J 0021/10 (Wiedereinsetzung) of 22.12.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:J002110.20111222
Datum der Entscheidung: 22 Dezember 2011
Aktenzeichen: J 0021/10
Anmeldenummer: 02797893.1
IPC-Klasse: B42C 11/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Einrichtung zum maschinellen, selbsttätigen Binden von Buchblöcken in einem Arbeitsdurchlauf
Name des Anmelders: Bielomatik L.O.S. GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 121
European Patent Convention Art 122
European Patent Convention R 136
Schlagwörter: Wiedereinsetzung in die Frist zur Weiterbehandlung - Zulässigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung - Wegfall des Hindernisses im Zeitpunkt, in dem der Irrtum bei gebotener Sorgfalt hätte erkannt werden müssen - Wegfall des Hindernisses vor Ablauf der Frist für den Antrag auf Weiterbehandlung
Orientierungssatz:

Fällt das in einem Antrag auf Wiedereinsetzung geltend gemachte, in einem Irrtum bestehende Hindernis vor Ablauf der versäumten Frist infolge einer der verantwortlichen Person anzulastenden Sorgfaltspflichtverletzung weg, so führt dieser Wegfall zur Unzulässigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung.

Angeführte Entscheidungen:
J 0902/87
J 0027/90
J 0012/92
J 0029/94
T 0413/91
T 0338/98
T 1026/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0001/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Ent schei dung der Prüfungsabteilung vom 21. Mai 2010, mit der diese den An trag auf Wiederein setzung in die Frist zur Weiter behandlung der euro päischen Patentanmel dung Nr. 02 797 893.1 zurückwies und feststellte, dass die An mel dung mit Wirkung vom 10. Februar 2009 als zurück genommen gilt, Beschwerde eingelegt.

II. Die europäische Patentanmeldung wurde am 30. August 2002 als internationale Anmeldung eingereicht und am 20. März 2003 unter der Nummer WO 03/022596 veröffent licht. Das internationale und europäische Verfahren wurde durch den zugelassenen Vertreter der Beschwerde führerin betrieben.

III. In einer Mit teilung gemäß Regel 71 (3) EPÜ, die am 29. September 2008 zur Post gegeben wurde und an den Vertreter gerichtet war, teilte die Prüfungs abteilung mit, dass beabsichtigt sei, ein europäisches Patent zu erteilen. Sie forderte den Empfänger auf, eine Über set zung der Patent ansprüche in die beiden anderen Amts spra chen einzu reichen sowie die Erteilungsgebühr zu ent richten. In einer am 16. März 2009 zur Post gegebe nen Mitteilung stellte die Prüfungsabteilung fest, dass die europä ische Patent anmeldung als zurückgenommen gelte, da die Erteilungs gebühr nicht fristgerecht entrichtet und eine Übersetzung der Patentansprüche nicht eingereicht worden sei.

IV. Mit Eingabe vom 29. Januar 2010 beantragte der Ver treter namens und im Auftrag der Beschwerdeführerin die Wieder einsetzung in die Frist nach Regel 71 (3) EPÜ und holte die hierfür erforderlichen Handlungen nach. In einer telefonischen Rücksprache teilte der zustän dige Formalprüfer dem Vertreter mit, dass die Wieder ein setzung in die Frist nach Regel 71 (3) EPÜ gemäß Regel 136 (3) EPÜ ausgeschlossen sei, da die Weiter behandlung beantragt werden konnte. Mit Eingabe vom 10. Februar 2010 beantragte der Vertreter die Wieder einsetzung in die Weiterbehandlungsfrist und ent rich tete mittels Ab buchungsauftrags die Weiter behand lungs gebühr. Am 3. März 2010 teilte der Formalsachbear beiter seine vorläufige Beurteilung des Antrags auf Wiederein setzung mit. Der Vertreter nahm hierzu mit Schreiben vom 30. April 2010 Stellung. Mit Entscheidung vom 21. Mai 2010 wies der Formalsachbearbeiter den Antrag auf Wieder einsetzung zurück.

