European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2001:T107299.20010503 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 03 Mai 2001 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1072/99 | ||||||||
Anmeldenummer: | 94105996.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | F23G 5/00 F23B 1/14 F23L 1/02 F23L 9/02 F23G 5/50 F23N 1/02 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Verbrennen von Brennstoffen, insbesondere Abfall | ||||||||
Name des Anmelders: | MARTIN GmbH für Umwelt- und Energietechnik | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Von Roll Umwelttechnik AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (nein) - Auslegung eines Teilmerkmals nicht ursprünglich offenbart | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung einer Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 20. Oktober 1999, die das europäische Patent EP-B1-0 621 448 widerrufen hat, weil dessen beanspruchter Gegenstand im Hinblick auf die folgenden Entgegenhaltungen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe:
E1: "Rostfeuerung zur Abfallverbrennung", Dieter O. Reimann (Hrsg.)-Berlin: EF-Verl. für Energie- und Umwelttechnik, 1991; Seiten 257 bis 285: "Moderne Abfallverbrennung nach dem Martin System" von J. J. E. Martin
E2: Vorträge, VGB-Konferenz, "Thermische Abfallverwertung 1992, 11/12 November 1992, VGB-Kraftwerkstechnik GmbH; Beitrag V8, J. J. E. Martin, M. Busch und F. Rampp: "Verbesserung des Verbrennungs-, Ausbrands- und Emissionsverhaltens einer Abfallverbrennungsanlage mittels kamerageführter Feuerleistungsregelung".
II. Der erteilte Anspruch 1 des Patents lautet:
"Verfahren zur Verbrennung von Brennstoffen, insbesondere Abfall, in Verbrennungsanlagen mit einer Rostfeuerung, bei dem Primärluft unter der Rostfeuerrung in die Brennstoffschicht und Sekundärluft oberhalb der Brennstoffschicht zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Verbrennungsintensität des Brennstoffes auf dem Feuerungsrost zumindest in Teilbereichen desselben durch Erhöhung des Sauerstoffanteiles der Primärluft auf 25 bis 50 Vol% bei sich daraus ergebender prozentueller Verminderung des Stickstoffanteiles der Primärluft gegenüber der Umgebungsluft gesteigert wird und daß über der Brennstoffschicht, nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe weitgehend abgeschlossen ist, die Verbrennungsintensität in der Sekundärverbrennungszone durch Verminderung des Sauerstoffanteiles in der Sekundärluft gegenüber der Umgebungsluft durch zurückgeführtes Abgas gedrosselt wird, wobei die rückgeführte Abgasmenge 20 bis 65 % der gesamten, von der Verbrennungsprozeß zugeführten Luft- und Gasmenge ausmacht."
III. Die Beschwerde ist am 25. November 1999 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr von der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) eingelegt worden. Die Beschwerdebegründung ist am 25. Februar 2000 eingegangen.
IV. Nach Empfang der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beiliegenden Mitteilung vom 16. November 2000 hat die Beschwerdeführerin am 2. April 2001 zwei Anspruchssätze als Hilfsanträge I und II eingereicht.
In der mündlichen Verhandlung, die am 3. Mai 2001 stattgefunden hat, hat sie einen neuen Anspruch 1 als Hilfsantrag I vorgelegt und die früheren Hilfsanträge als Hilfsanträge II und III umnumeriert.
V. Der Anspruch 1 nach jedem der Hilfsanträge lautet wie folgt (Änderung durch die Kammer unterstrichen):
Hilfsantrag I:
"Verfahren zur Verbrennung von Brennstoffen, insbesondere Abfall, in Verbrennungsanlagen mit einer Rostfeuerung, bei dem Primärluft unter der Rostfeuerrung in die Brennstoffschicht und Sekundärluft oberhalb der Brennstoffschicht zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Verbrennungsintensität des Brennstoffes auf dem Feuerungsrost zumindest in Teilbereichen desselben durch Erhöhung des Sauerstoffanteiles der Primärluft auf 25 bis 50 Vol% bei sich daraus ergebender prozentueller Verminderung des Stickstoffanteiles der Primärluft gegenüber der Umgebungsluft gesteigert wird und daß über der Brennstoffschicht, nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe in der Primärverbrennungszone weitgehend abgeschlossen ist, die Verbrennungsintensität oberhalb der Brennschicht zu Beginn der Sekundärverbrennungszone durch Verminderung des Sauerstoffanteiles in der Sekundärluft gegenüber der Umgebungsluft durch zurückgeführtes Rauchgas gedrosselt wird, wobei die rückgeführte Abgasmenge 20 bis 65 % der gesamten von der Verbrennungsprozeß zugeführten Luft- und Gasmenge ausmacht."
