J 0007/87 (Verzicht) of 28.10.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:J000787.19871028
Datum der Entscheidung: 28 October 1987
Aktenzeichen: J 0007/87
Anmeldenummer: 83103133.1
IPC-Klasse: C07J 51/00
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Schwarz Italia
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: Die wirksame Zurücknahme einer europäischen Patentanmeldung hängt nicht davon ab, ob der Anmelder den Begriff "Zurücknahme" verwendet hat. Die verwendete Formulierung muss unter Berücksichtigung der Begleitumstände ausgelegt werden, aus denen klar ersichtlich sein muss, dass der Anmelder tatsächlich eine sofortige, vorbehaltlose Zurücknahme und nicht nur einen passiven Verzicht wünscht, der im weiteren Verlauf dazu führt, dass die Anmeldung als zurückgenommen gilt.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Zurücknahme der Anmeldung (verneint) - passiver Verzicht (bejaht)
Auslegung einer schriftlichen Erklärung - Abklärung erforderlich
Unterlassener Klärungsversuch - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0060/00
T 0991/02
T 0426/07
T 1343/14

Sachverhalt und Anträge

I. Am 29. März 1983 reichte die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung ein. Im Prüfungsverfahren brauchten nur kleinere redaktionelle Änderungen an der Anmeldung vorgenommen zu werden; am 20. Januar 1986 wurde dem damals beim EPA eingetragenen Vertreter der Beschwerdeführerin die Entscheidung zur Erteilung des Patents mitgeteilt. Der Hinweis auf die Erteilung wurde im Europäischen Patentblatt Nr. 1986/1 vom 26. Februar 1986 bekanntgemacht; gleichzeitig wurde die europäische Patentschrift (Nr. 0 092 073) veröffentlicht.

II. Die Beschwerdeführerin hatte bereits im Juni 1985 beschlossen, einen anderen Vertreter mit allen ihren Patent- und Warenzeichenangelegenheiten zu betrauen. Der ursprüngliche Vertreter, der davon nichts wußte, erinnerte die Beschwerdeführerin im Januar 1986 daran, daß die vierte Jahresgebühr Ende März 1986 fällig würde. Daraufhin erhielt er ein Schreiben der Beschwerdeführerin vom 28. Januar 1986, das (nach der englischen Übersetzung des derzeitigen Vertreters der Beschwerdeführerin) im wesentlichen wie folgt lautete: "Wir senden hiermit das Erinnerungsschreiben betreffend das obengenannte Patent an Sie zurück, da wir andere Schritte unternommen haben. Wir bitten Sie außerdem, dieses Patent aus Ihrer Überwachungsliste zu streichen." Gleichzeitig wies die Beschwerdeführerin ihren derzeitigen Vertreter zur Zahlung der Jahresgebühr an.

III. Auf das Schreiben vom 28. Januar 1986 teilte der frühere Vertreter der Beschwerdeführerin dem EPA am 6. Februar 1986 mit: "Wir teilen Ihnen mit, daß unsere Mandantin beschlossen hat, auf die obengenannte Sache zu verzichten. " Dieses Schreiben ging am 12. Februar 1986 beim EPA ein. Am 10. März 1986 bat der frühere Vertreter das EPA zunächst telefonisch und am darauffolgenden Tag mit einem (ordnungsgemäß bestätigten) Fernschreiben, sein Schreiben als gegenstandslos zu betrachten.

IV. Mit Schreiben vom 17. März 1986 beantragte der derzeitige Vertreter der Beschwerdeführerin die Rückzahlung der vierten Jahresgebühr mit der Begründung, daß sie dem EPA nicht zustehe. Das Amt erwiderte, daß die Zurücknahme der europäischen Patentanmeldung durch den früheren Vertreter wirksam gewesen sei und nicht berichtigt werden könne. In einem ausführlichen Schreiben vom 11. Juni 1986 erläuterte der derzeitige Vertreter der Beschwerdeführerin den Hergang und beantragte eine Berichtigung des Schreibens vom 6. Februar 1986 nach Regel 88 EPÜ.

V. Der Leiter der Formalprüfungsstelle der Generaldirektion 2 wies mit der angefochtenen Entscheidung vom 14. Oktober 1986 den Antrag auf Widerruf der Zurücknahmeerklärung (sic) zurück. Er vertrat die Auffassung, die europäische Patentanmeldung sei wirksam zurückgenommen worden. Eine ausdrückliche Erklärung, daß die Beendigung des Verfahrens gewünscht werde, genüge hierzu und sei für den Anmelder verbindlich. Zwar habe ein Mangel im Sinne der Regel 88 EPÜ vorgelegen; eine Berichtigung könne jedoch im Interesse der Öffentlichkeit nicht zugelassen werden: Vgl. die Entscheidungen J 14/82 (ABl. EPA 1983, 121), J 12/80 (ABl. EPA 1981, 143) und insbesondere J 15/85 (ABl. EPA 1986, 395).

