W 0011/93 (Organo(poly)siloxanmassen) of 31.3.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:W001193.19940331
Datum der Entscheidung: 31 März 1994
Aktenzeichen: W 0011/93
Anmeldenummer: -
IPC-Klasse: C08L 83/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Unter Abspaltung von Alkoholen zu Elastomeren vernetzbare Organo(poly)siloxanmassen
Name des Anmelders: -
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 R 104a
Patent Cooperation Treaty Art 17(3)(a)
Patent Cooperation Treaty R 40(1)
Patent Cooperation Treaty R 40(2)
Schlagwörter: Rechtsunwirksame Zahlungsaufforderung nach Art. 17(3)a) PCT mangels darin enthaltener (ausreichender) Begründung; nachgeschobene Gründe unbeachtlich
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2703/18
W 0008/94
W 0015/00
W 0020/03
W 0011/06
W 0009/07
W 0020/08

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin hat am 4. Juni 1992 die Internationale Anmeldung PCT/EP.... eingereicht.

II. Anspruch 1 der genannten PCT-Anmeldung lautet in verkürzter Form, wie folgt:

"Unter Abspaltung von Alkoholen zu Elastomeren vernetzbare Organo(poly)siloxanmassen, herstellbar unter Verwendung von

(A) alpha, omega-Dihydroxyorgano(poly)siloxan,

(B) Organosiliciumverbindung der allgemeinen Formel

FORMEL (I)

sowie gegebenenfalls

(C) Organosiliciumverbindung der allgemeinen Formel

FORMEL (II)

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen besondere Ausführungsformen der Massen des Anspruchs 1.

Ansprüche 7 und 8 betreffen Verfahren zur Herstellung solcher Massen.

Ein unabhängiger Anspruch 9 betrifft durch sich wiederholende Struktureinheiten definierte Organosiliciumverbindungen, die Teilbereiche aus den in Anspruch 1 in "product-by-process"-Form definierten Organo(poly)siloxanen darstellen.

Unabhängige Ansprüche 10 bis 13 betreffen Organosiliciumverbindungen, wie sie als Komponenten (B) oder (C) gemäß Anspruch 1 Verwendung finden können.

III. Am 21. Dezember 1992 erließ das Europäische Patentamt, handelnd als Internationale Recherchenbehörde (IRB), unter Setzung einer 30-tägigen Frist, eine Aufforderung zur Zahlung von drei zusätzlichen Recherchengebühren. Die Anmeldung umfasse folgende vier uneinheitliche Erfindungen:

1. Ansprüche 1 bis 8 und 9, soweit sie sich auf vernetzbare Organo(poly)siloxanmassen, herstellbar unter Verwendung der Komponenten (A) und (B) beziehen;

2. Ansprüche 1 bis 8, soweit sie sich auf vernetzbare Organo(poly)siloxanmassen, herstellbar unter Verwendung der Komponenten (A), (B) und (C) beziehen;

3. Ansprüche 10 bis 11; und

4. Ansprüche 12 bis 13.

Dies wurde erläutert, wie folgt:

"Die im Anspruch 1 erwähnte Komponente C ist kein wesentliches Merkmal der Erfindung (siehe z. B. die Wörter "sowie gegebenenfalls").

Es gibt keine Einheitlichkeit "a priori" zwischen den Patentansprüchen 1 - 8, soweit sie sich auf vernetzbare Organo(poly)siloxanmassen, herstellbar unter Verwendung von ausschließlich (A) und (B) beziehen, und den Ansprüchen 12 und 13, die sich auf die Komponente (C) beziehen.

Das von Regel 13.2 PCT verlangte gleiche oder entsprechende besondere technische Merkmal ist in diesem Fall nicht ersichtlich."

Im Anschluß daran wurde eingeräumt, daß der unabhängige Stoffanspruch 9 die Einheitlichkeit zwischen aus (A), (B) und (C) herstellbaren Massen gemäß den Ansprüchen 1 - 8 sowie auch den Stoffansprüchen 10 - 13 an sich begründen könnte, falls sein Gegenstand neu wäre; da dies aber im Hinblick auf ermittelten Stand der Technik nicht der Fall sei, zerfalle der Anmeldungsgegenstand "a posteriori" in sieben im einzelnen aufgeführte Erfindungsgruppen.

IV. Die Anmelderin hat mit Schreiben vom 14. Januar 1993 (eingegangen am 15. Januar 1993) die geforderten drei zusätzlichen Gebühren unter Widerspruch entrichtet und ihren Widerspruch mit einer Begründung versehen.

