T 0394/99 () of 6.9.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T039499.20010906
Datum der Entscheidung: 06 September 2001
Aktenzeichen: T 0394/99
Anmeldenummer: 94104542.9
IPC-Klasse: B21B 37/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Walzen eines Walzbandes
Name des Anmelders: SMS Demag AG
Name des Einsprechenden: Mannesmann AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Rücknahme des Einspruchs während des Beschwerdeverfahrens
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0830/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 618 020 (Anmeldenummer 94 104 542.9).

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Walzen eines Walzbandes in einer zumindest zwei Walzgerüste mit horizontal einstellbaren oberen und unteren Arbeitswalzen, von denen sich jede unmittelbar oder über eine Zwischenwalze an einer Stützwalze abstützt, aufweisenden Warmbandstraße, oder in einem Reversiergerüst, an dem mindestens zwei Stiche gewalzt werden, in der bzw. dem das Walzband einer Zustandsregelung unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, daß eine Zielkontur des Profils des Walzbandes vorgegeben wird, zu deren Erreichen sukzessive zwei Gruppen von Stellgliedern auf das Walzband einwirken, von denen die Stellglieder der ersten Gruppe bei oberhalb der kritischen Dicke liegenden Walzbanddicken zum Einsatz gebracht werden und vornehmlich die Kontur des Walzbandes in dessen bezogen auf die Bandmitte mittleren Bereich beeinflussen, während die Stellglieder der zweiten Gruppe bei unterhalb der kritischen Dicke liegenden Walzbanddicken im Bandkantenbereich zum Einsatz gebracht werden."

II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) legte gegen das europäische Patent Einspruch ein und beantragte, das Patent wegen mangelnder Patentfähigkeit zu widerrufen.

Sie berief sich bezüglich Patentanspruch 1 auf die folgenden Dokumente:

D1: Stahl und Eisen 105 (1985), Nr. 22, Seiten 1181 bis 1190

D2: Stahl und Eisen 112 (1992), Nr. 7, Seiten 33 bis 38.

III. Mit am 25. Februar 1999 zur Post gegebener Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent.

Die Widerrufsentscheidung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 im Hinblick auf D1 oder D2 nicht neu sei.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 10. April 1999 unter Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 26. Juni 1999 eingereicht.

V. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1999 nahm die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) ihren Einspruch zurück. Sie nahm zur Beschwerdebegründung nicht Stellung.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents wie erteilt, hilfsweise auf der Basis eines Patentanspruchs 1, der aus der Kombination der erteilten Patentansprüche 1 und 2 besteht.

Sie macht im wesentlichen geltend, daß entgegen den Feststellungen der Widerrufsentscheidung das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 neu sei und es zudem auch eine erfinderische Tätigkeit erfordere, um ausgehend vom Stand der Technik gemäß D1 und D2 zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen. Dieser Stand der Technik gebe nämlich dem Fachmann keinen Hinweis, mit den Gerüsten der zweiten Gruppe eine gezielte Beeinflussung der Bandkontur im Kantenbereich durchzuführen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zurücknahme des Einspruchs

Da die Beschwerde von der Patentinhaberin gegen die Widerrufsentscheidung eingelegt worden ist, ergeben sich aus der Zurücknahme des Einspruchs keine verfahrensrechtlichen Folgen. Vielmehr muß die Beschwerdekammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich überprüfen und kann nur dann diese Entscheidung aufheben, wenn die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des europäischen Patents nicht entgegenstehen (siehe dazu T 830/90, ABl. EPA 1994, 713, Nr. 2).

3. Aufgabe - Lösung

3.1. Die Erfindung des Streitpatents betrifft nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ein Verfahren zum Walzen eines Walzbandes in einer zumindest zwei Walzgerüste mit horizontal einstellbaren oberen und unteren Arbeitswalzen, von denen sich jede unmittelbar oder über eine Zwischenwalze an einer Stützwalze abstützt, aufweisenden Warmbandstraße, oder in einem Reversiergerüst, an dem mindestens zwei Stiche gewalzt werden, in der bzw. dem das Walzband einer Zustandsregelung unterworfen wird.

Bezüglich eines derartigen Warmwalzens von Bandmaterialien wird in der Streitpatentschrift einleitend ausgeführt, daß die thermische Bombierung und der Verschleiß der Arbeitswalzen sowie die elastischen Verformungen relativ großen Veränderungen unterliegen. Ohne die Korrektur durch Stellglieder nehme die Balligkeit der Arbeitswalzen mit zunehmendem Walzmaterial-Durchsatz ständig zu, und durch die sich so ändernde thermische Bombierung weiche die Walzenkontur zunehmend von der Sollkontur, z. B. einer Parabel, ab (Spalte 1, zweiter Absatz).

Das Streitpatent gibt schließlich auch an, daß das Walzen in einer Breite neben dem für einen ganz bestimmten Punkt vorgegebenen Wert des Bandprofils gleichzeitig die Bandprofilform beeinflusse. Der zunehmende Abfall der thermischen Bombierung der Walzen führe im randnahen Bereich zu erheblichen Profilanomalien am Band. Hierunter seien alle Abweichungen des Bandes von dem idealen (z. B. parabolischen) Verlauf des Bandprofils zu verstehen. In der Walzpraxis seien vor allem Verdickungen und Abfallen im Kantenbereich zu vermeiden (Spalte 1, dritter Absatz).

In der Beschreibung des Streitpatents ist weiter angegeben, daß Maßnahmen zur Profilplanheitsbeeinflussung bereits beim Stand der Technik vorliegen, die jedoch nicht ausreichen sollen, um die erhöhten Anforderungen hinsichtlich der Profilgenauigkeit und Planheit auch unter "extremen Randbedingungen" erfüllen zu können. Diese sollen bei der Erzeugung von Warmband heutzutage darin bestehen, die Walzprogramme flexibel zusammenstellen zu können. Es werden neben größeren Dicken und Materialumstellungen vor allem Breitensprünge in Richtung schmal und breit gewünscht (mixed rolling). Zudem soll die Anzahl der Bänder gleicher Breite innerhalb eines Walzprogrammes erhöht werden (vgl. Spalte 2, dritter Absatz).

3.2. Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe kann daher - wie in der Streitpatentschrift angegeben - darin gesehen werden, ein Verfahren zum Walzen eines Walzbandes zu schaffen, mit dem sich trotz flexibler Walzprogramme die Anforderungen an die Profilgenauigkeit und die Planheit des Walzbandes erfüllen lassen.

Nach Auffassung der Kammer wird diese Aufgabe im wesentlichen durch die im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 aufgeführten Maßnahmen gelöst.

4. Neuheit

4.1. Wie aus Spalte 3, erster Absatz der Streitpatentschrift hervorgeht, liegt der Erfindung die Erkenntnis zugrunde, daß bei dickem Band ein Materialquerfluß auch im mittleren Walzbandbereich stattfindet, wohingegen bei dünnerem Band nur im Kantenbereich ein Materialquerfließen möglich ist. Diese Erkenntnis spiegelt sich dann in den Maßnahmen des kennzeichnenden Teils des Patentanspruchs 1 wider, gemäß denen zum Erreichen der Zielkontur sukzessive zwei Gruppen von Stellgliedern auf das Walzband einwirken, von denen die Stellglieder der ersten Gruppe bei oberhalb der kritischen Dicke liegenden Walzbanddicken zum Einsatz gebracht werden und vornehmlich die Kontur des Walzbandes in dessen bezogen auf die Bandmitte mittleren Bereich beeinflussen, während die Stellglieder der zweiten Gruppe bei unterhalb der kritischen Dicke liegenden Walzbanddicken im Bandkantenbereich zum Einsatz gebracht werden.

4.2. Nach dieser Erkenntnis wird auch die Warmbandstraße von D1 in zwei Bereiche eingeteilt:

- "Die ersten Gerüste sind gekennzeichnet durch einen noch möglichen Materialfluß quer zur Walzrichtung....

- Die letzten Gerüste sind gekennzeichnet durch einen unterdrückten Materialfluß quer zur Walzrichtung..." (siehe Seite 1182, rechte Spalte, die letzten drei Absätze von D1).

Jedoch werden dort die Stellglieder der letzten Gerüste (zweite Gruppe) nicht im Bandkantenbereich zum Einsatz gebracht, um die Kontur des Walzbandes in dessen Bandkantenbereich zu beeinflussen. Es wird auf die vorstehend erwähnte Passage verwiesen. So heißt es im Absatz "Die letzten Gerüste":

"Hier führt der Versuch einer nachträglichen Profilkorrektur zur Unplanheit. An diesen Gerüsten muß die Walzspaltkontur dem einlaufenden Bandprofil angepaßt werden, damit eine gleiche Längung des Bandes über die gesamte Bandbreite eintritt."

Dies bedeutet, daß die aus den ersten Gerüsten auslaufende Bandkontur konstant gehalten wird. Bandkonturänderungen, geschweige denn gezielte Bandkorrekturänderungen im Bandkantenbereich, werden in den hinteren Gerüsten nicht vorgenommen.

Die Einspruchsabteilung hat sich auch auf Bild 20 und Seite 1188 "Ausrüstungsplan" von D1 gestützt. Die Gerüste F1 bis F4 der dort gezeigten Warmbandstraße erhalten CVC-Walzen-Systeme mit Unterstützung durch Arbeitswalzen-Biegesysteme. Hingegen wird für die hinteren Gerüste F5 bis F7 nur Arbeitswalzen-Biegesysteme installiert. Es wird expressis verbis angegeben, daß eine Veränderung der Bandkontur in den hinteren Gerüsten nicht mehr erfolgt. Außerdem läßt sich, wie die Beschwerdeführerin richtig ausgeführt hat, mit diesem Arbeitswalzen-Biegesystem keine gezielte Beeinflussung der Bandkontur im Kantenbereich durchführen, ohne die Bandplanheit zu stören.

4.3. Dies gilt auch für D2: Während dort die Bandkontur in den hinteren Gerüsten konstant gehalten und eine Regelung der Bandplanheit vorgenommen werden soll (vgl. Seite 38, Bild 16 und rechte Spalte neben Bild 16, letzter Absatz), wird erfindungsgemäß angestrebt, die Bandkontur in den hinteren Gerüsten ausschließlich im Kantenbereich zu beeinflussen. Wenn in den dort gezeigten Gerüsten 3 und 4 die Bandkontur verändert wird, "so muß man in den nachfolgenden Gerüsten eine Anpassung der Walzspaltform an das geänderte Profil sicherstellen". Damit ist nichts anderes ausgedrückt, als daß die Bandkontur in den hinteren Gerüsten konstant gehalten wird.

Aus alledem folgt, daß das Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1 im Hinblick auf D1 oder D2 neu ist.

5. Erfinderische Tätigkeit

Wie schon vorstehend ausgeführt, lehren die Druckschriften D1 und D2, in den hinteren Gerüsten die Walspaltkontur der einlaufenden Bandkontur anzupassen und somit die Bandkontur dort konstant zu halten, wenn in den ersten Gerüsten Bandkonturänderungen vorgenommen werden. Wenn dies nicht der Fall sein soll, "führt der Versuch einer nachträglichen Profilkorrektur zur Unplanheit" (vgl. D1, Seite 1182, letzter Absatz). Es wird also eine nachträgliche Bandkonturänderung in den hinteren Gerüsten vom Fachmann nicht in Betracht gezogen, weil der Autor von D1 diese nachträgliche Bandkonturänderung in Verbindung mit den hohen Anforderungen an die Planheit für undurchführbar hält. Daß sich die Patentinhaberin über diese Vorstellung hinwegsetzte, ist nach Ansicht der Kammer als Anzeichen für das Vorhandensein von erfinderischer Tätigkeit anzusehen.

Ebenso wenig findet sich in diesem Stand der Technik ein Hinweis auf eine gezielte Bandkonturänderung speziell im Kantenbereich durch die hinteren Gerüste. Dementsprechend fehlt auch jedweder Hinweis, in den ersten Gerüsten einer Walzstraße Bandkonturänderungen in der Bandmitte und in den hinteren Gerüsten ausschließlich im Kantenbereich vorzunehmen, um trotz flexibler Walzprogramme den hohen Anforderungen an die Konturgenauigkeit und die Planheit des Walzbandes zu entsprechen.

Aus alledem folgt, daß sich das Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1 diesem Stand der Technik nicht in naheliegender Weise entnehmen läßt. Es beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ und ist deshalb patentfähig.

6. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 7 betreffen besondere Ausführungsarten des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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