Hilfsantrag II:
"Verfahren zur Verbrennung von Brennstoffen, insbesondere Abfall, in Verbrennungsanlagen mit einer Rostfeuerung, bei dem Primärluft unter der Rostfeuerrung in die Brennstoffschicht und Sekundärluft oberhalb der Brennstoffschicht zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Verbrennungsintensität des Brennstoffes auf dem Feuerungsrost zumindest in Teilbereichen desselben durch Erhöhung des Sauerstoffanteiles der Primärluft auf 25 bis 50 Vol% bei sich daraus ergebender prozentueller Verminderung des Stickstoffanteiles der Primärluft gegenüber der Umgebungsluft und bei sich daraus ergebender Temperatursteigerung in der Brennschicht von bis zu 300 C gegenüber einer Verbrennung mit Umgebungsluft gesteigert wird und daß über der Brennstoffschicht, nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe in der Primärverbrennungszone weitgehend abgeschlossen ist, die Verbrennungsintensität in der Sekundärverbrennungszone durch Verminderung des Sauerstoffanteiles in der Sekundärluft gegenüber der Umgebungsluft durch zurückgeführtes Abgas gedrosselt wird, wobei die rückgeführte Abgasmenge 20 bis 65 % der gesamten von der dem Verbrennungsprozeß zugeführten Luft- und Gasmenge ausmacht."
Hilfsantrag III:
"Verfahren zur Verbrennung von Brennstoffen, insbesondere Abfall, in Verbrennungsanlagen mit einer Rostfeuerung, bei dem Primärluft unter der Rostfeuerrung in die Brennstoffschicht und Sekundärluft oberhalb der Brennstoffschicht zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Verbrennungsintensität des Brennstoffes auf dem Feuerungsrost zumindest in Teilbereichen desselben durch Erhöhung des Sauerstoffanteiles der Primärluft auf 25 bis 50 Vol% bei sich daraus ergebender prozentueller Verminderung des Stickstoffanteiles der Primärluft gegenüber der Umgebungsluft und bei sich daraus ergebender Temperatursteigerung in der Brennschicht von bis zu 300 C gegenüber einer Verbrennung mit Umgebungsluft gesteigert wird, daß über der Brennstoffschicht, nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe in der Primärverbrennungszone weitgehend abgeschlossen ist, die Verbrennungsintensität in der Sekundärverbrennungszone durch Verminderung des Sauerstoffanteiles in der Sekundärluft gegenüber der Umgebungsluft durch zurückgeführtes Rauchgas gedrosselt wird, wobei die rückgeführte Abgasmenge 20 bis 65 % der gesamten von der Verbrennungsprozeß zugeführten Luft- und Gasmenge ausmacht, daß der Sauerstoffgehalt der Primärluft örtlich in Abhängigkeit vom Abbrandverhalten bzw. der Verbrennungsintensität der auf dem Feuerungsrost befindlichen Brennstoffschicht ausgehend vom Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft erhöht wird und daß die Sekundärluft örtlich hinsichtlich der Zusammensetzung, der Menge, des Zuführungsortes und einer hohen Turbulenz in der Sekundärverbrennungszone so eingestellt wird, daß die Bildung von Stickstoffoxiden oberhalb der Brennstoffschicht weitestgehend vermieden wird."
VI. Die Beschwerdeführerin hat für die Aufrechterhaltung des Patents folgendes geltend gemacht:
In der angefochtenen Entscheidung werde die Erfindung auf eine Anreicherung der Primärluft mit Sauerstoff und die Drosselung der Verbrennung im Sekundärbereich durch rückgeführtes Rauchgas beschränkt und dann diese zwei technischen Maßnahmen durch die Kombination der E2 mit E1 als nahegelegt beurteilt. Anzumerken sei jedoch, daß E2 lediglich zum Ziel habe, die Verbrennungstemperatur durch die variierte Menge der Primärluft zu beeinflussen und eine konstante Feuerraumtemperatur zu erreichen, und daß in E1 nicht klar sei, ob sich die Rezirkulation von Rauchgas in dem Primär- oder Sekundärverbrennungsbereich befinde.