V. Am 13. September 1993 teilte die IRB der Anmelderin das Ergebnis der Überprüfung gemäß Regel 40.2 e) PCT mit, wonach die vorangegangene Aufforderung (siehe unter III.) in vollem Umfang berechtigt gewesen sei, und forderte sie zur Zahlung einer Widerspruchsgebühr von DEM 2000,- innerhalb eines Monats auf.

VI. Die Anmelderin hat die Widerspruchsgebühr durch einen am 11. Oktober 1993 eingegangenen Abbuchungsauftrag entrichtet. Sie beantragt die Rückzahlung der zusätzlich gezahlten Recherchengebühren und der Widerspruchsgebühr.

Entscheidungsgründe

1. Der Widerspruch ist zulässig.

2. Gemäß Regel 40.1 PCT sind in der Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Gebühren die Gründe für die darin festgestellte Uneinheitlichkeit anzugeben.

2.1. Im vorliegenden Fall verweist die Aufforderung vom 21. Dezember 1992 auf Gründe, die auf einem gesonderten Blatt angegeben seien. Dieses gesonderte Blatt enthält die folgenden Angaben:

(i) eine Aufzählung der nach Auffassung der IRB zu unterscheidenden vier Erfindungen (erster Absatz);

(ii) die in Abschnitt III, zweiter Absatz, vorliegender Entscheidung wörtlich wiedergegebene Erläuterung;

(iii) die in Abschnitt III, dritter Absatz, vorliegender Entscheidung referierten Ausführungen.

Es ist zu untersuchen, ob diese Angaben in ihrer Gesamtheit der Begründungspflicht der Regel 40.1 PCT genügen.

2.2. Für die unter 2.1 (i) referierte Aufzählung ist dies nicht der Fall. Wie von den Beschwerdekammern des EPA schon mehrfach festgestellt wurde, erfüllte eine solche bloße Aufzählung nur dann die Begründungspflicht, wenn daraus für den Anmelder ohne weiteres die Gründe für die festgestellte Uneinheitlichkeit entnehmbar wären (erstmals in W 4/85 "Wärmetauscher/SCHICK", ABl. EPA 1987, 63). Solche Fälle sind, besonders in der Chemie, seltene Ausnahmen (W 7/86 "Lithiumsalze/MÜCKTER" ABl. EPA 1987, 67). Eine solche liegt hier nicht vor; denn das würde eine ins Auge springende chemische Verschiedenartigkeit der einzelnen Erfindungen bezüglich Struktur und/oder Wirkungserwartungen vorraussetzen, welche hier weder ersichtlich noch in diesem Teil der Begründung auffindbar ist.

2.3. Die Aufforderung vom 21. Dezember 1992 stellt fest, daß vier "a priori" uneinheitliche Erfindungen vorliegen. Im Widerspruch dazu bejahen die unter 2.1 (iii) referierten Ausführungen eine a priori-Einheitlichkeit für einen Teil der genannten Erfindungen, folgern aber eine a posteriori-Uneinheitlichkeit von sieben Erfindungsgruppen und haben daher nur den Charakter eines obiter dictum, das das Vorliegen von vier a priori uneinheitlichen Erfindungen nicht begründen kann.

2.4. Als Begründung für die Feststellung der Aufforderung vom 21. Dezember 1992 kommt daher nur die unter 2.1 (ii) referierte Erläuterung in Frage. Eine Analyse dieser Erläuterung ergibt folgendes:

2.4.1. Ihr erster Satz ist eine an sich richtige Feststellung, die jedoch über die Einheitlichkeit nichts aussagt; denn fakultative Merkmale stehen dieser an sich nicht entgegen. Es ist hieraus daher nicht ableitbar, warum "Erfindung 1" und "Erfindung 2" der vorausgegangenen Aufzählung uneinheitlich sein sollen.

2.4.2. Der zweite Satz stellt die Behauptung auf, daß zwischen "Erfindung 1" der erwähnten Aufzählung einerseits und "Erfindung 4" dieser Aufzählung andererseits keine Einheitlichkeit bestehe. Der dritte Satz ist nicht ganz klar, wird jedoch von der Kammer so verstanden, daß "Erfindung 1" (A + B) und "Erfindung 4" (C) kein Merkmal gemeinsam hätten; dies ist an sich richtig, aber nicht schlüssig, da die Begründung dafür fehlt, warum der Erfindungsgedanke der Ansprüche 1 bis 8 (A + B + gegebenenfalls C) in zwei angeblich uneinheitliche Erfindungen aufzuteilen sein soll (vgl. Punkt 2.4.1).

