European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:W001802.20030917 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 September 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | W 0018/02 | ||||||||
Anmeldenummer: | - | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Biologisch abbaubare Funktionsflüssigkeit für mechanische Antriebe | ||||||||
Name des Anmelders: | IAV GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Begründungsmangel der Aufforderung gemäß Artikel 17(3)a) PCT - fehlende Auseinandersetzung mit der Aufgabe der Anmeldung und deren Lösung | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Am 20. September 2001 hat die Anmelderin die internationale Patentanmeldung PCT/DE 01/03672 mit dem Titel "Biologisch abbaubare Funktionsflüssigkeit für mechanische Antriebe" eingereicht.
II. Das EPA, handelnd als Internationale Recherchenbehörde im Sinne des PCT ("IRB"), hat die Anmelderin nach Artikel 17 (3) a) PCT und Regel 40.1 PCT zur Zahlung von 3 zusätzlichen Recherchengebühren aufgefordert.
III. Die IRB hat in ihrer Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Gebühren vom 11. Februar 2002 die Auffassung vertreten, dass die vorliegende Anmeldung 4 verschiedene Erfindungen enthalte, nämlich:
Erfindung 1 (Ansprüche 1, 2, 3, 6, 8, 9):
- Funktionsflüssigkeit auf Wasserbasis mit einem Zusatz von Polyasparginsäure;
Erfindung 2 (Ansprüche 4, 6, 8, 9):
- Funktionsflüssigkeit auf Basis von 1,2-Monopropylenglycol mit einem Zusatz von Polyasparginsäure;
Erfindung 3 (Ansprüche 5, 6, 8, 9):
- Funktionsflüssigkeit auf Basis von Polyethylen- oder Polyalkylenglycolen oder deren Mischungen mit einem Zusatz von Polyasparginsäure; und
Erfindung 4 (Ansprüche 7-9):
- Funktionsflüssigkeit bestehend aus Vitamin E und einem Zusatz von Polyasparginsäure.
IV. Die IRB hat die Zahlungsaufforderung damit begründet, dass die allgemeine erfinderisch Idee, die die unabhängigen Ansprüche 1, 4, 5 und 7 verbinde, der Zusatz von Polyasparginsäure sei. Diese Idee sei aber im Hinblick auf die Druckschrift
(1) WO-A-97/04052
nicht neu. Daher bestehe zwischen den Gegenständen dieser Ansprüche kein technischer Zusammenhang im Sinne der Regel 13.2 PCT, d. h. es gebe in den Ansprüchen keinen gleichen oder entsprechenden Beitrag zum Stand der Technik. Die nach Regel 13.1 PCT erforderliche Einheitlichkeit der Erfindung sei daher nicht gegeben.
V. Mit am 9. März 2002 im EPA eingegangenen Schreiben hat die Anmelderin gegen die Aufforderung Widerspruch eingelegt. Die Zahlung der zusätzlichen Recherchengebühren wurde von der Anmelderin mit Überweisung vom 12. März 2002 veranlasst. Der Betrag ging am 14 März 2002 auf dem Konto des EPA ein. Auf Aufforderung des EPA gemäß Artikel 8 (3) b) GebO entrichtete die Anmelderin einen 10%igen Zuschlag.
VI. Als Ergebnis der Überprüfung der Aufforderung zur Zahlung der zusätzlichen Recherchengebühren gemäß Regel 40.2 c), d) und e) PCT vom 29. Juli 2002 hat die IRB der Anmelderin mitgeteilt, dass diese Aufforderung in vollem Umfang richtig und gerechtfertigt gewesen sei. Außerdem hat sie die Anmelderin zur Zahlung der Widerspruchsgebühr innerhalb eines Monats aufgefordert.
Die IRB hat in der betreffenden Mitteilung ausgeführt, der Begriff "Funktionsflüssigkeit" als solcher werde in verschiedensten Zusammenhängen gebraucht und sei nicht auf Flüssigkeiten für mechanische Antriebe begrenzt. Auch treffe er keine Aussage über die tatsächliche Funktion der Flüssigkeit oder die Anforderungen, denen sie genüge. Jede Flüssigkeit, die eine Funktion habe, also auch eine Schneideflüssigkeit, könne als Funktionsflüssigkeit bezeichnet werden.
In diesem Zusammenhang hat sie auch darauf hingewiesen, dass die Angabe einer beabsichtigten Verwendung eines Produktes in einem Produktanspruch nicht als Einschränkung des beanspruchten Gegenstandes betrachtet werden könne. Sie könne daher nicht dazu benutzt werden, den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik abzugrenzen.