Vor allem habe die erste Instanz bei ihrem Schluß übersehen, daß bei der vorliegenden Erfindung der entscheidende Unterschied in dem Teilmerkmal "nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe weitgehend abgeschlossen ist" zu sehen sei. Im Hinblick auf das vorhergehende Merkmal des Anspruchs 1, wonach die Verbrennungsintensität des Brennstoffes durch Erhöhung des Sauerstoffanteiles der Primärluft gesteigert werde, werde zunächst dem Fachmann durch dieses Teilmerkmal geraten, die Temperaturen des Brennbetts so zu steigern, daß die oxidierbaren Schadstoffe beim Austreten aus der Brennstoffschicht oder aus dem unmittelbaren Bereich oberhalb des Brennbettes weitgehend beseitigt seien. Wie die Fachliteratur in diesem technischen Gebiet beweise, wisse der Fachmann, daß dafür die Temperaturen wesentlich über 1100 C liegen müßten. Es handle sich deshalb um einen anderen Verbrennungsvorgang als in E2 dargestellt, wo die Temperaturen unter oder knapp über 1000 C lägen, siehe Bild 8 dieser Entgegenhaltung. Somit bekämpfe die vorliegende Erfindung die NOx-Emission nicht im Sekundärbereich, sondern hauptsächlich in der Brennstoffschicht.
Da weiterhin die oxidierbaren Schadstoffe nur weitgehend beseitigt seien, d. h. nicht vollständig, blieben noch einige oxidierbare Radikale. Dann verstehe der Fachmann im Zusammenhang mit dem folgenden Merkmal des Anspruchs 1, nämlich dem Drosseln des Verbrennungsvorgangs durch die Rückführung von Rauchgas, daß nicht nur die Temperatur abgesenkt werde, um die Entstehung von thermischem NOx zu verhindern, sondern auch daß diese noch vorhandenen Radikale die NOx-Reduzierung unterstützten. Mit dem Teilmerkmal, das den Zeitpunkt angebe, zu welchem das Rauchgas in die Sekundärverbrennungszone rückgeführt werden solle, sei es für einen Fachmann klar, daß die Drosselung in unmittelbarer Nähe des Brennbetts durchgeführt werden müsse, um die sonst üblichen Temperaturen von ungefähr 1300 C in der Gasphase bzw. in der Sekundärverbrennungszone und somit die Bildung von thermischem NOx zu verhindern. Aus der Beschreibung des Streitpatents, Spalte 4, Zeilen 25 bis 46 gehe hervor, daß diese zweite Maßnahme oberhalb der Brennschicht zu Beginn der Sekundärbrennzone erfolgen solle. In E1, vgl. das Bild 9, seien die Düsen im Sekundärbereich ziemlich weit oberhalb des Brennbetts angeordnet.
Sicher seien die Anreicherung der Primärluft mit Sauerstoff und die Abgasrezirkulation an sich bekannte technische Maßnahmen, z. B. durch E1 bzw. E2, jedoch nicht im Zusammenhang mit der erfindungsgemäßen Verbrennungssteigerung der Brennschicht, die den Zweck habe, die oxidierbaren Brennstoffe so in den Griff zu bekommen, daß einige Radikale chemisch noch brauchbar seien, um die NOx-Moleküle in Kombination mit dem Drosseln des Verbrennungsvorgangs im Sekundärbereich zu reduzieren. Diese zwei erfindungsgemäßen Schritte, nämlich die intensive Verbrennung in der Brennstoffschicht und die fast unmittelbar folgende Abkühlung des Verbrennungsvorgangs, die eine Merkmalskombination bildeten, seien E1 oder E2 nicht zu entnehmen.
VII. In Erwiderung darauf hat die Beschwerdegegnerin im wesentlich folgendes vorgetragen:
Im angefochtenen Patent sei nur die Rede von thermischem NOx. Darüber hinaus werde ein Hinweis weder auf die absoluten Temperaturen in der Brennschicht gegeben, noch auf eine nicht vollständige Beseitigung der oxidierbaren Schadstoffe, noch auf eine unmittelbar oberhalb der Brennschicht befindliche Rauchgasrückführung. Deshalb bestehe keine rechtliche Grundlage für die von der Beschwerdeführerin ausgeführte Interpretation des umstrittenen Teilmerkmals des Anspruchs 1.
