T 0667/99 () of 21.11.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T066799.20021121
Datum der Entscheidung: 21 November 2002
Aktenzeichen: T 0667/99
Anmeldenummer: 92111859.2
IPC-Klasse: D03D 49/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Webmaschine sowie Verfahren zum Betreiben einer Webmaschine
Name des Anmelders: Berger Lahr GmbH
Name des Einsprechenden: Lindauer Dornier Gesellschaft mbH
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Zulassung neuer Einspruchsgründe - nein
Zulassung verspätet eingereichter Beweismittel - nein
Zulassung verspätet benannter Zeugen - nein
Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 11. Juli 1992 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 17. Juli 1991 eingereichte Patentanmeldung Nr. 92 111 859.2 wurde das europäische Patent Nr. 523 581 erteilt. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung erfolgte am 3. Januar 1996.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 4 lauten wie folgt:

"1. Verfahren zum Betreiben einer Webmaschine, wobei in der Startphase nach dem Abschluß von Startvorbereitungen mit Kontrolle und Einstellung der Fadenspannung, der Warenkante und dergleichen, der Hauptantrieb für die Webeinrichtung eingeschaltet wird, dadurch gekennzeichnet, daß

zumindest für die Startphase der Hauptantrieb und der Kettbaumantrieb auf phasenstarren Betrieb umgeschaltet wird und daß dann beim Einschalten und Starten des Hauptantriebes, der Kettbaumantrieb phasenstarr über eine elektrische Verbindung unter Berücksichtigung eines einstellbaren Übersetzungsverhältnisses in Bewegung gesetzt wird.

4. Webmaschine (1) mit einem Kettbaum (6) für Kettfäden (7) sowie einem Warenbaum (18) zur Aufnahme der fertigen Ware und einer zwischen Kettbaum(6) und Warenbaum (18) befindlichen Webeinrichtung, wobei für die Webeinrichtung, den Warenabzug sowie den Kettbaum motorische Antriebe vorgesehen sind und wobei der Antrieb (11) für den Kettbaum mit einer Kettablaßsteuerung (19) verbunden ist, an die ein Kettfaden-Zugspannungssensor (10) angeschlossen ist, wobei der Hauptantrieb (5) für die Webeinrichtung (2) und der Kettbaum-Antrieb (11) gemeinsam an eine Steuerung (19) angeschlossen sind, dadurch gekennzeichnet, daß

diese Steuerung zumindest in der Startphase auf einen phasenstarren, synchronen Betrieb von Hauptantrieb (5) und Kettbaum-Antrieb (11) umschaltbar ist."

II. Am 19. September 1996 legte die Beschwerdeführerin gegen das erteilte Patent Einspruch ein und beantragte, gestützt auf die Gründe des Artikels 100 a) und b) EPÜ, den Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit und mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 54 bzw. 83 EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung betrachtete den Einspruch als zulässig und wies ihn mit ihrer am 2. Juni 1999 zur Post gegeben Entscheidung zurück.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß das europäische Patent unter Berücksichtigung des Standes der Technik einschließlich der behaupteten Vorbenutzung von Webmaschinen nach:

D1: Übersichtsstückliste mit Stromlauf/Klemmenplan der Webmaschinensteuerung L-AT, Zeichnungsnummer 74.016-03E0019, Blatt 1 bis 4

D2: Übersichtsstückliste mit Stromlauf/Klemmenplan der Webmaschinensteuerung G-AT, Zeichnungsnummer 74.016-03E0152, Blatt 1 bis 4

D3: BZ-Liste 70120-70121 vom 6.2.90

D4: BZ-Liste 30420-30429 vom 24.10.90

D5: Melliand Textilberichte 11/1990, S 859-860: Weiterentwickelte Steuerelektronik für Webmaschinen

D6: Textile World April 1990, S 84-87: Dornier: AT-Electronic Controls

D7: Textilpraxis International 12/90, S 1305: Dornier-Luft-Frottierwebmaschinen

D8: Textilpraxis International 9/91, S 986-988: Lindauer Dornier GmbH, Webmaschinen-Systemfamilie

den Erfordernissen des EPÜ genüge, wobei die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichten

D9: Rechnung für Auftrag Nr. 210 068/210 069 vom 19.12.89.

