T 0802/99 () of 3.5.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T080299.20020503
Datum der Entscheidung: 03 Mai 2002
Aktenzeichen: T 0802/99
Anmeldenummer: 95930463.5
IPC-Klasse: G01M 3/28
F16L 9/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Überwachung der Dichtheit von biegesteifen Rohrleitungen in Abwasserleitungssystem und eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens
Name des Anmelders: Brandes, Bernd
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit, erfinderische Tätigkeit - ja (nach Änderung)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 95 930 463.5 (internationale Veröffentlichungsnummer WO-A-96/007089) wurde von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Die Anmeldung betrifft die Überwachung der Dichtheit von Rohrleitungen für Abwasserleitungssysteme.

II. Im Prüfungsverfahren wurde auf die folgenden Druckschriften verwiesen:

D1: GB-A-2 005 036

D2: DE-A-3 814 176.

Die Prüfungsabteilung verwies auf die Offenbarung der Druckschrift D1 und führte aus, daß der Gegenstand des Verfahrensanspruchs gegenüber dieser Druckschrift nicht neu sei. Im Verfahrensanspruch 1 zusätzlich enthaltene Alternativmerkmale hätten keine einschränkende Wirkung und könnten deshalb die Neuheit des Anspruchsgegenstands nicht begründen. Der Vorrichtungsanspruch sei wegen seiner unterschiedlichen Katagorie trotz seines Rückbezugs auf vorangehende Ansprüche als unabhängig anzusehen. Dem Gegenstand dieses Anspruchs fehle eine erfinderische Tätigkeit gegenüber der Druckschrift D1.

III. Gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 11. März 1999 hat die Anmelderin am 20. Mai 1999 Beschwerde sowie einen weiteren Schriftsatz, der als "ergänzte Fassung" bezeichnet wurde, eingelegt und die Beschwerdegebühr bezahlt. Der Beschwerde lag ein neuer Anspruch 1 zugrunde. Eine mündliche Verhandlung wurde hilfsweise beantragt. Weiter wurde hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung beantragt.

IV. Am 3. November 1999 wurde eine Beschwerdebegründung zusammen mit einem Antrag für die Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist (Artikel 108 EPÜ) eingereicht und eine Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet.

V. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat die Anmelderin neue Unterlagen eingereicht und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage dieser Unterlagen beantragt. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche des geltenden, der Beschwerde zugrundeliegenden Antrags lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Überwachung der Dichtheit von biegesteifen Rohrleitungen (1) in Abwasserleitungssystemen, dadurch gekennzeichnet, daß in der Wandung (2) der Rohrleitungen (1) entlang deren Längserstreckung ein oder mehrere Kontrollkanäle (3) oder rohrförmige Öffnungen angeordnet werden, die an den Enden der Rohrleitungen (1) an ihren Stirnseiten austreten, daß die Enden der Rohrleitungen (1) mit Dichtungen (6a, 6b) für die Abdichtung der Kontrollkanäle (3) oder rohrförmigen Öffnungen und im Übergangsbereich zweier benachbarter Rohrleitungen (1) gebildeter ringförmiger Spalte (5) versehen sind, daß durch die miteinander verbundenen Kontrollkanäle (3) oder rohrförmigen Öffnungen und Spalte (5) ein geschlossener oder ein mit einer am Ende des Systems vorgesehenen definierten Öffnung versehener Druckraum für das mehrere Rohrleitungen enthaltende Rohrleitungssystem geschaffen wird, und daß die Kontrollkanäle (3) oder rohrförmigen Öffnungen und Spalte mit einem unter einem statischen Druck stehenden Prüfmedium (7) befüllt werden, daß im Verlauf der Trasse der Rohrleitungen dem geschlossenen Druckraum Meßstellen (10) zum Messen des Drucks zugeordnet werden, daß eine Leckage (11) durch einen Abfall des Druckes zwischen zwei Meßstellen festgestellt wird und daß undichte Stellen in Abhängigkeit von den Druckverhältnissen der Meßstellen geortet werden."

"11. Vorrichtung zur Überwachung der Dichtheit von biegesteifen Rohrleitungen (1) in Abwasserleitungssystemen, die in der Wandung (2) der Rohrleitungen (1) entlang deren Längserstreckung ein oder mehrere Kontrollkanäle (3) oder rohrförmige Öffnungen angeordnet haben, die an den Enden der Rohrleitungen (1) an deren Stirnseiten austreten, bei der die Enden der Rohrleitungen (1) mit Dichtungen (6a, 6b) für die Abdichtung der Kontrollkanäle (3) oder rohrförmigen Öffnungen und im Übergangsbereich zweier benachbarter Rohrleitungen (1) gebildeter ringförmiger Spalte (5) versehen sind, bei der durch die miteinander verbundenen Kontrollkanäle (3) oder rohrförmigen Öffnungen und Spalte (5) ein geschlossener oder ein mit einer am Ende des Systems vorgesehenen definierten Öffnung versehener Druckraum für das mehrere Rohrleitungen enthaltende Rohrleitungssystem gebildet ist, bei der die Kontrollkanäle (3) oder rohrförmigen Öffnungen und Spalte mit einem unter einem statischen Druck stehenden Prüfmedium (7) befüllt sind, bei der im Verlauf der Trasse der Rohrleitungen dem geschlossenen Druckraum Meßstellen (10) zum Messen des Druckes zugeordnet sind und bei der eine Leckage (11) durch einen Abfall des Druckes zwischen zwei Meßstellen festgestellt wird, wobei undichte Stellen in Abhängigkeit von den Druckverhältnissen der Meßstellen geortet werden."

IV. Zur Stützung ihres Antrags trug die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:

Die Druckschrift D1 betreffe keine biegesteife Abwasserleitung, sondern eine flexible Ölförderleitung. Bei einer Verbindung der Leitungsstücke müßten eventuell vorhandene Meßleitungen seitlich herausgeführt werden. Bei einem Bruch der Gesamtleitung werde lediglich festgestellt, daß die Kontrollkanäle gebrochen seien.

Bei Abwasserleitungen mache es keinen Sinn, nur die Undichtigkeit als solche festzustellen. Die Erfindung mache es möglich, punktuell zu orten, was bei der Druckschrift D1 gar nicht gefragt sei.

Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 11 seien somit neu und erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeschrift ("ergänzte Fassung") wurde rechtzeitig eingereicht und die Beschwerdegebühr rechtzeitug entrichtet. Die Beschwerdeschrift enthält Anträge und einen neuen Patentanspruch 1. Sie enthält auch eine kurze Begründung, wonach der Gegenstand des neu eingereichten Anspruchs sowohl die Erfordernisse des Artikels 54 (1) (Neuheit) als auch des Artikels 56 (erfinderische Tätigkeit) erfülle, d. h. die Zurückweisungsgründe aufgrund der Änderungen nicht mehr vorliegen. Die Beschwerde entspricht somit den in Regel 65 (1) EPÜ genannten Bestimmungen und ist deshalb zulässig. Da somit kein Fristversäumnis vorlag, wurde die Wiedereinsetzungsgebühr ohne Rechtsgrund entrichtet und ist damit zurückzuzahlen.

2. Die geänderten Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 ("biegesteife" Rohrleitungen, Austreten an den "Stirnseiten", "Verlauf der Trasse" und Ortung "in Abhängigkeit von den Druckverhältnissen") ergeben sich aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen (vgl. z. B. Seite 2, Zeile 8, Seite 13, Zeilen 1 bis 5 mit der Figur 3, Seite 5, Zeilen 8 bis 18 und Seite 5, Zeilen 8 bis 18). Gegen die Zulässigkeit im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ der in den Anmeldungsunterlagen erfolgten Änderungen bestehen seitens der Kammer somit keine Bedenken.

Neuheit

3.1. Die Druckschrift D1 offenbart ein Verfahren zur Überwachung der Dichtheit einer schlauchartigen Ölförderleitung. In der Wandung dieser Leitung befindet sich eine unter konstantem Druck stehende Pilotleitung (vgl. Seite 2, Zeile 50 et seq.). Im Falle eines Bruchs der Pilotleitung entsteht ein Druckunterschied zwischen dieser und einem Referenzdruck, woraufhin das Ölfördersteuerventil auf gesperrt gestellt wird. Die Pilotleitung kann je nach der zu erwartenden Bruchrichtung entlang der Förderleitungsachse verlaufen oder um diese Achse herumgewickelt werden (vgl. Figuren 3 und 4). Bei einer Verbindung von Teilstrecken der Förderleitung werden die Pilotleitungen aus der Förderleitung ausgeführt und mit seitlich am Flansch der Förderleitung montierten eigenen Verbindungsstücken aneinander angeschlossen (vgl. Figur 7). Pilotleitungen können auch für individuelle Teilstrecken der Ölförderleitung eingesetzt werden (vgl. Seite 3, Zeile 54 et seq.). Dies ermöglicht das Abstellen einer brüchigen Teilstrecke, während Öl weiterhin durch noch intakte Teilstrecken der Leitungen gefördert wird.

Somit unterscheidet sich das Verfahren zur Überwachung der Dichtheit von biegesteifen Rohrleitungen in Abwasserleitungssystemen gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 vom aus der Druckschrift D1 bekannten Verfahren dadurch, daß die Kontrollkanäle an den Enden der Rohrleitungen an ihren Stirnseiten austreten, daß die Enden der Rohrleitung mit Dichtungen für die Abdichtung der Kontrollkanäle oder rohrförmigen Öffnungen und im Übergangsbereich zweier benachbarter Rohrleitungen gebildeter ringförmiger Spalte versehen sind, daß im Verlauf der Trasse der Rohrleitungen dem Druckraum Meßstellen zum Messen des Druckes zugeordnet werden, daß eine Leckage durch einen Abfall des Druckes zwischen zwei Meßstellen festgestellt wird und daß undichte Stellen in Abhängigkeit von den Druckverhältnissen der Meßstellen geortet werden.

3.2. Die Druckschrift D2 offenbart eine aus einer Vielzahl von einzelnen Rohrlängen bestehende Rohrleitung, vorzugsweise für den Transport korrosiver Medien, und beschäftigt sich mit dem Problem, Medien über eine längere Strecke zu transportieren, ohne daß nennenswerte Wärmeverluste eintreten. Eine Überwachung auf Leckagen ist auch möglich. Eine Rohrlänge besteht aus einem längsnahtgeschweißten Metallrohr mit einer Wanddicke zwischen 0,3 und 1,5 mm mit einer Rillung in der Rohrwandung. Weiterhin besteht eine Rohrlänge aus einem Innenrohr sowie aus einem konzentrisch und im Abstand zum Innenrohr angeordneten Außenrohr, so daß zwischen diesen ein Ringspalt gebildet wird, in dem zur Leckageüberwachung ein vom Druck im Innenrohr oder der Umgebung abweichender Druck überwacht wird. Ist beispielsweise der Druck im Ringspalt geringer als der Förderdruck im Innern des Innenrohres, tritt im Falle eines Fehlers im Innenrohr das Medium in den Ringspalt ein, was mittels eines Schauglases am Ende der Rohrleitung als Leck festgestellt werden kann.

Somit unterscheidet sich das Verfahren zur Überwachung der Dichtheit von biegesteifen Rohrleitungen in Abwasserleitungssystemen gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 von der Lehre der Druckschrift D2 dadurch, daß in der Wandung der Rohrleitungen ein oder mehrere Kontrollkanäle oder rohrförmige Öffnungen angeordnet werden. Die beanspruchte Konstruktion der Wandung läßt sich nicht auf einen Ringspalt in einer Doppelrohrkonstruktion lesen. Auch die beanspruchte, auf Druckbasis durchgeführte Leckfestellung unterscheidet sich deutlich von der aus der Druckschrift D2 bekannten optischen Festellung.

3.3. Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber jeder der Druckschriften D1 oder D2 neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ. Entsprechendes gilt für den korrespondierenden Vorrichtungsanspruch 11.

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

4.1. Angesichts der vorliegenden Formulierung der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 bezweifelt die Kammer, daß die Druckschrift D1 als nächstkommender Stand der Technik zu betrachten ist, da sich die Lehre dieser Druckschrift nicht mit der Kanalisationstechnik beschäftigt, sondern einen dem Wetter und dem Wellengang des Meeres ausgesetzten Ölschlauch beschreibt. Die Umgebungsbedingungen sind aus diesem Grund anders, da es zum Beispiel kein Erdreich gibt, das aufgegraben werden muß, um im Fall einer Leckage den Zugang zu der Abwasserleitung zu ermöglichen. Wird trotzdem von der Druckschrift D1 ausgegangen, so ist zunächst festzustellen, daß auf der Strecke von der Ölquelle zum abnehmenden Schiff innerhalb eines einzigen Pilotsystems allein das Vorhandensein eines Bruchs ermittelt werden kann. Die neuen Merkmale der vorliegenden Ansprüche 1 und 11 ermöglichen aber auch eine Ortung der Leckstelle innerhalb des Verlaufs der Trassen. Die durch die Anspruchsgegenstände gelöste objektive Aufgabe kann somit darin gesehen werden, ein verbessertes und auf Kanalisationssysteme zugeschnittenes Überwachungsverfahren bereitzustellen.

4.2. Die Kammer sieht in der Offenbarung der Druckschrift D1 keinen Anhaltspunkt für die Ortung einer Leckage, da im Leckagenfall lediglich eine Sperrung der betroffenen Leitung und ggf. die Verwendung einer anderen Leitung vorgesehen ist. In dieser Hinsicht kann die Bestimmung einer brüchigen Leitung aus mehreren mit separaten Pilotleitungen versehenen Leitungsabschniten nicht als Ortung angesehen werden, da zwar der defekte Leitungsabschnitt, jedoch nicht die Leckstelle innerhalb dieses Abschnitts ermittelt wird. Eine Ortung gewinnt an Bedeutung erst in Kenntnis der Problematik, die mit der Aufgrabung von Erdreich entsteht. Diese Problematik ist aus der Offenbarung der Druckschrift D1 nicht bekannt. Selbst wenn eine Kenntnis dieser Problematik trotzdem als gegeben anzusehen wäre oder der Fachmann eine Bruchstelle aus welchem Grund auch immer orten möchte, kann die Druckschrift D1 keine diesbezügliche Lehre bieten. Die angesprochene Ortung kann auch der weiter entfernt liegenden Druckschrift D2 nicht entnommen werden. Es war deshalb nicht naheliegend für den Fachmann, im Lichte der Lehre der Druckschrift D1 bzw. D2 oder auch ihrer Kombination, wobei zu einer solchen Kombination kein Anlaß besteht, zum Verfahren gemäß Anspruch 1 oder zur Vorrichtung gemäß Anspruch 11 zu gelangen.

4.3. Im verfügbaren Stand der Technik läßt sich keine andere Druckschrift finden, die dem Anmeldegenstand näher kommt als die Druckschrift D1.

5. Da sich die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 11. für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem nachgewiesenen Stand der Technik ergeben, gilt die Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend und genügt somit dem Artikel 56 EPÜ.

Das gleiche gilt aufgrund ihres Rückbezugs für die abhängigen Ansprüche.

6. Die Kammer hat sich auch überzeugt, daß die Unterlagen gemäß dem Antrag der Beschwerdeführerin den Erfordernissen des EPÜ genügen. Unter diesen Umständen erachtet die Kammer es als angebracht, positiv im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung tätig zu werden. Aus diesem Grund ist weder eine Zurückweisung an die Prüfungsabteilung noch eine mündliche Verhandlung erforderlich.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung: Seiten 1, 1a, 2, 3, eingereicht mit Schreiben vom 3. April 2002, Seiten 4 bis 17, wie veröffentlicht;

Ansprüche: 1. bis 19, eingereicht mit Schreiben vom 3. April 2002;

Zeichnungen: Blatt 1/3 bis 3/3, wie veröffentlicht.

3. Die Zurückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr wird angeordnet.

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