T 1013/99 (Empfang von digitalen Ton-Rundfunkdaten/DEUTSCHE THOMSON-BRANDT) of 11.7.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T101399.20010711
Datum der Entscheidung: 11 Juli 2001
Aktenzeichen: T 1013/99
Anmeldenummer: 92911319.9
IPC-Klasse: H04H 1/00
H03G 3/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Verarbeitung und Wiedergabe empfangener digital codierter Audio-Daten und Rundfunkempfänger zum Empfang von digital codierten Ton-Rundfunkdaten (DAB)
Name des Anmelders: DEUTSCHE THOMSON-BRANDT GMBH
Name des Einsprechenden: Interessengemeinschaft für Rundfunkschutzrechte GmbH
Schutzrechtsverwertung & Co. KG
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent 0 587 655 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann.

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Verfahrensanspruch 1 hat folgenden Wortlaut (die in eckige Klammern gesetzten Zahlen sind von der Kammer eingefügt worden, um sie in der Entscheidung zur Kennzeichnung von Änderungen bei den Hilfsanträgen zu benutzen):

"Verfahren zur Verarbeitung (6) und/oder Wiedergabe von [ 1 ] empfangenen, digital codierten Audio-Daten, z. B. digitalen Ton-Rundfunkdaten (DAB), dadurch gekennzeichnet, daß mit geeigneten Mitteln (9a) die Empfangs- bzw. Übertragungsqualität, z. B. die Bitfehlerrate (BER), der Audio-Daten ermittelt wird und daß ein Schwellwert für die Güte der Empfangs- bzw. Übertragungsqualität verwendet wird [ 2 ] und [ 3 ] beim Unterschreiten der ermittelten Empfangs- bzw. Übertragungsqualität unter diesen Schwellwert eine für einen Benutzer akustisch wahrnehmbare Änderung wenigstens eines Wiedergabe-Parameters bzw. der Wiedergabequalität erfolgt (6), wobei dem Wiedergabesignal ein Rauschsignal oder dazu zusätzlich ein Kennsignal, z. B. ein Kennton, zugesetzt wird (6) [ 4 ]."

Der unabhängige Verfahrensanspruch 2 ist bis zu dem mit "wobei" beginnenden Satz identisch mit Anspruch 1, welcher Satz in Anspruch 2 wie folgt lautet:

"wobei das Wiedergabesignal tiefpaßgefiltert (6) und/oder der Lautstärkepegel des Wiedergabesignals vermindert (6) wird".

Die Vorrichtungsansprüche 7 und 8 entsprechen den Verfahrensansprüchen 1 und 2.

II. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung ist unter Berücksichtigung u. a. der Entgegenhaltungen

D1: Grundig "Technische Informationen" 4/5-1980, Seiten 255 - 258

D2: EP-A-0 275 527

D3: "Digitaler Hörfunk über Rundfunksatelliten" Informationsbroschüre des Bundesminister für Forschung und Technologie, 2. geänderte Auflage, Seiten 80 - 86

D4: H. Zander: "Die digitale Audiotechnik Grundlagen und Verfahren", Drei-R-Verlag, Berlin, 1. Auflage 1987, Seiten 147 - 153

D5: E. Herter/W. Lörcher: "Nachrichtentechnik Übertragung - Vermittlung - Verarbeitung", Carl Hanser Verlag, München Wien, 5. Auflage 1990, Seiten 336 - 343

D7: Journal of the Audio Engineering Society, Bd. 36, Nr. 1/2, Januar/Februar 1988, New York, US, Seiten 27 - 33

festgestellt worden, daß der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 2, 7 und 8 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Ausgehend von der Entgegenhaltung D1, welche als nächstliegender Stand der Technik anzusehen sei, sei es nicht nahegelegt, zu der Erfindung zu gelangen.

III. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Beschwerde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Zur Begründung ihrer Beschwerde führt sie aus, daß die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1, 2, 7 und 8 gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Zur Stützung ihrer Argumentation hat sie zusätzlich die Entgegenhaltungen

D8: VALVO Datenbuch 1988: "Integrierte Schaltungen für Rundfunk - und NF-Anwendungen, Dezember 1987, Seiten 6/7 und 407 - 412,

D9: US-A-4 996 717

D10: EP-A-0 039 428

D11: F. Müller-Römer: "Digitaler terrestrischer Rundfunk (Digital Audio Broadcast - DAB)", Vortrag und zugehörige Druckschrift anläßlich des zweiten Forums "Innovatives Europa" des Fachverbandes Unterhaltungselektronik im ZVEI am 8. März 1990, Bonn

ins Verfahren eingebracht. Mit D8 und D9 will die Beschwerdeführerin nachweisen, daß die Zusetzung eines Rauschsignals (Ansprüche 1 und 7) dem Fachmann schon vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt war. Mit den Engegenhaltungen D10 und D11 will sie zeigen, daß es bekannt war, den Lautstärkepegel des Wiedegabesignals zu vermindern (Ansprüche 2 und 8).

Die Beschwerdegegnerin hat den Argumenten der Beschwerdeführerin widersprochen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Beide Parteien haben hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.

IV. Nach einem Bescheid der Kammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK, in dem Zweifel geäußert wurden, ob den Gegenständen der unabhängigen Ansprüche des aufrechterhaltenen Patents eine erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt, hat die Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 8. Juni 2001 einen ersten, zweiten und dritten Hilfsantrag mit geänderten Anspruchssätzen eingereicht.

V. Am 11. Juli 2001 wurde mündlich verhandelt. Die Beschwerdegegnerin hat schließlich zusätzlich zum Hauptantrag (die Beschwerde zurückzuweisen - siehe oben unter III.) hilfsweise beantragt,

das Patent auf der Grundlage eines der mit Schriftsatz vom 8. Juni 2001 eingereichten Anspruchssätze (Hilfsanträge 1 bis 3) aufrechtzuerhalten, sowie ferner hilfsweise (Hilfsanträge 4 bis 6) das Patent auf der Grundlage der oben genannten Anspruchssätze mit jeweiliger Ersetzung von "z. B. die Bitfehlerrate" durch "nämlich die Bitfehlerrate" und jeweiliger Streichung von "oder noch oberhalb der Güte" (Ansprüche 1, 2, 7 und 8. gemäß Hilfsanträgen 4 und 5 und Ansprüche 1, 2, 6 und 7. gemäß Hilfsantrag 6 in Übereinstimmung mit den Hilfsanträgen 1 und 2, bzw. mit dem Hilfsantrag 3) aufrechtzuerhalten.

Die Hilfsanträge 1 bis 3 unterscheiden sich vom Hauptantrag im wesentlichen dadurch, daß im jeweiligen Anspruch 1 (und analog dazu in den anderen unabhängigen Ansprüchen) an der Stelle der von der Kammer eingefügten Klammerzeichen (siehe oben den zitierten Anspruch 1 des Hauptantrages) eingefügt wird:

[ 1 ] = "mobil"

[ 2 ] = "der noch unterhalb der Fehlerrate oder noch oberhalb der Güte liegt, bei der der abrupte Abbruch der Wiedergabe bzw. des Empfangs oder der Übertragung eintritt,"

[ 3 ] = "daß".

In den Ansprüchen 2 und 8 des zweiten Hilfsantrages wurde zusätzlich die Variante einer ausschließlichen Tiefpassfilterung des Wiedergabesignals gestrichen.

Die unabhängigen Ansprüche 1, 2, 6 und 7 des dritten Hilfsantrages entsprechen denen des ersten Hilfsantrages mit der zusätzlichen Änderung, daß an der Stelle der Klammer [ 4 ] folgender Satz eingeführt wurde (das Wort "wobei", hier fettgedruckt, ist nur in Anspruch 2 und 7 eingeführt worden):

"und wobei der Schwellwert für die Empfangs- bzw. Übertragungsqualität in Abhängigkeit von der Fahrtgeschwindigkeit verändert wird."

VI. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß die Lehre der Entgegenhaltung D1 (nächstliegender Stand der Technik) kombiniert mit D9 (Rauschsignal) die Gegenstände der Ansprüche 1 und 7 des Hauptantrages nahelege. Gleiches gelte für die Entgegenhaltungen D1 kombiniert mit D7 (Tiefpassfilterung) und D1 kombiniert mit D10 oder D11 (Verminderung der Lautstärkepegel) bezüglich der Ansprüche 2 und 8.