D10: Prospekt: DORNIER-Luftwebmaschine DWL

wegen mangelnder Relevanz nicht berücksichtigt wurden.

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 29. Juni 1999 beschwert und am 5. Juli 1999 die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit einem am 1. Oktober 1999 eingereichten Schriftsatz hat sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents begründet. Zum Beweis des Verkaufs und der Wirkungsweise der Webmaschine, hinsichtlich der sie eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht hat, hat sie zwei Zeugen angeboten und mit Schreiben vom 18. September 2002 einen weiteren Zeugen zur Funktion der Motorsteuerung dieser Maschinen benannt. Hilfsweise hat sie beantragt, die beiden zuletzt benannten Zeugen als technische Sachverständige zu hören.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrem Bescheid vom 5. Juli 2002 mitgeteilt, daß sie die Ausführbarkeit der Erfindung sowie die Vorbenutzung der von der Beschwerdeführerin genannten Webmaschine als solche nicht bezweifle. Die verspätet eingereichten Dokumente müßten auf ihre Relevanz geprüft werden, um ihre Zulassung zum Verfahren festzustellen.

Die Neuheit der beanspruchten Erfindung scheine durch den eingeführten Stand der Technik einschließlich der behaupteten Vorbenutzung nicht in Frage zu stehen. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit müsse noch geklärt werden, ob der fasenstarre Betrieb vor oder während des Hochlaufs der vorbenutzten Maschine erfolge. Für die Einvernahme der angebotenen Zeugen sehe sie derzeit noch keinen Grund.

VI. Am 21. November 2002 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin eine weitere Entgegenhaltung einreichte:

D11: WLO-Vortragsmanuskript vom 23. Juni 1991, H. Müller

Die Beschwerdeführerin beantragte neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und dem Widerruf des europäischen Patents Nr. 523 581

- die Zulassung der Zeugen Müller und Deneke zum Beweis der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung gemäß D2 und zusätzlich des Zeugen Müller zum Beweis der behaupteten Funktionsweise der Steuerung der ausgelieferten Maschinen im fasenstarren Betrieb (D2, Fa. Lückenhaus).

- Zulassung des Einspruchsgrundes der unzulässigen Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ); und

- Zulassung von D10 und D11, hilfsweise wegen Relevanz im Hinblick auf Anspruch 1 und 4 bzw. Anspruch 1 oder 4.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, zumindest die vorbehaltslose Lieferung von zehn Webmaschinen vor dem Prioritätstag an die Fa. Lückenhaus stelle eine offenkundige Vorbenutzung dar. Außerdem hätten ebenfalls vor dem Prioritätstag Schulungen des Personals sowie eine Informationsveranstaltung vor den Außendienstmitarbeitern der Fa. Lückenhaus durch Herrn Müller, einen Mitarbeiter der Einsprechenden, stattgefunden, was die Offenkundigkeit der Benutzung unterstreiche. Herr Müller habe an der Entwicklung der Maschinensteuerung selbst mitgewirkt und könne Einzelheiten des Steuerprogramms darlegen.

Aus den mit der Lieferung der Maschinen übergebenen Betriebsanleitungen, insbesondere D2, sei erkennbar, daß der Kettablaßmotor über einen Bus mit dem Hauptantriebsmotor verbunden sei. Ein fachkundiger Leser wie etwa Herr Deneke, Elektromeister bei der Fa. Lückenhaus, entnehme hieraus, daß beide Motoren fasenstarr koppelbar seien. Im Betrieb sei auch deutlich zu erkennen gewesen, daß bei ausgeschaltetem Antrieb sich die Hauptantriebswelle mit dem Kettbaumantrieb gleichzeitig drehte und umgekehrt, wenn man eine der Wellen von Hand bewegte. Herr Müller könne außerdem bestätigen, daß beim Anlauf der gelieferten Maschine der Kettfadenspannungssensor ausgeschaltet gewesen sei, so daß die Kopplung von Kettablaß und Hauptantrieb nur in Form einer "elektronische Welle" bestehen könne. Artikel 55. c) EPÜ verlange nur die Angabe von Beweismitteln und erlaube jedenfalls die nachträgliche Benennung von Zeugen.

