European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:J000612.20130129 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 29 Januar 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0006/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 03776835.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | C07D 491/14 A61P 35/00 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Neue Chelidonin-Derivate, Verfahren zu ihrer Herstellung und ihre Verwendung zur Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen | ||||||||
Name des Anmelders: | Salama, Zoser B. nat.rer.Dr. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Zur Erteilung bestimmte Fassung der Anmeldung - Änderungen nach Regel 71 (5) EPÜ - Minderung der Anspruchszahl - Rückzahlung der Anspruchsgebühren (ja) Anspruchsgebühr als Ausgleich für den Prüfungsmehraufwand (nein) |
||||||||
Orientierungssatz: |
Werden Änderungen nach Regel 71 (4) EPÜ beantragt, steht die für die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" erst fest, nachdem die Prüfungsabteilung den Änderungen zugestimmt hat, bzw. der Anmelder sich mit den weiteren/neuen Vorschlägen der Prüfungsabteilung einverstanden erklärt hat. Erst dann kann festgestellt werden, wie viele Ansprüche die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" enthält und damit auch die Zahl der fällig werdenden Anspruchsgebühren bestimmt werden. |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 10. November 2011 in Sachen der europäischen Patenanmeldung Nr. 03 776 835.5, mit der der Antrag des Anmelders auf Rückerstattung von zehn Anspruchsgebühren zurückgewiesen wurde.
II. Die europäische Patentanmeldung 03 776 835.5 wurde am 5. November 2003 als internationale Anmeldung PCT/DE2003/003702 eingereicht. Am 21. Juli 2008 wurde die Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ erlassen. Da die Anmeldung in der für die Erteilung beabsichtigten Fassung insgesamt 36 Ansprüche beinhaltete, wurde der Anmelder unter anderem aufgefordert, Anspruchsgebühren nach Regel 71 (6) EPÜ für 21 Ansprüche zu entrichten.
III. Mit Eingabe vom 1. Dezember 2008 reichte der Anmelder einen geänderten Anspruchssatz mit 26 Ansprüchen und deren Übersetzung in Englisch und Französisch ein. Ferner beantragte er die Abbuchung der Erteilungs- und Druckkostengebühr sowie von 11 Anspruchsgebühren.
IV. Mit Mitteilung von 16. Dezember 2008 wurde der Anmelder informiert, dass unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage und im Einklang mit Entscheidung T 152/82 (ABl. EPA 1984, 301) ein Betrag von 2.000,- zusätzlich von seinem laufenden Konto zur Entrichtung der weiteren 10 Ansprüche abgebucht wurde.
V. Am 7. Januar 2009 teilte die Prüfungsabteilung dem Anmelder ihre Zustimmung zu den gemäß Regel 71 (4) EPÜ am 1. Dezember 2008 beantragten Änderungen der Ansprüche mit.
VI. Am 21. Januar 2009 erging die Entscheidung über die Erteilung des europäischen Patents mit dem geänderten Anspruchssatz von 26 Ansprüchen.
VII. Am 27. Januar 2009 wurde dem Anmelder als Antwort auf seine schriftliche Anfrage telefonisch mitgeteilt, dass die Anspruchsgebühren mit der Zustellung der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ fällig geworden seien. Eine nachträgliche Änderung, die zu einer geringeren Anspruchszahl führe, habe grundsätzlich keinen Einfluss auf die Zahl der zu entrichtenden Anspruchsgebühren.
VIII. Mit Eingabe vom 26. Februar 2009 argumentierte der Anmelder, da eine Erhöhung der Anzahl der Ansprüche zu einer höheren Gebühr führen würde, müsse die Minderung der Anzahl der Ansprüche zu einer entsprechend niedrigeren Gebühr führen, und beantragte eine schriftliche Stellungnahme des Amtes dazu.
IX. Die Mitteilung vom 23. April 2009 wiederholte die fernmündlich erteilte Information, dass die Fälligkeit der Anspruchsgebühren mit der Zustellung der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ festgelegt werde, so dass eine Reduzierung von deren Anzahl keinen Einfluss auf die Gebührenhöhe habe, und die unvollständige Zahlung zu einem Rechtsverlust führen würde. Auf die Richtlinien für die Prüfung im EPA, Teil A, XI-5.2.3 wurde Bezug genommen.