Die Einfügung des Wortes "mobil" in den Hilfsanträgen sei ohne Bedeutung, weil schon die Einspruchsabteilung davon ausgegangen sei, daß es bei der Erfindung um mobil empfangene Signale gehe. Auch der nächstliegende Stand der Technik (D1) sei ein mobiles System (Autoradio). Die hinzugefügte Definition des Schwellwertes bringe auch nichts, weil der Fachmann den Schwellwert nicht anders, als wie in den klargestellten Hilfsanträgen 4 bis 6 jetzt angegeben sei, verstehen würde. Aus den Entgegenhaltungen D3 und D5 sei nämlich zu entnehmen, daß die Bitfehlerrate für ähnliche Messungen benutzt werde. Die Änderung in den Ansprüchen 1, 2, 7 und 8 (Hilfsanträge 4 und 5) und 1, 2, 6 und 7 (Hilfsantrag 6) gegenüber den entsprechenden Ansprüchen in den Hilfsanträgen 1 bis 3 sei nur notwendig, um die Definition des Schwellwertes klarzumachen.

Das letzte Merkmal in den Ansprüchen 1, 2, 6 und 7 der Hilfsanträge 3 bzw. 6, daß der Schwellwert für die Empfangs- bzw. Übertragungsqualität in Abhängigkeit von der Fahrtgeschwindigkeit verändert wird, sei für den Fachmann naheliegend, da D2 zu entnehmen sei, daß bei Mehrwegempfang "die durch Signaleinbrüche verursachten Empfangsstörungen von den Umwegen, von der momentanen Signalaussteuerung.... und beim mobilen Empfang von der Fahrzeuggeschwindigkeit abhängig" seien (Spalte 1, letzte Zeile bis Spalte 2, Zeile 6). Der Fachmann würde bei seinen Überlegungen selbstverständlich auch dies berücksichtigen.

VII. Die Beschwerdegegnerin machte geltend, es sei für den Fachmann nicht naheliegend und deshalb erfinderisch, ausgerechnet ein Rauschsignal als Warnton bei digitalem Empfang einzuführen. Rauschen sei nämlich an sich eine Störung, die bei analogen Signalen auftrete. Keine der Entgegenhaltungen deute an, daß Störungen, die beim Analogbetrieb auftreten, als Warnsignale im Digitaltechnikbereich benutzt werden könnten. So werde gemäß der D9 der hörbare Empfang abgeschaltet, und während dieser Zeit werde ab und zu ein künstliches Rauschen eingeblendet, um dem Benutzer zu zeigen, daß, obwohl keine Nutzsignale empfangen würden, das Gerät in Ordnung und empfangsbereit sei. Aus der Hauptentgegenhaltung D1 sei nur zu entnehmen, daß ein anschwellender Warnton dazu verwendet werde, um zu warnen, daß die Grenze des Sendegebiets bald erreicht sei. Wie der Fachmann ohne erfinderisches Zutun von diesem Stand der Technik zu der Erfindung gemäß Anspruch 1 (und 7) des Hauptantrages gelangen könne, sei nicht ersichtlich.

Die Entgegenhaltung D7 beschäftige sich nicht mit einer Aufgabe, die derjenigen der Erfindung ähnele, sondern beziehe sich auf eine Unterteilung in Parallelkanäle, die bei schlechtem Empfang selektiv ausgeschaltet würden. Die noch in Betrieb bleibenden Kanäle arbeiteten dabei optimal und also, im Gegensatz zur Behauptung der Beschwerdeführerin, nicht schlechter. Insbesondere sei darauf hinzuweisen, daß nicht, wie nach der Erfindung, empfangene Signale absichtlich verschlechtert würden. Bezüglich des Abklingens des Signals in D 10 könne nicht von einer hörbaren - oder wahrnehmbaren - Lautstärkepegelverminderung die Rede sein, weil das Abklingen in einigen Mikrosekunden geschehe und von dem Hörer nicht wahrgenommen werde.