Die erteilten Ansprüche 1 und 4 seien unzulässig erweitert worden, so daß das Patent aus dem Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ widerrufen werden müsse. Es sei nämlich nicht ursprünglich offenbart, daß der Hauptantrieb und der Kettbaumantrieb "zumindest" für die (bzw. in der) Startphase fasenstarr gekoppelt seien. Darauf habe sie bereits im Einspruchsschriftsatz hingewiesen.

Die Zulassung des Prospekts D10 zum Verfahren sei wegen seiner Relevanz gerechtfertigt, da auf Seite 11 oben ausdrücklich auf die synchronen Bewegungen auch beim Beschleunigen hingewiesen werde und unter Beschleunigung auch der Hochlauf aus dem Stillstand zu verstehen sei. Das Manuskript D11 sei ebenfalls hochrelevant, denn dort sei insbesondere aus Seite 3, Abschnitt 2.3 in Verbindung mit Seite 6, Abschnitt 2.6 entnehmbar, daß bei der vorbenutzten Maschine eine synchrone, d. h. fasenstarre Verbindung zwischen Kettablaß und Hauptantrieb bei wählbarem Übersetzungsverhältnis möglich gewesen sei.

VIII. Die Beschwerdegegnerin führte aus, keiner der Entgegenhaltungen sei eine fasenstarre Verbindung zwischen Kettablaß und Hauptantrieb nach Abschluß der Startvorbereitungen und vor dem Anlaufen der Maschine entnehmbar, denn "synchron" bedeute eben nicht unbedingt "fasenstarr".

Die Benennung der Zeugen sei als verspätet zurückzuweisen und das erst in der mündlichen Verhandlung eingereichte Vortragsmanuskript D11 sei nicht relevant und deshalb ebenfalls nicht zu berücksichtigen.

Selbst unter der Annahme der Offenkundigkeit der Vorbenutzung der gelieferten Webmaschinen könne D2 weder die Neuheit der beanspruchten Erfindung in Frage stellen noch in Kombination mit D6 die erfinderische Tätigkeit, weil dort nur relativ aufwendige Regelungen offenbart seien. Die Umschaltung auf fasenstarren Betrieb von Kettbaumantrieb und Hauptantrieb könne nur unter ex-post-facto-Betrachtung in Kenntnis der Erfindung herausgelesen werden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit des Einspruchs

Die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs wurde im Beschwerdeverfahren seitens der Beschwerdegegnerin nicht mehr aufgegriffen. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der Einspruch die Anforderungen der Artikel 99 und 100 sowie der Regel 55 EPÜ erfüllt, so daß die diesbezügliche Entscheidung der Einspruchsabteilung zurecht ergangen ist.

3. Zulassung eines neuen Einspruchsgrundes (Artikel 100 c) EPÜ)

3.1. Der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ ist im Einspruchsschriftsatz weder explizit noch implizit erwähnt. Hinsichtlich Anspruch 4 ist kritisiert worden (S. 3, drittletzter Absatz bis S. 4, zweiter Absatz), daß er einen Verfahrensschritt enthalte, jedoch ein Vorrichtungsanspruch sei, also nicht ausgeführt werden könne (Artikel 100 b) EPÜ).

Die Kammer ist jedoch der Meinung, daß es zum allgemeinen Fachwissen des Durchschnittsfachmannes gehört, im vorliegenden Fall eines Elektro-Diplomingenieurs, wie zwei Elektromotoren auf fasenstarren Betrieb umschaltbar sind, so daß es sich erübrigt, die hierzu verwendeten Mittel näher anzugeben.

