gebühren gehindert hätten, nicht das erforderliche Kriterium der gebotenen Sorgfalt erfüllten. Vielmehr sei das Erfordernis der gebotenen Sorgfalt nur dann erfüllt, wenn der Antragsteller dafür gesorgt habe, daß er jederzeit im Verlauf des europäischen Patenterteilungsverfahrens im Stande sei, die notwendigen Gebühren zu entrichten;
b) den Antrag gemäß Artikel 90 (2) EPU, weil diese Bestimmung nur Anwendung finde, wenn ein Anmeldetag nicht zuerkannt worden sei;
c) den Antrag nach Regel 84 EPU, weil diese Bestimmung sich nur auf solche Fristen beziehe, die vom Europäischen Patentamt bestimmt worden seien, nicht dagegen auf Fristen angewendet werden könne, die im EPU festgesetzt seien und daher durch das Amt nicht verlängert werden könnten. Dementsprechend wurde die Euro-PCT-Anmeldung als zurückgenommen gemäß Artikel 24(1) iii) PCT in Verbindung mit Regel 104b EPU angesehen.
VIII. Am 14. August 1988 reichte der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung vom 10. März 1988 eine Beschwerde ein. Zur Begründung berief er sich auf die in erster Instanz vorgetragenen Gründe und Argumente und wies ferner auf Artikel 39 (1) PCT hin.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zur Begründung seiner Beschwerde beruft sich der Beschwerdeführer im wesentlichen auf drei Gründe:
a) Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 EPU;
b) Gewährung einer Fristverlängerung zur Zahlung der Gebühren gemäß Regel 84 EPU;
c) die Bestimmungen des Artikel 39 (1) a) PCT.
3. Da die Kammer dem Wiedereinsetzungsbegehren des Beschwerdeführers positiv gegenübersteht, bedarf es keines Eingehens auf die weiteren vom Beschwerdeführer unter b) und c) angeführten Gründe. Die Kammer möchte jedoch zum Ausdruck bringen, daß die Beschwerde mit diesen Gründen kaum erfolgreich sein dürfte.
4. Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages hat die angefochtene Entscheidung geprüft und nicht in Zweifel gezogen. Die Kammer möchte lediglich darauf hinweisen, daß die Tatsache, daß die Wiedereinsetzungsgebühr nicht ganz vollständig entrichtet worden ist, zutreffend durch Anwendung des Artikel 9 (1) letzter Satz der Gebührenordnung behandelt worden wäre, denn ein Fehlbetrag von rund 10 % wie im vorliegenden Fall kann als geringfügiger Fehlbetrag im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden (vgl. J 11/85 "Geringfügiger Fehlbetrag/IKAPLAST", ABl. EPA 1986, 1). Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer bis Beginn des Monats Januar 1987 finanziell nicht in der Lage war, die Gebühren nach dem PCT und dem EPU zu zahlen, ist unbestritten. Dieser Umstand würde ihm jedoch nicht helfen können, wenn kraft Gesetzes wirtschaftliche Schwierigkeiten kein Grund für Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 (1) EPU wären und/oder wenn tatsächlich nicht feststünde, daß der Beschwerdeführer die gebotene Sorgfalt in jeder Lage des Verfahrens beachtet hätte. Die Kammer ist der Auffassung, daß der Beschwerdeführer die nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat. Dies ergibt sich klar aus der Abfolge der Ereignisse wie sie im Sachverhalt dargestellt sind, nämlich daß der Brief der Eingangsstelle vom 7. Januar 1987 den Beschwerdeführer erst am 10. Januar 1987, einem Samstag, erreichte und daß die Nachfrist gemäß Regel 85a EPU am Montag, den 12. Januar 1987 ablief. In dieser Lage konnte der Beschwerdeführer nicht mehr tun als er getan hat, nämlich an die Eingangsstelle mit der Bitte heranzutreten, eine Fristverlängerung zur Zahlung der Gebühr zu gewähren, sich um die Leihe des Geldes sofort zu bemühen und die Zahlung der Gebühren innerhalb der kürzesten vertretbaren Zeit durchzuführen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer erst mit Beginn des Monats Januar 1987 in der Lage war, eine Beschäftigung zu erlangen. Damit steht fest, daß der Beschwerdeführer sich in finanziellen Schwierigkeiten, die er nicht zu vertreten hatte, befand und daß er die nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt im Sinne des Artikel 122 (1) EPU beachtet hat.
5. Dementsprechend ist die Rechtsfrage entscheidungserheblich, ob finanzielle Schwierigkeiten, die zur Versäumung von Fristen im Verfahren führen, als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt werden. Artikel 122 EPU ist auf Euro-PCT-Anmeldungen gemäß Artikel 150 EPU und der Artikel 22 und 48 (2) a) PCT anwendbar. Artikel 48 (2) a) PCT bestimmt, daß jeder Vertragsstaat eine Fristüberschreitung als entschuldigt ansieht, wenn Gründe vorliegen, die nach seinem nationalen Recht zugelassen sind. Nationales Recht bedeutet im vorliegenden Fall, das Recht des regionalen Patentvertrags, also des EPU.
