European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:J001411.20131114 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 November 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | J 0014/11 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04741315.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 6/083 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | RÖNTGENOPAKES DENTALMATERIAL MIT OBERFLÄCHENMODIFIZIERTEN NANOPARTIKELN | ||||||||
Name des Anmelders: | Centrum für Angewandte Nanotechnologie (CAN) GmbH Dritter gemäß Regel 14 EPÜ: Ivoclar Vivadent AG |
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Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.1.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Fortsetzung des Erteilungsverfahrens nach Aussetzung -Ermessensausübung der ersten Instanz | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nummer 04 741 315.8 wurde am 29. Juli 2004 von der Rechtsvorgängerin der jetzigen Anmelderin, des Centrum für Angewandte Nanotechnologie (CAN) GmbH, als internationale Anmeldung nach dem PCT eingereicht. Die erforderlichen Schritte zur Einleitung der regionalen Phase vor dem EPA wurden am 31. Januar 2006 vorgenommen.
II. Am 15. Mai 2007 beantragte die Ivoclar Vivadent AG die Aussetzung des Verfahrens nach Regel 13 (1) EPÜ 1973. Sie erbrachte den Nachweis, dass sie beim Landgericht München I ein Verfahren gegen die Anmelderin eingeleitet hatte, in dem der Anspruch auf Erteilung des europäischen Patents ihr zugesprochen werden sollte. Mit Mitteilung vom 08. Juni 2007 informierte die Rechtsabteilung des EPA die Beteiligten, dass das Verfahren mit Wirkung vom 15. Mai 2007 ausgesetzt werde.
III. Am 08. Dezember 2009 richtete die Rechtsabteilung die Bitte an die Beteiligten, sie über den Stand des nationalen Verfahrens zu unterrichten. Sie wies darauf hin, dass das EPA gemäß Regel 14 (3) EPÜ 2000 befugt sei, das Erteilungsverfahren ohne Rücksicht auf den Stand des nationalen Verfahrens fortzusetzen. Bei der Ausübung des diesbezüglichen Ermessens könne die Dauer des nationalen Verfahrens ausschlaggebend sein. Die Ivoclar Vivadent AG erteilte mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 Auskunft über den Stand des Verfahrens, wonach sich dieses im Stadium der Beweisaufnahme befinde.
IV. Die Anmelderin beantragte mit Schreiben vom 08. Februar 2010 die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens. Sie wies auf die lange Dauer des bis dahin durchgeführten Verfahrens hin und auf den Zeitraum, der möglicherweise noch verstreichen werde, bevor eine rechtskräftige Entscheidung ergehe, und erläuterte, inwiefern die Aussetzung eine erhebliche Belastung für sie darstelle. Am 06. Dezember 2010 reichte die Anmelderin eine Kurzausfertigung eines Urteils des Landgerichts München I ein, aus der hervorging, dass das Gericht die Klage der Ivoclar Vivadent AG abgewiesen hatte. Die Anmelderin wies darauf hin, dass die Klägerin Berufung gegen dieses Urteil eingelegt habe.
V. Die Rechtsabteilung teilte mit Schreiben vom 25. Januar 2011 mit, dass das EPA das Erteilungsverfahren am 01. April 2011 fortsetzen werde.
VI. Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 bat die Ivoclar Vivadent AG um Fortsetzung der Aussetzung bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht München. Für den 09. Juni 2011 sei eine mündliche Verhandlung anberaumt, und mit einer Entscheidung über die Berufung sei zeitnah zu rechnen.
VII. Am 24. Februar 2011 teilte die Rechtsabteilung des EPA mit, dass das Erteilungsverfahren am 1. September 2011 fortgesetzt werde.
