J 0012/83 (Unzulässige Beschwerde) of 9.11.1984

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1984:J001283.19841109
Datum der Entscheidung: 09 November 1984
Aktenzeichen: J 0012/83
Anmeldenummer: 81104560.8
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Chugai Seiyaku
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: 1. Ein europäischer Patentanmelder kann durch die Entscheidung zur Erteilung des Patents "beschwert" im Sinne des Artikels 107 EPÜ sein, wenn das Patent in einer Fassung erteilt wird, mit der der Anmelder nicht gemäss Artikel 97(2)(a) und Regel 51(4) EPÜ einverstanden ist.
2. Für die Erteilung eines europäischen Patents ist es nicht erforderlich, dass sich der Anmelder mit der Fassung ausdrücklich einverstanden erklärt. Die Prüfung wird nur dann gemäss Regel 51(4) letzter Satz EPÜ forgesetzt, wenn der Anmelder konkret mitteilt, dass er mit der Fassung nicht einverstanden ist.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 97(2)(a)
European Patent Convention 1973 Art 107
European Patent Convention 1973 Art 167(2)
European Patent Convention 1973 R 51(4)
Schlagwörter: Unzulässige Beschwerde
Beschwerde/unzulässige
Verfahrensbeteiligter/beschwerter
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0831/90
T 0526/95
T 0591/05
T 1395/05
T 0971/06
T 1351/06
T 0831/17
T 0646/20

Sachverhalt und Anträge

I. Am 11. Juni 1981 reichte die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung mit der Nummer 81104560.8 unter Inanspruchnahme der Priorität einer japanischen nationalen Patentanmeldung vom 13. Juni 1980 ein. In der europäischen Patentanmeldung waren 10 Vertragsstaaten einschließlich Österreichs benannt. Alle Ansprüche der Patentanmeldung in der eingereichten Fassung waren auf Mittel zur Behandlung von Krankheiten der Kreislauforgane gerichtet. Auch aus der Bezeichnung der Anmeldung ging hervor, daß diese die genannten Mittel zum Gegenstand hat.

II. Österreich hat sich nach Artikel 167 (2) EPÜ vorbehalten, in seinem nationalen Recht zu bestimmen, daß europäische Patente übereinstimmend mit dem für nationale Patente geltenden Vorschriften unwirksam sind oder für nichtig erklärt werden können, soweit sie Schutz für Arzneimittel als solche gewähren.

III. Der europäische Recherchenbericht wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin im Januar 1982 übermittelt; der Prüfungsantrag wurde am 16. April 1982 gestellt. Am 19. Dezember 1982 nahm ein Prüfer im Namen der Prüfungsabteilung wegen geringfügiger Änderungen des Patentanspruchs 1 telefonisch Rücksprache mit dem Vertreter der Beschwerdeführerin, der sich mit diesen Änderungen einverstanden erklärte.

IV. Am 16. Februar 1983 kündigte die Prüfungsabteilung an, daß sie die Erteilung eines europäischen Patents beabsichtige; gleichzeitig wurde der Beschwerdeführerin eine Frist von zwei Monaten zur Vorlage von Änderungswünschen gesetzt. Es wurden keine Änderungsvorschläge eingereicht. Am 13. Mai 1983 erließ die Prüfungsabteilung eine Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ, aus der hervorging, daß beabsichtigt sei, das Patent in der ursprünglich eingereichten Fassung mit den vereinbarten Änderungen des Anspruchs 1 zu erteilen.

V. Am 12. August 1983 reichte der Vertreter der Beschwerdeführerin auf die Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ hin eine Übersetzung der gewährten Ansprüche ein und entrichtete die Erteilungs- und die Druckkostengebühr. Am 19. September 1983 beantragte er die Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers in der Beschreibung, die später von der Druckerei vorgenommen wurde.

VI. Am 29. September 1983 erließ der Formalsachbearbeiter im Namen der Generaldirektion 2 des EPA die Entscheidung zur Erteilung des Patents, die gemäß Artikel 97 (4) EPÜ am 23. November 1983 wirksam geworden ist.