V. Mit der Ladung vom 29. August 2011 teilte die Kammer ihre vor läufige Einschätzung der Sache mit (Arti kel 15 (1) der Verfahrens ord nung der Beschwerdekam mern). Die Beschwerdeführerin nahm hierzu mit Schreiben vom 18. November 2011 Stellung. Am 22. Dezember 2011 fand eine mündliche Verhandlung statt, an deren Ende die Entscheidung verkündet wurde.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Ent scheidung aufzuheben und den Rechtszustand wieder herzu stellen, der bei Wahrung der Frist für den Antrag zur Weiterbehandlung der europäischen Patentanmeldung 02 797 893.1 eingetreten wäre.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich - soweit es für die Entscheidung relevant ist - wie folgt zusammenfassen:

a) Eine langjährige, erfahrene Kanzleiangestellte des Vertreters habe sich bei der Akte zur vorliegenden Patentanmeldung hinsichtlich des von ihr zu bear bei tenden Vorgangs geirrt. Die Akte sei ihr vorgelegt worden, um die Patent anmeldung aus dem internen System für die Überwachung der Jahres gebühren zahlung en zu entfernen, nachdem eine von der Beschwerde führerin beauftragte Patentan walts gesellschaft mit Schreiben vom 21. Juni 2007 den Vertreter gebeten hatte, ihr keine Jahresgebühren erinnerungen mehr zu senden. In Zusammenschau mit einem in der Akte be findlichen zweiten Schreiben der Patentanwaltsgesell schaft vom 30. Juni 2006 habe die Kanzleiangestell te irrtüm lich angenom men, dass die Mandantin eine Über gabe der Vertre tung an diese Patentanwalts gesell schaft gewünscht habe. Sie habe daher ange nom men, ihr sei die Akte vorgelegt worden, um die ihr obliegende adminis tra tive Bear beitung der Akte im Falle ihrer Schlie ßung vorzunehmen. Sie habe dement sprechend die Akte mit einem Erledi gungs vermerk versehen und im Aktenraum für erledigte Akten abgelegt, anstatt die Patentanmeldung aus dem Gebührenüberwachungs system zu entfernen. Die Angestellte habe es dabei unterlassen, Rücksprache mit dem zuständigen Ver treter zu halten, um zu prüfen, ob tatsächlich eine Vertretungsüber nah me erfolgt und die Zustän dig keit auf den neuen Ver treter über gegangen sei. Sie sei davon ausgegangen, dass die anwaltliche Über prüfung wie üblich stattge funden habe, bevor ihr die Akte zur Bearbeitung vor ge legt worden sei.

b) Mitteilungen von Patentämtern, die zu erledigt ge führten Akten eingingen, lege die für den Postein gang zuständige Mitarbeiterin nach kanzlei interner Gepflo genheit unbesehen im archi vier ten Aktenheft ab. Amtliche Mit teilungen zu geschlos senen Akten würden weder dem zuständigen Patent anwalt vorge legt, noch dem Mandanten zugestellt, da davon aus gegangen werde, dass der Mandant das Schutz recht bewusst nicht wei ter verfolge. Wenn sich der An melder gegen die Auf rechterhaltung eines Schutz rechts entschieden habe, wolle er auch keine amt lichen Mitteilungen mehr er halten. Der Grund für die Erledigung einer geschlos senen Akte würde bei Eingang amtlicher Mitteilungen nicht hinter fragt, da dieser bei Schließung der Akte vom Patentanwalt geprüft worden sei. Einzig Schreiben von Mandan ten, die zu erledigt geführten Akten ein gingen, würden dem Patentanwalt vorgelegt.