In den unabhängigen Ansprüchen der Hilfsanträge 1 bis 3 sei jetzt der "Schwellwert" deutlich definiert. Aus den Entgegenhaltungen sei nicht zu entnehmen, daß eine festgestellte Bitfehlerrate in dieser Weise als Schwellwert benutzt werden könnte. In D3 gehe es nur um einen Prototyp und in D5 werde die Bitfehlerrate nur während einer Probephase eines Systems gemessen, aber nicht später, wenn das System schon in Betrieb genommen worden sei. In den unabhängigen Ansprüchen gemäß den Hilfsanträgen 4 bis 6 sei der Schwellwert noch deutlicher formuliert worden, und es bestehe keine Unklarheit darüber, wie dieser gewonnen werden könne.

Was das letzte Merkmal der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 3 und 6 (Schwellwert abhängig von der Fahrgeschwindigkeit) betreffe, so sei dieses Merkmal nicht aus D2 zu entnehmen. In D2 sei nur angegeben, daß die Empfangsstörungen bei mobilem Empfang von der Fahrgeschwindigkeit abhängig seien, aber nicht, daß bei einem digitalen System die Bitfehlerrate eines Audiosignals von der Geschwindigkeit abhängig wäre. Das System gemäß D2 sei ein analoges Rundfunksystem, zusätzlich würden aber digitale Informationen übertragen (AF-Code und/oder PI-Code nach dem RDS-System). Als Maß für die Programmsignalverzerrungen würden die festgestellten Bitfehler im RDS-Datensignal herangezogen. Aus dieser Tatsache könne aber nicht der Schluß gezogen werden, daß bei digitalem Audioempfang die Bitfehlerrate von der Fahrgeschwindigkeit abhängig sei.

VIII. An Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer vom Vorsitzenden verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Bestimmungen von Regel 65 EPÜ und ist daher zulässig.

2. Die Neuheit der Patentansprüche wurde von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt. Die einzige zu entscheidende Frage ist somit, ob der beanspruchten Erfindung eine erfinderische Tätigkeit zukommt oder nicht.

Hauptantrag

3. Aus der D1 ist ein Verfahren zum Betrieb eines Autoradios (Bild 2) zu entnehmen, wobei mit geeigneten Mitteln die Empfangs- bzw. Übertragungsqualität der empfangenen Audiodaten ermittelt und ein Schwellwert für die Güte der Empfangs- bzw. Übertragungsqualität verwendet wird (D1, Seite 256, Absatz 2.7) und wobei beim Unterschreiten des ermittelten Schwellwertes eine für einen Benutzer akustisch wahrnehmbare Änderung der Wiedergabequalität erfolgt, d. h. dem Wiedergabesignal wird ein (anschwellender) Warnton zugesetzt (Seite 255, linke Spalte, dritter Absatz).

Der Unterschied zwischen dem beanspruchten und dem in D1 beschriebenen Verfahren ist, daß sich das Patent auf ein Digitalsystem, D1 aber auf ein Analogsystem bezieht, und außerdem, daß die Widergabequalität gemäß Anspruch 1 durch ein (künstliches) Rauschsignal geändert werden soll.

Die Aufgabe der Erfindung kann also darin gesehen werden, daß auch dem Benutzer eines Digitalempfängers signalisiert werden soll, und zwar mit Hilfe eines dem Wiedergabesignal zugesetzten geeigneten Signals, daß die Übertragungsqualität unter einen Schwellwert gesunken ist.

Die Kammer stimmt der Einspruchsabteilung darin zu, daß der Fachmann, der sich mit digitaler Übertragungstechnik beschäftigt, auch mit der analogen Technik vertraut ist. Wenn er auf dem digitalen Gebiet eine Aufgabe zu lösen hat, kann er oft eine Lösung benutzen, die er auf dem analogen Gebiet in vergleichbaren Fällen verwendet hat.