VII. Am 11. November 1983 reichte die Beschwerdeführerin die vorliegende Beschwerde gegen die Entscheidung zur Patenterteilung ein und beantragte, daß die Entscheidung entweder berichtigt wird oder daß sie aufgehoben und das Patent mit einem getrennten Satz Verfahrensansprüche für Österreich, der der Beschwerdeschrift beigefügt war, erteilt wird. Die Beschwerdeschrift enthielt eine Begründung. Die Beschwerdegebühr wurde fristgerecht entrichtet.

VIII. Auf Antrag der Beschwerdeführerin wurde am 30. Mai 1984 eine mündliche Verhandlung anberaumt. In einem Bescheid wies die Juristische Beschwerdekammer vor der mündlichen Verhandlung auf folgende Schwierigkeiten hin: Erstens könne die Beschwerdeführerin kaum als durch die angefochtene Entscheidung beschwert im rechtlichen Sinne angesehen werden, was jedoch nötig sei, damit die Beschwerde als zulässig gelten könne; zweitens könne der Beschwerde, selbst wenn sie zulässig wäre, mit Rücksicht auf die tatsächliche Wirkung des Artikels 167 (2) EPÜ schwerlich stattgegeben werden.

IX. In der mündlichen Verhandlung trug der Vertreter der Beschwerdeführerin unter anderem vor, daß es zumindest bei einigen Prüfungsabteilungen des EPA üblich sei, den Anmelder bei Arzneimittelanmeldungen, in denen Österreich benannt sei, auf fehlende Verfahrensansprüche hinzuweisen und Erzeugnisansprüche in Verfahrensansprüche umzuwandeln. Der Beschwerdeführerin sei daher nicht dieselbe Behandlung wie anderen Anmeldern zuteil geworden. Die Kammer entschied, daß die diesbezügliche Praxis des EPA untersucht werden müsse und das Verfahren unter diesen besonderen Umständen schriftlich weitergeführt werden solle, es sei denn, der Vertreter beantrage eine weitere Verhandlung.

X. Nach der Verhandlung wurde der Beschwerdeführerin von der Kammer schriftlich mitgeteilt, die Untersuchung habe ergeben, daß es im EPA keine feststehende Praxis der Prüfungsabteilungen gebe, auf Arzneimittel gerichtete Erzeugnisansprüche für Österreich automatisch in Verfahrensansprüche umzuwandeln.

XI. Mit Schreiben vom 27. August 1984 führte der Vertreter der Beschwerdeführerin einen einschlägigen Fall an, der der Kammer bisher noch nicht zur Kenntnis gebracht worden sei; dort habe ein Prüfer den Anmelder darauf hingewiesen, daß Österreich den Vorbehalt nach Artikel 167 (2) EPÜ geltend gemacht habe. Der Vertreter brachte ferner vor, daß die Beschwerdeführerin durch den Erteilungsbeschluß beschwert sei, da mit dem Patent keine gültigen Ansprüche für Österreich erteilt worden seien. Der Anspruch auf Erteilung eines Patents für Österreich sei nie aufgegeben worden; die Beschwerdeführerin habe selbstverständlich den Wunsch nach einem gültigen und durchsetzbaren Patent für Österreich. Der Vertreter behauptete auch, das Patent sei in einer Fassung erteilt worden, mit der sich die Beschwerdeführerin nicht einverstanden erklärt habe. Sollte die Zahlung der Erteilungsgebühr als stillschweigendes Einverständnis gewertet werden, so müsse es möglich sein, die Entscheidung mit der Begründung aufzuheben, daß irrtümlich ein Einverständnis gegeben worden sei, das im Widerspruch zu dem ursprünglichen Erteilungsantrag stehe. Es wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder zu ergänzen.

XII. Mit Schreiben vom 5. November 1984 führte der Vertreter der Beschwerdeführerin einen weiteren einschlägigen Fall an, in dem der Anmelder darauf hingewiesen worden sei, daß Österreich einen Vorbehalt nach Artikel 167 (2) EPÜ geltend gemacht habe.

