T 0926/99 () of 27.2.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T092699.20020227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 2002
Aktenzeichen: T 0926/99
Anmeldenummer: 92890012.5
IPC-Klasse: H02H 3/33
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fehlerstromschutzschalter
Name des Anmelders: FELTEN & GUILLEAUME AUSTRIA AG
Name des Einsprechenden: 01) ABB Patent GmbH
02) Siemens AG
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das europäischen Patent Nr. 0 495 771 zurückzuweisen, haben beide Einsprechenden Beschwerde eingelegt.

II. Der Anspruch 1 des angefochtenen Patents in seiner erteilten Fassung lautet wie folgt:

"1. Fehlerstromschutzschalter, bestehend aus einem Gehäuse mit Anschlußklemmen für Netzleitungen, in dem ein Kontaktapparat mit zugehörigem Schaltschloß, eine Prüfeinrichtung, ein Betätigungsorgan, ein elektromagnetischer Arbeitsstromauslöser (1) für das Schaltschloß, ein Summenstromwandler, eine netzspannungsunabhängige elektronische Energiespeicherschaltung, die aus einer Gleichrichterschaltung (11), einem Speicherkondensator (12) und einem spannungsabhängigen, elektronischen Schaltbaustein (13) besteht, und ein Relais (4) oder ein Thyristor (4) mit dazugehörigem Schließkontakt (5) bzw. Thyristorschaltstrecke untergebracht sind, wobei die Sekundärwicklung des Summenstromwandlers im Fehlerstromfall unabhängig von der Netzspannung die elektronische Energiespeicherschaltung auflädt und beim Überschreiten eines bestimmten, durch den spannungsabhängigen, elektronischen Schaltbaustein (13) festgelegten Grenzwertes des Auslösefehlerstromes die Energiespeicherschaltung (3) das Relais (4) betätigt bzw. den Thyristor durchzündet, wobei das Relais nicht nach dem Halte- oder Sperrmagnetprinzip arbeitet und durch das Schließen des dazugehörigen Relaiskontaktes (5) bzw. der Thyristorschaltstrecke der Arbeitsstromauslöser (1) mit höherer Auslösekraft als bei einem Auslöser nach dem Halte- oder Sperrmagnetprinzip netzspannungsabhängig das Schaltschloß (6) betätigt, wodurch der Fehlerstromschutzschalter ausschaltet und danach das Relais in seine Ausgangsstellung zurückkehrt bzw. der Thyristor seinen nichtleitenden Zustand einnimmt."

Ansprüche 2 bis 10 sind vom Anspruch 1 abhängig.

III. Im Beschwerdeverfahren machten die Beschwerdeführer geltend, daß der Gegenstand der Ansprüche des Patents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die folgenden Dokumente des Standes der Technik sind dem Anspruch 1 des Patents entgegengehalten worden:

D1: EP-B-0 108 726, und

D3: Artikel von Prof. Dr. G. Biegelmeier, "Moderner Fehlerstromschutz", erschienen in "E und M Elektrotechnik und Maschinenbau", Jahrgang 75, Heft 8, Seiten 157 bis 164, Wien 1958.

IV. Am 27. Februar 2002 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführer (Einsprechenden 01 und 02) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 495 771.

Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen (Hauptantrag), oder das Patent in geänderten Umfang aufrechtzuerhalten und zwar mit

- Ansprüchen 1 bis 10 gemäß erstem Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 22. Januar 2002; oder mit

- Ansprüchen 1 bis 4 gemäß zweitem Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 22. Januar 2002.

