T 0374/99 () of 29.11.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T037499.20011129
Datum der Entscheidung: 29 November 2001
Aktenzeichen: T 0374/99
Anmeldenummer: 90113939.4
IPC-Klasse: B29C 53/58
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Herstellen von Schläuchen, insbesondere von Hochtemperatur- oder Filterschläuchen
Name des Anmelders: TAL-Lufttechnik GmbH
Name des Einsprechenden: CLIVESA AG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein); in der mündlichen Verhandlung eingereichte geänderte Patentansprüche als verspätet nicht zugelassen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des Patents Nr. 0 409 253 in geändertem Umfang Beschwerde eingelegt.

Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit) angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß die in Artikel 100 a) EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang nicht entgegenstünden.

II. Die Beschwerdekammer hat in der Mitteilung gemäß Artikel 11, Absatz 2 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vom 10. Juli 2001 u. a. die vorläufige Auffassung vertreten, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents, soweit es die Varianten Vernähen mit einem Stahl- oder Aramidfaden betrifft, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, und zwar im Hinblick auf den Stand der Technik gemäß den Druckschriften

D2: CH-A-601 716,

A17: Firmenprospekt der Firma Bekaert (01/01/1973) und

A23: NOMEX-Newsletter der Firma Dupont (Sonderausgabe Feuerwehr, Januar 1975).

III. Am 29. November 2001 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

i) Der Vertreter der Beschwerdeführerin legte zu Beginn der mündlichen Verhandlung einen neuen Hauptantrag und einen neuen Hilfsantrag vor. Der Vertreter der Beschwerdegegnerin beantragte, diese Anträge als verspätet nicht zum Verfahren zuzulassen.

Nach Beratung teilte die Kammer mit, daß die neu vorgelegten Anträge nicht zum Verfahren zugelassen würden, da sie verspätet eingereicht worden seien.

ii) Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents, wie erteilt.

iii) Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Der Anspruch 1 des Streitpatents, wie erteilt, lautet wie folgt:

"Verfahren zum Herstellen von Schläuchen, insbesondere Hochtemperatur- oder Filterschläuchen, aus einer Materialbahn, welche wendelförmig in sich selbst gewunden und vernäht wird, dadurch gekennzeichnet, daß das Vernähen mit einem Stahlfaden, einem Aramidfaden oder einem teflonbeschichteten Glas-Silizium-Faden durchgeführt wird."

V. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Für den Fachmann sei es nicht naheliegend, das durch die Druckschrift D2 bekannte Verfahren so auszugestalten, daß das Vernähen mit einem Stahl- oder Aramidfaden durchgeführt werde. Es werde nicht bestritten, daß hochtemperaturfeste Stahl- bzw. Aramid-Nähfäden vor dem Prioritätstag des Streitpatents auf dem Markt und damit öffentlich zugänglich gewesen seien. Jedoch könne den Druckschriften A17 bzw. A23, welche Stahl- bzw. Aramid-Nähfäden offenbarten, kein Hinweis darauf entnommen werden, daß diese Nähfäden für einen solch komplizierten Nähvorgang, wie das Vernähen einer gewendelten Materialbahn gemäß der Druckschrift D2, geeignet seien. Zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens habe eine neue Nähmaschine entwickelt werden müssen, und erst diese neue Nähmaschine habe das Vernähen mittels Stahl- oder Aramid-Nähfäden ermöglicht. Dies sei als Indiz für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit zu bewerten.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Für den Fachmann sei es naheliegend, zum Vernähen von Schläuchen, die ähnlich dem Verfahren gemäß der Druckschrift D2 aus einer gewendelten Materialbahn hergestellt werden, hochtemperaturfeste Nähfäden zu verwenden, wenn die Aufgabe zu lösen sei, daß derartige Schläuche hochtemperaturfest sein sollen. Da vor dem Prioritätstag des Streitpatents hochtemperaturfeste Nähfäden aus Stahl bzw. Aramid auf dem Markt gewesen seien, wie die Druckschriften A17 bzw. A23 bewiesen, hätte der Fachmann selbstverständlich derartige Nähfäden in einem Verfahren gemäß der Druckschrift D2 eingesetzt.

Die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß von ihr eine besondere Nähmaschine entwickelt worden sei, welche erst den Einsatz von Stahl- oder Aramid-Nähfäden ermöglicht hätte, sei irrelevant, weil das im Anspruch 1 definierte Verfahren keine Merkmale bezüglich einer besonders angepaßten Nähmaschine enthalte. Die Lehre des Anspruchs 1 erschöpfe sich in der naheliegenden Anweisung, beim Vernähen einer gewendelten Materialbahn hochtemperaturfeste Nähfäden zu verwenden, welche Lehre vor dem Prioritätstag des Streitpatents mit üblichen Industrienähmaschinen umgesetzt werden konnte. Das in den abhängigen Ansprüchen des Streitpatents definierte spezielle Nähverfahren mittels Faltenbildung löse eine andere Aufgabe als das Verfahren gemäß Anspruch 1, nämlich einen konstanten Durchmesser des herzustellenden Schlauches zu gewährleisten.

Das Verfahren gemäß Anspruch 1 beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Verspätet eingereichte Anträge der Beschwerdeführerin

In der Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 11, Absatz 2 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vom 10. Juli 2001, welche der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, hat die Kammer eingehend ihre vorläufige Meinung begründet, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Am Ende der Mitteilung hat die Kammer ferner darauf hingewiesen, daß etwaige schriftliche Erwiderungen der Parteien auf diese Mitteilung spätestens 1 Monat vor dem für die mündliche Verhandlung festgesetzten Tag einzureichen seien. Dieser Hinweis ist auch im Lichte der "Hinweise für die Parteien und ihre Vertreter im Beschwerdeverfahren" (ABl. EPA 1996, 342) zu verstehen, worin unter Nummer 3.3 folgendes ausgeführt ist:

"Sollen im Beschwerdeverfahren Änderungen zu den Patentunterlagen eingereicht werden, so hat dies so frühzeitig wie möglich zu geschehen. Zu beachten ist, daß die zuständige Kammer Änderungen nicht zu berücksichtigen braucht, die erst nach Ablauf einer von der Kammer gesetzten Frist oder nicht rechtzeitig vor einer mündlichen Verhandlung eingereicht werden (in der Regel 4 Wochen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung)."

Die Beschwerdeführerin hat die ihr in der Mitteilung vom 10. Juli 2001 eingeräumte Möglichkeit, spätestens 1. Monat vor der mündlichen Verhandlung gezielte Hilfsanträge mit neuen Patentansprüchen einzureichen, die von der Kammer und der Beschwerdegegnerin im Zuge der Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung hätten eingehend geprüft werden können, nicht genutzt. Erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 29. November 2001 legte der Vertreter der Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag (geänderte Ansprüche 1 bis 5) und einen neuen Hilfsantrag (geänderte Ansprüche 1 bis 4) vor.

Die Kammer erachtet daher die Vorlage dieses neuen Haupt- und Hilfsantrags der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung als verspätet.

Das Wesen des neuen Anspruchs 1 sowohl gemäß Hauptantrag als auch gemäß Hilfsantrag ist nicht mehr - wie der erteilte Anspruch 1 - auf die Hochtemperaturfestigkeit des Schlauches abgestellt, sondern verlagert den Schwerpunkt der Erfindung in eine andere Richtung, nämlich durch eine spezielle Faltenbildung beim Vernähen die Durchmesser-Konstanz des Schlauches zu gewährleisten. Dieser andere Aspekt der Erfindung stand im Einspruchsverfahren und bislang im Beschwerdeverfahren nicht zur Diskussion, obwohl er bereits Gegenstand von abhängigen Ansprüchen des erteilten Patents gewesen ist. Mit den verspäteten Anträgen der Beschwerdeführerin ist also ein gegenüber dem erteilten Anspruch 1 und der diesbezüglichen bisherigen Diskussion völlig neuer Sachverhalt geschaffen, der voraussichtlich eine neue, eingehende Prüfung erfordern würde.

Eine "prima facie"-Prüfung der neuen Anträge durch die Beschwerdekammer hat nämlich ergeben, daß die neuen Anträge nicht als eindeutig gewährbar angesehen werden können, sondern daß über diese Anträge nur nach einer weiteren eingehenden Diskussion - eventuell in einer neu anzuberaumenden mündlichen Verhandlung oder gar nach einer Zurückverweisung an die erste Instanz - entschieden werden kann.

Angesichts dieser Sachlage und des Umstandes, daß die Kammer aus verfahrensökonomischen Gründen die vorliegende Sache in der anberaumten mündlichen Verhandlung zu einem Abschluß zu bringen beabsichtigt, weist die Kammer die in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Anträge der Beschwerdeführerin als verspätet zurück.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1. Nächster Stand der Technik

Die Entgegenhaltung D2 (vgl. insbesondere Anspruch 1 und Spalte 4, Zeilen 14 bis 35) offenbart den der Erfindung am nächsten kommenden Stand der Technik, nämlich ein Verfahren zum Herstellen von Schläuchen aus einer Materialbahn, welche wendelförmig in sich selbst gewunden und vernäht wird.

Aufgrund der Anwendungsangaben in Spalte 1, Zeilen 3 bis 12. der Entgegenhaltung D2 und aufgrund fehlender Angabe über die Beschaffenheit des Band- bzw. Nähmaterials ist davon auszugehen, daß die gemäß dem Verfahren der Entgegenhaltung D2 hergestellten Schläuche nicht hochtemperaturfest sind.

2.2. Aufgabe

Der Erfindung des Streitpatents liegt daher die Aufgabe zugrunde, das durch die Entgegenhaltung D2 bekannte Verfahren so weiterzubilden, daß Schläuche hergestellt werden können, welche hohen Temperaturen standhalten.

2.3. Lösung

Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß entsprechend dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents dadurch gelöst, daß das Vernähen mit einem Stahlfaden, einem Aramidfaden oder einem teflonbeschichteten Glas-Silizium-Faden durchgeführt wird.

2.4. Diese Lösung, soweit sie die Varianten des Vernähens mittels eines Stahl- oder Aramidfadens betrifft, ist aus folgenden Gründen für den Fachmann naheliegend:

Für den Fachmann, der die Aufgabe zu lösen hat, hochtemperaturfeste Schläuche herzustellen, ist es eine platte Selbstverständlichkeit, daß er solche Materialbestandteile für den herzustellenden Schlauch auswählt, die hohen Temperaturen standhalten. Daher wird der Fachmann im Hinblick auf die o. a. Aufgabe das Verfahren gemäß der Entgegenhaltung D2 so weiterbilden, daß sowohl die gewendelte Materialbahn als auch der Nähfaden aus einem hochtemperaturfesten Werkstoff besteht.

Der Fachmann wird dann mit Nähfaden-Anbietern Kontakt aufnehmen und bei diesen um Nähfäden nachfragen, welche auch hohen Temperaturen standhalten können. Wie die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 6. November 1996, Seite 3, mit Hinweis auf die Anlagen P10 (Schreiben der Firma Zwicky an die Firma Denzel vom 17. Mai 1985) und P13 (Schreiben der Firma MEZ-PRYM an die Firma Denzel vom 29. November 1984) dargelegt hat, ist der Erfinder des Streitpatents, Herr Klaus, diesen für den Fachmann üblichen Weg der Problemlösung gegangen. Wenn dem Fachmann dann von den Nähfaden-Anbietern Stahlfäden (gemäß Anlage P13 von der Firma MEZ-PRYM) oder Nomex-(= Aramid-)Fäden (gemäß der Anlage P10 der Firma Zwicky) als hochtemperaturfeste Nähfäden empfohlen werden, so wird er solche Nähfäden in dem Schlauchherstellungsverfahren gemäß der Entgegenhaltung D2 verwenden. Die Tatsache, daß hochtemperaturfeste Stahl- oder Aramid-Nähfäden vor dem Prioritätstag des Streitpatents auf dem Markt und damit öffentlich zugänglich waren, ist vom Beschwerdeführer zugestanden worden und ist auch beispielsweise durch die Entgegenhaltungen A17 und A23 belegt.

Wenn also der Fachmann das Verfahren gemäß der Entgegenhaltung D2 so weiterbildet, daß damit die unter Punkt 2.2 definierte Aufgabe gelöst werden kann, gelangt er ohne weiteres zu den Verfahrensvarianten "Vernähen mit einem Stahlfaden oder einem Aramidfaden" des Anspruchs 1 des Streitpatents.

Die Beschwerdeführerin führte aus, daß es für den Fachmann deshalb nicht naheliegend gewesen sei, beim Vernähen einer gewendelten Materialbahn Stahl- oder Aramidfäden zu verwenden, weil dabei besondere Anforderungen an den Nähfaden und an das Nähverfahren gestellt würden, die den Fachmann zunächst von der Verwendung dieser Nähfäden abhielten, und daß der Einsatz solcher Nähfäden zum Vernähen von gewendelten Bahnen erst nach der Entwicklung eines besonderen Nähverfahrens und eines Umbaues von auf dem Markt befindlichen Nähmaschinen in seinem Bereich gelegen hätten.

Hierzu bemerkt die Kammer, daß im Anspruch 1 des Streitpatents keine Merkmale hinsichtlich eines besonders an die Stahl- bzw. Aramidfäden angepaßten Nähverfahrens enthalten sind, sondern daß der Anspruch 1 nur die Anweisung enthält, beim Vernähen einer gewendelten Materialbahn einen Stahl- oder Aramidfaden zu verwenden.

Ferner hat die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen, daß das in der Entgegenhaltung D2 beschriebene Nähverfahren unter Verwendung einer Industrienähmaschine, die mittels Ober- und Unterfaden einen Doppelkettstich ausführt (vgl. D2, Spalte 1, Zeilen 62 bis 64), mit einem Stahl- oder Aramidfaden nicht durchführbar ist. Die Kammer kann jedenfalls ein solches Hindernis nicht erkennen und hat auch keine Veranlassung, ein Vorurteil des Fachmannes gegen die Verwendung eines Stahl- oder Aramid-Nähfadens in dem Verfahren gemäß der Entgegenhaltung D2 zu unterstellen.

2.5. Daher beruht das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents, soweit es die Verfahrensvarianten des Vernähens mittels eines Stahl- oder Aramidfadens betrifft, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

3. Folglich kann der erteilte Anspruch 1 des Streitpatents nicht aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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