Aus E2 sei ein Verfahren bekannt, das alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 enthalte und die Aufgabe habe, eine optimale Verbrennung mit minimalen Schadstoffbelastungen zu erreichen, und dies sowohl im Brennbett als auch in der Gasphase. Aus Seite 17 von E2 gehe hervor, daß durch Reduzierung der Primärluft bzw. Anreicherung der Primärluft mit Sauerstoff die Brennbettoberflächentemperatur drastich gesteigert werden könne. Da der Luftüberschuß reduziert werde, werde auch eine Abgasreduzierung erreicht. Diese Hinweise entsprächen genau dem ersten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 und der Aufgabe des Streitpatents, dem keine Angabe über erforderliche Temperaturen über 1100 C zu entnehmen sei. E2 zeige sowieso, daß die Brennbettoberflächentemperaturen aufgrund der Sauerstoff-Anreicherung über 1000 C lägen, und der Fachmann wisse, daß die Flammentemperaturen oberhalb des Brennbetts immer höher als die Temperaturen im Brennbett seien. Der anderen Entgegenhaltung, E1, entnehme der Fachmann auf Seite 272 die Lehre, daß die Sekundärluft ganz oder teilweise durch Rauchgas ersetzt werden könne, mit der Folge, daß der Luftüberschuß und damit die Schadstoff-Fracht reduziert würden. Werde nun gemäß dem angefochtenen Patent der Fachmann vor die Aufgabe gestellt, die gesamte Schadstofffracht zu reduzieren, so liege es für ihn auf der Hand, die entsprechenden Lehren der beiden Entgegenhaltungen E2 und E1 miteinander zu kombinieren und somit zum Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents zu gelangen. Das umstrittene Merkmal, die oxidierbaren Schadstoffe weitgehend zu beseitigen, sei somit eine Selbstverständlichkeit, da es grundsätzlich in einer Abfallverbrennungsanlage keinen Sinn machte, den Verbrennungsvorgang zu dämpfen, wenn die Schadstoffe noch nicht weitgehend beseitigt seien. Das Merkmal sei deshalb als Nebeneffekt zu sehen.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, hilfsweise gemäß dem in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag I überreichten Patentanspruch 1, weiter hilfsweise gemäß einem der am 2. April 2001 als Hilfsanträge I und II eingegangenen Patentansprüche.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Anspruch 1, wie erteilt(Hauptantrag)
2. Die Neuheit des Verfahrens nach Anspruch 1 war zwischen den Parteien nicht strittig und wird ebenfalls seitens der Kammer anerkannt, so daß sich hierzu weitere Ausführungen erübrigen.
3. Entgegenhaltung E2, die den nächstkommenden Stand der Technik wiedergibt, offenbart ein Verfahren zur Verbrennung von Abfallstoffen, das alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aufweist. Das bekannte Verfahren hat den Zweck, die Reaktion bzw. den Verbrennungsprozeß im Brennbett (Primärbereich) und in der Gasphase darüber (Sekundärbereich) zu beeinflussen und zu optimieren, so daß es zu einer Schadstoffentlastung kommt. Diese Entgegenhaltung betrifft ein Forschungsprojekt über verschiedene kamerageführte Feuerleistungsregelungen, wobei unter anderem Versuche mit einer Luftmengenregelung gemacht wurden. Auf Seite 17 gibt E2 den auf diese Versuche gestützten Hinweis, daß "durch Reduzierung der Primärluftmenge bzw. Anreicherung der Primärluft mit Sauerstoff die Brennbettoberflächentemperatur drastich gesteigert werden kann". Die Beschwerdeführerin hat bestritten, daß diese Aussage die Lehre vermittelt, daß eine Anreicherung der Primärluft mit Sauerstoff gleichzeitig eine Reduzierung der Primärluft (und damit eine Verringerung des Stickstoffanteils) bedeutet. Diese Vorgang war jedoch dem Fachmann in diesem Fachgebiet allgemein bekannt, vgl. das Handbuch E3, Seite 362, und er wird auch in der Zusammenfassung von E2, Seite 19, durch den Hinweis auf eine Reduzierung des Luftüberschusses erwähnt, und zwar in Zusammenhang mit einer Abgasreduzierung und Minimierung der Emissionen wie CO, C-Gesamt etc., und der abgasseitigen Schadstofffrachten. Der Fachmann wußte auch, daß in Hinsicht auf die Primärluftmenge ein kleinster technisch möglicher Luftüberschuß gewünscht ist, weil eine zu große Menge an Primärluft zu niedrigen Brennbettemperaturen führt, wie dies auch durch die Versuche von E2 bestätigt wird. In E2 wird ständig auf eine möglichst hohe Brennbettemperatur hingewiesen. Das Bild 8 von E2 zeigt, daß bei einem mit Sauerstoff (30 Vol%O2, vgl. Seite 17) angereicherter Primärluft durchgeführten Versuch Brennbettoberflächentemperaturen leicht über 1000 C erreicht wurden, dagegen Temperaturen zwischen 620 und 900 C mit verschiedenen Mengen von Umgebungsluft. Das erste Merkmal des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 des Streitpatents ist deshalb aus E2 bekannt.
4. Vom dem aus E2 bekannten Verfahren unterscheidet sich Anspruch 1 des Streitpatents durch sein letztes Merkmal, wonach "über der Brennstoffschicht, < nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe weitgehend abgeschlossen ist >, die Verbrennungsintensität in der Sekundärverbrennungszone durch Verminderung des Sauerstoffanteiles in der Sekundärluft gegenüber der Umgebungsluft durch zurückgeführtes Rauchgas gedrosselt wird, wobei die rückgeführte Abgasmenge 20 bis 65 % der gesamten von der dem Verbrennungsprozeß zugeführten Luft- und Gasmenge ausmacht."
Der Beschreibung des Streitpatents, Spalte 4, insbesondere Zeilen 16 bis 25 und 37 bis 57, ist zu entnehmen, daß das zweite kennzeichnende Merkmal vor allem den Zweck hat, die Bildung von Stickstoffoxiden (thermisches NOx) oberhalb der Brennschicht in der Sekundärverbrennungszone zu vermeiden. Es ist dem Fachmann bekannt, daß dafür keine höhere Temperatur als 1300 C in den Flammenspitzen erreicht werden soll (siehe den Einleitungsteil der Beschreibung). Aufgrund dieser Offenbarung des Streitpatents stimmt die Kammer der in der angefochtenen Entscheidung angegebenen, von E2 ausgehend der Erfindung zugrunde liegenden objektiven Aufgabe zu, die gesteigerte Bildung von NOx im Sekundärbereich zu vermeiden bzw. zu vermindern.
5. Die Entgegenhaltung E1, die ein früheres Forschungsprojekt in derselben Abfallverbrennungsanlage wie in E2 betrifft, vermittelt dem Fachmann die Lehre - vgl. insbesondere Seite 272 von E1 -, daß die NOx-Emissionen durch Rauchgasrezirkulation vermindert werden könnten und daß in der Anlage die Sekundärluft ganz oder teilweise durch Rauchgas ersetzt wird, mit der zusätzlichen Folge, daß der Luftüberschuß und die Schadstofffracht reduziert werden. Deshalb läßt die Offenbarung von E1 entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin einen eindeutigen Schluß zu, wo sich die Abgasrezirkulation befinden muß, nämlich im Sekundärbereich.
6. Der Fachmann, der mit der Aufgabe, die NOx-Emissionen zu vermindern, konfrontiert ist, wird deshalb angeregt, sich diese aus E1 bekannte Lösung zunutze zu machen und sie auf das Verfahren gemäß E2 zu übertragen, zumal er gleichzeitig sieht, daß mit dieser zusätzlichen Maßnahme auch die breitere Aufgabe von E2, die Schadstofffracht zu reduzieren (wie beim Streitpatent), gelöst ist.
Bis jetzt ist das strittige Teilmerkmal des Anspruchs 1, "nachdem die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe weitgehend abgeschlossen ist", unberücksichtigt geblieben.
Das strittige Teilmerkmal
7. Der gesamten Argumentation der Beschwerdeführerin in Bezug auf dieses Teilmerkmal kann sich die Kammer nicht anschließen, weil sie mit Bezug auf den Anspruch 1 des Streitpatents auf einer Auslegung dieses Teilmerkmals basiert, die nicht durch die Unterlagen des Streitpatents gestützt ist und die vorliegende Erfindung in einen neuen, jedoch ursprünglich nicht offenbarten Zusammenhang rückt:
i) Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hätte der Fachmann aus diesem Teilmerkmal geschlossen, daß eine bestimmte Temperaturerhöhung in der Brennschicht eintreten soll, nämlich eine Temperatur über 1100 C, da die oxidierbaren Schadstoffe in der Primärverbrennungszone nur mit einem solchem Temperaturenbereich beseitigt werden können.
Aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 selbst bekommt der Fachmann jedoch keinen Hinweis darauf, daß das Teilmerkmal, das sich innerhalb des zweiten kennzeichnenden Merkmals des Anspruchs 1 befindet, im Zusammenhang mit dem ersten kennzeichnenden Merkmal ausgelegt werden muß und insbesondere, daß es nur die Primärverbrennungszone, d. h. die Brennschicht, betrifft. Das Teilmerkmal scheint vielmehr einen Zeitpunkt anzugeben, der den Beginn der Drosselungsmaßnahme innerhalb der Sekundärverbrennungszone bestimmt. Nur mit Hilfe der Beschreibung, insbesondere Spalte 4, wird der Fachmann gelehrt, daß das Drosseln des Verbrennungsvorgangs "oberhalb der Brennschicht zu Beginn der Sekundärbrennzone" eingesetzt werden muß, was implizit einschließt, daß die oxidierbaren Schadstoffe vorher weitgehend beseitigt wurden. Die Beschreibung gibt aber keine Definition des Begriffs "Sekundärbrennzone", und während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurden dafür mindestens zwei verschiedene Definitionen seitens der Beschwerdeführerin angeboten, nämlich der gesamte Freiraum über dem Brennbett oder nur der Freiraum über dem Brennbett, dessen Untergrenze durch die für die Sekundärluft vorgesehenen Düsen gebildet wird. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung dazu erklärt, daß zwischen dem Brennbett und der Sekundärzone eine unbestimmte Zone von etwa zwei Meter Höhe ohne technische Bezeichnung liegen kann, in welcher auch die oxidierbaren Schadstoffe weitgehend beseitigt werden können. Nirgends in der Beschreibung des Streitpatents wird von dieser unbestimmten Zone gesprochen. Zusammenfassend konnte der Fachmann am Prioritätsdatum nicht eindeutig wissen, wo genau die beanspruchte Beseitigung von oxidierbaren Schadstoffen stattfinden soll, nämlich nur im Brennbett, d. h. in der Primärbrennzone, oder auch in einer unbestimmten Zone über dem Brennbett bis zum Beginn einer undefinierten Sekundärbrennzone.
Diese erste Ungewißheit hat zur Folge, daß auch nicht klar ist, ob einerseits die beanspruchte Beseitigung nicht nur durch die Temperaturerhöhung im Brennbett erfolgt, sondern auch durch die Temperaturen der Gasphase in der unbestimmten Zwischenzone oberhalb des Brennbetts, und andererseits ob die oxidierbaren Schadstoffe nur "oxidierbare Brennstoffe" sind.
Mit bezug auf die Temperaturen vermittelt die Beschreibung des Streitpatents in einer einzigen Passage, Spalte 7, Zeilen 45 bis 48, daß "die Temperatursteigerung in der Brennschicht von bis zu 300 C gegenüber den üblichen Verbrennungsprozessen dabei möglich" ist. Zunächst bedeutet die hier erwähnte Möglichkeit nicht eine Anforderung. Ferner sind absolute Temperaturwerte aus den gesamten Unterlagen des Streitpatents nicht entnehmbar, und es wird auch nirgendwo von einer erforderlichen Mindesttemperatur von etwa 1100 C im Brennbett gesprochen. Dem Fachmann ist auch bekannt, daß die Temperaturen oberhalb der Brennschicht, nämlich in der Gasphase, viel höher als die Brennbettemperaturen sind. Nach der Anlage zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der ersten Instanz wurde seitens der Beschwerdeführerin bestätigt, daß die in Bild 8 von E2 gezeigte Brennbettoberflächentemperaturen von etwa 1000 C zu Temperaturen von ungefähr 1300 C oberhalb des Brennbetts führen können. Deshalb besteht für den Fachmnn kein durch die Beschreibung angestrebter Anlaß, aus dem strittigen Teilmerkmal des Anspruchs 1 zu schließen, daß bei der vorliegenden Erfindung Brennbettemperaturen von mehr als 1100 C erforderlich sind, selbst wenn es ihm aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt wäre, daß solche Temperaturen für die beanspruchte Beseitigung notwendig sind, was nicht bewiesen wurde. Die Beseitigung der oxidierbaren Schadstoffe kann im Bereich oberhalb des Brennbetts vor dem Erreichen einer Gasphasetemperatur von 1300 C stattfinden. Der Verbrennungsvorgang auf dem Brennbett nach der vorliegenden Erfindung braucht deshalb nicht unbedingt intensiver zu sein, als dies in E2 angegeben ist, so daß dem Argument der Beschwerdeführerin gegen eine Kombination der E2 mit E1 der Boden entzogen ist (siehe Seite 5 der Beschwerdebegründung).
Der Versuch der Beschwerdeführerin, einen Unterschied zwischen den verbrennbaren, nur im Brennbett enthaltenden oxidierbaren Brennstoffen und der allgemein oxidierbaren Schadstoffe des Verfahrens, findet in den ursprünglichen Unterlagen des Streitpatents keine Grundlage. Selbst den Ausdruck "oxidierbare Brennstoffe" findet man dort nicht. Aus diesem Grund bekommt der Fachmann keinen Hinweis darauf, daß die oxidierbaren Schadstoffe bereits beim Austreten aus der Brennstoffschicht weitgehend beseitigt sind.
ii) Die Beschwerdeführerin hat weiterhin ausgeführt, daß das strittige Teilmerkmal vom Fachmann derart verstanden werde, daß die oxidierbaren Schadstoffe weitgehend, aber nicht vollständig beseitigt seien, weil die drastische Drosselung des Verbrennungsablaufs gemäß dem letzten Merkmal des Anspruchs 1 nur einen Sinn habe, wenn einige Radikale, die als oxidierbare Schadstoffe bezeichnet wurden, durch die Drosselung so in einem chemischen Zustand blieben, daß sie die NOx-Reduzierung unterstützen könnten. Ein kombinatorischer Effekt bestehe deshalb zwischen den zwei technischen Maßnahmen der Lösung gemäß Anspruch 1.
Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin sieht die Beschwerdekammer nicht, wie das Teilmerkmal zum Ausdruck bringt, daß die oxidierbaren Schadstoffe nicht vollständig beseitigt werden müssen. Außerdem ist eine derartige Auslegung des Teilmerkmals bzw. Durchführung des beanspruchten Verfahrens den ursprünglichen Unterlagen des Streitpatents nicht zu entnehmen. Nirgends in der Beschreibung wird erwähnt, daß einige Radikale von oxidierbaren Schadstoffen zurückbleiben sollen, um den Effekt der Drosselung zu unterstützen. Nach der Beschreibung wird die verstärkte Bildung von Stickstoffoxiden (thermisches NOx), die normalerweise durch die erhöhte Sekundärverbrennungstemperatur verursacht wird, die der erhöhten Primärverbrennungstemperatur folgt, ausschließlich durch die Drosselung der Sekundärverbrennung vermindert bzw. vermieden. Deshalb ist die von der Beschwerdeführerin ausgeführte, zusätzliche und neue Auslegung des Teilmerkmals als neue Erfindung zu betrachten, die nicht ursprünglich offenbart war. Aus diesem Grund kann sie nichts zur erfinderischen Tätigkeit des hier in Rede stehenden Patents beitragen.
8. Da die Argumente der Beschwerdeführerin in bezug auf das Teilmerkmal durch die Kammer nicht geteilt werden können, bleibt zu untersuchen, ob das Teilmerkmal des Anspruchs 1 durch die Kombination von E2 mit E1 verwirklicht ist.