V. Die Beschwerdeführer argumentierten im wesentlichen wie folgt:

Abbildung 7 von D3 zeige Fehlerstromschutzschalter mit direkter Abschaltung, wobei sowohl die Fehlerstromerfassung als auch die Abschaltung netzspannungsunabhängig erfolgen (sogenannte direkte Schaltungen). Nach D3 leiden die direkten Schaltungen daran, daß die zur Verfügung stehende Leistung gering ist. Abbildung 9 von D3 zeige eine Verbesserung der direkten Schaltungen nach Abbildung 7, wobei der Fehlerstromschutzschalter nach Abbildung 9 mit einer Energiespeicherschaltung versehen sei (sogenannte Impulsauslösung), die eine zehnmal so große Auslöseenergie wie die direkten Schaltungen liefere. Ferner zeige Abbildung 8a von D3 einen Fehlerstromschutzschalter mit indirekter Abschaltung, d. h. mit netzspannungsabhängiger Auslösung des Schaltschlosses (sogenannte indirekte Schaltung). Die Fehlerstromerfassung sei in Abbildung 8a identisch mit der Fehlerstromerfassung der direkten Schaltungen nach Abbildung 7. Es liege daher nahe, den Fehlerstromschutzschalter nach Abbildung 8a so weiter zu entwickeln, wie die Schaltungen von Abbildung 7 zu der Schaltung nach Abbildung 9 weiter entwickelt worden seien. Dabei weise D3 selbst darauf hin, daß durch Kombination verschiedener Systeme weitere Fortschritte zu erwarten seien. Dokument D1 rege außerdem zur Kombination einer indirekten Schaltung und einer Impulsauslösung an, da D1 eine solche Kombination bereits zeige. Die Anwendung der in Abbildung 9 von D3 gezeigten Energiespeicherschaltung in dem Fehlerstromschutzschalter von Abbildung 8a ermögliche es, ein weniger empfindliches, also weniger aufwendiges und weniger teueres Relais im netzspannungsunabhängigen Schaltkreis zu verwenden. Dieser Schritt sei nicht patentwürdig, da jeder Fachmann bestrebt sei, hochempfindliche, in der Herstellung teuere Bauteile durch weniger empfindliche Bauteile zu ersetzen. Allein dieser Gedanke und diese Überlegung führe den Fachmann ohne weiteres dazu, die netzspannungsunabhängige Erfassungsschaltung der Abbildung 8a von D3 durch die netzspannungsunabhängige Erfassungsschaltung der Abbildung 9 zu ersetzen. Der Gegenstand des Anspruch 1 überwinde auch kein Vorurteil der Fachwelt und bringe keine überraschende Effekt zustande. Aus diesen Gründen beruhe er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Dokument D1 offenbare einen Fehlerstromschutzschalter, der explizit oder implizit alle Merkmale des Anspruchs 1 umfasse, mit Ausnahme des spannungsabhängigen elektronischen Bausteins. Während in D1 eine Thyristorschaltstrecke den Grenzwert des Auslösefehlerstromes bestimme, sei nach Anspruch 1 des angefochtenen Patents hierfür ein gesonderter spannungsabhängiger elektronischer Baustein vorgesehen. Ein zusätzlicher Schwellwertschalter vorzusehen sei aber eine gleichwertige Alternative zu der Schaltung nach D1, deren Thyristor bekanntlich als Schwellwertschalter wirke.

VI. Der Beschwerdegegner argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Anspruch 1 des angefochtenen Patents betreffe eine sogenannte indirekte Schaltung, bei der ohnehin genügend Energie für die Betätigung des Schaltschlosses vorhanden sei. Im Gegensatz zu Dokument D3 beschäftige sich die Erfindung aber nicht mit der Betätigung des Schaltschlosses selbst, sondern mit der Zuverlässigkeit des Steuerkreises. Der erfindungsgemäße gesonderte elektronische Schaltbaustein ermögliche es, Toleranzen und Streuungen bei dem Steuerelement (Relais bzw. Thyristor) zu beherrschen. Dadurch erhöhe sich die Schaltzuverlässigkeit des Steuerelements, was die Sicherheit verbessere. Dokument D3, das sich auf die Betätigung des Schaltschlosses konzentriere und sich nicht darum kümmere, den Steuerkreis zu verbessern, spreche dieses Problem nicht an. Das Problem und seine Lösung, d. h. die Verwendung eines gesonderten Schaltbaustein, seien auch nicht im Dokument D1 offenbart. Es führe somit kein naheliegender Weg vom Stand der Technik zum Gegenstand von Anspruch 1.

Entscheidungsgründe

1. Beide Beschwerden sind zulässig.

2. Abbildung 8a von Dokument D3 zeigt einen Fehlerstromschutzschalter mit einem Kontaktapparat und zugehörigem Schaltschloß, einem elektromagnetischen Arbeitsstromauslöser für das Schaltschloß, einem Summenstromwandler und einem Relais mit dazugehörigem Schließkontakt, wobei die Sekundärwicklung des Summenstromwandlers im Fehlerstromfall unabhängig von der Netzspannung das Relais betätigt. Durch das Schließen des dazugehörigen Relaiskontaktes betätigt ein Arbeitsstromauslöser netzspannungsabhängig das Schaltschloß, wodurch der Fehlerstromschutzschalter ausschaltet.

3. Ein solcher Fehlerstromschutzschalter muß in einem Gehäuse mit einem Betätigungsorgan und Anschlußklemmen für Netzleitungen untergebracht sein. Es ist auch klar, daß nach erfolgter Betätigung des Schaltschlosses das Relais in seine Ausgangsstellung zurückkehren muß. Ferner ist es üblich, und daher wenn nicht implizit so mindestens naheliegend, einen Fehlerstromschutzschalter mit einer Prüfeinrichtung auszurüsten.

4. Nach Dokument D3 wird in dem Fehlerstromschutzschalter nach Abbildung 8a ein "hochempfindliches Relais" verwendet, wobei aber der genaue Typ des Relais nicht angegeben ist. Dazu ist nach Abbildung 8a die Steuerwicklung des Relais direkt mit der Sekundärwicklung des Summenstromwandler verbunden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents unterscheidet sich also vom Stand der Technik gemäß Abbildung 8a von D3 insbesondere dadurch, daß:

- die Sekundärwicklung des Summenstromwandlers unabhängig von der Netzspannung eine elektronische Energiespeicherschaltung auflädt, die aus einer Gleichrichterschaltung, einem Speicherkondensator und einem spannungsabhängigen, elektronischen Schaltbaustein besteht, wobei beim Überschreiten eines bestimmten, durch den spannungsabhängigen, elektronischen Schaltbaustein festgelegten Grenzwertes des Auslösefehlerstromes die Energiespeicherschaltung das Relais (bzw. einen Thyristor) betätigt, und

- das Relais gegebenfalls nicht nach dem Halte- oder Sperrmagnetprinzip arbeitet und mit höherer Auslösekraft als bei einem Auslöser nach dem Halte- oder Sperrmagnetprinzip das Schaltschloß betätigt.

