European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1996:G000294.19960219 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 Februar 1996 | ||||||||
Aktenzeichen: | G 0002/94 | ||||||||
Vorlageentscheidung: | J 0011/94 | ||||||||
Anmeldenummer: | 92118493.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | E05D 15/526 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | W. Hautau GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | EBA | ||||||||
Leitsatz: | 1. Es steht im Ermessen einer Beschwerdekammer, einer Begleitperson (die nicht nach Artikel 134 (1) und (7) EPÜ berechtigt ist, Beteiligte im Verfahren vor dem EPA zu vertreten) in einer mündlichen Verhandlung in Ex-parte- Verfahren in Ergänzung des vollständigen Sachvortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten. 2. a) In Ex-parte-Verfahren muß ein zugelassener Vertreter die Zulassung solcher mündlicher Ausführungen vor dem Termin der mündlichen Verhandlung beantragen. In diesem Antrag sind Name und Qualifikation des Vortragenden sowie das Thema der gewünschten mündlichen Ausführungen anzugeben. Die Beschwerdekammer übt ihr Ermessen je nach den Umständen im Einzelfall aus. Dabei ist ausschlaggebend, daß die Kammer vor ihrer Entscheidung in der Sache über alle einschlägigen Sachverhalte umfassend unterrichtet wird. Die Kammer muß sicherstellen, daß die Begleitperson ihre mündlichen Ausführungen unter der fortgesetzten Verantwortung und Aufsicht des zugelassenen Vertreters vorbringt. b) Eine Beschwerdekammer soll ihre Zustimmung versagen zu mündlichen Ausführungen eines ehemaligen Kammermitglieds in einer vor ihr stattfindenden mündlichen Verhandlung sowohl in Inter-partes- als auch in Ex-parte-Verfahren, es sei denn, sie wäre völlig davon überzeugt, daß das Ausscheiden des ehemaligen Mitglieds aus der Beschwerdekammer so lang zurückliegt, daß eine Befangenheit der Beschwerdekammer in dieser Sache vernünftigerweise nicht zu besorgen ist, wenn sie ein solches mündliches Vorbringen gestattet. Eine Beschwerdekammer soll in der Regel die Zustimmung zu mündlichen Ausführungen eines ehemaligen Kammermitglieds in einer vor ihr stattfindenden mündlichen Verhandlung versagen, wenn nach dessen Ausscheiden nicht mindestens drei Jahre vergangen sind. Nach Ablauf von drei Jahren soll die Zustimmung erteilt werden, sofern keine außergewöhnlichen Umstände |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Mündliche Ausführungen einer Begleitperson in Ex-parte-Verfahren Mündliche Ausführungen eines ehemaligen Kammermitglieds in Ex-parte- oder in Inter-partes-Verfahren |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Zusammenfassung des Verfahrens
I. Die Sache J 11/94 ist derzeit vor der Juristischen Beschwerdekammer gemäß Artikel 21 (3) c) EPÜ anhängig und betrifft ausschließlich verfahrensrechtliche Fragen im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen die Entscheidung einer Prüfungsabteilung. Es handelt sich um eine Beschwerde in einem Ex-parte-Verfahren.
In dieser Sache fand eine mündliche Verhandlung statt. In der mündlichen Verhandlung am 22. September 1994 wurde der Beschwerdeführer durch einen zugelassenen Vertreter gemäß Artikel 134 (1) EPÜ vertreten. Dieser Vertreter wurde von einem ehemaligen Vorsitzenden der Juristischen Beschwerdekammer des EPA begleitet, der Ende 1992 aus seinem Amt ausgeschieden war. Zu Beginn der Vernehmung bat der zugelassene Vertreter, dem ehemaligen Vorsitzenden der Juristischen Beschwerdekammer zu gestatten, vor dieser Kammer in Ergänzung seines eigenen Vortrags für den Beschwerdeführer vorzutragen. Als die Kammer diesbezüglich Bedenken äußerte, beantragte der Vertreter des Beschwerdeführers, der Großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage betreffend die Vertretung vorzulegen. Nach Beratung der Juristischen Beschwerdekammer wurde die mündliche Verhandlung vertagt. In der Folge wurden der Großen Beschwerdekammer mit der Entscheidung J 11/94 (ABl. EPA 1995, 596) gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen vorgelegt:
"1. Steht es im Ermessen einer Beschwerdekammer, einer Person, die nicht nach Artikel 134 (1) und (7) EPÜ berechtigt ist, Beteiligte im Verfahren vor dem EPA zu vertreten, in einer mündlichen Verhandlung in Ergänzung des Vortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten?