X. Mit seiner Eingabe vom 28. Juli 2009 führte der Anmelder aus, dass Regel 71 (6) EPÜ nicht auf Regel 71 (3) EPÜ rückbezogen sei, sondern sich vielmehr auf die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" beziehe. Da das Amt zusätzliche Anspruchsgebühren erhebe, wenn das geänderte Druckexemplar mehr Ansprüche enthält als die Fassung gemäß Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ, müsse eine Reduktion der Anspruchsanzahl zu einer Gebührenminderung führen. Auch das Formblatt zur "Änderung oder Berichtigung des Druckexemplars" unterstütze diese Auffassung.
XI. In der Mitteilung des Formalprüfers für die Prüfungsabteilung vom 13. November 2009 wurde festgestellt, dass Regel 71 (6) EPÜ die Rechtsgrundlage für die Aufforderung zur Entrichtung von Gebühren für weitere Ansprüche bildet, soweit diese nicht bereits nach Regel 45 oder Regel 162 EPÜ entrichtet worden sind. Der Verweis auf Absatz 5 wurde bei der Revision des EPÜ im Jahre 2000 eingefügt, um die rechtliche Grundlage für die Einforderung zusätzlicher Anspruchsgebühren zu schaffen, wenn auf eine Mitteilung nach Regel 71 (5) EPÜ hin zusätzliche Ansprüche eingereicht wurden (Synoptische Darstellung EPÜ 1973/2000, Teil II, ABl. 2007, Sonderausgabe Nr. 5, S. 130).
In Punkt 6. der Mitteilung wird u. a. ausgeführt: "... Im Erteilungsstadium werden die zu entrichtenden Gebühren für weitere Ansprüche auf der Grundlage der Anmeldung in der für die Erteilung vorgesehenen Fassung berechnet. Damit ist insbesondere die in der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ vorgeschlagene Fassung gemeint, wenn sie in diesem Stadium weitere Ansprüche enthält, für die keine Gebühren entrichtet wurden. Auf diese Mitteilung hin eingereichte Änderungen oder Berichtigungen, die zu einer höheren Zahl von Ansprüchen führen, werden nach der geänderten Regel 71 (6) EPÜ ebenfalls berücksichtigt. Eine Reduzierung der Anspruchszahl in diesem Stadium hat jedoch keinerlei Auswirkungen auf die zu entrichtenden Anspruchsgebühren."
Diese Auffassung soll nach der Mitteilung auch durch die Verwendung von "und" (statt "oder") in Regel 71 (6) EPÜ untermauert sein: Dadurch werde nämlich gezeigt, dass "die Versendung der Mitteilung gemäß Regel 71 (3) EPÜ der entscheidende Zeitpunkt für die Festlegung der im Erteilungsstadium zu entrichtenden Anspruchsgebühren ist und dass die Anspruchsgebühren nicht neu berechnet werden, wenn nachträglich eingereichte Änderungen oder Berichtigungen zu einer niedrigeren Zahl von Ansprüchen führen" (s. Ziffer 7 in fine der Mitteilung).
Die Verpflichtung zur Zahlung von Anspruchsgebühren solle den zusätzlichen Arbeitsaufwand bei der Bearbeitung von Anmeldungen mit überdurchschnittlicher Anspruchszahl finanziell ausgleichen. Die Ansprüche, die im Stadium nach Regel 71 (3) EPÜ vorliegen bzw. die im Stadium nach Regel 71 (5) EPÜ neu eingereicht werden, seien Gegenstand der Prüfung gewesen, so dass die Aufforderung zur Entrichtung der Gebühren zu diesem Zeitpunkt gerechtfertigt zu sein scheine.
Auch Regel 71 (7) EPÜ unterscheide nicht zwischen den in Regel 71 (3) und (5) EPÜ angesprochenen Stadien des Erteilungsverfahrens: werden die Anspruchsgebühren nicht aufforderungsgemäß entrichtet, gilt die Anmeldung als zurückgenommen.
Darüber hinaus gebe es keine Vorschrift im EPÜ, die eine Rückerstattung der Anspruchsgebühren im Fall von deren Reduzierung nach Erhalt der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ vorsehe.
XII. In seiner Eingabe vom 3. Dezember 2009 wies der Anmelder darauf hin, dass "Gebühren für die bloße Prüfung der Ansprüche in den bis zum Zeitpunkt der Regel 71 (3) bereits durchgeführten Verfahrensstadien" vom Wortlaut der Regel 71 (3) EPÜ nicht miterfasst sind und dies der Systematik der Regel nicht entspricht. Dann müsste nämlich solch ein Gebührenanspruch unabhängig vom Einverständnis des Anmelders mit der zur Erteilung vorgesehenen Fassung bestehen bleiben. Sollte jedoch das Verfahren zu diesem Zeitpunkt beendet werden, erlösche der Gebührenanspruch bzw. würden nach Regel 71 (5) EPÜ bereits bezahlte Gebühren dem Anmelder erstattet. Würde der Vergütungsanspruch durch den erhöhten Prüfungsaufwand in den vorangegangenen Verfahrensabschnitten ausgelöst, so wäre diese Erstattung widersprüchlich und systemwidrig.