5. Mit dem Einsatz einer Energiespeicherschaltung mit gesondertem spannungsabhängigem Schaltbaustein zur Betätigung des Steuerrelais wird es möglich, einerseits ein weniger empfindliches Relais zu verwenden und andererseits den Grenzwert des Auslösefehlerstromes, der zur Betätigung des Steuerrelais führt, unabhängig von Toleranzen des Steuerrelais zu machen und daher genauer zu bestimmen.

Ausgehend von Abbildung 8a von D3 als nächstliegendem Stand der Technik löst also der Gegenstand des Anspruchs 1 objektiv das Problem, die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Betätigung des Steuerelements einer indirekten Schaltung, insbesondere des Steuerrelais, zu erhöhen.

6. Dieses Problem wird im Dokument D3 nicht angesprochen.

Abbildung 9 von D3 zeigt zwar eine elektronische Energiespeicherschaltung, die unabhängig von der Netzspannung durch die Sekundärwicklung des Summenstromwandlers aufgeladen wird, und die aus einer Gleichrichterschaltung, einem Speicherkondensator und einem spannungsabhängigen, elektronischen Schaltbaustein besteht. Die Energiespeicherschaltung nach Abbildung 9 wird aber in D3 als Verbesserung der direkten Schaltungen nach Abbildung 7 dargestellt, da sie eine höhere Auslöseenergie liefert als die direkten Schaltungen. Nach D3 liefert die indirekte Schaltung nach Abbildung 8a eine praktisch beliebig hohe Auslöseenergie und wird ebenfalls als Möglichkeit dargestellt, eine höhere Auslöseenergie zu erzielen als die direkten Schaltungen nach Abbildung 7. D3 konzentriert sich also auf die Bereitstellung genügender Energie für die Auslösung des Schaltschlosses und gibt keinen Hinweis, die Energiespeicherschaltung nach Abbildung 9 für andere Zwecke einzusetzen.

7. D3 gibt zwar auf Seite 163 an, daß durch Kombination verschiedener Systeme weitere Fortschritte zu erwarten sind. Die in D3 gegebenen Beispiele solcher Kombinationen zeigen aber, daß es dabei um die Auslösekennlinie des Schutzschalters geht. Insbesondere schlägt D3 vor, eine unverzögerte elektromagnetische Auslösung mit einer Impulsauslösung zu kombinieren, was zu einer Auslösekennlinie führt, die stark an die Auslösekennlinie eines Leitungsschutzschalters erinnert. Die Anregung in D3 zur Kombination verschiedener Systeme ist also nicht auf die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Betätigung eines Steuerelements gerichtet.

8. Das Dokument D1 sieht einen Thyristor als Steuerelement einer indirekten Schaltung vor. Dieser Thyristor wird durch eine Energiespeicherschaltung betätigt, die durch die Sekundärwicklung eines Summenstromwandlers unabhängig von der Netzspannung aufgeladen wird und aus einer Gleichrichterschaltung und einem Speicherkondensator besteht. Die Energiespeicherschaltung nach D1 enthält keinen gesonderten spannungsabhängigen, elektronischen Schaltbaustein: wenn die Spannung am Speicherkondensator die Zündspannung des Thyristors erreicht, wird dieser betätigt.

D1 gibt also keinen Hinweis, Toleranzen in dem Steuerelement, d.h. dem Thyristor, mittels eines gesonderten Schaltbausteins zu beherrschen und kann daher das entsprechende Merkmal des Anspruchs 1 nicht nahelegen.

9. Nach D1 dient die dort beschriebene Energiespeicherschaltung dazu, die Abschaltung zu verzögern und das Steuerelement, d. h. den Thyristor, nach seiner Betätigung leitend zu halten. Die Energiespeicherschaltung von D1 erfüllt also einen anderen Zweck als die Energiespeicherschaltung nach Abbildung 9 von D3. Dazu wird in D1 ein Thyristor als Steuerelement verwendet, während die Schaltungen von D3 Relais benutzen. D1 regt daher nicht an, die Schaltung nach Abbildung 9 von D3 mit der Schaltung nach Abbildung 8a zu kombinieren.

10. Die Kammer ist somit zu dem Schluß gekommen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gemäß Artikel 56 EPÜ gilt daher der Gegenstand des Anspruchs 1 als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.

11. Die Ansprüche 2 bis 10, die von Anspruch 1 abhängig sind, gelten somit auch als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.

12. Die Kammer kann damit dem Hauptantrag des Beschwerdegegners stattgeben. Die Hilfsanträge brauchen daher nicht behandelt zu werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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