VIII. Die Ivoclar Vivadent AG unterrichtete die Rechtsabteilung mit Schreiben vom 08. Juli 2011 über den Stand des Berufungsverfahrens. Daraus ging hervor, dass mit einer baldigen Entscheidung nicht zu rechnen sei. Allerdings habe das Oberlandesgericht festgestellt, dass die Begründung des Urteils des Landesgerichts offensichtlich fehlerhaft sei. Das Erteilungsverfahrens müsse daher weiter ausgesetzt bleiben. Die Anmelderin informierte in ihrem Schreiben vom 21. Juli 2011 ihrerseits über den Verfahrensstand und erklärte, sie gehe davon aus, dass das EPA an der Fortsetzung des Erteilungsverfahrens am 01. September 2011 festhalte.
IX. Mit begründeter Mitteilung vom 01. August 2011 teilte die Rechtsabteilung den Beteiligten mit, dass das EPA dabei bleibe, dass das Erteilungsverfahren am 01. September 2011 fortgesetzt werde. Der Vertreter der Ivoclar Vivadent AG beantragte daraufhin den Erlass einer beschwerdefähigen Entscheidung.
X. Eine Entscheidung erging am 14. Oktober 2011. Unter Hinweis auf die Entscheidung im Fall J 33/03 vom 16. November 2004 stellte die Rechtsabteilung fest, dass Regel 14 (3) EPÜ es dem EPA erlaubt, eine eigene Ermessensentscheidung bezüglich der Fortsetzung des Verfahrens ohne Rücksicht auf den Stand des nationalen Vindikationsverfahrens zu treffen. Dabei habe das EPA eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in die sämtliche relevanten Aspekte beider Beteiligter einzustellen seien, insbesondere die Bedeutung der weiteren Aussetzung für die jeweiligen Beteiligten. Hier sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren bereits über vier Jahre ausgesetzt sei, dass in absehbarer Zeit nicht mit einer Entscheidung im Berufungsverfahren zu rechnen sei, und dass die erste Instanz zugunsten der Anmelderin entschieden habe. Dem Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung vor der Berufungsinstanz komme keine Bedeutung zu, die ein Abweichen von der ständigen Praxis des EPA rechtfertigen würde, in einem derart gelagerten Fall das Verfahren fortzusetzen.
XI. Die Ivoclar Vivadent AG legte am 2. November 2011 Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Laut der am 17. Februar 2012 eingegangenen Beschwerdebegründung hat die Rechtsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
XII. Die Kammer erließ am 29. Oktober 2012 eine Mitteilung, in der sie die vorläufige Meinung vertrat, dass eine Ermessensentscheidung der ersten Instanz im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nur in begrenztem Umfang überprüft werden könne. Eine weitergehende Prüfung komme nur in Frage, wenn sich nach der Entscheidung der ersten Instanz neue relevante Tatsachen ergäben, wie zum Beispiel im Falle einer Endentscheidung der Berufungsinstanz. Auch könnte die Tatsache, dass die Dauer der Aussetzung zwischenzeitlich noch länger geworden sei, eine eigene Ermessenskompetenz der Beschwerdekammer begründen. Die Kammer war der Meinung, dass die Rechtsabteilung ihr Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt habe. Insbesondere sei es nicht Aufgabe der Rechtsabteilung gewesen, die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens zu prüfen.
XIII. Die Beschwerdeführerin nahm zu der Mitteilung Stellung und vertrat die Meinung, dass aus den bereits bei der Rechtsabteilung eingereichten Unterlagen des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht hervorgehe, dass das Oberlandesgericht der Meinung sei, dass die Begründung des Urteils des Landgerichts fehlerhaft sei. Folglich habe die Rechtsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Außerdem habe das Oberlandesgericht Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 07. März 2013 angesetzt.
XIV. Der Verkündungstermin wurde anschließend vom Oberlandesgericht mehrmals verschoben. Nachdem das Oberlandesgericht den Verkündungstermin auf den 10. Oktober 2013 verlegt hatte, lud die Kammer zur mündlichen Verhandlung am 14. November 2013. Die Kammer wies darauf hin, dass sie vorhabe, in der mündlichen Verhandlung über die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens zu entscheiden, unabhängig davon, ob das Oberlandesgericht zu diesem Zeitpunkt über die Frage entschieden haben würde, wem der Anspruch auf Erteilung des europäischen Patents zuzusprechen sei.
