J 0010/84 (Änderungen) of 29.11.1984

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1984:J001084.19841129
Datum der Entscheidung: 29 November 1984
Aktenzeichen: J 0010/84
Anmeldenummer: 83103437.6
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: EN
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Texas/The University of Texas System Board of Regents
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: In den von der Ausführungsordnung geregelten verfahrensrechtlichen Angelegenheiten gilt zwischen dem Europäischen Patentamt und den europäischen Patentanmeldern der Grundsatz von Treu und Glauben.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(4)
European Patent Convention 1973 Art 93
European Patent Convention 1973 R 86(2)
European Patent Convention 1973 R 49
Schlagwörter: Änderungen vor Erhalt des Recherchenberichts
Änderungen zu Anmeldungen/Veröffentlichung dieser Änderungen
Treu und Glauben in Verfahrensangelegenheiten
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0032/86
J 0030/94
J 0038/97
T 0181/95
T 0343/95
T 0460/95
T 0815/02
T 1183/02

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin reichte am 8. April 1983 eine europäische Patentanmeldung mit der Nummer 83103437.6 unter Inanspruchnahme der Priorität einer am 12. April 1982 eingereichten nationalen US-Patentanmeldung ein.

II. Mit Schreiben vom 15. Juni 1983, das am 20. Juni 1983 einging, reichte der Vertreter der Beschwerdeführerin noch vor Erhalt des europäischen Recherchenberichts geänderte Ansprüche ein; er merkte dazu an, er wisse zwar, daß neue Ansprüche offiziell erst nach Erhalt des Recherchenberichts eingereicht werden dürften, bitte jedoch darum, daß diese geänderten Ansprüche in die Anmeldung aufgenommen würden, sobald ihm der europäische Recherchenbericht zugesandt werde. In seinem Schreiben wies er ausdrücklich auf Artikel 52 (4) und Regel 86 (2) EPÜ hin.

III. Am 18. August 1983 wurde der europäische Recherchenbericht an den Vertreter der Beschwerdeführerin abgesandt.

IV. Am 30. August 1983 erging an den Vertreter der Beschwerdeführerin die Mitteilung, daß die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung der Anmeldung abgeschlossen seien und die Anmeldung am 26. Oktober 1983 veröffentlicht werde. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufnahme der geänderten Ansprüche in die Anmeldung wurde dabei nicht erwähnt.

V. Der Vertreter der Beschwerdeführerin erklärte mit Schreiben vom 6. September 1983, das am 8. September 1983 beim Amt einging, er gehe davon aus, daß die geänderten Ansprüche in die Anmeldung aufgenommen worden seien und zusammen mit ihr veröffentlicht würden.

VI. In einem Bescheid vom 21. September 1983 erwiderte die Eingangsstelle folgendes:

a) Die geänderten Ansprüche könnten nicht zugelassen werden, da sie vor Erhalt des Recherchenberichts eingereicht worden seien;

b) das EPA könne Anträgen auf Änderungen, die vor diesem Zeitpunkt eingereicht würden, nicht entsprechen;

c) der Anmelder oder sein Vertreter habe nach Erhalt des Recherchenberichts selbst zu veranlassen, daß die gewünschten Änderungen in die Anmeldung aufgenommen würden;

d) die neuen Ansprüche würden nicht veröffentlicht, da die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung bei Eingang des vom 6. September 1983 datierten Schreibens abgeschlossen gewesen seien;

e) die neuen Ansprüche würden der zuständigen Prüfungsabteilung im Prüfungsverfahren vorgelegt.

VII. In seiner Erwiderung vom 22. November 1983 behauptete der Vertreter der Beschwerdeführerin, daß die Haltung der Eingangsstelle nach Lage der Dinge unbillig sei; man habe von ihr erwarten können, daß sie auf einen Antrag hin tätig werde, sobald dies möglich sei, auch wenn sie zum Zeitpunkt seines Eingangs noch nichts habe unternehmen können. Es wurde eine beschwerdefähige Entscheidung beantragt.

VIII. In einem weiteren Bescheid vom 30. Dezember 1983 lehnte es die Eingangsstelle ab, eine beschwerdefähige Entscheidung zu treffen, da die Anmeldung bereits veröffentlicht sei und die Grundlage für eine beschwerdefähige Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ damit entfalle. Eine beschwerdefähige Entscheidung könne nur getroffen werden, wenn der Vertreter der Beschwerdeführerin eindeutig angebe, über welchen Sachverhalt eine Entscheidung verlangt werde.

IX. In einem ordnungsgemäß bestätigten Fernschreiben vom 5. Januar 1984 bat der Vertreter der Beschwerdeführerin erneut um eine beschwerdefähige Entscheidung. Er behauptete, der Umstand, daß die Veröffentlichung der betreffenden Anmeldung bereits stattgefunden habe, sei kein Grund dafür, eine Entscheidung zu verweigern, und führte hierzu zwei Entscheidungen der Juristischen Beschwerdekammer an (J 05/81, ABl. EPA 1982, 155 und J 03/82, ABl. EPA 1983, 171).

X. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 1. Februar 1984, das am 7. Februar 1984 einging, eine Entscheidung, in der die Veröffentlichung der Ansprüche zusammen mit der europäischen Patentanmeldung in aller Form abgelehnt wird.

XI. Die Eingangsstelle wies den Antrag vom 7. Februar 1984 mit der angefochtenen Entscheidung vom 21. Februar 1984 zurück. In der Entscheidung wurde ausgeführt, daß ein Korrigendum veröffentlicht werden könne, wenn dem Antrag stattgegeben werde. Regel 86 EPÜ lasse Änderungen jedoch nur zu, wenn sie nach Erhalt des Recherchenberichts beantragt würden. Es sei nicht Aufgabe des Amts, Maßnahmen zu ergreifen, die eigentlich dem Anmelder oblägen. Die erneute Vorlage von verfrüht eingereichten Änderungen könne durch eine einfache Anweisung an das Amt bewirkt werden. Im vorliegenden Fall sei diese Anweisung am 8. September 1983, d. h. nach Abschluß der technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung, gegeben worden. Daher könnten die Änderungen nicht veröffentlicht werden (R. 49 (3) EPÜ).

XII. Gegen die Entscheidung der Eingangsstelle wurde am 16. April 1984 unter Angabe der Gründe Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde ordnungsgemäß entrichtet. In der Begründung führte der Vertreter der Beschwerdeführerin aus, daß sein Schreiben vom 15. Juni 1983 unbeantwortet geblieben und er deshalb davon ausgegangen sei, daß dem Schreiben zu gegebener Zeit entsprochen werde. Hätte man ihm mitgeteilt, daß dem Antrag nicht entsprochen werde, hätte er sofort nach Erhalt des Recherchenberichts einen Antrag auf Aufnahme der neuen Ansprüche stellen können. Wegen der nationalen Rechtsvorschriften über den "vorläufigen Schutz" sei es für die Beschwerdeführerin äußerst wichtig, die Ansprüche noch vor der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung ändern zu können.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Sowohl die Bezeichnung der Erfindung in der europäischen Patentanmeldung als auch die ersten acht Ansprüche in der eingereichten Fassung beziehen sich auf Verfahren zur Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen, so daß auf den ersten Blick erkennbar war, daß sich die Anmeldung teilweise auf Sachverhalte bezog, die nicht gewerblich anwendbar im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ sind (vgl. Art. 52 (4) Satz 1 EPÜ). Der Vertreter der Beschwerdeführerin hatte dies noch vor Erstellung des europäischen Recherchenberichts erkannt und versucht, die Anmeldung mit Schreiben vom 15. Juni 1983 zum frühest möglichen Zeitpunkt zu berichtigen.

3. Im vorliegenden Fall braucht nicht festgestellt zu werden, ob dem Änderungsantrag zum Zeitpunkt seines Eingangs hätte entsprochen werden können oder ob eine Änderung nach Regel 86 (2) EPÜ bereits vor Erhalt des europäischen Recherchenberichts unter der Voraussetzung eingereicht werden kann, daß die Änderung zum gegebenen Zeitpunkt wirksam wird.

4. Der allgemeine Zweck der Regel 86 (2) EPÜ besteht darin, dem europäischen Anmelder die Möglichkeit zu geben, von sich aus Änderungen vorzunehmen, um dem europäischen Recherchenbericht Rechnung zu tragen; im vorliegenden Fall stand die gewünschte Änderung jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Recherchenergebnis; die Änderungen mußten vielmehr dringend vorgenommen werden, damit die Beschwerdeführerin den "vorläufigen Schutz" in den benannten Vertragsstaaten nicht verliert. Der Vertreter der Beschwerdeführerin konnte daher zu Recht davon ausgehen, daß die Eingangsstelle seinem Antrag stattgeben würde, als er auf sein Schreiben, in dem er ausdrücklich auf Artikel 52 (4) und Regel 86 EPÜ hingewiesen hatte, keine Antwort erhielt. Es verstieße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, der in den von der Ausführungsordnung geregelten verfahrensrechtliche Angelegenheiten zwischen dem Amt und den europäischen Patentanmeldern gilt, wenn das Amt nach der Lage dieses Falles den Antrag unberücksichtigt lassen dürfte.

5. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, und die am 20. Juni 1983 eingegangenen Ansprüche 1 bis 8 sind im Wege einer Berichtigung zu veröffentlichen.

6. Da der Beschwerde nach Feststellung der Kammer kein wesentlicher Verfahrensmangel zugrunde liegt, muß der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückgewiesen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung der Eingangsstelle vom 21. Februar 1984 wird aufgehoben.

2. Eine Berichtigung der europäischen Patentanmeldung ist wie folgt zu veröffentlichen: Ansprüche 1 bis 8 in der am 20. Juni 1983 eingegangenen Fassung

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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