3.2. Weiterhin trug die Einsprechende vor (S. 7, drittletzter Absatz), der Gegenstand des angegriffenen Patents sei teilweise der Beschreibung entnommen und deshalb nicht ausreichend offenbart. Jedoch hat sie nicht angegeben, um welchen Teil des Patentgegenstandes es dabei gehen soll.

Eine solche nicht belegte bloße Vermutung kann nicht unter die Angabe von Einspruchsgründen gemäß Artikel 100 a) bis c) EPÜ subsumiert werden. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist es einer Kammer verwehrt, in der Beschwerde Einspruchsgründe zuzulassen, die im Einspruch nicht genannt waren. Da der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ im Einspruch nicht angegeben war und auch die Einspruchsabteilung keinen Anlaß gesehen hat, sich mit diesem Grund zu befassen, muß die Zulassung des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 c) EPÜ abgelehnt werden.

3.3. Nachdem auch vorgebracht worden ist, daß die Begriffe "für die Startphase" in Anspruch 1 und "in der Startphase" in Anspruch 4 verschiedene Bedeutungen haben könnten, stellt die Kammer, auch in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin, klar, daß nach dem Verständnis der gesamten ursprünglich eingereichten Unterlagen und des erteilten Patents die Begriffe "für die Startphase" in Anspruch 1 und "in der Startphase" in Anspruch 4 gleichermaßen so zu verstehen sind, daß ein Umschalten auf fasenstarren Betrieb von Kettbaum-Antrieb und Hauptantrieb erfolgt, bevor sich die Maschine aus dem Stillstand in Bewegung setzt.

4. Verspätet eingereichte Beweismittel

4.1. Innerhalb der Einspruchsfrist wurden die Dokumente D1 bis D4 eingereicht, während die D5 bis D10 danach eingegangen sind und D11 erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgelegt wurde.

Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist bei der Zulassung verspätet eingereichter Beweismittel ein strenger Maßstab anzulegen. Ein wesentliches Prüfungskriterium ist, ob sie im Hinblick auf das angegriffene Patent von einer solchen Relevanz sind, daß ihre Einführung in das Verfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Einfluß auf die Entscheidung des Falles hat.

4.2. Die Vorbenutzung durch Lieferung gemäß D1, D2 und D9 wurde von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr weiterverfolgt, so daß das verspätet eingereichte Dokument D9 im weiteren Verfahren schon deshalb keine Rolle mehr spielt.

4.3. Die Relevanz des Prospektes D10 ist nach Ansicht der Kammer von der Einspruchsabteilung zutreffend negativ beurteilt worden. Insbesondere der zitierten Textstelle auf Seite 4 oben, aber auch der Entgegenhaltung insgesamt ist aus fachmännischem Blickwinkel kein Hinweis entnehmbar, der auf eine fasenstarre Umschaltbarkeit von Kettbaumantrieb und Hauptantrieb hindeuten würde. Wenn der Kettablaß "absolut synchron allen Bewegungen der Webmaschine" folgt, so ist das im fachmännischen Verständnis eher ein Hinweis auf eine sehr genaue und schnelle Regelung. Denn wenn eine Bewegung der anderen folgt, kann sie nicht vorher fasengleich eingestellt sein.