Die Anordnung gemäß D1 macht also den Autofahrer beim Verlassen des Sendegebietes durch einen anschwellenden Warnton darauf aufmerksam, daß er sich einen neuen, empfangsstarken Sender suchen muß. Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, daß bei einem analogen Autoradio ein Rauschsignal für den Benutzer nicht als Warnsignal geeignet sei, weil beim analogen Empfang beinahe immer ein wenig Rauschen dabei sei. Eine Korrektur der Daten wie bei einem digitalen Signalempfang sei nicht möglich. Die Beschwerdegegnerin hat gemeint, daß beim Verlassen des Sendegebietes eines analogen Systems das Autoradio immer rausche und daß der Empfang schon ziemlich lange vor dem totalen Ausfall gestört werde. Die Verschlechterung des Empfangs sei also nicht abrupt und könne deshalb nicht immer deutlich beobachtet werden. Der Empfang könne zwischenzeitlich sogar wieder besser werden, aber im großen und ganzen werde er langsam und allmählich immer schlechter. Dies erscheine dem Benutzer normal. In der Anordnung gemäß D1 habe man deshalb einen anschwellenden Warnton zum Wiedergabesignal zugefügt, um dem Benutzer eindeutig klar zu machen, daß der Empfang bald enden werde.

Die Beschwerdegegnerin ist folglich der Meinung, daß der Fachmann, ausgehend von der Lehre der D1, bei seiner Suche nach geeigneten Warntönen keinesfalls ein Rauschen in Betracht ziehen würde. Die Kammer glaubt aber, daß in diesem Zusammenhang auch berücksichtigt werden muß, daß dem Fachmann selbstverständlich bewußt ist, daß die digitale Technik, im Unterschied zur analogen Technik, einen ganz sauberen Empfang erlaubt und daß deshalb auch schon eine leise Störung beim Digitalempfang eines Programmes wahrgenommen wird. Also würde ein Rauschsignal beim Digitalempfang schon deshalb die Aufmerksamkeit eines Zuhörers wecken. Daher ist anzunehmen, daß der Fachmann bei digitalem Empfang durchaus ein Rauschsignal, das im Gegensatz zum analogen Empfang hier eben unnormal ist, als Warnton in Betracht ziehen würde. Wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt wurde, ist es ja auch schon grundsätzlich bekannt, ein Rauschsignal (D9) zu benutzen, um dem Benutzer den Betriebszustand eines Empfängers mitzuteilen. Gemäß D9 werden nämlich künstlich periodische Rauschpakete erzeugt, wenn (während der Wartezeit - "squelching") kein "hörbares" Signal vom Empfänger detektiert wird, um so den Radiobenutzer darüber zu informieren, daß das Radiogerät nicht defekt und die Lautstärke korrekt eingestellt ist.

Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, daß das Rauschsignal beim Digitalempfang den Benutzer in einer angenehmeren Weise über einen bevorstehenden Wegfall des Empfanges informiert als etwa ein anschwellender Warnton, wie er im D1 vorgeschlagen wird. Die Kammer stellt aber fest, daß es in D1 schon heißt: "Der Autofahrer soll zwar gewarnt werden, andererseits aber nicht durch einen plötzlich einsetzenden, zu lauten Warnton überrascht und damit vom Verkehrsgeschehen abgelenkt werden". Deshalb ist der Warnton gemäß D1 offenbar anschwellend und wird auch z. B. der Cassettenmusik gleitend überlagert. Der Kammer scheint es deshalb, daß schon im Stand der Technik deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist, daß der Warnton mindestens zunächst sanft angelegt werden muß. Weil das Rauschen bei analoger Technik, wie auch die Beschwerdegegnerin ausgeführt hat, jedenfalls anfangs nicht als besonders störend empfunden wird, scheint es der Kammer, daß ein Rauschsignal für den Fachmann bei seinem Suchen nach einem geeigneten Warnton interessant wäre. Hierzu kommt, daß der Autofahrer von der ihm vertrauten analogen Empfangstechnik schon daran gewöhnt ist, daß auftretendes Rauschen eine Verschlechterung und den baldigen Ausfall des Empfangs signalisiert. Diese Assoziation wird beim Hinzufügen des Rauschsignals zum digitalen Empfang sozusagen künstlich herbeigeführt. Die Kammer zieht deshalb den Schluß, daß der Fachmann in naheliegender Weise zu der Erfindung nach Anspruch 1 (erste Alternative - Rauschsignal) gelangen würde.

In der alternativen Lösung des Anspruchs 1 (vgl. "oder zusätzlich ein Kennsignal, z. B. ein Kennton") sieht die Kammer eine direkte Übertragung der Lehre aus D1 vom Analogsystem auf ein Digitalsystem. Im bekannten Analogsystem gemäß D1 wird ein Warnton produziert, wobei natürliches Rauschen, wie von der Beschwerdegegnerin selbst ausgeführt, sowieso vorhanden ist. Um zu der Alternativlösung des Anspruchs 1 zu gelangen, wird nur das natürliche Rauschen im System von D1 im Digitalsystem durch künstliches Rauschen ersetzt, welches zusammen mit dem anschwellenden Warnton dem Wiedergabesignal zugesetzt wird.

Die Beschwerdegegnerin hat noch geltend gemacht, daß der digitale Radioempfang mit dem analogen nicht zu vergleichen sei. Sie meint, daß es bei analogen Systemen nie zu einem abrupten Abbrechen des Empfangs kommen könne. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin darin zu. Wie oben ausgeführt, wird das empfangene Analogsignal am Rande eines Sendegebiets immer schwächer und gleichzeitig immer mehr durch Rauschen gestört, bis das Signal nicht mehr hörbar ist. Bei digitalen Übertragungsmedien kommt es dagegen am Rande eines Sendegebiets zum abrupten Abbrechen des Empfangs. Dies geschieht insbesondere dann, wenn ein leistungsfähiger Code zur Fehlerkorrektur verwendet wird (Beschreibung des Patents, erster Absatz). Die Beschwerdegegnerin argumentiert, daß gemäß D1 von einer unvermeidlich verringerten Tonqualität auf einen Sender mit besserer Analogton-Empfangsqualität umgeschaltet werde. Es bestehe somit für den Fachmann offensichtlich der Bedarf, eine bessere Tonqualität zu erreichen. Bei der Erfindung bestehe jedoch während der Wiedergabe mit voller Tonqualität kein Bedarf, von einem Sender mit dieser Tonqualität zu einem anderen Sender mit gleicher Tonqualität umzuschalten, weil der Empfang noch perfekt sei.

Die Kammer ist aber der Ansicht, daß, gerade weil die Korrektur des fehlerhaften Empfangs durch einen Korrekturcode dem Autofahrer die Verschlechterung der Empfangsbedingungen lange Zeit verschleiert, der Fachmann Vorsorge dafür treffen muß, daß es nicht zu einem für den Benutzer völlig überraschenden plötzlichen Ausfall des Empfangs beim Verlassen des Sendegebiets kommt. Es ist deshalb naheliegend, daß er dafür sorgt, daß das Rauschen schon ab einer bestimmten Bitfehlerrate dem Signal zugesetzt wird, also zu einem Zeitpunkt, bei dem der Empfang zwar schon verschlechtert, aber diese Verschlechterung für den Benutzer noch nicht hörbar ist.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrages beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ). Mit Anspruch 1 des Hauptantrags fällt der ganze Hauptantrag und die Gewährbarkeit der anderen Ansprüche des Hauptantrages braucht nicht abgehandelt zu werden. Die Kammer stimmt im übrigen der Ansicht der Beschwerdeführerin zu, daß auch die Gegenstände dieser Ansprüche nichts Erfinderisches erkennen lassen.

Hilfsanträge 1 bis 6

5. Hilfsanträge 1 und 2

Die Ansprüche 1 des ersten und des zweiten Hilfsantrags sind identisch. Im Vergleich zum Anspruch 1 des Hauptantrages wurden die Änderungen entsprechend den Klammern [1] bis [3] (vgl. oben unter V) in die Ansprüche eingefügt. Die Kammer ist der Meinung, daß die Abgrenzung gemäß Klammer [1] bezüglich des mobilen Empfangs nichts Erfinderisches begründen kann. Wie die Beschwerdeführerin ausgeführt hat, wurde ja schon bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit vor der Einspruchsabteilung von einem mobilen Empfang ausgegangen, so wie es auch die Kammer von vornherein getan hat.