Entscheidungsgründe

1. Damit eine Beschwerde zulässig ist, muß sie den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 b) EPÜ (bei Einspruchsverfahren auch der R. 1 (1) EPÜ) entsprechen. Eine Beschwerde, die diesen Artikeln und Regeln nicht entspricht, muß als unzulässig verworfen werden, sofern die Mängel nicht bis zum Ablauf der nach Artikel 108 maßgebenden Fristen beseitigt worden sind (R. 65 (1) EPÜ).

2. Im vorliegenden Fall hat die Juristische Beschwerdekammer den Einwand erhoben, daß die Beschwerdeführerin durch die Entscheidung, ihr ein europäisches Patent zu erteilen, nicht "beschwert" im Sinne des Artikels 107 EPÜ sei.

3. Die Kammer räumt ein, daß ein europäischer Patentanmelder unter Umständen durch einen Erteilungsbeschluß "beschwert" im Sinne des Artikels 107 EPÜ sein kann. Dies wäre z. B. eindeutig der Fall, wenn das Patent entgegen Artikel 97 (2) a) EPÜ in einer Fassung erteilt würde, mit der der Anmelder nicht einverstanden ist. Für die Zwecke dieses Artikels muß das Einverständnis jedoch "gemäß der Ausführungsordnung" feststehen, und diese sieht in Regel 51 (4) vor, daß ein Einverständnis vorliegt, wenn der Anmelder nicht innerhalb der in der Regel festgesetzten Frist mitteilt, daß er nicht einverstanden ist. Im vorliegenden Fall ist keine solche Mitteilung erfolgt; aus dem obengenannten Sachverhalt geht eindeutig hervor, daß der Erteilungsbeschluß auf der Grundlage der von der Beschwerdeführerin eingereichten Beschreibung, Zeichnungen und Patentansprüche gefaßt wurde, wenn man von kleineren Änderungen des Anspruchs 1, die von der Prüfungsabteilung vorgeschlagen und vom Vertreter der Beschwerdeführerin gebilligt worden waren, sowie von einer im letzten Augenblick vom Vertreter beantragten Berichtigung eines Schreibfehlers absieht.

4. Unter diesen Umständen kann sich die Kammer dem Argument der Beschwerdeführerin nicht anschließen, das Patent sei in einer Fassung erteilt worden, zu der sie ihr Einverständnis nicht gegeben habe.

5. Die Beschwerdeführerin führt aus (Absatz 3a des Schreibens vom 27. August 1984), daß die Zahlung der Gebühren und die Einreichung einer Übersetzung der Ansprüche nach der Amtsübung als Nachweis des Einverständnisses gewertet würden; dies habe im vorliegenden Fall zu einer Ungerechtigkeit geführt, so daß die Beschwerdeführerin "beschwert" sei. Die Kammer ist nach reiflicher Überlegung im Hinblick auf den Artikel 97 (2) a) und die Regel 51 (4) EPÜ zu der Auffassung gelangt, daß sie auch dieses Argument nicht gelten lassen kann. Ein ausdrückliches Einverständnis ist nicht erforderlich; bei Nichteinverständnis hingegen muß eine entsprechende Mitteilung erfolgen, damit die Prüfung fortgesetzt wird.

6. Im selben Schreiben fordert die Beschwerdeführerin des weiteren, daß das Einverständnis für ungültig erklärt wird, da dem Vertreter insofern ein Versehen unterlaufen sei, als ihm nicht aufgefallen sei, daß für Österreich keine pharmazeutischen Verfahrensansprüche eingereicht worden seien. Da eine ausdrückliche Zustimmung nicht erforderlich ist und auch in keinem Schriftstück erteilt worden ist, sieht die Kammer keinen Grund für eine Ungültigkeitserklärung.

7. Die Juristische Beschwerdekammer ist also nicht zu der Überzeugung gelangt, daß die Beschwerdeführerin eine durch die Entscheidung zur Erteilung des europäischen Patents "beschwerte" Verfahrensbeteiligte im Sinne Artikels 107 EPÜ ist. Die Beschwerde muß daher gemäß Regel 65 (1) EPÜ als unzulässig verworfen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden: Die Beschwerde gegen die Entscheidung vom 29. September 1983 wird als unzulässig verworfen.

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