XV. Die mündliche Verhandlung wurde am 14. November 2013 durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Oberlandesgericht noch immer keine Entscheidung verkündet.
XVI. Die Beschwerdeführerin trug während der mündlichen Verhandlung vor, dass der Zeitpunkt des Antrags auf Aussetzung des Verfahrens relevant sei. So sei es einer der Zwecke der Regel 14 EPÜ, die Möglichkeit zur Änderung der Anmeldung durch den Anmelder zu Lasten des Dritten zu verhindern. In der Entscheidung J 33/03 habe sich die Anmeldung kurz vor der Erteilung befunden, und es habe keine Gefahr der Änderung durch den Anmelder mehr bestanden. Im jetzigen Verfahren befinde sich die Anmeldung jedoch noch in einem frühen Prüfungsstadium, und deshalb solle die Aussetzung solange andauern, wie der Ausgang des Vindikationsverfahrens unklar sei. Die Beschwerdeführerin sei nur an einer Mitberechtigung interessiert. Falls ihr eine solche Mitberechtigung zugesprochen würde, hätte sie im Hinblick auf die Entscheidung G 3/92 (ABl. EPA 1994, 607) keine Möglichkeit, eine neue Anmeldung nach Artikel 61 (1) b) EPÜ einzureichen, wenn die Beschwerdegegnerin (Anmelderin) die Anmeldung nach Fortsetzung des Erteilungsverfahrens zurücknehmen würde. Die Beschwerdeführerin habe die Vindikationsklage nicht missbräuchlich eingelegt, um die Beschwerdegegnerin zu behindern. Zwar bestehe die Möglichkeit, nach Patenterteilung in jedem EPÜ-Vertragsstaat eine Vindikationsklage einzureichen, aber dies würde eine Explosion der Prozesskosten verursachen, und deshalb überwögen die Interessen des Dritten an einer Aussetzung und damit an einem Verfügungsverbot seitens der Anmelderin (Regel 15 EPÜ) deren Interessen. Die Dauer der Aussetzung sei für sich genommen kein Argument, das Verfahren wiederaufzunehmen, da es sich bei Vindikationsverfahren um hochkomplexe Verfahren vor nationalen Gerichten handele. Da mit einer Entscheidung durch das Oberlandesgericht zeitnah zu rechnen sei, solle diese Entscheidung abgewartet werden. Zu den Hilfsanträgen führte die Beschwerdeführerin aus, dass ihr bei Gewährung eines dieser Anträge die Möglichkeit gegeben würde, im Rahmen der Patentanmeldung zukünftig und zweckgemäß alle gegebenenfalls notwendigen Anträge noch stellen zu können.
XVII. Die Beschwerdegegnerin erwiderte, dass die Möglichkeit der Änderung rein theoretisch sei, da sie auf den ersten Prüfungsbescheid keine Änderungen eingereicht habe und weitere Änderungen nur mit Zustimmung der Prüfungsabteilung möglich seien. Trotzdem bestehe selbst nach Erlass der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ noch die Möglichkeit, Änderungen einzureichen. Die Frage, ob die Aussetzung vor oder nach Erlass dieser Mitteilung verfügt worden sei, sei daher irrelevant. Da es sich bei der angegriffenen Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handele, sei die Prüfungsbefugnis der Beschwerdekammer beschränkt. Die einzige neue Tatsache nach Erlass der angegriffenen Entscheidung sei, dass die Dauer der Aussetzung zwischenzeitlich noch länger geworden sei. Das Verfahren sei nunmehr bereits über sechs Jahre ausgesetzt, die Hälfte der Patentlaufzeit sei bereits vergangen, und es sei unsicher, wann eine Endentscheidung über die Vindikationsklage vorliegen würde. Eine Patenterteilung zugunsten der Beschwerdegegnerin sollte - auch im öffentlichen Interesse - in absehbarer Zeit ermöglicht werden.
XVIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Rechtsabteilung über die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens aufzuheben (Hauptantrag), hilfsweise das Erteilungsverfahren bis zum 1. März 2014 auszusetzen, weiter hilfsweise das Beschwerdeverfahren bis zum 1. März 2014 auszusetzen, weiter hilfsweise einen hinausgeschobenen Verkündungstermin zu bestimmen und das Verfahren nach Entscheidung des Oberlandesgerichts München wiederzueröffnen und nach Ermessen schriftlich oder durch mündliche Verhandlung fortzusetzen.
XIX. Die Beschwerdegegnerin (Anmelderin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, und dass vom schnellstmöglichen Zeitpunkt an das Erteilungsverfahren wiederaufgenommen wird.
XX. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
Am 15. Januar 2014 und am 27. Januar 2014 wurden von der Beschwerdeführerin weitere Eingaben bezüglich des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht gemacht.
Gegenstand der Eingabe vom 15. Januar 2014 war u.a. die Übermittlung der Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 19. Dezember 2013, wonach die Entscheidung des Landgerichts München I abgeändert und der Klägerin (Beschwerdeführerin vor dem EPA) eine Mitberechtigung an der streitgegenständlichen europäischen Patentanmeldung eingeräumt wurde. Des Weiteren stellte die Beschwerdeführerin einen Haupt- und einen Hilfsantrag.
Mit der späteren Eingabe übermittelte sie das Urteil mit vollständiger Begründung. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Die Beschwerdeführerin wurde neben der Beschwerdegegnerin als weitere Anmelderin in das Europäische Patentregister eingetragen; die Eintragung wurde im Europäischen Patentblatt 16/2014 vom 16. April 2014 veröffentlicht (siehe Seite 596).
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt.
2. In der Sache stellt die Beschwerdekammer zunächst fest, dass die Rechtsabteilung zu Recht Regel 14 (3) EPÜ 2000 angewendet hat. Eine vor dem 13. Dezember 2007 (dem Tag des Inkrafttretens der revidierten Fassung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ 2000)) eingegangene Anmeldung ist dann im Hinblick auf die Anwendbarkeit von Regeln der Ausführungsordnung als dem EPÜ 2000 unterliegend anzusehen, wenn der der Regel, um deren Anwendung es geht, zuzuordnende Artikel nach Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA Sonderausgabe Nr. 1/2007, 197) auch auf vor dem 13. Dezember 2007 eingereichte Patentanmeldungen anwendbar ist (siehe J 3/06, ABl. EPA 2009, 170, Entscheidungsgründe Nr. 3). Regel 14 EPÜ 2000 ist Artikel 61 EPÜ zuzuordnen. Laut Artikel 1 Nr. 1 des vorgenannten Beschlusses des Verwaltungsrats ist Artikel 61 EPÜ 2000 auf bei Inkrafttreten des EPÜ 2000 anhängige Anmeldungen anwendbar, und somit gilt das auch für Regel 14 EPÜ 2000.
3. Nach Regel 14 (3) EPÜ kann das EPA das Erteilungsverfahren ohne Rücksicht auf den Stand des nach Regel 14 (1) EPÜ eingeleiteten nationalen Verfahrens fortsetzen. Für Entscheidungen nach Regel 14 EPÜ ist die Rechtsabteilung zuständig (siehe Nr. 1.2 a) der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung des Beschlusses der Präsidentin des EPA vom 12. Juli 2007 über die Zuständigkeit der Rechtsabteilung, ABl. EPA Sonderausgabe Nr. 3/2007, G.1.).
4. Die Rechtsabteilung hat bei der Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens ein Ermessen. Wird die Art und Weise einer Ermessensausübung der ersten Instanz mit einer Beschwerde angefochten, ist es grundsätzlich nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise hinwegsetzen, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und sie damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat (G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Entscheidungsgründe Nr. 2.6).