c) Wegen des irrtümlichen Erledigungs vermerks auf der Akte der vorliegend betroffenen Patentanmeldung habe der Eindruck bestanden, es sei zu dieser Akte nichts mehr zu unternehmen, weshalb auch nach Er halt der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ vom 29. September 2008 und der Mitteilung über den Rechtsverlust vom 16. März 2009 keine Verdachts momente bestanden hätten, die zu einer Über prüfung des Rechtsstands der Akte Anlass gege ben hätten. Die genannten amtlichen Mit teilungen seien von der für den Posteingang zuständi gen Mitarbeiterin im archivierten Aktenheft abgelegt worden. Erst nach Zugang des Schreibens der Be schwer de führerin vom 20. Januar 2010 habe der Irrtum auf gedeckt werden können.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde zielt auf die Wiederherstellung des Rechtszustands, der eingetreten wäre, wenn die Frist für den Antrag zur Weiterbehandlung der europäischen Patent anmeldung Nr. 02 797 893.1, die durch die Mit teilung nach Regel 112 (1) EPÜ vom 16. März 2009 in Gang ge setzt wurde, gewahrt worden wäre. Grundlage hierfür bildete im Verwaltungsverfahren vor der Prüfungsab teilung der An trag auf Wiedereinsetzung vom 29. Januar 2010, der mit Eingabe vom 10. Februar 2010 dahingehend geändert wurde, dass die Beschwerdeführerin die Wieder einsetzung in die Frist für den Antrag auf Weiterbe hand lung an stel le der Wiedereinsetzung in die (diesem Rechtsbehelf nicht zu gängliche) Frist gemäß Regel 71 (3) EPÜ beantragte. Am selben Tag wurde die versäumte Handlung durch Entrich tung der Weiterbehand lungsgebühr vollständig nachgeholt. Die Kammer teilt die Auffassung des Formalprüfers, der den Schriftsatz vom 29. Januar 2010 zusammen mit dem Schreiben vom 10. Februar 2010 als Antrag auf Wieder ein setzung in die Weiterbehandlungs frist interpretiert und behandelt hat.

2. Nach Regel 136 (3) EPÜ sind alle Fristen, für die Weiter behandlung nach Artikel 121 EPÜ beantragt werden kann, sowie die Frist für den Antrag auf Wiedereinset zung von der Wiedereinsetzung ausgeschlossen. Im Um kehr schluss ist die Wiedereinsetzung bei Fristen zu lässig, die von der Weiterbehandlung ausgenommen sind, sofern nicht die Wiedereinsetzung in diese Frist aus drück lich ausge schlossen ist. Da nach Artikel 121 (4) EPÜ u.a. die Frist für einen Antrag auf Weiterbe hand lung von der Weiterbehandlung ausge schlossen ist, folgt e contrario aus Regel 136 (3) EPÜ, dass die Wiederein setzung in die Weiterbehandlungs frist zulässig ist. Die Vorarbeiten zur Revision des EPÜ bestätigen diese Aus legung. Dem Basis vorschlag zur Revision des Europäi schen Patentüberein kommens vom 13. Oktober 2000 (MR/2/00, Nr. 6 zu Artikel 122) ist zu entnehmen, dass der Gesetz geber die in der Rechtsprechung anerkannte Möglich keit der Wiederein setzung in die Weiterbehand lungs frist (J 12/92 vom 30. April 1993, Nr. 3.2.2; J 29/94, ABl. EPA 1998, 147, Nr. 3; J 902/87, ABl. EPA 1988, 323, Nr. 2.2 bis 2.4) beibehalten wollte. Das Wieder einsetzungs begehren der Beschwerdeführerin betrifft somit eine diesem Rechts behelf zugängliche Frist. Die Zulässigkeit des Antrags auf Wiederein setzung vom 29. Januar 2010 in Verbindung mit dem Schreiben vom 10. Februar 2010 wurde daher von der Kammer unter diesem Gesichtspunkt nicht in Frage gestellt.

3. Zu beurteilen war indes, ob die Frist für den Antrag auf Wieder einsetzung in die Weiterbehandlungsfrist von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses (Regel 136 (1), Satz 1 EPÜ) einge halten war.

4. Der Wegfall des Hindernisses ist ein Tatbestand, der stets unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände ermittelt werden muss (J 27/90, ABl. EPA 1993, 422, Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe). In der vorliegenden Sache be stand nach dem Vorbringen der Beschwerdeführe rin das Hindernis in der Fehlvorstellung, es sei in Be zug auf die Patentanmel dung Nr. 02 797 893.1 nichts mehr zu unternehmen. Ursächlich hierfür war der Um stand, dass die Akte versehentlich durch eine Kanzlei angestellte des Vertreters mit einem Erledigungsvermerk versehen und in den Aktenraum für erledigte Akten gebracht worden war.