VII. Die Anmelderin hat die Widerspruchsgebühr am 8. August 2002 entrichtet.
Entscheidungsgründe
1. Der Widerspruch ist zulässig. Die zusätzlichen Recherchengebühren wurden gemäß Regel 40.3 PCT, Artikel 8 (3) b) GebO und Zuschlag und damit ebenso wie die Widerspruchsgebühr rechtzeitig entrichtet.
2. Gemäß Artikel 154 (3) EPÜ sind die Beschwerdekammern für Entscheidungen über Widersprüche gegen von der IRB nach Artikel 17 (3) a) PCT festgesetzte zusätzliche Gebühren zuständig. Gemäß Regel 40.2 c) PCT können sie den Widerspruch gegen die zusätzlichen Gebühren prüfen und, insoweit er als berechtigt befunden wird, die völlige oder teilweise Rückzahlung der zusätzlichen Gebühren anordnen.
3. Im vorliegenden Fall hat die Anmelderin drei zusätzliche Recherchengebühren für die in der Zahlungsaufforderung definierten Erfindungsgegenstände 2, 3 und 4 unter Widerspruch bezahlt.
4. Die Kammer entnimmt der Zahlungsaufforderung, dass die IRB den Einwand mangelnder Einheitlichkeit auf die Offenbarung in der Druckschrift (1) gestützt hat. Der Einwand der IRB beruht daher auf der Feststellung der Uneinheitlichkeit a posteriori.
5. Eine Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren wegen Uneinheitlichkeit a posteriori ist nach der Entscheidung G 1/89 (ABl. EPA 1991, 155) möglich. Die Große Beschwerdekammer hat jedoch in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass eine Beanstandung dieser Art durch die IRB immer unter Berücksichtigung des Umstandes erfolgen sollte, dass der Anmelderin eine gerechte Behandlung zuteil wird und dass die zusätzliche Gebühr nach Artikel 17 (3) a) PCT nur in eindeutigen Fällen verlangt werden sollte. Da die Anmelderin bei dem Verfahren nach dem PCT, außer in ihrer Begründung des Widerspruchs, keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte, solle die IRB bei der Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit Zurückhaltung üben; sie solle insbesondere in Grenzfällen nicht davon ausgehen, dass eine Anmeldung das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung wegen mangelnder Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit nicht erfülle (siehe Punkt 8.2 der Entscheidungsgründe).
6. Außerdem sind nach Regel 40.1 PCT in der Zahlungsaufforderung die Gründe für die Feststellung anzugeben, dass die internationale Anmeldung dem Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nicht entspricht. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern bedeutet das, dass mit der Aufforderung zur Zahlung der zusätzlichen Gebühren eine nachvollziehbare Begründung gegeben werden muss. Dabei sind nicht nur die Gründe anzugeben, weshalb die im unabhängigen Anspruch definierte einzige Erfindung (Lösung der im Hinblick auf den nächsten Stand der Technik definierten technischen Aufgabe) nicht neu oder nicht erfinderisch ist, sondern auch, warum nach Wegfall der einzigen allgemeinen erfinderischen Idee der Erfindung zwischen den als uneinheitlich angesehenen neu definierten alternativen Erfindungsgegenständen keine Einheitlichkeit mehr besteht, falls dies nicht aus der Definition der alternativen Erfindungsgegenstände heraus ohne weiteres klar ersichtlich ist.
7. Im vorliegenden Fall hat die IRB im Hinblick auf die Offenbarung in der Druckschrift (1) den im Anspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung definierten Gegenstand in 4 von einander getrennte Erfindungen unterteilt, welche sich durch unterschiedliche Basisflüssigkeiten unterscheiden (siehe Punkt III oben).
Dabei hat sie die Uneinheitlichkeit ausschließlich damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 und auch die allgemeine erfinderische Idee, die die unabhängigen Ansprüche 1, 4, 5 und 7 verbinde, nämlich der Zusatz von Polyasparginsäure, im Hinblick auf die Druckschrift (1) nicht neu seien. Es bestehe daher zwischen den Gegenständen dieser Ansprüche kein technischer Zusammenhang im Sinne der Regel 13.2 PCT, d. h. es gebe in den Ansprüchen keinen gleichen oder entsprechenden Beitrag zum Stand der Technik.