Darüber hinaus sei, nach der Meinung des Anmelders, die Formulierung neuer oder geänderter Ansprüche eine teilweise Rücknahme. "Die Nichtentrichtung der Gebühren wird in Regel 71 durchgehend der Rücknahme der Anmeldung gleichgestellt. ... Insoweit werden mithin auch Anspruchsgebühren gar nicht erst fällig, selbst wenn das Amt zuvor einen entsprechenden Erteilungsbescheid erlassen hat. Einer Regelung über die Rückerstattung, geschweige denn einer Anspruchsgrundlage, bedarf es von daher nicht, denn es besteht schlichtweg kein Anspruch des Amtes auf diese Gebühren."
Zur Verwendung des Wortes "und" in Regel 71 (6) EPÜ meint der Anmelder, dass die Verknüpfung sich lediglich auf die Fristen beziehe, innerhalb derer das Amt zur Entrichtung der Gebühren auffordere. Seiner Meinung nach wollte der Gesetzgeber dadurch keineswegs die Gebühren an die jeweils höchste Anzahl der Ansprüche anknüpfen, sondern an die letztlich zur Eintragung und Veröffentlichung gebrachte Anzahl der Ansprüche.
Schließlich stehe die Bezahlung dem Einverständnis des Anmelders mit der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung gleich, nachdem das Versäumnis entweder der einen oder der anderen Handlung zum gleichen Ergebnis führe, nämlich dass die Anmeldung als zurückgenommen gilt. Die Rechtsprechung messe dem Einverständnis eine konstitutive Bedeutung zu (T 1181/04, ABl. EPA 2005, 212), die mit der Auffassung, wonach auch für die ursprünglichen Ansprüche Gebühren erhoben werden sollen, nicht zu vereinbaren sei, denn die Bezahlung stehe dem Einverständnis gleich. Der Anmelder hält durch die Vorlage neuer Ansprüche nicht mehr an seiner alten Fassung fest, worin nichts anderes liegt "als die konkludente Rücknahme der ursprünglichen Ansprüche und die Anmeldung neuer. Dementsprechend sind die bisherigen Ansprüche als zurückgenommen anzusehen und die dafür bereits entrichteten Gebühren zurückzuerstatten." Die vom Amt vertretene Sichtweise höhlt den Zustimmungsvorbehalt des Anmelders völlig aus, weil er dadurch davon abgehalten wird, seine Anmeldung auf den Bescheid nach Regel 71 (3) EPÜ hin zu ändern, da ihm dadurch nur finanzielle Nachteile entstehen können.
Im Ergebnis stellt diese Vorgehensweise allein die Interessen des EPA in den Vordergrund, ohne die legitimen Belange des Anmelders hinreichend zu berücksichtigen und dies, obwohl der Prüfungsaufwand nirgends erkennbar ist und Regel 71 (4) EPÜ die Änderung oder Berichtigung der Ansprüche ermöglicht, ohne dafür Gebühren zu verlangen.
XIII. Eine beschwerdefähige Entscheidung wurde am 10. November 2011 erlassen. Keine neuen Argumente wurden darin aufgeführt. Gegen diese Entscheidung wurde mit Schreiben eingegangen am 13. Januar 2012 Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag, die Entscheidung aufzuheben und dem Anmelder zehn Anspruchsgebühren zurückzuerstatten. Die Beschwerdegebühr wurde am 13. Januar 2012 entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde mit Eingabe vom 13. März 2012 eingereicht. Unter Hinweis auf die Tatsache, dass die angefochtene Entscheidung keine neuen Argumente enthält, wiederholte der Anmelder und Beschwerdeführer im wesentlichen die in der Eingabe vom 3. Dezember 2009 vorgetragene Argumentation mit der Ergänzung, dass die Minderung der zu zahlenden Anspruchsgebühren im Falle der Reduzierung der Anspruchanzahl aus den Prinzipien des Rechtsstaates und der Gebührengerechtigkeit fließe.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie richtet sich gegen die Entscheidung des für die Prüfungsabteilung handelden Formalsachbearbeiters, den Antrag auf Rückerstattung von zehn Anspruchsgebühren nach Minderung von deren Anzahl in Folge von Änderungen nach Regel 71 (5) EPÜ zurückzuweisen.
2. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass Regel 71 (6) EPÜ, die im vorliegenden Fall in der mit dem revidierten EPÜ in Dezember 2007 in Kraft getretenen Fassung anwendbar ist, die Rechtsgrundlage für die Anforderung von Anspruchsgebühren darstellt. Eine fast gleichlautende Vorschrift war als Regel 51 (7) schon im EPÜ 1973 zu finden. Die in der mit dem revidierten EPÜ in Kraft getretenen Fassung der Regel 71 eingeführten Änderungen, die für den hier zu überprüfenden Fall von Bedeutung sind, betreffen die Einführung in Absatz 6 der Regel 71 der Rechtsgrundlage für die Anforderung zusätzlicher Anspruchsgebühren, wenn auf eine Mitteilung nach Regel 71 (5) EPÜ neue Ansprüche eingereicht werden (Sonderausgabe Nr. 5, ABl. EPA 2007, 130).
3. Dem Wortlaut der Vorschrift nach stellt die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" der Anmeldung die Basis für die Erhebung von zusätzlichen Anspruchsgebühren dar. Der gleiche Ausdruck wird auch in Absatz 3 der Regel verwendet, um den Inhalt der Erteilungsabsichtsmitteilung der Prüfungsabteilung zu bestimmen.
4. Eine erste Frage ist daher, ob dieser Ausdruck in beiden Absätzen den identischen Inhalt hat und zwar so, dass - wie in der angefochtenen Entscheidung argumentiert wird - die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" zum Zeitpunkt der Erstellung der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ feststeht.
5. Regel 71 (3) EPÜ befasst sich mit dem Stadium, in dem die Prüfung der europäischen Patentanmeldung seitens der Prüfungsabteilung abgeschlossen ist und sieht die notwendigen Schritte vor, bevor die Erteilung beschlossen und rechtswirksam werden kann. Die Auflistung beinhaltet die Mitteilung der "für die Erteilung vorgesehenen Fassung" und die Aufforderung, die Erteilungs- und Druckkostengebühr zu entrichten sowie die Übersetzung der Ansprüche in den beiden Amtssprachen des EPA einzureichen, die nicht die Verfahrenssprache sind.
Ab diesem Zeitpunkt sind zwei Szenarien möglich:
a) der Anmelder ist mit der vorgeschlagenen Fassung einverstanden und erfüllt alle Aufforderungen nach Regel 71 (3) EPÜ oder
b) er beantragt Änderungen nach Regel 71 (4) EPÜ.
Im Fall (a) bestimmt die vorgeschlagene Fassung, der der Anmelder zugestimmt hat, den Inhalt der Entscheidung über die Erteilung. Sie ist daher auch die "für die Erteilung vorgesehene Fassung", so dass, wenn sie mehr als fünfzehn Ansprüche enthält, Anspruchsgebühren fällig werden und nach Regel 71 (6) EPÜ entrichtet werden müssen.
Im Fall (b) aber muss die Prüfungsabteilung sich mit den eingereichten Änderungen auseinandersetzen und ggf. erneut einen Prüfungsbescheid erstellen (Regel 71 (5) EPÜ). Die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" wird daher erst feststehen, nachdem die Prüfungsabteilung den Änderungen zugestimmt hat, bzw. der Anmelder sich mit den weiteren/neuen Vorschlägen der Prüfungsabteilung einverstanden erklärt hat. Erst dann kann festgestellt werden, wie viele Ansprüche die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" tatsächlich enthält, damit auch die entsprechende Höhe der Anspruchsgebühren bestimmt werden kann. Dies ist im vorliegenden Fall mit der Mitteilung vom 7. Januar 2009 geschehen, mit der dem Anmelder vom Formalsachbearbeiter mitgeteilt wurde, dass dem "Antrag vom 01.12.08 auf Änderung ... nach Regel 71 (4) EPÜ" stattgegeben wurde.
6. In diesem Zusammenhang soll angemerkt werden, dass Regel 71 (6) EPÜ nur im Hinblick auf die Frist, innerhalb der die Gebühren zu entrichten sind, ausdrücklich auf Regel 71 (3) EPÜ Bezug nimmt. In Abwesenheit jeglichen Rückbezugs im Hinblick auf die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" und in Anbetracht der allgemeinen Formulierung kann nur festgestellt werden, dass der Wortlaut der Vorschrift per se keinen Anlass für die Schlussfolgerung gibt, dass die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" immer diejenige ist, die dem Anmelder nach Regel 71 (3) EPÜ mitgeteilt wurde. Wie in Punkt 5 oben dargestellt wurde, sind andere Verfahrensabläufe vorstellbar.