6. Wie bereits die angefochtene Entscheidung ausgeführt hat, erwähnt Artikel 122 EPU wirtschaftliche Schwierigkeiten als Wiedereinsetzungsgrund nicht ausdrücklich. Andererseits enthält das EPU keine Bestimmung, die die Gewährung einer Vergünstigung in Fällen finanzieller Schwierigkeiten ausdrücklich ausschließt. Zur Klärung dieser Frage ist es daher erforderlich, die Arbeitsunterlagen der Münchner Konferenz zu Rate zu ziehen, um die Absichten der Urheber des Ubereinkommens festzustellen. War es ihre Absicht, arme Anmelder oder Anmelder, die sich zeitweise in finanziellen Schwierigkeiten befanden, von der Erlangung europäischer Patente auszuschließen? Den Arbeitsunterlagen der Münchner Diplomatischen Konferenz, die sich mit dem Armenrecht oder dem "Poor Law" befassen, ist lediglich die Feststellung zu entnehmen, daß ausdrückliche Bestimmungen im EPU über finanzielle Schwierigkeiten des Anmelders als überflüssig angesehen wurden, weil davon ausgegangen wurde, daß Vergünstigungen im Falle finanzieller Schwierigkeiten soweit möglich von den Vertragsstaaten selbst gewährt werden würden. Daraus folgt, daß nicht beabsichtigt gewesen sein kann, arme Anmelder von der Erlangung europäischer Patente auszuschließen. Im Gegenteil stellt der Hinweis auf die Möglichkeit finanzieller Unterstützung durch die Behörden der Vertragsstaaten klar unter Beweis, daß man an eine Linderung wirtschaftlicher Härten soweit möglich sehr wohl gedacht hat. Nach Auffassung der Kammer ist das der Grund, weshalb das EPU finanzielle Schwierigkeiten als Wiedereinsetzungsgrund gemäß Artikel 122 EPU weder ausdrücklich ausschließt noch ausdrücklich erwähnt. Die Frage, ob Artikel 122 EPU in Fällen länger andauernder finanzieller Schwierigkeiten anwendbar ist, ist bereits in einer unveröffentlichten Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer angeschnitten worden (J 11/83). Die Beantwortung wurde jedoch dahingestellt, weil in dem damals zu entscheidenden Fall der Beschwerdeführer die nach den Umständen gebotene Sorgfalt nicht beachtet hatte (s. Nr. 7 der Gründe der Entscheidung).
7. In diesem Fall hat der Beschwerdeführer jedoch die gebotene Sorgfalt beachtet. Geht man von der Feststellung der Kammer aus, daß die Vertragsstaaten die Absicht hatten, daß armen Anmeldern Unterstützung gewährt werden sollte und geht man ferner davon aus, daß es Situationen geben mag, in denen arme Anmelder nicht in der Lage sind, schnell genug finanzielle Unterstützung zu erlangen, um eine nach dem EPU nicht verlängerbare Zahlungsfrist einzuhalten, so ist es nur billig und gerecht, daß solche Anmelder die Möglichkeit erhalten, eine Vergünstigung im Rahmen der Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 EPU zu beantragen, sofern sie dessen zwingende Voraussetzungen erfüllen.
8. Die Kammer sieht sich daher nicht in der Lage, der Auffassung der angefochtenen Entscheidung in Nr. 6 zu folgen, daß ein Anmelder nur dann das Kriterium der gebotenen Sorgfalt erfüllt habe, wenn er dafür gesorgt hat, daß er jederzeit im Verlauf des europäischen Patenterteilungsverfahrens im Stande ist, die notwendigen Gebühren zu entrichten. Die Anforderung, daß ein Anmelder sich durchgehend während der Dauer des gesamten Verfahrens, das sich erfahrungsgemäß über Jahre erstrecken kann, in einer ausreichend gesunden finanziellen Lage zu befinden habe, ist offensichtlich unbillig und wird weder von Artikel 122 EPU noch von anderen Bestimmungen des EPU gefordert. Für den Nachweis der Beachtung der gebotenen Sorgfalt bedarf es natürlich der Feststellung, daß es sich um ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten gehandelt hat und daß diese auf Umstände zurückzuführen sind, die der Beschwerdeführer nicht zu vertreten hat. Ferner ist die Kammer der Auffassung, daß es in einem solchen Fall auch erforderlich ist, daß der Antragsteller bei der Suche nach finanzieller Unterstützung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachten muß. Fehlt es daran, so könnte das ein Grund für die Ablehnung eines Antrags gemäß Artikel 122 EPU sein.
9. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer jedoch alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt, so daß kein Grund ersichtlich ist, weshalb ihm keine Wiedereinsetzung gewährt werden könnte.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung der Eingangsstelle wird aufgehoben, und dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Zahlung der nationalen Gebühr und der Benennungsgebühren gewährt.
2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens an die Eingangsstelle zurückverwiesen.