VI. Am 2. Juli 1986 wurde der Vertreterwechsel und am 16. September 1986 eine Änderung des Namens der Beschwerdeführerin (keine Änderung der Firma) ordnungsgemäß vermerkt.

VII. Die Beschwerdeführerin legte die vorliegende Beschwerde am 15. Dezember 1986 unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr ein. In der am 6. Februar 1987 nachgereichten Beschwerdebegründung hob sie auf den Unterschied zwischen passivem Verzicht und aktiver Zurücknahme ab. Das EPA müsse sich davor hüten, eine bloße Mitteilung über einen beabsichtigten Verzicht auf eine Sache als unwiderrufliche Zurücknahme aufzufassen; dies gelte insbesondere dann, wenn die Anmeldung alle Stufen des Prüfungsverfahrens erfolgreich durchlaufen habe und alle Gebühren entrichtet worden seien. Bevor das EPA eine Anmeldung unter diesen Umständen als zurückgenommen betrachte, müsse es sich Gewißheit über die Absichten des Anmelders verschaffen. Im übrigen wäre es wünschenswert, wenn nur solche Fälle als Zurücknahmen angesehen würden, bei denen eine bestimmte, feststehende Formulierung verwendet werde.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ. Sie ist somit zulässig.

2. Das Amt hat nach der Entscheidung zur Erteilung des europäischen Patents, aber noch vor der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung ein Schreiben mit der Formulierung "Wir teilen Ihnen mit, daß unsere Mandantin beschlossen hat, auf die oben genannte Sache zu verzichten" erhalten. Als erstes stellt sich die Frage nach der richtigen Auslegung dieses Schreibens, in dem der im EPÜ übliche Ausdruck "zurücknehmen" nicht verwendet wurde.

3. Es ist natürlich nicht notwendig, daß das Wort "zurücknehmen" verwendet wird, damit es zu einer wirksamen Zurücknahme einer europäischen Patentanmeldung kommt (vgl. Entscheidung J 06/86 vom 28. Januar 1987, ABl. EPA 1988, 124). Notwendig ist lediglich, daß die Absicht zur sofortigen, vorbehaltlosen Zurücknahme der Anmeldung aus den Begleitumständen eindeutig zu entnehmen ist.

4. Da jedoch nach den der Kammer vorliegenden Informationen der passive Verzicht auf die europäische Patentanmeldung dreimal so häufig vorkommt wie die aktive Zurücknahme, da der Versuch zur Berichtigung einer falschen Zurücknahmeerklärung - wie in der angefochtenen Entscheidung angegeben - an sich schon mit Schwierigkeiten verbunden ist und da die Verwendung des Wortes "Verzicht" und seiner Synonyme zu Mißverständnissen führen kann, muß das Amt mit der Auslegung einer Mitteilung des Anmelders oder seines Vertreters als Zurücknahme sehr vorsichtig sein.

5. Im vorliegenden Fall konnte das strittige Schreiben des früheren Vertreters der Beschwerdeführerin durchaus als reine Mitteilung ausgelegt werden, daß die Beschwerdeführerin die vierte Jahresgebühr nicht mehr entrichten wolle. Man hätte vielleicht auch vermuten können, daß eine ausdrückliche Zurücknahme beantragt wurde; es deutet jedoch nichts darauf hin, daß er keine Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung verhindern wollte.

6. Nach Auffassung der Kammer konnte das strittige Schreiben ohne Bestätigung nicht mit Fug und Recht als Zurücknahme angesehen werden. Wie bereits dargelegt, muß nicht unbedingt der Ausdruck "zurücknehmen" verwendet werden, damit es zu einer Zurücknahme kommt. Unabhängig von der verwendeten Formulierung muß jedoch aus den Begleitumständen insgesamt klar ersichtlich sein, daß der Anmelder tatsächlich die sofortige, vorbehaltlose Zurücknahme und nicht nur einen passiven Verzicht wünscht, der im weiteren Verlauf dazu führt, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt. Im vorliegenden Fall zeigen die in der Akte befindlichen Erklärungen beider Vertreter der Beschwerdeführerin, daß der frühere Vertreter weder die Absicht noch den geringsten Grund hatte, die Patentanmeldung zurückzunehmen.

7. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr erscheint im Sinne der Regel 67 EPÜ billig, weil mit einer einfachen Bitte um Bestätigung der Absicht der Beschwerdeführerin alle späteren Schwierigkeiten hätten vermieden werden können; daß diese Abklärung nicht erfolgt ist, muß als wesentlicher Verfahrensmangel angesehen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung des Leiters der Formalprüfungsstelle der Generaldirektion 2 vom 14. Oktober 1986 wird aufgehoben.

2. Es wird erklärt, daß die europäische Patentanmeldung Nr. 83 103 133.1 (Veröffentlichungsnr. 0 092 073) zu keinem Zeitpunkt zurückgenommen worden ist.

3. Die Beschwerdegebühr ist zurückzuzahlen. dazu führt, dass die Anmeldung als zurückgenommen gilt.

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