8. Es ist nun zu prüfen, ob die IRB mit dieser Feststellung ihre Begründungspflicht erfüllt hat.
9. Wie oben unter Punkt 6 angegeben, muss nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine Anforderung zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren eine Auseinandersetzung mit der Aufgabe der Erfindung und ihrer Lösung enthalten, wenn nicht ohne weiteres ersichtlich ist, dass die in der Aufforderung aufgezählten technischen Sachverhalte vernünftigerweise nicht unter eine Gesamtaufgabe subsumiert werden können. Die bloße Missachtung dieses Prinzips wird also als ausreichender Grund für die Rückerstattung der zusätzlichen Recherchegebühren angesehen.
Die Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden technischen Aufgabe umfaßt (i) die Feststellung des "nächstkommenden Standes der Technik", wobei es sich - nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern - in der Regel um ein früheres Dokument handelt, das einen Gegenstand offenbart, der dem gleichen Zweck wie die beanspruchte Erfindung dient und die meisten relevanten technischen Merkmale mit ihr gemeinsam hat, (ii) die Bestimmung der gegenüber diesem nächstkommenden Stand der Technik glaubhaft erzielten technischen Ergebnisse oder Wirkungen (Leistungsergebnis), und (iii) die Formulierung der Aufgabe als die Zielvorstellung, das tatsächlich erreichte Leistungsergebnis herbeizuführen.
Weil im vorliegenden Fall eine solche Ermittlung der technischen Aufgabe in der Aufforderung der ISA fehlt, ist die Aufforderung nicht ausreichend begründet im Sinne von Regel 40.1 PCT und damit rechtsunwirksam. Die von dem Anmelder zusätzlich bezahlten Recherchegebühren sind daher gemäß Regel 40.2 c) PCT zurückzuzahlen.
10. In diesem Zusammenhang weist die Kammer noch darauf hin, dass nach der vorliegenden Patentanmeldung die Aufgabe darin besteht, biologisch abbaubare und untoxische Funktionsflüssigkeiten für mechanische Antriebe zu schaffen, die in geschlossenen Triebwerksystemen auch bei Sumpftemperaturen von höher als 120°C anwendbar und auf Wasser basieren oder mit Wasser verdünnbar sein (siehe Seite 2, vorletzter Absatz). Dagegen betrifft die in der Druckschrift (1) angegebene Aufgabe die Schaffung von biologisch Abbaubare Flüssigkeiten auf Basis von Wasser, die für die Metallbearbeitung, z. B. als Schneidflüssigkeit, geeignet sind (siehe Seite 2, Zeilen 22 bis 25, und Seite 3, Zeile 24 bis Seite 4, Zeile 9). Weil, wie oben unter Punkt 9 bereits angegeben, nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine Druckschrift sich nicht aufgrund der bloßen Ähnlichkeit der Zusammensetzung der Produkte als nächster Stand der Technik qualifizieren kann, aber vielmehr auch die Eignung der Produkte für den erfindungsgemäß angestrebten Zweck beschreiben muss, ist die Druckschrift (1) als Ausgangspunkt für die Ermittlung der der vorliegenden Anmeldung zugrunde liegenden Aufgabe faktisch ungeeignet.
Dies bedeutet jedoch auch, dass die Druckschrift (1) keinerlei Einfluss auf die in der vorliegenden Anmeldung angegebene Aufgabe und die erfinderische Tätigkeit der beanspruchten Lösung hat und dass im vorliegenden Fall das Erfordernis der Einheitlichkeit nach Regel 13.2 PCT dadurch erfüllt wird, dass durch den Zusatz von Polyasparginsäure nach den unabhängigen Patentansprüchen 1, 4, 5 und 7 zur Lösung der angegebenen Aufgabe als besonderes technisches Merkmal ein technischer Zusammenhang besteht.
11. Die IRB hat vorgebracht, der Begriff "Funktionsflüssigkeit" als solcher werde in verschiedensten Zusammenhängen gebraucht und sei nicht auf Flüssigkeiten für mechanische Antriebe begrenzt. Außerdem hat sie in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Angabe einer beabsichtigten Verwendung eines Produktes in einem Produktanspruch nicht dazu benutzt werden könne, den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik abzugrenzen.
Dieses Vorbringen der IRB könnte zwar für die Neuheit der beanspruchten Gegenstände im Hinblick auf die Druckschrift (1) zutreffen; bezüglich der Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit und somit der Einheitlichkeit der Erfindung im Sinne der Regel 13 PCT ist es, wie aus den obigen Ausführungen der Kammer hervorgeht, jedoch irrelevant.
12. Unter diesen Umständen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass im Hinblick auf Regel 40.2 e) PCT auch die Widerspruchsgebühr zurückzuzahlen ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Aufforderung der IRB wird als rechtsunwirksam aufgehoben.
2. Die zusätzlichen Recherchengebühren und die Widerspruchsgebühr sind zurückzuzahlen.