5. Allerdings kann die Prüfung der Beschwerdekammer im Falle einer Entscheidung nach Regel 14 (3) EPÜ darüber hinausgehen, wenn sich nach der Entscheidung der ersten Instanz neue relevante Tatsachen ergeben, z.B. falls inzwischen eine Endentscheidung der zweiten Instanz ergangen sein sollte. Auch könnte die Tatsache, dass die Aussetzung inzwischen noch länger andauert, eine eigene Ermessenskompetenz der Beschwerdekammer begründen und z.B. dazu führen, dass die Beschwerdekammer entscheiden würde, dass das Erteilungsverfahren fortzusetzen sei, selbst wenn die Rechtsabteilung anders entschieden hätte.
6. Die Kammer kann nicht feststellen, dass die Rechtsabteilung bei der Ermessensausübung unrichtige Kriterien angewandt oder ihr Ermessen in unangemessener Weise ausgeübt hat. Insbesondere durfte die Rechtsabteilung die lange Verfahrensdauer berücksichtigen, sowie auch die Tatsache, dass im Verfahren in erster Instanz zu Gunsten der Anmelderin entschieden wurde. Eine weitergehende Auseinandersetzung der Rechtsabteilung mit dem Urteil der ersten Instanz, mit dem Inhalt der Prozessunterlagen der zweiten Instanz sowie mit der Frage, ob es wahrscheinlich sei, dass das Urteil der ersten Instanz aufgehoben werden würde, könnte bedeuten, dass die Rechtsabteilung die Erfolgsaussichten des Verfahrens bei der Ermessensausübung zu prüfen hätte. Letzteres ist jedoch gerade nicht Aufgabe der Rechtsabteilung (J 33/03, oben, Entscheidungsgründe Nr. 2.2; J 13/12 vom 17. Juni 2013, Entscheidungsgründe Nr. 3.1.17).
7. Des Weiteren hat die Rechtsabteilung die Frage berücksichtigt, in welchem Stadium des Erteilungsverfahrens die Vindikationsklage eingereicht wurde. Die Rechtsabteilung stellte zu Recht fest, dass eine Patenterteilung nicht unmittelbar anstehe und deshalb keine unmittelbare Gefahr bestehe, dass die Beschwerdeführerin ihre Rechte nicht mehr vor Patenterteilung geltend machen könne. Die Beschwerdeführerin hatte nicht glaubhaft gemacht, dass bezüglich der vorliegenden Anmeldung eine konkrete Gefahr bestünde, dass die Beschwerdegegnerin die Anmeldung nach Fortsetzung des Erteilungsverfahrens zu ihren Lasten ändern würde. Würde man eine Fortsetzung des Erteilungsverfahrens nur dann als angebracht ansehen, wenn keine Möglichkeit zur Änderung seitens des Anmelders mehr möglich wäre, so widerspräche dies dem Sinn der Regel 14 (3) EPÜ.
8. Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, dass bei der Ermessensausübung nach Regel 14 (3) EPÜ nicht nur die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen sind, sondern auch das Interesse der Öffentlichkeit, die bei einer Aussetzung des Erteilungsverfahrens im Ungewissen bleibt, ob und in welchem Umfang für die Erfindung Patentschutz entstehen wird. Zwar hat die Rechtsabteilung dieses öffentliche Interesse in ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich mit einbezogen. Aber selbst wenn dieses Interesse in jedem Fall zu berücksichtigen wäre, hätte sich hier eine Nichtberücksichtigung nicht zu Lasten der Beschwerdegegnerin ausgewirkt, da das öffentliche Interesse ebenfalls zu Gunsten einer raschen Wiederaufnahme des Erteilungsverfahrens sprechen würde.
9. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Rechtsabteilung ihr Ermessen nicht nach Maßgabe unrichtiger Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat, und sie damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten hat.
10. Die Kammer gelangte jedoch in der mündlichen Verhandlung zu der Auffassung, dass das seinerzeit bevorstehende Ergehen einer Endentscheidung des Oberlandesgerichts eine neue relevante Tatsache darstellte, die sich nach Erlass der Entscheidung der ersten Instanz ergeben hatte. Diese Tatsache führte nach Auffassung der Kammer zu einer anderen Beurteilung der Frage des angemessenen Zeitpunkts der Fortsetzung des Erteilungsverfahrens.