2. Wird die Frage zu 1) bejaht:
a) Welche Kriterien sind bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen?
b) Gelten Besonderheiten für ehemalige Mitglieder der Beschwerdekammern?"
In dieser Entscheidung wird eine Person, die einen zugelassenen Vertreter begleitet und nicht nach Artikel 134 (1) EPÜ oder Artikel 134 (7) EPÜ berechtigt ist, Beteiligte in Verfahren vor dem EPA zu vertreten, als "Begleitperson" bezeichnet.
In ihrer Vorlageentscheidung führte die Juristische Beschwerdekammer an, daß die Frage 1 in den Entscheidungen T 80/84 (ABl. EPA 1985, 269) und T 598/91 (ABl. EPA 1994, 912) unterschiedlich beantwortet worden sei.
In der Entscheidung T 80/84 habe die Beschwerdekammer 3.4.1 befunden, daß die Vertretung von Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung nur von Personen wahrgenommen werden könne, die nach Artikel 133 und 134 EPÜ dazu berechtigt und gehörig bevollmächtigt seien; eine Begleitperson (in diesem Falle ein nicht zugelassener Assistent) dürfe den Fall eines Verfahrensbeteiligten daher auch nicht teilweise und unter der unmittelbaren Aufsicht seines zugelassenen Vertreters in einer mündlichen Verhandlung vortragen.
In der Entscheidung T 598/91 habe die Beschwerdekammer 3.2.2 zwischen den Begriffen "Vortrag" und "Vertretung" unterschieden und befunden, daß Artikel 133 EPÜ nicht ausschließe, daß der Fall eines Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung in Ergänzung des Vortrags des zugelassenen Vertreters dieses Beteiligten (oder des Beteiligten selbst, wenn dieser eine natürliche Person sei) teilweise von einer Begleitperson (im Sinne eines "Vortrags") dargelegt werde.
Hinsichtlich der vorgelegten Frage 2 b) führte die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Vorlageentscheidung an, daß das Vertrauen der Öffentlichkeit in Verfahren vor den Beschwerdekammern untergraben werden könnte, wenn deren ehemaligen Mitgliedern gestattet wäre, für Beteiligte in mündlichen Verhandlungen aufzutreten. Sie wies auf die entsprechende Rechtslage und -praxis in Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich hin, wo die Anwaltstätigkeit früherer Richter Beschränkungen unterliege.
Außerdem verwies die Juristische Beschwerdekammer auf Artikel 19 des Statuts der Beamten des EPA (nachstehend als "Beamtenstatut" bezeichnet), wonach "der Beamte ... nach dem Ausscheiden aus dem Dienst verpflichtet [ist], bei der Aufnahme bestimmter Tätigkeiten oder der Annahme von Vorteilen ehrenhaft und zurückhaltend zu sein."
II. Nach Artikel 11a der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer wurde der Präsident des EPA aufgefordert, sich zu den vorgelegten Fragen schriftlich zu äußern; am 28. April 1995 legte er eine schriftliche Stellungnahme vor.
Bezüglich der Frage 1 vertrat der Präsident die Auffassung, daß es im Ermessen einer Beschwerdekammer stehe, einer Begleitperson in einer mündlichen Verhandlung in Ergänzung des Vortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten.
Hinsichtlich der Frage 2 a) erklärte der Präsident, eine Beschwerdekammer solle ihre Ermessensfreiheit grundsätzlich unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Einzelfalls frei ausüben.
Zur Frage 2 b) erklärte der Präsident unter Bezugnahme auf die Artikel 19 und 20 (1) des Beamtenstatuts, daß ein ehemaliges Kammermitglied eine gewisse Zeit lang nicht vor der betreffenden Beschwerdekammer auftreten sollte, um nicht in den Verdacht zu geraten, persönliche Vorteile aus seiner früheren Position zu ziehen und damit möglicherweise zu einer Ablehnung gemäß Artikel 24 EPÜ Anlaß zu geben; ein Zeitraum von drei Jahren erscheine ihm insoweit angemessen.
III. Auch das Institut der beim EPA zugelassenen Vertreter (das "EPI") reichte mit Schreiben vom 3. Mai 1995 eine schriftliche Stellungnahme zu den vorgelegten Fragen ein.
Bezüglich der Frage 1 führte das EPI im wesentlichen aus, daß eine Ermessensentscheidung einer Beschwerdekammer, einer Begleitperson mündliche Ausführungen zu gestatten, auf Fälle beschränkt werden sollte, in denen ein technischer Sachverständiger unter der Aufsicht des zugelassenen Vertreters und gemäß Artikel 117 EPÜ den technischen Sachverhalt erläutere. Zur Frage 2 a) erklärte das EPI daher, dieses Ermessen solle so ausgeübt werden, daß eine solche Begleitperson "genau abgegrenzte Fragen technischer Art" erläutern dürfe, wenn eine Kammer solche Ausführungen zum richtigen Verständnis des betreffenden Falls als zweckmäßig erachte.