5. Beruht die Fristversäumnis auf einem Irrtum über Tat sachen, so fällt nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Hindernis an dem Tag weg, an dem die für die Patentanmeldung verantwortliche Person (d.h. die am Schutzrecht berechtigte Person oder ihr bevoll mächtigter Vertreter) den Irrtum hätte bemerken müssen. Dies ist in der Regel der Tag, an dem eine Mitteilung eines Rechts ver lusts nach Regel 112 (1) EPÜ zugeht, weil - von besonderen Um ständen abgesehen - davon ausgegangen werden kann, dass die verantwortliche Person das Frist versäumnis infolge des Zugangs dieser Mitteilung kennt und den Irrtum bemerken muss. Dies schließt jedoch nicht aus, dass andere Ereignisse zur Aufdeckung des Irrtums führen und die Frist zur Stel lung des Wiedereinsetzungs antrags in Lauf setzen kön nen. Im Rahmen der Einzelfall prüfung ist zudem zu unter suchen, ob von einem Wegfall des Hinder nisses etwa deshalb aus gegangen werden muss, weil die verantwort liche Person infolge einer ihr anzu lastenden Sorgfalts pflichtver letzung den Irrtum nicht erkannt hat, sie diesen aber bei gebotener Sorgfalt hätte erkennen müssen (J 27/90, ABl. EPA 1993, 422, Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe).

6. Für die Einhaltung der Frist für den Antrag auf Wieder einsetzung in die Weiterbehandlungsfrist von zwei Mona ten nach Wegfall des Hindernisses (Regel 136 (1), Satz 1 EPÜ) ist vorliegend entscheidend, ob der Ver treter den Irrtum bei gebotener Sorgfalt hätte erkennen müssen. Ob bei der Schließung der Akte alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet wurde, und ob das Handeln der Kanzleiangestellten als ein maliger Fehler einer gut ausgebildeten und angemessen überwachten Angestellten dem Vertreter nicht zuzu rechnen ist, kann in diesem Zusammenhang offen gelassen werden, da diese Frage die Begründetheit des Wiederein setzungsantrags betrifft, über die vorliegend in Ansehung des Ver fahrensausgangs nicht Stellung zu beziehen war.

7. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die irr tümliche Schließung der Akte weder bei Eingang der Mitteilung über den Rechtsverlust vom 16. März 2009, noch zuvor aufgrund der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ vom 29. September 2008 hätte bemerkt werden müssen. Wegen des irrtümlichen Erledigungsvermerks sei diesen Mitteilungen keine Beachtung geschenkt worden. Diese Mit teilungen seien nach deren Eingang entsprechend den in der Kanzlei etablierten Abläufen von der für den Posteingang zuständigen Mitarbeiterin der als erledigt geführten Akte zugeordnet und daher unmittelbar im archivierten Akten heft abgelegt worden, ohne die Mit teilungen zuvor einem Patentanwalt vorzulegen. Dies sei ein in Kanzleien üblicher Organisationsablauf. Es könne darauf verzichtet werden, amtliche Mitteilungen, die zu geschlos senen Akten eingingen, einem Patentanwalt vor zulegen, da davon ausgegangen werden könne, dass sei tens des Mandanten kein Interesse am Fortbestand des Schutz rechts bestehe. Dies sei namentlich der Fall, wenn eine eindeutige schrift liche Weisung des Mandanten vorliege, dass keine Weiter ver folgung des Schutzrechts mehr ge wünscht sei. Eine Kennt nis nahme von der amt lichen Mitteilung durch einen Patentanwalt würde in solch einer Situation keine Diskrepanz zwischen der Er ledi gung der Akte und der Weisung des Mandanten auf zeigen. Gleiches gelte auch, wenn der Patentanwalt ent scheide, eine Akte beim Aus bleiben erbetener Weisungen des Mandanten trotz mehr maliger Nach frage zu schließen. Auch bei einem Ver tre ter wechsel werde die Akte durch einen Patent anwalt erst dann zur administrativen Er ledigung durch die Kanzleiangestellte freigegeben, wenn der Übergabe prozess vollständig abgeschlossen sei. Da die Erledi gung einer Akte in jedem Fall mit dem zu ständigen Patent anwalt vorgängig abgestimmt worden sei, könne sich der Ver treter darauf verlassen, dass bei Vor liegen eines Erledigungsvermerks keine weitere Prüfung durch einen Patentanwalt erforderlich sei. Amtliche Mit teilungen zu geschlossenen Akten würden den Mandanten auch nicht weitergeleitet, da dies von den Mandanten nicht ge wünscht werde und in einer Vielzahl von Kanzleien so gehandhabt werde.