7. Dieses Ergebnis wird von der in der angefochtenen Entscheidung geschilderten Praxis in sich unterstützt. Wäre tatsächlich die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" immer nur die in der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ festgelegte, dann dürfte eigentlich die Prüfungsabteilung keine zusätzliche Gebühren verlangen, sollten die nach Regel 71 (4) oder (5) EPÜ eingeführten Änderungen zu einer höheren Anzahl von Ansprüchen führen. Das ist aber nicht die in der angefochtenen Entscheidung geschilderte Praxis. Indirekt wird also zugestanden, dass die "für die Erteilung vorgesehene Fassung" auch später festgelegt werden kann. Das Ergebnis, das in der angefochtenen Entscheidung vertreten wird, ist deshalb nicht stimmig. Nach dieser Auffassung werden mehr Gebühren verlangt, wenn die Anzahl der Ansprüche größer wird, wenn sich aber umgekehrt die Anzahl verringert, wird die Rückerstattung verweigert.
8. Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Argumentation der Prüfungsabteilung nicht stichhaltig ist und sie die getroffene negative Entscheidung nicht rechtfertigen kann.
9. Das nächste in der angefochtenen Entscheidung angeführte Argument definiert die Anspruchsgebühr als Gegenleistung für die aufgrund der größeren Anspruchszahl vermehrte Prüfungsarbeit.
10. Die Anspruchsgebühren wurden vom Gesetzgeber eingeführt, um die Zahl der Ansprüche in vertretbaren Grenzen zu halten. In ihrer Entscheidung J 9/84 (ABl. EPA 1985, 233 ff., Nr. 4 der Entscheidungsgründe) erklärte die Juristische Beschwerdekammer, als Hauptzweck der Regel 31 EPÜ [1973] sei es anzusehen, "den Anmelder dazu zu bewegen, sein Patentbegehren zunächst für die Zwecke der europäischen Recherche in einer beschränkten Zahl von Ansprüchen festzulegen". Die Kammer konnte sich der Ansicht, dass die Gebühren einen finanziellen Ausgleich für die durch die Zahl der Ansprüche verursachte Mehrarbeit (in der Sachprüfung) gewähren sollen, nicht anschließen (so Teschemacher, Artikel 84 Patentansprüche, in Münchner Gemeinschaftskommentar, 7. Lieferung, 1985, Rdnr. 132ff.: "Die Gebühren stellen darüber hinaus ein gewisses Äquivalent für den administrativen Mehraufwand dar, der mit der Prüfung von Anmeldungen mit einer größeren Anzahl von Ansprüchen verbunden ist"; s. auch T 937/09 vom 20. Juli 2012).
11. Diese Ansicht wird auch durch die ursprüngliche Struktur des Systems unterstützt, in dem vorgesehen war, dass im Fall des Nicht-Einverständnisses mit dem für die Erteilung vorgesehenen Text die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ als nicht erfolgt galt und die Prüfung fortgesetzt wurde (Regel 51 EPÜ 1973 in der bis 1987 gültigen Fassung). Auch in der ab 1. September 1987 gültigen Fassung sah Regel 51 EPÜ 1973 vor, dass zur Entrichtung aller Gebühren erst nach Berücksichtigung etwaiger vorgeschlagener Änderungen aufzufordern war (Regel 51 (6) und (7) EPÜ 1973 in der ab 1. September 1987 gültigen Fassung).
12. Daraus folgt, dass, wenn überhaupt ein Ausgleich für die vermehrte Prüfungsarbeit angestrebt worden wäre, er sich grundsätzlich an den Ansprüchen, die bereits am Anfang des Verfahrens vorlagen, orientieren würde. Das stimmt auch mit dem Gesamtkonzept der Gebührenstruktur nach dem EPÜ überein, wonach Gebühren prinzipiell im Hinblick auf die ersuchte Dienstleistung vorausbezahlt werden müssen. Wäre tatsächlich die gesetzgeberische Absicht hinter den Anspruchsgebühren, den Prüfungsmehraufwand zu decken, so wäre deren Entrichtung im Laufe des Prüfungsverfahrens vorgesehen und zwar unmittelbar verursacht durch die Einreichung der Ansprüche und vor deren Prüfung durch die Prüfungsabteilung.