Bezüglich der Frage 2 b) erklärte das EPI, daß diese - zumindest teilweise - schon durch die Antworten auf die Fragen 1 und 2 a) abgehandelt sei und "ehemalige Kammermitglieder nicht vor einer Kammer vortragen sollten"; außerdem erklärte das EPI, es "ziehe vor, zu dieser Frage nicht Stellung zu nehmen".
IV. Mit Schreiben vom 29. Juni 1995 äußerte sich der Beschwerdeführer zu den Stellungnahmen des Präsidenten und des EPI.
Bezüglich der Frage 1 wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß es dabei lediglich um ergänzende Ausführungen einer Begleitperson gehe. Die Verantwortung für den Inhalt solcher ergänzender Ausführungen solle nach wie vor beim zugelassenen Vertreter liegen; im übrigen sollten diese thematisch genau abgegrenzt sein und unter der Aufsicht des Vorsitzenden der Beschwerdekammer erfolgen.
Bezüglich der Frage 2 a) erläuterte der Beschwerdeführer anhand verschiedener Kategorien von Begleitpersonen, wie eine Kammer ihr Ermessen in bezug auf die Zulassung ergänzender Ausführungen einer Begleitperson ausüben solle.
Entscheidungsgründe
1. Die der Großen Beschwerdekammer mit der Entscheidung J 11/94 vorgelegten Fragen haben sich im Rahmen einer Beschwerde in einem Ex-parte-Verfahren gestellt. Für das Einspruchsverfahren ist die Frage 1, ob es im Ermessen einer Beschwerdekammer steht, einer Begleitperson (die nicht nach Artikel 134 (1) und (7) EPÜ berechtigt ist, Beteiligte vor dem EPA zu vertreten) in einer mündlichen Verhandlung in Ergänzung des Vortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten, im Rahmen der Entscheidung G 4/95, Nummern 1 bis 8 der Entscheidungsgründe, umfassend geprüft worden. Grundsätzlich besteht bezüglich dieser Frage eindeutig kein Unterschied zwischen einseitigen Verfahren und mehrseitigen Einspruchsverfahren. Aus den in den Nummern 1 bis 8 der Entscheidung G 4/95 dargelegten Gründen spricht weder Artikel 133 EPÜ noch etwas anderes dagegen, daß eine Begleitperson in einer mündlichen Verhandlung in einem einseitigen Beschwerdeverfahren für einen Verfahrensbeteiligten in Ergänzung zum vollständigen Sachvortrag des Beteiligten durch den zugelassenen Vertreter mündliche Ausführungen zu Fragen rechtlicher oder technischer Art macht. Es steht im Ermessen einer Beschwerdekammer, einer Begleitperson solche mündlichen Ausführungen zu gestatten.
Wie in der Entscheidung G 4/95 erörtert, kann es sich bei solchen mündlichen Ausführungen um die Darlegung von Tatsachen oder Beweismitteln, aber auch lediglich um Argumente handeln.
2. Das in Nummer 10 der Entscheidung G 4/95 erörterte Argument, wonach die für einen Einsprechenden vorgetragenen mündlichen Ausführungen einer Begleitperson für einen anderen Beteiligten nicht überraschend kommen dürfen, spielt bei der Ermessensentscheidung in Ex-parte-Verfahren natürlich keine Rolle.
Da es aber im Ermessen einer Beschwerdekammer steht, einer Begleitperson mündliche Ausführungen in Ex-parte-Verfahren zu gestatten oder zu verwehren, muß die Kammer das Verfahren unbedingt unter Kontrolle haben. Der zugelassene Vertreter hat daher rechtzeitig vor dem Termin der mündlichen Verhandlung einen Antrag auf Zulassung solcher mündlicher Ausführungen zu stellen, damit die Kammer nicht überrascht wird und den Antrag vor der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß prüfen kann.
Wie auch in Inter-partes-Verfahren hat der zugelassene Vertreter bei der Antragstellung den Namen und die Qualifikation der Person, die die ergänzenden mündlichen Ausführungen vortragen soll, sowie das Thema dieser Ausführungen anzugeben.