Wie oben dargelegt, führt die Temperaturerhöhung der Primärluft nach E2 zu Temperaturen oberhalb des Brennbetts, die bis 1300 C liegen können. Es gibt somit einen Bereich oberhalb des Brennbetts, in welchem die oxidierbaren Schadstofffe selbverständlich weitgehend beseitigt werden können, zumal gemäß E1, Seite 270, alle Gasprodukte durch die Zone der höchsten Temperatur geführt werden. Gleichzeitig zeigt Bild 9 von E1, daß unmittelbar über der Brennstoffschicht Temperaturwerte zwischen 1000 und 1150 C herrschen und daß ein oder zwei Meter höher, im unteren Bereich des Abgaszuges - wie bei der vorliegenden Erfindung - Sekundärluftdüsen vorgesehen sind, wobei auf derselben Höhe Temperaturen von 1100 C - 1300 C angezeigt sind, so daß die Drosselung des Verbrennungsvorgangs wie bei der vorliegenden Erfindung (siehe Figur 1 des Streitpatents) erfolgt. Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, daß bei der vorliegenden Erfindung die Sekundärluftdüsen näher bei dem Brennbett angeordnet seien, so daß die Dämpfungsmaßnahme hinsichtlich der Temperaturentwicklung unmittelbar oberhalb der Brennschicht stattfinde. Diese Behauptung wird jedoch durch die Offenbarung des Streitpatents nicht gestützt. Die Kammer kann deshalb der Beschwerdegegnerin nur zustimmen, daß das Teilmerkmal durch die Kombination von E1 und E2 automatisch realisiert ist.
9. Aus alledem folgt, daß das Verfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit aufweist.
Hilfsantrag I
10. Die im Anspruch 1 gemäß diesem Antrag eingeführten Präzisierungen, "(die Beseitigung oxidierbarer Schadstoffe) in der Primärverbrennungszone.." und "(Die Verbrennungsintensität) oberhalb der Brennschicht zu Beginn (der Sekundärverbrennungszone)..", wurden bereits berücksichtigt, vgl. Punkt 7. i) oben, so daß auf diesen Hilfsantrag nicht weiter eingegangen zu werden braucht und somit auch dessen Anspruch 1 keinen Bestand hat.
Hilfsantrag II
11. Auch hier wird nur eine Präzisierung hinsichtlich der Temperatursteigerung in der Brennschicht ("von bis zu 300 C gegenüber einer Verbrennung mit Umgebungsluft") eingeführt, jedoch bringt diese Präzisierung keinen neuen Sachverhalt, zumal das zusätzliche Merkmal lediglich eine Obergrenze der Steigerung angibt. Eine Temperatursteigerung an sich ist schon in E2 offenbart.
Hilfsantrag III
12. In Anspruch 1 dieses Antrags wird durch ein zusätzliches Merkmal betont, daß die beanspruchten Verfahrensschritte "örtlich" in Abhängigigkeit vom Abbrandverhalten usw. eingestellt werden. Jedoch offenbaren E2 (Bild 3; Seite 7, erste Zeilen; Seite 14, Regelsystem 4) und E1 (Bilder 6 und 7, Seiten 265 bis 269, 270 und 281) bereits, daß der Feuerungsrost in mehrere Zonen, z. B. Anwärmzone, Hauptverbrennungszone und Ausbrandzone, unterteilt ist und daß die zugeführte Luftmenge durch ein kamerageführtes Kontrollsystem in jeder einzelnen Zone individuell zugeteilt wird. In E2 bedeutet eine Regelung der Primärluftmenge im Lichte der auf Seite 17 offenbarten Sauerstoffanreicherung gleichzeitig eine Einstellung des Sauerstoffbedarfs. Gemäß E1, Seite 270, sind - wie bei der vorliegenden Erfindung - zwei Reihen von Sekundärluftdüsen vorgesehen, und insbesondere auf Seite 281 wird vermittelt, daß die Sekundärluft sowie die Primärluft entsprechend den einzelnen gemessenen Verbrennungsbedingungen bedarfsorientiert zonenweise zugeführt werden kann. Verschiedene Parameter, unter anderem die Verwirbelung der Rauchgase, der Rauchgas-O2-Gehalt und der CO-Gehalt im Rohgas usw., werden berücksichtigt (E1, Seiten 280 bis 285). Somit sind die örtlichen Regelungen gemäß dem zusätzlich eingeführten Merkmal des Anspruchs 1 nach diesem Hilfsantrag bereits bekannt. Deshalb kann das Merkmal ebenfalls nichts zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.
13. Da der Gegenstand jedes unabhängigen Anspruchs jedes Antrages der Beschwerdeführerin die gemäß Artikel 56 EPÜ erforderliche erfinderische Tätigkeit nicht aufweist, haben auch die von diesem Hauptanspruch abhängigen Ansprüche schon aus formalen Gründen keinen Bestand, da die Kammer über den Rechtsbestand des Patents nur im Rahmen der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Anträge entscheiden kann (Artikel 113 (2) EPÜ).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.