8. Die Beschwerdeführerin vermag mit ihren Argumenten nicht durchzudringen. Nach Auffassung der Kammer wird den einem Patentanwalt obliegenden Sorgfaltspflichten nicht durch einen Organisations ablauf Genüge getan, bei dem amt liche Mitteilungen, die noch nachträglich zu ge schlos senen Akten per Einschreiben eingehen, ohne jegliche Prüfung ihres Inhalts im Aktenheft abge legt und dem Mandanten auch nicht weitergeleitet wer den. Dies trifft selbst dann zu, wenn der Vertreter vor Schließung der Akte das ihm Gebotene getan hat, um sich des Willens des Mandan ten zu ver sichern. Auch wenn einzuräumen ist, dass im Einzelfall amtliche Mitteilun gen, die nach der Schlie ßung einer Akte eingehen und einen Rechts ver lust an zeigen, eine vom Mandanten gewünschte Rechts folge wider spiegeln können, so darf dies doch nicht als all gemein gültig unterstellt und in der Weise zum Grund stein der inter nen Organisa tion der Arbeitsabläufe gemacht werden, dass der Inhalt amt licher Mitteilungen nicht einmal mehr zur Kenntnis genommen wird. Denn eine darauf aufbauende Organisa tion wird der Viel ge stal tigkeit der Einzelfälle nicht gerecht und ver hin dert geradezu das Aufdecken von Irr tümern, die im Zuge der Schließung der Akte denkbar sind.

9. Dies gilt auch für die von der Beschwerde führerin nach drücklich an ge führte, vor liegend aber gerade nicht einschlägige Fallkonstel lation, dass der Mandant die Weisung erteilt hat, das Schutzrecht durch Nichtzahlung der Jahresge bühr fallen zu lassen. Geht danach zum Beispiel eine Mit teilung nach Regel 71 (3) EPÜ ein, so darf nicht ohne jegliche Nachprüfung angenom men werden, dass der einer früheren Instruktion zu entnehmende Wille des Mandan ten, das Schutz recht aufzugeben, unverändert fortbe steht. Es ist in einem solchen Fall nicht auszu schließen, dass sich ein An melder geirrt hat, oder dass er in der Zwischenzeit seine Meinung geändert und bei spiels weise die Zahlung der Jahresgebühren veranlasst hat. Das gilt insbesondere, wenn die Zahlung der Jahres gebühren nicht durch den Vertreter, sondern durch eine Drittfirma erfolgte. Besteht eine kanzleiinterne Anord nung, eine amtliche Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ nach Schlie ßung einer Akte dem Ver treter nicht mehr vor zulegen und dem Mandanten auch nicht weiterzuleiten, so verhindert dies eine Über prüfung der Absicht des Man dan ten. Durch die Zurückbehaltung amtlicher Mit teilungen wird dem Mandanten die Möglichkeit genom men, einem all fäl ligen Versehen nachzugehen, es zu erkennen und ent sprechend zu han deln, um ein Dahin fallen des Schutz rechts zu verhin dern. Auch ist ihm verwehrt, z.B. in Anbe tracht des Hin weises auf den Rechts behelf der Weiter behandlung die gegebenenfalls erteilte Instruk tion zu überdenken. Das Gesagte trifft auch auf amtliche Mitteilungen über den Rechtsverlust zu, auf die sich die Beschwerdeführerin vornehmlich bezog. Mit der Anordnung, ein gehende amt liche Mit teilung nach Schließung einer Akte inhaltlich nicht zu prüfen und zurückzubehalten, begibt sich der Vertreter zum vorn herein jeder Kontroll möglich keit, die es erlauben würde, mit vertretbarem Aufwand eine denkbare Unstim migkeit bei der Schließung der Akte aufzu decken.