3. Die Kammer hat ihr Ermessen je nach der Sachlage im Einzelfall auszuüben. In Ex-parte-Verfahren, bei denen keine Interessen anderer Beteiligter zu berücksichtigen sind, ist das wesentliche Kriterium bei der Ermessensausübung, daß die Kammer vor ihrer Entscheidung in der Sache über alle einschlägigen Sachverhalte umfassend unterrichtet ist. Außerdem hat sie sicherzustellen, daß die Begleitperson ihre mündlichen Ausführungen unter der fortgesetzten Verantwortung und Aufsicht des zugelassenen Vertreters vorbringt.
4. Bei der vorgelegten Frage 2 b) geht es darum, ob für die Ausübung des Ermessens einer Kammer Besonderheiten gelten, wenn die ergänzenden mündlichen Ausführungen von einem ehemaligen Kammermitglied vorgebracht werden sollen. Diese Frage stellt sich für alle mündlichen Verhandlungen vor Beschwerdekammern, ob nun in Ex-parte- oder Inter-partes-Verfahren, und muß eingehend geprüft werden.
Weder das EPÜ noch das Beamtenstatut enthalten besondere Bestimmungen darüber, ob ein ehemaliges Kammermitglied nach seinem Ausscheiden als Rechtsanwalt oder als europäischer Patentvertreter in Verfahren vor dem EPA und speziell vor den Beschwerdekammern auftreten darf. Die Bestimmung des Artikels 19 des Beamtenstatuts ist eine Generalklausel, die nicht auf ehemalige Kammermitglieder beschränkt, sondern auf alle ehemaligen ständigen Bediensteten des EPA anzuwenden ist und auf die strittige Frage keine eindeutige Antwort gibt. Somit könnte argumentiert werden, daß ein ehemaliges Mitglied einer Beschwerdekammer - mangels eindeutiger anderslautender Bestimmungen - nicht nur als Berater eines Beteiligten in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt tätig werden, sondern auch im Namen eines solchen Beteiligten in mündlichen Verhandlungen vor dem EPA einschließlich der Beschwerdekammern mündliche Ausführungen machen darf.
Andererseits könnte - so die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Vorlageentscheidung - die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen, daß Beteiligte, für die ehemalige Kammermitglieder in Verfahren vor dem EPA und insbesondere vor Beschwerdekammern auftreten und mündlich vortragen, im Vorteil seien, da zu besorgen wäre, die Beschwerdekammern könnten die Ausführungen solcher ehemaliger Mitglieder bevorzugt berücksichtigen. Offensichtlich ist dieses Problem nicht einfach durch eine Änderung der Zusammensetzung der Kammer zu lösen, vor der ein ehemaliges Mitglied auftreten möchte.
Somit besteht ein potentieller Konflikt zwischen dem eigentlich berechtigten Wunsch ehemaliger Kammermitglieder, in ihrer späteren Tätigkeit ihre Fachkenntnisse zu nutzen, indem sie in Verfahren vor dem EPA mündliche Ausführungen machen, und dem Erfordernis, daß bei der Durchführung von Verfahren vor dem EPA jegliche Besorgnis der Befangenheit zu vermeiden ist.
5. Die nationalen Rechtsordnungen zeigen deutlich auf, daß es einen solchen potentiellen Konflikt gibt und wie die Lösung aussehen könnte. Wie in der Vorlageentscheidung der Juristischen Beschwerdekammer angeführt (siehe Nummer I oben), besteht beispielsweise in Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich die Regelung, daß Personen, denen die Berufung in das Richterverhältnis angeboten wird, schon vor der Annahme wissen, daß eine spätere Tätigkeit als Rechtsanwalt nach ihrem Ausscheiden gewissen Einschränkungen unterliegt. In solchen Einschränkungen spiegelt sich der allgemein anerkannte Rechtsgrundsatz wider, daß Verfahrensbeteiligte Anspruch haben auf eine objektive Anhörung vor Richtern, bei denen vernünftigerweise keine Befangenheit zu besorgen ist.
6. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer muß der oben angeführte potentielle Konflikt dadurch gelöst werden, daß bei der Durchführung von Verfahren vor dem EPA jegliche Besorgnis der Befangenheit vermieden wird. So ist dem öffentlichen Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung von Verfahren vor dem EPA Vorrang einzuräumen vor dem persönlichen Interesse ehemaliger Kammermitglieder, die im Namen von Verfahrensbeteiligten mündliche Ausführungen machen möchten. Im Interesse der ordnungsgemäßen Durchführung von Verfahren vor dem EPA muß die Zulässigkeit von mündlichen Ausführungen ehemaliger Kammermitglieder in solchen Verfahren - zumindest während eines angemessenen Zeitraums nach ihrem Ausscheiden - gewissen Einschränkungen unterliegen.