2.4.3. Schließlich fehlt jeder Ansatz auch nur eines Begründungsversuchs, warum "Erfindung 3" mit den "Erfindungen 1, 2 und 4" nicht einheitlich sein soll.

2.5. Insgesamt enthält daher das gesonderte Blatt, auf das die Aufforderung vom 21. Dezember 1992 hinsichtlich der Gründe verweist, keine der Begründungspflicht der Regel 40.1 PCT genügenden Ausführungen.

3. Angesichts dessen bleibt zu fragen, ob die dem von der IRB am 13. September 1993 abgesandten "Ergebnis der Überprüfung" beigefügten Gründe den festgestellten Begründungsmangel der Zahlungsaufforderung zu heilen vermochten.

3.1. Nach der neuen Regel 40.2 e) PCT i. V. m. Regel 104 a) (3) EPÜ hat die IRB eine Überprüfung des Widerspruchs vorzunehmen. Angesichts der Tatsache, daß hinsichtlich Zahlungsaufforderung und Widerspruch eine Begründungspflicht ausdrücklich statuiert wird (R. 40.1, 40.2. c) PCT), im Gegensatz dazu aber zur Überprüfung durch die IRB in der gleichen Regel 40 PCT lediglich von der "Mitteilung des Ergebnisses der Überprüfung" die Rede ist (R. 40.2 e) PCT), muß man sich daher fragen, ob Zweck und Struktur des neugeschaffenen Verfahrens eine zusätzliche Begründung überhaupt erfordern.

Sind die zusätzlichen Gebühren unter Widerspruch bezahlt worden, so "kann" die IRB nach Regel 40.2 e) PCT verlangen, daß der Anmelder eine Widerspruchsgebühr entrichtet. Tut sie dies, so hat sie gemäß derselben PCT-Regel zuvor zu überprüfen, ob die Zahlungsaufforderung berechtigt war. Desweiteren folgt aus dieser PCT-Regel, daß die Zahlung der Widerspruchsgebühr innerhalb eines Monats nach dem Datum der "Mitteilung ... mit der dem Anmelder das Ergebnis der Überprüfung mitgeteilt worden ist" zu erfolgen hat. Die darauf bezugnehmende neue Regel 104 a) (3) EPÜ statuiert, daß das EPA als IRB "unbeschadet der Regeln 40.2 Absatz e) ... der Ausführungsverordnung" zum PCT, überprüft, ob die Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Gebühren "berechtigt" war. Dies bedeutet zunächst, daß die IRB in der Überprüfung ihrer eigenen Zahlungsaufforderung insofern frei ist. Damit ist aber noch nichts über die weitere Struktur des Verfahrens ausgesagt. Regel 104 a) (3) EPÜ sagt weiter, daß die IRB die zusätzlichen Gebühren zurückerstattet, wenn sie ihre Zahlungsaufforderung nicht aufrechthält, und daß sie im gegenteiligen Fall dem Anmelder Mitteilung macht und ihn zur Zahlung der Widerspruchsgebühr auffordert und bei deren fristgemäßem Eintreffen den Widerspruch der Kammer zur Entscheidung vorlegt.

3.2. Aus den genannten Normen geht hervor, daß die IRB ihre Zahlungsaufforderung im Lichte des Widerspruchs frei überprüft und den Widerspruch direkt erledigt, falls sie zum Ergebnis kommt, die Zahlungsaufforderung wäre nicht aufrechtzuerhalten; gegenteiligenfalls wird dem Anmelder Mitteilung gemacht und der Widerspruch der Beschwerdekammer vorgelegt. Bei diesem zusätzlich eingefügten Überprüfungsschritt handelt es sich somit um eine von der gleichen (IRB-) Behörde (wenn auch in anderer Besetzung) vorzunehmende Vorab-Überprüfung des Widerspruchs, welche der sogenannten Abhilfe (einer Beschwerde) nach Artikel 109 EPÜ vergleichbar ist, wo die Sache bei Festhalten an der gegen den Anmelder gerichteten Entscheidung ohne weitere Begründung an die Beschwerdekammer zur Entscheidung weitergeleitet wird.