Das Oberlandesgericht hatte wiederholt die Verkündung einer Entscheidung angekündigt, zunächst für den 07. März 2013, diesen Verkündungstermin sodann jedoch mehrfach verschoben. Aktueller Verkündungstermin am Tag der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 14. November 2013 war der 21. November 2013 (tatsächlich erfolgte die Verkündung dann am 19. Dezember 2013). Das führte dazu, dass das Erteilungsverfahren zu Lasten der Anmelderin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer seit sechseinhalb Jahren ausgesetzt war. Die Kammer kam deshalb zu dem Ergebnis, dass der Anmelderin eine weitere Verzögerung der Fortsetzung des Erteilungsverfahrens von längerer Dauer nicht zuzumuten sei. Dem Hauptantrag, der auf eine unbefristete Aussetzung des Verfahrens abzielte, konnte daher nicht stattgegeben werden.
11. Allerdings ging die Kammer davon aus, dass eine weitere Aussetzung des Verfahrens bis Ende Februar 2014, d.h. eine Fortsetzung des Verfahrens am 1. März 2014 gemäß dem 1. Hilfsantrag, sachgerecht und insbesondere der Beschwerdegegnerin noch zumutbar sei.
Ein derartiges Vorgehen war sachgerecht, weil die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung geltend machte, dass ihr bei Gewährung eines ihrer Hilfsanträge die Möglichkeit gegeben würde, im Rahmen des Patenterteilungsverfahrens zukünftig und zweckgemäß alle gegebenenfalls notwendigen Anträge noch stellen zu können. Hinzu kam, dass es die Kammer nicht für unwahrscheinlich hielt, dass das Oberlandesgericht eine Entscheidung vor dem 01. März 2014 - d.h. rund ein Jahr nach dem ersten hierfür angekündigten Termin, dem 07. März 2013 -, treffen würde und dass es sich bei dieser Entscheidung angesichts der durchgeführten Beweisaufnahme um ein Endurteil handeln würde.
Die Kammer war der Auffassung, dass ein Urteil des Oberlandesgerichts, welches das erstinstanzliche Urteil abändern und der Klägerin und Beschwerdeführerin vor dem EPA zumindest eine Mitberechtigung einräumen würde, die Frage des weiteren Verfahrens vor der Rechtsabteilung beeinflussen könnte - selbst dann, wenn eine entsprechende Entscheidung über die Berufung nicht rechtskräftig werden würde.
Auch war eine Fortsetzung des Verfahrens am 01. März 2014 der Beschwerdegegnerin noch zumutbar, weil zwischen diesem Datum und dem Tag der mündlichen Verhandlung, dem 14. November 2013, lediglich ca. dreieinhalb Monate lagen, d.h ein im Vergleich zur Dauer der bis dahin bestehenden Aussetzung von sechseinhalb Jahren relativ kurzer Zeitraum.
12. Nach alledem kam die Kammer zu dem Schluss, dass das Erteilungsverfahren ab dem 1. März 2014 fortzusetzen sei.
13. Da dem ersten Hilfsantrag stattgegeben werden konnte, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren Hilfsanträgen.
14. Mit der Verkündung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung am 14. November 2013 wurde die Entscheidung wirksam und konnte nicht mehr von der Kammer geändert werden (G 12/91, ABl. EPA 1994, 285, Entscheidungsgründe Nr. 2). Die Kammer hat daher den Inhalt der Eingaben vom 14. Januar 2014 und vom 27. Januar 2014 bei der Abfassung der schriftlichen Entscheidung nicht berücksichtigt (vgl. T 296/93, ABl. EPA 1995, 627, Entscheidungsgründe Nr. 1; T 515/94 vom 29. Oktober 1997, Entscheidungsgründe Nr. 25).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Erteilungsverfahren wird am 1. März 2014 fortgesetzt.