7. Wie in der Vorlageentscheidung angeführt, ist in den nationalen Rechtsordnungen verschiedener Vertragsstaaten festgelegt, daß ein ehemaliger Richter für eine bestimmte Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Richteramt nicht als Rechtsanwalt vor einem Gericht auftreten darf. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer sollte der Verwaltungsrat im Interesse der Rechtssicherheit das Erscheinen oder Auftreten eines ehemaligen Mitglieds einer Beschwerdekammer in einer mündlichen Verhandlung vor dem EPA während eines genau festgelegten Zeitraums nach dem Ausscheiden untersagen.
Solange eine solche konkrete Rechtsvorschrift fehlt, steht es aber im richterlichen Ermessen der Beschwerdekammern, den Zeitpunkt nach dem Ausscheiden zu bestimmen, nach welchem es einem ehemaligen Kammermitglied gestattet ist, in Verfahren vor Beschwerdekammern mündliche Ausführungen zu machen.
8. Wünscht ein Beteiligter, daß ein ehemaliges Kammermitglied - ergänzend zum vollständigen Sachvortrag des zugelassenen Vertreters in einer mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer - mündlich vortragen soll, so hat der zugelassene Vertreter dies gemäß den unter der Nummer 2 dargelegten Grundsätzen im voraus bei der Beschwerdekammer zu beantragen.
Bei der Entscheidung über einen solchen Antrag soll eine Beschwerdekammer solche mündlichen Ausführungen in Ausübung ihres Ermessens untersagen, es sei denn, sie wäre völlig davon überzeugt, daß das Ausscheiden des ehemaligen Mitglieds aus der Kammer so lang zurückliegt, daß eine Befangenheit der Kammer in dieser Sache vernünftigerweise nicht zu besorgen ist, wenn sie dem Antrag stattgibt.
Üblicherweise sollte nach dem Ausscheiden eines Kammermitglieds ein Zeitraum von drei Jahren vergehen, bevor ihm als Begleitperson mündliche Ausführungen gestattet werden. Vor Ablauf von drei Jahren ist in der Regel die Gefahr zu groß, daß die Öffentlichkeit Ausführungen eines ehemaligen Kammermitglieds in einer mündlichen Verhandlung als eine Bevorteilung des betreffenden Beteiligten ansehen würde. Nach Ablauf von drei Jahren hingegen bestünde diese Gefahr - sofern keine außergewöhnlichen Umstände eintreten - in der Regel nicht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Es steht im Ermessen einer Beschwerdekammer, einer Begleitperson (die nicht nach Artikel 134 (1) und (7) EPÜ berechtigt ist, Beteiligte im Verfahren vor dem EPA zu vertreten) in einer mündlichen Verhandlung in Ex-parte- Verfahren in Ergänzung des vollständigen Sachvortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten.
2. a) In Ex-parte-Verfahren muß ein zugelassener Vertreter die Zulassung solcher mündlicher Ausführungen vor dem Termin der mündlichen Verhandlung beantragen. In diesem Antrag sind Name und Qualifikation des Vortragenden sowie das Thema der gewünschten mündlichen Ausführungen anzugeben.
Die Beschwerdekammer übt ihr Ermessen je nach den Umständen im Einzelfall aus. Dabei ist ausschlaggebend, daß die Kammer vor ihrer Entscheidung in der Sache über alle einschlägigen Sachverhalte umfassend unterrichtet wird. Die Kammer muß sicherstellen, daß die Begleitperson ihre mündlichen Ausführungen unter der fortgesetzten Verantwortung und Aufsicht des zugelassenen Vertreters vorbringt.
2. b) Eine Beschwerdekammer versagt ihre Zustimmung zu mündlichen Ausführungen eines ehemaligen Kammermitglieds in einer vor ihr stattfindenden mündlichen Verhandlung sowohl in Inter-partes- als auch in Ex-parte-Verfahren, es sei denn, sie wäre völlig davon überzeugt, daß das Ausscheiden des ehemaligen Mitglieds aus der Beschwerdekammer so lang zurückliegt, daß eine Befangenheit der Beschwerdekammer in dieser Sache vernünftigerweise nicht zu besorgen ist, wenn sie ein solches mündliches Vorbringen gestattet.
Eine Beschwerdekammer versagt in der Regel die Zustimmung zu mündlichen Ausführungen eines ehemaligen Kammermitglieds in einer vor ihr stattfindenden mündlichen Verhandlung, wenn nach dessen Ausscheiden nicht mindestens drei Jahre vergangen sind. Nach Ablauf von drei Jahren wird die Zustimmung erteilt, sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen.