T 0477/99 () of 29.6.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T047799.20010629
Datum der Entscheidung: 29 Juni 2001
Aktenzeichen: T 0477/99
Anmeldenummer: 92121599.2
IPC-Klasse: A61F 2/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Knochenimplantat mit Hohlraum
Name des Anmelders: Härle, Anton, Prof. Dr.
Name des Einsprechenden: AESCULAP AG & Co. KG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.

II. Das Patent war auf der Grundlage von Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 52 (1) und 56 EPÜ wegen Mangel an erfinderischer Tätigkeit gegenüber den Druckschriften

E1: EP-A-0 428 127

E2: US-A-4 994 085

angegriffen worden.

III. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet wie folgt:

"Knochenimplantat mit einer mit einer Saugleitung versehenen Vorrichtung zur Erzeugung eines Unterdrucks zur Ansaugung von Knochenzement, mit einem Schaft und einem den Schaft (4) durchsetzenden Kanal (10), der in eine Öffnung (11, 18) in einem ersten Endbereich des Schaftes (4) mündet, und mit einer am anderen Ende des Kanals befindlichen zweiten Öffnung (12) an der Außenseite des Implantats (3, 17), wobei sich der Kanal (10) im Implantatslängsrichtung durch den gesamten Schaft (4) des Knochenimplantats (3, 17) erstreckt, wobei die zweite Öffnung des Kanals als ein Saugleitungsanschluß (12) zum Anschließen der Saugleitung ausgebildet ist und entweder in einem dem ersten Endbereich gegenüberliegenden zweiten Endbereich dieses Schaftes oder noch weiter vom ersten Endbereich entfernt außerhalb des Schaftes (4) angeordnet ist, wobei das Knochenimplantat (3, 17) im Schaftbereich (4) zwischen der Öffnung (11, 18) im ersten Endbereich und dem Saugleitungsanschluß (12) eine durchgehende Mantelfläche aufweist, die keine von der Außenseite bis zum Kanallumen reichenden Poren oder Öffnungen aufweist."

IV. Auf Antrag der Beschwerdeführerin fand am 29. Juni 2001 eine mündliche Verhandlung statt, an der, wie mit Schreiben vom 4. Mai 2001 angekündigt, die Beschwerdeführerin nicht teilgenommen hat.

V. Die Beschwerdeführerin hat schriftlich beantragt, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

VI. Zur Begründung ihres Antrages trug die Beschwerdeführerin in der schriftlichen Beschwerdebegründung folgende Argumente vor:

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe gegenüber der Druckschrift E2 allein oder in Kombination mit der Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Druckschrift E2 offenbare lediglich nicht das in Anspruch 1 enthaltene Merkmal, daß eine mit einer Saugleitung versehene Vorrichtung zur Erzeugung eines Unterdrucks zur Ansaugung von Knochenzement vorgesehen ist. Der Fachmann könne jedoch der Druckschrift E2 entnehmen, daß ein dort vorgesehenes Belüftungsröhrchen dazu diene, die zwischen dem Zement und dem Schaft befindliche Luft während des Zementierens ausströmen zu lassen, siehe Spalte 2, Zeilen 56 bis 59 der Beschreibung. Ausgehend von der Lehre der Druckschrift E2 bestehe die Aufgabe der Erfindung darin, den Überdruck im Markraum während der Einführung des Zements zu vermindern. Es gehöre zum Grundwissen des Fachmanns auf dem Gebiet, diesen Überdruck mit Hilfe einer Saugvorrichtung zu senken. Somit lege die Druckschrift E2 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen die Erfindung nahe.

Die Druckschrift E1 offenbare das Prinzip, eine Absaugung an der Prothese vorzusehen, um die beim Austritt des Knochenzements in die Markraumhöhle entstehenden Hohlräume zu verhindern, siehe Seite 2, Zeilen 46 bis 53. Somit biete die Druckschrift E1 in naheliegender Weise eine Lösung zur von der Druckschrift E2 gestellten Aufgabe, die der Lösung des angegriffenen Patents gleich sei.

Der Beschwerdegegner argumentierte wie folgt:

Die Standardmethode zum Einsetzen von Implantaten bestünde darin, den zur Aufnahme der Endoprothese vorbereiteten Knochenhohlraum mit Zement zu füllen und die Prothese unter teilweiser Verdrängung des Zements unter Druck einzusetzen. Durch den Druck könnten Fettauschwemmungen aus dem Knochenmark in die Blutbahn gelangen, was Embolien zur Folge haben könnte. Im Stand der Technik habe man versucht, diesen Überdruck dadurch zu vermeiden, daß man den Zement durch ein zusätzliches seitliches Bohrloch am unteren Ende des Knochenhohlraums während des Eindrückens der Endoprothese absaugte (siehe Patentschrift Spalte 1, ab Zeile 56). Die Aufgabe der Erfindung bestünde darin, ein Implantat bereitzustellen, das geeignet sei, eine sicherere und zuverlässigere Einsatzmethode für das Implantat anzuwenden. Die erfindungsgemäße Prothese werde zuerst in dem zementfreien Hohlraum positioniert und fixiert. Danach werde ein Zementbehälter über dem oberen Ende des Hohlraums plaziert, aus dem der Zement durch einen im Prothesenkanal gebildeten Unterdruck in den Zwischenraum zwischen Prothese und Hohlraumwandung eingesaugt werde. Dadurch würden gleichzeitig Blut- und Gewebereste von unten her abgesaugt. In dieser Weise werde das ganze Raum ideal gefüllt.

Die Druckschrift E2 befasse sich mit der Zentrierung der Prothese in dem bereits mit Zement gefüllten Loch. Die Druckschrift E1 beschreibe eine nicht funktionsfähige Vorrichtung, da der Zement im Lochsystem dem Weg des geringsten Widerstands folge und dementsprechend bereits durch die oberen Seitenlöcher abgesaugt werde und somit nicht den unteren Teil des Hohlraums erreichen und ordnungsgemäß füllen könne.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

Aus der Druckschrift E1 ist ein Knochenimplantat bekannt, das eine mit einer Saugleitung (3), siehe Spalte 8 ab Zeile 17, versehene Vorrichtung zur Erzeugung eines Unterdrucks zur Einsaugung von Knochenzement aufweist. Diese Vorrichtung umfaßt einen den Schaft (1) des Knochenimplantats durchsetzenden Kanal (3), der in eine Öffnung in einem ersten Endbereich des Schaftes mündet und der an seinem anderen Ende eine zweite Öffnung an der Außenseite des Implantats aufweist, die als ein Saugleitungsanschluß zum Anschließen der Saugleitung ausgebildet und in einem dem ersten Endbereich gegenüberliegenden zweiten Endbereich dieses Schaftes angeordnet ist, wobei sich der Kanal im Implantatslängsrichtung durch den gesamten Schaft des Knochenimplantats erstreckt.

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von dieser bekannten Endoprothese insbesondere dadurch, daß das Knochenimplantat im Schaftbereich zwischen der Öffnung im ersten Endbereich und dem Saugleitungsanschluß eine durchgehende Mantelfläche besitzt, die keine von der Außenseite bis zum Kanallumen reichenden Poren oder Öffnungen aufweist.

Druckschrift E2 offenbart ein Knochenimplantat mit einem Schaft und einem den Schaft durchsetzenden Kanal (4), der in eine Öffnung in einem ersten Endbereich des Schaftes mündet, und mit einer am anderen Ende des Kanals befindlichen zweiten Öffnung (8) (Figur 3) an der Außenseite des Implantats, wobei sich der Kanal im Implantatslängsrichtung im wesentlichen durch den gesamten Schaft des Knochenimplantats erstreckt, wobei die zweite Öffnung des Kanals in einem dem ersten Endbereich gegenüberliegenden zweiten Endbereich dieses Schaftes angeordnet ist. Das bekannte Knochenimplantat besitzt im Schaftbereich zwischen der Öffnung im ersten Endbereich und der zweiten Öffnung eine durchgehende Mantelfläche, die keine von der Außenseite bis zum Kanallumen reichenden Poren oder Öffnungen aufweist.

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von diesem bekannten Knochenimplantat dadurch, daß das beanspruchte Implantat eine mit einer Saugleitung versehenen Vorrichtung zur Erzeugung eines Unterdrucks zur Einsaugung von Knochenzement aufweist und die zweite Öffnung als ein Saugleitungsanschluß zum Anschließen der Saugleitung ausgebildet ist.

Dementsprechend ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Das Patent betrifft ein Knochenimplantat, das durch Zementierung im Knochen verankert wird und geht von einem wie folgt in der Beschreibung angegebenen Stand der Technik aus (siehe EP-B-0 602 241, Spalte 1, Zeile 28 bis Spalte 2, Zeile 21).

Bei dem bekannten Knochenmarkimplantat wird zuerst der für die Aufnahme des Implantats vorbereitete Knochenhohlraum mit Knochenzement gefüllt, in den das Implantat unter teilweiser Verdrängung des Knochenzements vor dem Beginn des Abbindeprozesses eingepreßt wird. Bei der Zementierung ist nachteilig, daß das portionsweise Einbringen von Knochenzement zu Luft- und Blutbeimischungen führt, so daß der Knochenzement lamelliert und mechanisch geschädigt wird (Spalte 1, Zeilen 28 bis 39). Weiterhin entsteht beim Einpressen des Knochenzements ein hoher Überdruck in der Markhöhle, so daß es zu Fettausschwemmungen aus dem Knochenmark kommt, die Embolien zur Folge haben können (Spalte 1, Zeilen 50 bis 53). Zur Verminderung der zwei oben genannten Nachteile ist weiterhin bekannt, unterhalb des von der Prothese später auszufüllenden Bereichs eine Saugöffnung in den Knochen zu bohren, an die ein Unterdruck angelegt werden kann, der den Knochenzement von der Implantationsstelle des Knochens her in den Knochenhohlraum ansaugt (Spalte 1, Zeile 56 bis Spalte 2, Zeile 2).

Auch bei dieser bekannten Methode ist es noch nachteilig, daß es durch das nachträgliche Einschieben der Endoprothese, insbesondere an Krümmungsstellen des Knochens, zu Abschabungen des Knochenzements vom Knochenlager kommt, die Belastungsspitzen und Brüche zur Folge haben (Spalte 1, Zeilen 40 bis 49). Außerdem führt das nachträgliche Einbringen der Endoprothese immer noch zu einer Druckerhöhung im Markraum (Spalte 2, Zeilen 2 bis 5). Ein besonderer Nachteil dieser Methode besteht ferner darin, daß zur Unterdruckerzeugung unterhalb der später eingebrachten Prothese ein zur Knochenmitte hin gerichtetes Bohrloch im Knochen erforderlich ist. Dieses Bohrloch stellt eine mechanische Beeinträchtigung und damit Frakturgefährdung für den Knochen dar. Außerdem muß dieser Bohrkanal weitab vom eigentlichen Operationsgebiet angelegt werden, so daß entweder eine Verlängerung der Operationswunde oder ein zusätzliche Operationswunde erforderlich werden (Spalte 2, Zeilen 11 bis 21).

3.2. Ausgehend von dem in der Beschreibung der Patentschrift angegebenen Stand der Technik liegt dem Patent die Aufgabe zugrunde (siehe EP-B-0 602 274, Spalte 2, Zeilen 22 bis 25), einen dauerhaft festen Sitz des Knochenimplantats sicherzustellen und gleichzeitig einen möglichst schonenden Operationsverlauf zu ermöglichen.

Diese Aufgabe wird gemäß Streitpatent dadurch gelöst, daß die zweite Öffnung als ein Saugleitungsanschluß ausgebildet ist, die eine Vorrichtung zur Erzeugung eines Unterdrucks zur Einsaugung von Knochenzement aufweist.

Diese Umgestaltung des in der Patentschrift beschriebenen Knochenimplantats ermöglicht eine neue Vorgehensweise bei der Implantation der Endoprothese (siehe EP-B-0 602 274, Spalte 2, Zeilen 33 bis 52). Diese besteht darin, daß zuerst die Endoprothese in dem vorbereiteten, leeren Knochenhohlraum in ihrer mechanisch optimalen Lage angeordnet und danach der Knochenzement - durch den Saugkanal in der Prothese - in den Zwischenraum zwischen Prothesenoberfläche und Wandung des Knochenhohlraums eingesaugt wird. Somit werden sowohl Embolien als auch durch Luft- und Blutbeimischungen oder Abschabungen entstehende Schwachstellen vermieden, ohne die Notwendigkeit zusätzlicher chirurgischer Eingriffe.

3.3. Die aus der Druckschrift (E2) bekannte Endoprothese wird nach der allgemein üblichen Methode in den bereits mit Zement gefüllten Knochenhohlraum eingesetzt. Diese Druckschrift enthält keinen Hinweis auf die gemäß Streitpatent als Saugleitungsanschluß ausgebildete zweite Öffnung des Ausgangskanals. Vielmehr besteht die in der Druckschrift E2 zu lösende Aufgabe darin, die Zentrierung des Implantats während des Einsetzens in den bereits gefüllten Hohlraum zu gewährleisten. Da zu diesem Zwecke der den Schaft durchsetzende Kanal zur Aufnahme des dort vorgeschlagenen Führungselements oder zur Entlüftung vorgesehen ist, bestand für den Fachmann aus der Druckschrift E2 heraus kein Grund dazu, diese bekannte Endoprothese im Sinne des Streitpatents umzugestalten.

3.4. Auch die Druckschrift E1 enthält keine Hinweise, um in naheliegender Weise zur Erfindung zu gelangen. Die aus dieser Druckschrift bekannte Vorrichtung besteht aus einem Implantat mit zwei Kanalsystemen. In einen ersten Kanal im Schaft des Implantats wird von oben Zement eingepreßt, der aus über die Höhe verteilt angeordneten Seitenöffnungen in den Zwischenraum zwischen Lochwand und Implantat eingeführt wird. Über einen zum ersten parallelen Kanal im Schaft wird über eine zweite Anordnung von Seitenöffnungen ein Unterdruck erzeugt. Die Vorrichtung nach Druckschrift E1 ist nicht geeignet, die Aufgabe der Erfindung zu lösen, denn für den Fachmann ist ohne weiteres erkennbar, daß der eingepreßte Zement hauptsächlich durch die den Weg des geringsten Widerstands darstellenden höheren Seitenlöcher ausfließen und abgesaugt wird. Somit ist bei diesem Stand der Technik eine gleichmäßige Füllung nicht gewährleistet.

3.5. Dementsprechend beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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