T 0738/99 () of 30.3.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T073899.20000330
Datum der Entscheidung: 30 März 2000
Aktenzeichen: T 0738/99
Anmeldenummer: 95924242.1
IPC-Klasse: G01H 13/00
G01H 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Bestimmen des Schwingungsverhaltens eines Körpers
Name des Anmelders: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (nach Änderung)
Erfinderische Tätigkeit - ja (nach Änderung)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 95 924 242.1 (internationale Veröffentlichungsnummer WO-A-96/04532) wurde von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

II. Im Prüfungsverfahren wurden die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen:

D1 Technisches Messen TM 1982 - 1988, Bd. 60, Nr. 6, Juni 1993, Seiten 228-234, Weck M et al., "Schwingungsformanalyse mit holografischer Interferometrie und Modalanalyse"

D2 IEEE Transactions on Ultrasonics, Ferroelectrics and Frequency Control, Bd. 40, Nr. 3, 1. Mai 1993, Seiten 265-269, Bayon A et al., "Measurement of the Longitudinal and Transverse Vibration Frequencies of a Rod by Speckle Interferometry"

In der angefochtenen Entscheidung argumentierte die Prüfungsabteilung, daß die Gegenstände der Hauptansprüche der ihr vorliegenden Anspruchssätze gegenüber der Druckschrift D2 nicht neu seien. Die Druckschrift D2 beschreibe in Zeilen 8 bis 27 der linken Spalte der Seite 265 ein Verfahren zum Bestimmen des Schwingungsverhaltens eines Körpers. In den Zeilen 13-17 der linken Spalte sowie der Figur 5 sei eine Analyse des an vorgegebenen Stellen vorliegenden Schwingungsverhaltens zu entnehmen. Aus den Zeilen 1-8 der rechten Spalte der Seite 267 sowie der Figur 6 gehe die Erkennung der ersten, zweiten und dritten Moden explizit hervor. Da bereits die Annahme eines Körpers, der eine Eigenfrequenz mit entsprechenden harmonischen Moden habe, ein mathematisch/physikalisches Modell darstelle, sei eine Modalanalyse entsprechend diesem Modell aus der Druckschrift D2 bekannt.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin (=Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt. Der Beschwerde lagen unveränderte Anspruchssätze gemäß einem Haupt- und zwei Hilfsanträgen zugrunde. Eine mündliche Verhandlung wurde hilfsweise beantragt. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens reichte die Beschwerdeführerin geänderte Unterlagen ein und beantragte als Hauptantrag, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Basis dieser Unterlagen zu erteilen. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs des Hauptantrags lautet wie folgt:

"1. Verfahren zum Bestimmen des Schwingungsverhaltens eines Körpers mittels Modalanalyse, wobei der Körper zu Schwingungen mit einer Anzahl verschiedener Frequenzen (w) einer Anregungskraft innerhalb eines definierten Frequenzbandes angeregt wird und mindestens zwei optische Interferenzbilder von voneinander verschiedenen Schwingungszuständen des Körpers aufgenommen werden, wobei eine stroboskopische Beleuchtung des Körpers synchron mit der Anregungsfrequenz erfolgt, und wobei unter Zugrundelegen eines mathematisch/physikalischen Modells, das die Bewegungsgleichungen eines unter der Einwirkung einer äußeren Anregung stehenden, linearen, zeitinvarianten elastomechanischen Systems mit mehreren Freiheitsgraden beinhaltet, die Interferenzbilder hinsichtlich des an vorgegebenen Stellen vorliegenden Schwingungsverhaltens analysiert werden und die aus der Analyse der Real- und Imaginäranteile der Verformung dieser Stellen gewonnene Information hinsichtlich des durch ihre Amplitude und Phase bezogen auf die Anregungskraft bestimmten Auslenkverhaltens ohne Applikation von Meßwertaufnehmern der Modalanalyse unterworfen wird."

{Die Kammer hat (w) in (w) korrigiert sowie "und wobei" vor "unter Zugrundelegen" eingefügt.}

IV. Zur Stützung ihres Hauptantrags trug die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu, da der Druckschrift D2 weder eine Modalanalyse noch die Verwendung eines mathematisch/physikalischen Modells zu entnehmen seien. Gemäß der Druckschrift D2 sei für einen zylindrischen Stab die Bestimmung der Eigenschwingungen in Längs- und Querrichtung zu entnehmen. Mit der Druckschrift D2 bestehe lediglich insoweit eine Übereinstimmung mit dem Anspruchsgegenstand, als auch im Rahmen der Modalanalyse die Eigenfrequenzen zu ermitteln seien.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den in Regel 65 (1) EPÜ genannten Bestimmungen und ist somit zulässig.

2. Die Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 ergeben sich aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen (vgl. den Anspruch 1, Zeile 7 der Seite 2, Zeilen 5-8 der Seite 4, Zeilen 25-28 und 31-32 der Seite 5, Zeilen 1, 14-16 und 21-23 der Seite 6). Gegen die Zulässigkeit im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ der in den Anmeldungsunterlagen erfolgten Änderungen bestehen seitens der Kammer somit keine Bedenken.

3. Neuheit

3.1. Die Druckschrift D1 offenbart die Verwendung einer Modalanalyse zusammen mit der holographischen Interferometrie. Mit drei Piezo-Schwingungsaufnehmern werden die Beschleunigungen in aufeinander senkrechten Raumrichtungen gemessen. Drei Interferogramme mit unterschiedlichen Beleuchtungsrichtungen werden auch aufgenommen, um das räumliche Schwingungsverhalten mit einer hohen flächenhaften Auflösung zu bestimmen. Die Modalanalyse wird im Abschnitt 2 und die holographische Interferometrie in den Abschnitten 4-5 der Druckschrift D1 näher erläutert. Die Lehre der Druckschrift D1 mündet in die Schlußfolgerung, daß "ein vollständiger Ersatz der Modalanalyse durch holographische Interferometrie nicht möglich ist (vgl. den Abschnitt 5)."

Somit unterscheidet sich das Verfahren des vorliegenden Anspruchs 1 vom aus der Druckschrift D1 bekannten Verfahren unter anderem dadurch, daß aus der Analyse von Interferenzbildern gewonnene Information hinsichtlich des Auslenkverhaltens vorgegebener Stellen ohne Applikation von Meßwertaufnehmern der Modalanalyse unterworfen wird.

3.2. In der Einleitung der Druckschrift D2 wird zwar erwähnt, daß es bekannt ist, Wandler einzusetzen, um Schwingungen eines Körpers mit verschiedenen Frequenzen anzuregen und zu messen (vgl. die ersten zwei Absätze auf Seite 265). Gemäß der Druckschrift D2 wird jedoch von diesem Verfahren abgesehen und ein optisches Verfahren zur Bestimmung der Eigenschwingungen eines Stabs in Längs- und Querrichtung vorgeschlagen. Die Schwingungen des Stabs entstehen infolge eines kurzen Stoßes (siehe die Zeile 20 in "Introduction"). Die Speckle-Interferometrie wird verwendet, um Bewegungen einer Fläche des Stabs zu erfassen (vgl. zum Beispiel den letzten Absatz der linken Spalte der Seite 265 sowie die Zeilen 3-10 der linken Spalte der Seite 266). Das optische Interferenzsignal wird zu einem Detektor geführt. Auf der Basis der Intensität dieses Signals wird anschließend ein elektrisches Dauersignal proportional zu den Bewegungen erzeugt. Dieses Signal wird digitalisiert und auf FFT-Basis analysiert, um die Eigenschwingungen zu bestimmen (vgl. Seite 266).

Somit unterscheidet sich der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 von der Lehre der Druckschrift D2 unter anderem durch die beanspruchte Anregung der Schwingungen, das Modell, das die Bewegungsgleichungen eines unter der Einwirkung einer äußeren Anregung stehenden, linearen, zeitinvarianten elastomechanischen Systems mit mehreren Freiheitsgraden beinhaltet, und die Information hinsichtlich des Auslenkverhaltens vorgegebener Stellen, die der Modalanalyse unterworfen wird.

3.4. Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften kommen dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht näher.

3.5. Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber jeder der im Verfahren befindlichen Druckschriften neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

4.1. Die Kammer sieht die Druckschrift D1 als nächstliegenden Stand der Technik an, da sie sich mit der Modalanalyse sowie der holographischen Interferometrie beschäftigt.

Die gegenüber der Druckschrift D1 neuen Merkmale ermöglichen eine Modalanalyse ohne Applikation von Meßwertaufnehmern. Die durch den Anspruchsgegenstand gelöste objektive technische Aufgabe kann somit darin gesehen werden, eine durch Meßwertaufnehmer und die dazu gehörenden Übertragungselemente verursachte Veränderung des Schwingungsverhaltens zu verhindern.

Gemäß der Lehre der Druckschrift D1 erfordert die Modalanalyse, daß Schwingungsaufnehmer an geeigneten Punkten eines Körpers angebracht werden (siehe den ersten Absatz der rechten Spalte der Seite 228). Im nächsten Absatz wird ausgeführt, daß sich auch die holografische Interferometrie zur Untersuchung komplexer Meßobjekte eignet. Die erreichbare flächenhafte Auflösung wird bei holografischer Interferometrie als höher bezeichnet (siehe die Zeilen 15-17 der rechten Spalte der Seite 232). Grenzen der dreidimensionalen Holografie werden jedoch aufgezeigt, insbesondere, daß bei der Auswertung der mit dreidimensionaler Holografie produzierten Hologramme auch aus der Modalanalyse resultierende Information benötigt wird, um eine exakte Schwingungsform ermitteln zu können, (siehe die Zeilen 10-14 der rechten Spalte der Seite 233). Das gemäß der Druckschrift D1 vorgeschlagene holografische System war somit in Kombination mit der Modalanalyse einzusetzen (siehe die Zeilen 41-43 der rechten Spalte der Seite 233 oder den letzten Absatz). Ein vollständiger Ersatz der Modalanalyse durch die holografische Interferometrie wird im letzten Absatz der Druckschrift D1 sodann förmlich ausgeschlossen. Eine durch Meßwertaufnehmer und die dazu gehörenden Übertragungselemente verursachte Veränderung des Schwingungsverhaltens wird dementsprechend nicht verhindert. Ein Verfahren gemäß dem Anspruch 1 ergibt sich somit nicht in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschrift D1.

4.2. Wird andererseits von der Druckschrift D2 ausgegangen, so ermöglichen erst die unterschiedlichen Merkmale des Anspruchs 1 eine Modalanalyse durchzuführen. Die Lehre der Druckschrift D2 erschöpft sich nämlich in der Ermittlung der Eigenfrequenzen eines Stabs infolge eines kurzen Stoßes und enthält keine Hinweise, die zu diesen unterschiedlichen Merkmalen führen könnten. Es sind freie Schwingungen des Stabs, die mittels FFT analysiert werden (siehe den vorletzten Absatz der linken Spalte der Seite 265). Die Eigenfrequenzen ergeben sich aus der FFT-Analyse der freien Schwingungen. Das in der Einleitung der Druckschrift D2 erwähnte bekannte Verfahren gibt dem Fachmann keinen Grund, das vorgeschlagene optische Verfahren zu modifizieren. Das beanspruchte Modell kann somit nicht aus der Annahme hergeleitet werden, daß der Stab harmonische Moden besitzt. Folglich kann aus der Druckschrift D2 auch nicht hergeleitet werden, daß die im Anspruch 1 beanspruchte Information bezüglich des Auslenkverhaltens vorgegebener Stellen der Modalanalyse unterworfen wird. Ein Verfahren gemäß dem Anspruch 1 ergibt sich somit nicht in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschrift D2.

4.3. Ein Anlaß, die Lehren der Druckschriften D1 und D2 zu kombinieren, besteht nicht. Sollte jedoch diese Kombination durchgeführt werden, so könnte auch sie nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen, da die Druckschrift D2 ohne eine Offenbarung der Merkmale, die notwendig wären, um zu einer Modalanalyse ohne Applikation von Meßwertaufnehmern zu gelangen, nicht in naheliegender Weise und entgegen der ausdrücklich abweichenden Meinung der Druckschrift D1 zu einem Verzicht auf Meßwertaufnehmer führen kann.

4.4. Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften liefern auch keinen Hinweis, daß unter Zugrundelegen eines mathematisch/physikalischen Modells aus Interferenzbildern gewonnene Information hinsichtlich des Auslenkverhaltens vorgegebener Stellen ohne Applikation von Meßwertaufnehmern der Modalanalyse unterworfen wird. Die Lehren dieser Druckschriften füllen somit auch nicht die diesbezügliche Lücke in den Lehren der Druckschriften D1 und D2 und führen folglich nicht in naheliegender Weise zum Anmeldegegenstand.

5. Da sich der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann nicht in naheliegender Weise ergibt, gilt die Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend und genügt somit dem Artikel 56 EPÜ. Das Gleiche gilt aufgrund ihres Rückbezugs auf Anspruch 1 für die abhängigen Ansprüche 2-6.

6. Die Kammer ist zu der Ansicht gelangt, daß die Unterlagen gemäß dem Hauptantrag den Erfordernissen des EPÜ genügen. Aus diesem Grund erübrigen sich eine Abhandlung der Hilfsanträge sowie eine mündliche Verhandlung. Unter diesen Umständen erachtet es die Kammer für angebracht, im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung gemäß dem Artikel 111 (1) EPÜ tätig zu werden und ein Patent zu erteilen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten: 1,1a eingereicht mit Schreiben vom 22.11.1999 {Die Kammer hat die Seite 2 in 1a umnumeriert.}

Seite: 3 eingereicht mit Schreiben vom 22.03.2000

Seiten: 1b, 4-6 wie veröffentlicht {Die Kammer hat die Zeilen 33-35 der veröffentlichten Seite 1 in 1b umnumeriert.}

Ansprüche:

Ansprüche 1-6, eingereicht mit Schreiben vom 23.03.2000 {Im Anspruch 1 hat die Kammer (w) in (w) korrigiert sowie "und wobei" vor "unter Zugrundelegen" eingefügt.}

Zeichnungen:

Blatt: 1/1 wie veröffentlicht.

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