Auch kann die Definition des Schwellwertes (vgl. Klammer [2] unter V oben) keinen Beitrag zu einer erfinderischen Tätigkeit leisten. Die angegebene Ableitung des Schwellwertes ist eine für den Fachmann selbstverständliche Maßnahme. Die Beschwerdegegnerin hat gemeint, daß es überhaupt nicht selbstverständlich sei, daß der Fachmann die Bitfehlerrate benutzt hätte. Man könnte ja auch die Feldstärke messen. Sie hat auch gemeint, daß aus den Dokumenten D2, D3 und D5 zwar zu entnehmen sei (siehe unter VI oben), daß im Prinzip auch Messungen der Bitfehlerrate durchgeführt werden könnten, daß diese Druckschriften aber nicht auf die im Patent beschriebene Situation paßten. Die Kammer ist aber der Ansicht, daß der Fachmann sehr wohl die Bitfehlerrate auch bei der vorliegenden Erfindung für die Feststellung der Empfangsqualität heranziehen würde, da diese Größe - wie auch die genannten Dokumente zeigen - als Standardqualitätsmaßstab bei digitalen Übertragungen dient. Auch ist es für den Fachmann selbstverständlich, daß der Schwellwert unterhalb der Fehlerrate beim abrupten Abbruch liegen muß, so daß der Benutzer rechtzeitig gewarnt werden kann (vgl. unter 3 oben - die letzten zwei Absätze).

Auch die Gegenstände des Anspruch 1 des ersten und zweiten Hilfsantrages sind deshalb für den Fachmann naheliegend.

6. Hilfsantrag 3

Anspruch 1 des Hilfsantrages 3 hat das (gegenüber dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 oder 2) zusätzliche Merkmal nach Klammer [4] oben, daß "der Schwellwert für die Empfangs- bzw. Übertragungsqualität in Abhängigkeit von der Fahrtgeschwindigkeit verändert wird". Wie oben unter VII (siehe letzter Absatz) ausgeführt ist, hat die Beschwerdegegnerin bezüglich D2 behauptet, daß aus der Lehre von D2 nicht unmittelbar der Schluß gezogen werden könne, daß bei digitalem Audioempfang die Bitfehlerrate von der Fahrgeschwindigkeit abhängig sei. Die Kammer ist aber der Meinung, daß der Fachmann mit Kenntnis der D2 jedenfalls unmittelbaren Anlaß zu der Annahme hätte, daß auch bei digitalem Audioempfang eine Abhängigkeit der Bitfehlerrate von der Fahrgeschwindigkeit gegeben ist. In D2 ist nämlich angegeben, daß beim mobilen Empfang Störungen von der Geschwindigkeit abhängig sind (Spalte 2, Zeilen 1 bis 6). Außerdem wird vorgeschlagen, daß als Maßstab für die Programmsignalverzerrungen die festgestellten Bitfehler im RDS-Datensignal zur Qualitätsbewertung herangezogen werden (z. B. Anspruch 1 der D2). Der Fachmann würde deshalb auf jeden Fall die Abhängigkeit der Bitfehlerrate von der Fahrgeschwindigkeit auch bei digitalem Audioempfang untersuchen. Die Kammer ist deshalb der Ansicht, daß dieses zusätzliche Merkmal für den Fachmann naheliegend ist und eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen kann.

7. Hilfsanträge 4 bis 6

Anspruch 1 in allen Hilfsanträgen 4 bis 6 wurde in gleicher Weise geändert (siehe unter IV oben). Die Änderungen sollen aber im Verhältnis zu den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 nur klarstellen, daß die Bitfehlerrate als Maß für die Übertragungsqualität benutzt wird und daß der Schwellwert nur in Bezug auf die Fehlerrate und nicht (wie es alternativ bei den Hilfsanträgen 1 bis 3 der Fall war) in Bezug auf die Güte definiert wird.

Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit bezüglich der Ansprüche der Hilfsanträge 1 bis 3 oben (siehe unter 5. und 6) ist die Kammer aber, wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich, bereits von der in den Hilfsanträgen 4 bis 6 enthaltenen Definition ausgegangen. Deshalb können die Änderungen im jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 bis 6 keine erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes begründen. Die Gegenstände dieser Ansprüche sind deshalb für den Fachmann naheliegend.

8. Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 sämtlicher Hilfsanträge 1 bis 6. ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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