10. In tatsächlicher Hinsicht ist indes festzustellen, dass für die Schließung der Akte zur euro päischen Patent anmel dung Nr. 02 797 893.1 nach dem Sachvortrag der Beschwerdeführerin keine Instruktion, die Anmeldung durch Nichtzahlung der Jahresgebühr fallen zu lassen, ursäch lich war. Vielmehr erfolgte die Erledigung in Ansehung eines Vertreterwechsels. Wie der Vertreter der Be schwerdeführerin darlegte, wird in diesen Fällen in der Kanzlei die Anzeige der Ver tretungsübernahme abge wartet, bevor die Akte unter Kontrolle eines Patent anwalts geschlossen wird. Danach erfährt eine solche Akte allerdings keine unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu Akten, die aus anderem Grund geschlossen wurden. Auch hier legt die für den Posteingang zustän dige Mitarbei te rin eingehende amt liche Mitteilungen ohne vorgängige Vor lage an den Vertreter im archi vier ten Aktenheft ab. Eine solche Organisation der internen Arbeits abläufe ist bei einer Ver tretungsübernahme eben falls als Organisa tionsverschulden dem Vertreter anzu lasten. Zum einen ist es bei einem Wech sel der Vertre tung, der mit Rück sicht auf eine ord nungs gemäße Ab wicklung zwangs läufig zu sich über schneidenden Ver antwortlichkeiten führt, nicht ange bracht, die Ver ant wortlichkeiten generell nach formalen Gesichtspunkten, wie etwa dem Zugang der Anzeige der Vertretungsüber nahme, abgrenzen zu wollen (vgl. T 338/98 vom 2. März 1999, Nr. 8 der Entschei dungs gründe). Zum anderen müssen danach eingehende amtliche Mit teilun gen auf jeden Fall Argwohn erregen, da sie auf Fehler bei der Abwicklung der Vertretungs über nahme hindeuten. So hätten dem Vertreter in vor liegender Sache die Mit teilung nach Regel 71 (3), die etwa 15 Monate nach Schließung der Akte einging, und die Mitteilung des Rechtsverlusts vom 16. März 2009, die weitere 6 Monate später zuging, auf fallen müssen, wenn er sie persönlich zur Kenntnis ge nommen hätte. In Bezug auf die Mit tei lung nach Regel 71 (3) EPÜ bestand eine offen sichtliche Diskrepanz zur ver merkten Erledigung der Akte: Dass eine ertei lungs fähige Anmeldung nicht weiter verfolgt werden soll, hätte nicht ohne Prüfung angenommen werden dürfen. Die Annahme eines Vertreter wechsels hätte den Erhalt der Mitteilung ebenfalls nicht erklären können. Letzteres gilt auch für die spätere Mitteilung des Rechts verlusts. Insge samt hätten diese Mitteilungen Anlass zur Über prüfung des Rechts stands geben müssen. Wegen der An ordnung, amtliche Mit teilungen zu ge schlos senen Akten dem Mandanten nicht weiterzuleiten, ent hielt der Ver treter die in diesen Mitteilungen vermit telte Infor mation über den Ver fahrens verlauf der Beschwerdeführerin bzw. dem Patent anwalt, der vermeint lich die Vertretung übernommen hatte, vor und nahm ihnen damit auch die Mög lichkeit, ein Versehen oder Missver ständnis zu erken nen.

11. Aus den vorstehend genannten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass der Vertreter bei An wendung aller ge bo tenen Sorgfalt den Irrtum bereits nach Erhalt der Mit teilung nach Regel 71 (3) EPÜ vom 29. September 2008 hätte erkennen müssen. Dieser Zeitpunkt ist daher für den Weg fall des Hindernisses und den Beginn der An trags frist nach Regel 136 (1) Satz 1 EPÜ maß gebend.

12. Vorliegend ist freilich zu beachten, dass die Wieder ein setzung in die Frist zur Weiterbehandlung beantragt wur de. Ein Antrag auf Weiterbehand lung nach Arti kel 121 (1) EPÜ ist gemäß Regel 135 (1) EPÜ durch Ent richtung der vorgeschriebenen Gebühr innerhalb von zwei Monaten nach der Mitteilung über die Fristver säumung oder über einen Rechtsverlust zu stellen. Im vorliegen den Fall ist für den Lauf der Frist für die Stellung des Weiterbehand lungsantrags die Mitteilung über den Rechtsverlust maß gebend, die am 16. März 2009 zur Post abgegeben wurde. Es liegt damit auf der Hand, dass die Weiterbehand lungs frist nach dem Zeitpunkt endete, in dem das Hindernis wegfiel. Denn der Vertreter hätte den Irrtum bereits bei Erhalt der amtlichen Mitteilung vom 29. September 2008 erkennen müssen (Nr. 11). Der Irrtum bestand zwar danach in tatsäch licher Hinsicht noch fort. Der Vertreter war indessen seit diesem Zeitpunkt nicht mehr im Rechtssinn des Artikels 122 EPÜ gehin dert, die Weiterbehand lung rechtzeitig zu bean tragen. Einen zusätzlichen Hinde rungsgrund, der der fristge rechten Einreichung eines Weiterbehandlungs antrags entgegenstand, hat die Be schwerdeführerin nicht geltend gemacht.

13. Das Vorliegen eines Hindernisses, das mit der Nicht be achtung der Frist in einem ursächlichen Zusammenhang steht, stellt bei einem Antrag auf Wieder einsetzung eine Verfahrens- bzw. Sachurteilsvor aus setzung dar und ist im Rahmen der Zulässigkeit der Wiedereinsetzung zu prüfen. Für eine solche Zuordnung kann es keinen Unter schied machen, ob im Einzelfall eine Verhinderung an der Ein haltung einer Frist im Sinne von Artikel 122 EPÜ im Zeitpunkt des Ablaufs der versäumten Frist deswegen nicht gegeben ist, weil der geltend ge machte Umstand die fristgerechte Vornahme der versäum ten Verfahrens hand lung in tatsächlicher Hinsicht nicht unmöglich mach te, etwa im Fall des bewussten Ver strei chen lassens einer Frist (T 413/91 vom 25. Juni 1992, Nr. 4 der Ent scheidungs gründe), oder weil das Vorliegen eines Hinder nisses aus Rechtsgründen zu verneinen ist, wie in dem vorliegend gegebenen Fall, dass ein Irrtum, auf grund dessen die Vornahme einer fristgebundenen Ver fahrens hand lung unterblieben ist, bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkannt werden müssen. Der Zuordnung zu den Ver fahrens vor aus setzungen widerspricht es nicht, dass Über legungen zur Einhaltung der gebote nen Sorgfalt anzu stel len sind, denn dahingehende Erwägungen sind der Prüfung der Verfahrensvorausset zung, ob die Frist für den Antrag auf Wieder einsetzung in die Weiterbehand lungs frist von zwei Monaten nach Wegfall des Hinder nisses (Regel 136 (1), Satz 1 EPÜ) einge halten wurde, bei Geltend machung eines Irrtums als Hinderungsgrund inhärent. Fällt das in einem Antrag auf Wiedereinset zung geltend gemachte, in einem Irrtum bestehende Hindernis vor Ab lauf der versäum ten Frist infolge einer der verantwort lichen Person anzu lastenden Sorgfalts pflichtver letzung weg, so führt dieser Wegfall zur Unzulässigkeit des An trags auf Wieder einsetzung. Dem Antrag auf Wieder ein setzung kann schon aus diesem Grund nicht stattgegeben werden. Einer weiteren Begründung bedarf es in dieser Hinsicht nicht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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