4.4. In denselben Kontext passen auch die Informationen aus dem Vortragsmanuskript D11, auf deren Seite 6, Abschnitt 2.6, ausgeführt ist, daß der Kettablaß in kleinen Schritten (alle 11 Grad Webmaschine) immer den Bewegungen der Maschine folgt. Wenn der Kettablaß dem Hauptantrieb aber folgt, kann keine vorher eingeschaltete Fasengleichheit - auch beim Start der Maschine - vorliegen. Der folgende Hinweis auf "absolute Synchronität" bringt in diesem Zusammenhang keine nähere Aufklärung, denn unter dem Abschnitt "2. Genauigkeit" heißt es, daß durch weitestgehende Berechnung bereits eine sehr genaue Geschwindigkeit erreicht wird, die durch Spannungsregelung nur noch geringfügig modifiziert werden muß. Hieraus erkennt der fachkundige Leser, daß die Synchronität von Kettablaß und Hauptantrieb eben nicht absolut ist, was bei Fasengleichheit der Fall wäre, sondern auf einer Regelung beruht. Da somit der Offenbarungsgehalt der D11 im Hinblick auf das erteilte Patent nicht über den der D10 hinausgeht, bleibt diese Entgegenhaltung im weiteren Verfahren ebenfalls unberücksichtigt.

5. Beweisangebot durch Zeugeneinvernahme

5.1. Die Beschwerdeführerin hatte zum Beweis der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung und der Funktion der vorbenutzten Maschine zwei Zeugen angeboten. Nach Auffassung der Kammer ist hier die wesentliche Frage, ob der benannte Zeuge Müller gehört werden muß, da er allein die im Einspruchsschriftsatz behauptete Funktion der angeblich vorbenutzten Webmaschine bezeugen könnte.

5.2. Mit dem Einspruchsschriftsatz ist jedoch kein Beweismittel vorgelegt worden zu der behaupteten Funktion, nach der beim Starten der Webmaschine durch ein im Control-Modul hinterlegtes Steuerprogramm der Hauptantrieb fasenstarr mit dem Kettbaum-Antrieb und dem Warenabzugs-Antrieb über Steuerleitungen (BUS) verbunden sei.

Im Bescheid der Einspruchsabteilung vom 18. August 1997 war darauf hingewiesen worden, daß die behauptete Betriebsweise aus den vorgelegten Dokumenten nicht abgeleitet werden könne. Die beschwerdeführende Einsprechende hat zwar mit der Beschwerde einen Zeugen benannt, jedoch nicht für diese Beweislücke. Erst mit Schreiben vom 18. September 2002, nachdem die Kammer mit Bescheid vom 5. Juli 2002 nochmals die unzureichende Substantiierung der angeblich offenkundigen Vorbenutzung gerügt hatte, wurde hierzu Herr Müller als Zeuge benannt, der aus eigenem Wissen bestätigen sollte, daß über ein im Control-Modul hinterlegtes Steuerprogramm (Software) der Hauptantrieb fasenstarr mit dem Kettbaumantrieb verbunden gewesen sei, also ohne daß dafür irgendwelche weiteren Angaben gemacht wurden.

5.3. In Anbetracht der Tatsache, daß spätestens mit Bescheid der Einspruchsabteilung vom 18. August 1997 die Beschwerdeführerin auf die Beweislücke hingewiesen wurde, ist die am 18. September 2002 erfolgte Zeugenbenennung verspätet.

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind verspätet eingereichte Beweismittel nur dann im Verfahren zuzulassen, wenn sie derart relevant sind, daß sie einen Einfluß auf die zu treffende Entscheidung haben. Je später Beweismittel eingereicht werden, umso deutlicher hat die Relevanz zu sein.

Im vorliegenden Fall wurde der Zeuge (Herr Müller) erst fünf Jahre nach dem Bescheid der Einspruchsabteilung benannt und dabei lediglich behauptet, daß Herr Müller über das nötige Wissen verfüge, um die im Einspruchsschriftsatz geltend gemachte Wirkungsweise der angeblich vorbenutzten Maschine zu bestätigen.

5.4. Nach Auffassung der Kammer ist im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der Relevanz des Beweismittels (Hören eines Zeugen) zu berücksichtigen, daß es sich bei der behaupteten Tatsache (Beim Starten der Webmaschine ist durch ein im Control-Modul hinterlegtes Steuerprogramm der Hauptantrieb fasenstarr mit dem Kettbaumabzug und dem Warenabzugsantrieb über Steuerleitungen verbunden) um eine technisch sehr spezifische Aussage des benannten Zeugen handelt. Da jedoch weder nähere Umstände geltend gemacht noch unterstützendes Beweismaterial dafür geliefert wurden, woher der Zeuge seine Kenntnisse bezog und weshalb er sich ein solches Detail bei einer in den Jahren 1990 und 1991 (vor dem Prioritätstag des angefochtenen Patents vom 17. Juli 1991) stattgefundenen Vorbenutzung - also vor mehr als 11 Jahren - erinnern kann, kann in diesem späten Stadium des Verfahrens allein die bloße Behauptung, daß der Zeuge das Vorhandensein des genannten Merkmals in der vorbenutzten Maschine bezeugen könne, nicht ausreichen, um auf die erforderliche hohe Relevanz dieses Beweismittels schließen zu können.

Im Hinblick darauf ist die Kammer der Auffassung, daß der Zeuge Müller zu spät benannt worden ist und wegen fehlender erforderlicher hoher Relevanz dieses Zeugenangebot nicht zu berücksichtigen ist.

5.5. Da folglich die Funktionsweise der angeblich vorbenutzten Maschine nicht nachgewiesen ist, kommt es auf die Frage der Lieferung nicht an, so daß der Zeuge Deneke, der auch Ausführungen zu den Umständen der behaupteten Vorbenutzung machen sollte, ebenfalls nicht gehört zu werden braucht.

6. Neuheit

6.1. Die Entgegenhaltung D2, welche vier Blatt Schaltpläne einer Webmaschinensteuerung G-AT enthält, zeigt auf Blatt 1 einen Hauptmotor M1 und auf Blatt 3 einen Resolver (Drehgeber) B1, der über eine Steuerung A401 mit einem BUS in Verbindung steht. Blatt 4 ist ein Kettablaßmotor M3 in Verbindung mit einem Resolver (Drehgeber) B43 entnehmbar, welche über eine Steuerung A420 ebenfalls mit einem BUS verbunden ist. Nach Meinung der Beschwerdeführerin sollte daraus von einem Fachmann eindeutig herleitbar sein, daß Hauptmotor und Kettablaßmotor fasenstarr miteinander koppelbar seien. Wie jedoch der als Sachverständiger auf Seiten der Beschwerdeführerin gehörte Herr Müller einräumte, lassen diese Schaltpläne keine eindeutige Zuordnung von Motor M1 und Drehgeber B1 zu. Herr Müller führte weiter aus, daß der Kettablaß alle 11° der Hauptwelle gefolgt sei, wobei dieses Winkelinkrement auch kleiner, etwa 5,6° oder 2,8° habe gewählt werden können.

6.2. Die Kammer ist überzeugt, daß aus der Unterlage D2, auch in Verbindung mit den weiteren Ausführungen seitens der Beschwerdeführerin, nicht gefolgert werden kann, daß Hauptmotor und Kettablaßmotor miteinander fasenstarr koppelbar sind, da Einzelheiten der Steuerung weder gezeigt noch beschrieben sind und darüber hinaus auch die abgegebenen Erklärungen eher darauf hindeuten, daß diese Steuerung so funktioniert wie in D11 beschrieben, also mit einer Regelung arbeitet und nicht mit einer fasenstarren Schaltung von Hauptantrieb und Kettbaumantrieb für die bzw. in der Startfase.

Da zur Neuheit keine weiteren Entgegenhaltungen angeführt wurden, erweisen sich das Verfahren nach Anspruch 1 und die Webmaschine nach Anspruch 4 daher als neu (Artikel 54 (1) EPÜ).

7. Erfinderische Tätigkeit

7.1. Obwohl die erfinderische Tätigkeit im Einspruchsverfahren von der jetzigen Beschwerdeführerin nicht angegriffen war, hat die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung dazu Stellung genommen und deren Vorliegen bejaht. Der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit ist daher im Verfahren, so daß sich die Frage der Zulassung dieses Grundes erübrigt.

7.2. Die Erfindung geht aus von einem Verfahren zur Steuerung einer Webmaschine bzw. einer Webmaschine, wie sie durch die behauptete Vorbenutzung - deren tatsächliches Stattfinden unterstellt - bekannt geworden ist und bei der die Kettspannung beim Anlaufen der Maschine durch einen Kettfadenspannungssensor geregelt wird, um sie möglichst konstant zu halten und dabei Anlauffehlstellen zu vermeiden. Zur Erreichung des genauen Spannungssollwerts findet dabei ein Einschwingvorgang statt.

7.3. Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Patent die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Maschine zu schaffen, bei der Einpendelvorgänge beim Anlaufen zumindest reduziert bzw. weitestgehend vermieden und dadurch Webfehler und Warenausschuß minimiert werden. Außerdem sollen auch nach einem Stillstand der Webmaschine vor dem Anlaufen optimale Startbedingungen einstellbar sein (Siehe Patentschrift Spalte 1, Zeilen 38. bis 46). Gelöst wird dieses technische Problem mit einem Verfahren mit den Merkmalen und Arbeitsschritten des Anspruchs 1 sowie mit einer Webmaschine gemäß Anspruch 4.

7.4. Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin zitierte D6 befaßt sich mit einer weiterentwickelten Technologie (AT = Advanced Technology), in der die einzelnen Funktionseinheiten über einen Datenbus miteinander kommunizieren (Seite 84, li. Spalte, 2. Absatz). Zur elektronischen Webfehlervermeidung beim Anlaufen der Maschine wird der Hauptmotor durch einen Mikroprozessor gesteuert, wodurch unterschiedliche Bedingungen und Spannungseinflüsse wirksam kompensiert werden können (Seite 87, li. Spalte, 3. Absatz). Mit dem durch einen Mikroprozessor gesteuerten Kettablaß kann die Kettspannung mustersynchron geregelt werden. Fehlstellen beim Stop und Start werden durch vorbestimmte Änderungen der Kettspannung vor dem Neustart der Maschine vermieden. Die optimierten Einstellparameter können gespeichert und bei künftiger Produktion gleicher Ware wiederverwendet werden (Seite 87, re. Spalte, 1. Absatz).

7.5. Die Kammer vermag der Meinung der Beschwerdeführerin nicht zu folgen, aus diesen Textstellen ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise, daß Hauptantrieb und Kettbaumantrieb auf fasenstarren Betrieb geschaltet werden, bevor sich die Maschine in Bewegung setzt, denn weder die zitierten Textstellen noch der restliche Text des Zeitschriftenartikels geben irgendeinen Hinweis auf fasenstarre Kopplung von Haupt- und Kettbaumantrieb. Vielmehr deutet der gesamte Zusammenhang des Artikels auf eine sehr genaue Regelung der Kettspannung mittels eines Kettfadenspannungssensors hin, mit dem die Kettspannung vor einem Neustart und beim Anlaufen der Maschine genau eingestellt werden kann, um Fehlstellen zu vermeiden. Somit kann auch die Kombination der Lehren von D2 und D6 das beanspruchte Verfahren nach Anspruch 1 und die Webmaschine nach Anspruch 4 nicht nahelegen. Da im Stand der Technik jeglicher Hinweis auf die fasenstarre Schaltung von Hauptantrieb und Kettbaumantrieb fehlt und die Kammer zudem nicht erkennen kann, wie der Fachmann allein mit seinen fachlichen Fähigkeiten diese Steuerungsalternative hätte auffinden können, beruht die Lösung nach Anspruch 1 und 4. auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

7.6. Zusammenfassend ist die Kammer aus den dargelegten Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß die mit den Ansprüchen 1 und 4 beanspruchte Erfindung die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ erfüllt. Zusammen mit diesen Ansprüchen können die abhängigen Ansprüche 2 und 3 sowie 5 bis 8, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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