13. Die am 1. Juli 2002 in Kraft getretene Änderung der Regel 51 EPÜ 1973 diente hauptsächlich dem Zweck der Beschleunigung dieses letzten Verfahrensabschnittes und auch der Möglichkeit einer Direkterteilung des Patents. Die in der geänderten Regel enthaltene ausdrückliche Bestimmung, dass die Erteilungsgebühr, die Druckkostengebühr sowie die entrichteten Anspruchsgebühren zurückerstattet werden müssen, wenn das Patent nicht erteilt wird, ist auf die Verschmelzung von zwei Verfahrensschritten in einen zurückzuführen. Im nach der Änderung gültigen System musste nämlich der Anmelder alle Erfordernisse, die früher in zwei Etappen zu erfüllen waren, innerhalb von nur einer, nicht mehr verlängerbaren Frist erfüllen. Die Änderung hat aber nicht die Kernvoraussetzung berührt, dass eine vom Anmelder genehmigte Fassung vorliegen muss, damit ein Patent erteilt werden kann. Wenn der Anmelder in Antwort auf die Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ Änderungen einreicht, die inter alia zu einer geringeren Anspruchszahl führen, bilden diese Ansprüche die Basis für die Berechnung der zu entrichtenden Anspruchsgebühren genauso wie sie auch die Basis für die Erteilung des europäischen Patents bilden.
14. Bezüglich der mit dem revidierten EPÜ in Kraft getretenen Fassung der Vorschrift, die im konkreten Fall anzuwenden ist, wird als einzige Erklärung der Änderungen ausgeführt: "wenn auf eine Mitteilung nach Regel 51 (5) EPÜ 1973 hin neue Ansprüche eingereicht wurden, deren Zahl die ursprüngliche Zahl der Ansprüche überstieg, fehlte im EPÜ 1973 eine rechtliche Grundlage für die Einforderung zusätzlicher Anspruchsgebühren. Regel 71 (6) EPÜ enthält nun die Rechtsgrundlage" (Sonderausgabe Nr. 5, ABl. EPA 2007, 130; von der Kammer hervorgehoben).
Diese Erläuterungen berühren die oben, insb. in Punkt 13 angestellten Überlegungen nicht. Zum einen findet sich dort nichts über einen vermehrten Prüfungsaufwand und dessen finanziellen Ausgleich. Zum anderen wird dort dem Wortlaut nach ausdrücklich vorgegeben, dass die Zahl der nach Regel 71 (5) EPÜ eingereichten Ansprüche mit deren ursprünglicher Zahl verglichen werden soll, um festzustellen ob die Einforderung zusätzlicher Anspruchsgebühren gerechtfertigt ist. Die Schlussfolgerung, dass im Verfahren nach Regel 71 (5) EPÜ die geänderten Ansprüche die Höhe der Anspruchsgebühren bestimmen, ist folglich unvermeidbar.
15. Schließlich rechtfertigt auch das Argument, dass es keine Bestimmung gibt, die die beantragte Rückerstattung vorsieht, kein anderes Ergebnis. Es ist zwar an sich anerkannt, dass ebenso wie die Einforderung von Gebühren auch deren Rückerstattung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf. Das gilt aber nur dann, wenn die Gebühren mit Rechtsgrund entrichtet wurden, also angefallen waren. Nun ist es aber im vorliegenden Fall so, dass nach dem Wortlaut von Regel 71 (6) EPÜ die Anspruchsgebühren erst auf der Basis "der für die Erteilung vorgesehenen Fassung" eingefordert werden dürfen. Diese Fassung steht aber, wie oben ausgeführt wurde, erst nachdem die Prüfungsabteilung die eingereichten Änderungen genehmigt hat, endgültig fest, und nicht schon zum Zeitpunkt der Erstellung der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ. Gebühren, die schon in diesem früheren Zeitpunkt eingefordert wurden, sind in dem Umfang nicht fällig geworden, in dem der Anmelder in Antwort auf die Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ die Zahl der Ansprüche reduziert. Gebühren, die ohne Rechtsgrund bezahlt wurden und nicht als Bagatellbeträge angesehen werden können, dürfen vom Amt nicht behalten werden.
16. Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich, dass die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben kann. Sie ist daher aufzuheben und die umstrittenen Anspruchsgebühren sind zurückzubezahlen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Rückzahlung von zehn Anspruchsgebühren wird angeordnet.