Gleiches ergibt sich aus den Vorarbeiten zum Erlaß der genannten Vorschriften. Anläßlich der Verabschiedung der neuen Regel 104 a) (3) EPÜ wurde zum Ausdruck gebracht, daß die Revision von Regel 40 PCT aus Gründen der allgemeinen Verfahrensökonomie stattfand (vgl. Protokoll der 44. Tagung des Verwaltungsrates (CA/PV 44) Nr. 65, S. 13). Dem Grundsatz der Verfahrensökonomie wurde durch die Einführung einer Gebühr für die Bearbeitung des Widerspruchs und eine Straffung des Verfahrens Rechnung getragen. Das Verfahren blieb dennoch anmelderfreundlich ausgestattet, indem der nunmehr gebührenpflichtigen Behandlung des Widerspruchs die kostenlose Überprüfung bei der IRB vorangestellt wurde. Ein Nachschieben von zusätzlichen Gründen durch die IRB bei Festhalten an der Zahlungsaufforderung, was die Einschaltung eines zusätzlichen einläßlichen Überprüfungsverfahrens bedeuten würde, stünde somit dem genannten Zweck entgegen. In bezug auf einen derartigen Verfahrensschritt müßte zum Zwecke der Wahrung des rechtlichen Gehörs zudem auch ohnehin eine Einladung an den Anmelder zur Stellungnahme zu solcherart nachgeschobenen Gründen vorgesehen sein. Auch solches findet sich nicht in Regel 40 PCT.

3.3. So ist denn eine andere Kammer im vergleichbaren Falle eines Widerspruchs gegen eine Zahlungsaufforderung, allerdings eine internationale vorläufige Prüfung nach Regel 68 (3) PCT betreffend, zum Schluß gekommen, in den Prüfungsrichtlinien zum PCT heiße es zwar, die Mitteilung des Ergebnisses der Überprüfung sei, wenn negativ, mit einer technischen Begründung derselben zu versehen, trotzdem habe sich die Kammer bei der Entscheidung über den Widerspruch auf dessen Prüfung und diejenige der Zahlungsaufforderung zu beschränken und allfällige zusätzliche Gründe außer acht zu lassen. (vgl. W 4/93 vom 5. November 1993; wird veröffentlicht). Ein gleichlautender, eine Begründungspflicht nennender Satz findet sich auch in Kapitel VII, Ziffer 3c der Richtlinien zur PCT-Recherche. Aufgrund des oben Gefundenen erscheint er als im Gegensatz zu Wortlaut, Zweck und Struktur der PCT-Normen und der darauf bezugnehmenden Normen des EPÜ stehend.

Nun sind diese Richtlinien aufgrund von Artikel 16 (3) b) PCT in Verbindung mit Artikel 2 der Vereinbarung zwischen der EPO und der WIPO nach dem PCT vom 7. Oktober 1987 aber für die IRB verbindlich (siehe auch G 1/89, ABl. EPA 1991, 155, Punkt 6, wo angefügt wurde, daß die Anwendung im Einzelfall weitgehend Ermessenssache sei). In Kapitel 1, Ziffer 3 dieser Richtlinien heißt es jedoch, daß ihre Anwendung im Einzelfall Sache der IRB bleibe und die IRB, falls in Ausnahmefällen notwendig, davon abweichen könne. Einen solchen Ausnahmefall sieht die Kammer hier angesichts des genannten Gegensatzes zwischen den Normen des PCT und der EPÜ einerseits und dem zitierten Satz der Richtlinien für die internationale Recherche andererseits als gegeben an. Auch wenn aber auf der Angabe von Gründen zu bestehen wäre (vgl. W 04/93), müßte eine zusätzliche Begründung der Mitteilung des Überprüfungsergebnisses der IRB seitens der Kammer aufgrund des Gesagten und weil sie gemäß Regel 40.2 c) PCT und Artikel 154 (3) EPÜ zur Entscheidung über den Widerspruch gegen die Zahlungsaufforderung berufen ist, gleichwohl unberücksichtigt bleiben (vgl. auch hierzu W 4/93). Die Kammer läßt diese Frage jedoch für den Fall der teilweisen Gutheißung bzw. "Abhilfe" des Widerspruchs und der teilweisen Rückzahlung der zusätzlich bezahlten Gebühr durch die IRB, der hier nicht zu entscheiden ist, offen.

4. Es folgt somit, daß die Aufforderung der IRB vom 21. Dezember 1992 mangels ausreichender Begründung i. S. v. Regel 40.1 PCT nicht rechtswirksam ist (vgl. auch W 4/85, ABl. EPA 1987, 63). Die bezahlten zusätzlichen Recherchengebühren und die Widerspruchsgebühr können daher nicht einbehalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Rückzahlung der entrichteten zusätzlichen Recherchengebühren und der Widerspruchsgebühr wird angeordnet.

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