European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2002:T032299.20020314 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 März 2002 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0322/99 | ||||||||
Anmeldenummer: | 89110945.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01L 3/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Einrichtung zum Messen des Drehmomentes einer durch einen Stellantrieb bewegbaren Armatur | ||||||||
Name des Anmelders: | ABB Reaktor GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Siemens AG | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (bejaht) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent 0 347 764 (Anmeldenummer 89. 110 945.6) wurde von der Einspruchsabteilung widerrufen.
Die Ansprüche 1 und 2, die einzigen Ansprüche des Patents in der erteilten Fassung, lauten wie folgt:
"1. Einrichtung zum Messen des Drehmomentes einer durch einen Stellantrieb (3) bewegbaren Spindel (20) einer Armatur (5) unter Verwendung wenigstens eines Dehnungsmeßstreifens (23), dadurch gekennnzeichnet (sic), daß das Gehäuse (2) des Stellantriebes (3) und das Gehäuse (4) der Armatur (5) über eine in ihrem zylindrischen Teil als Torsionsrohr wirkende an sich bekannte Flanschbuchse (1) miteinander zu einer stationären Baueinheit verbunden sind, daß eine durch eine Freidrehung (21) geschwächte Wand (22) des Torsionsrohres den Dehnungsmeßstreifen (23) trägt, daß die Flanschbuchse von der Armaturenspindel (20) durchsetzt ist, und daß in einem Ringraum zwischen der Flanschbuchse (1) und der Armaturenspindel (20) ein Adapter (16) zur Übertragung der Antriebskräfte zwischen dem Stellantrieb (3) und einer die Armaturenspindel (20) in axialer Richtung verstellenden Gewindehülse (18) angeordnet ist, wobei während einer Verstellbewegung der Armaturenspindel die stationär angeordnete Flanschbuchse (1) einem über den Dehnungsstreifen gemessenen, in form eines Torsionsmomentes auftretenden Drehmoment, ausgesetzt ist, das der Reaktionskraft zum Kraftfluß zwischen Stellantrieb (3), Adapter (16) und Gewindehülse (18) entspricht.
2. Verwendung einer Einrichtung nach Anspruch 1 zum Steuern von Verfahrensabläufen technischer Anlagen."
Die Widerrufsentscheidung wurde unter Hinweis auf die Druckschriften
D2: DE-A-3 528 364 und
D8: DE-A-3 247 490
damit begründet, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von der aus der Druckschrift D8 bekannten Anordnung dadurch unterscheide, daß in D8 keine Messung des Drehmoments mittels Dehnungsmeßstreifen durchgeführt würde. Zur Lösung der der Erfindung zugrundeliegenden Aufgabe, nämlich die aufwendigen mechanischen Drehmomentbegrenzer der aus D8 bekannten Armatur zu vermeiden und durch einen elektronischen Schalter zu ersetzen, würde der Fachmann in naheliegender Weise in diese Armatur den aus der Druckschrift D2 bekannten Drehmomentaufnehmer einbauen, und zwar an der Stelle des dort bereits vorhandenen Zwischenflansches.
Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde erhoben und beantragt, sie aufzuheben und das Patent in ungeänderter Fassung aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin beantragte sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
III. Es wurde am 14. März 2002 mündlich verhandelt. Zu der Verhandlung ist die Beschwerdegegnerin gemäß ihrer entsprechenden Vorankündigung nicht erschienen.
IV. Zur Stützung ihrer Anträge wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß der Anspruch 1 eine Einrichtung zum Gegenstand habe, die es erlaube, das auf die bewegbare Spindel einer Armatur wirkende Drehmoment kontinuierlich zu messen.
Der auf dem Gebiet der Armaturen tätige Fachmann hätte die in der Praxis bewährte Armatur der Druckschrift D8, die verschiedenen Zulassungsprüfungen unterworfen werden mußte, bevor sie überhaupt eingesetzt werden durfte, nicht ohne triftigen Grund in so grundlegender Weise verändert, wie es im Patent vorgeschlagen werde.
Die aus der Druckschrift D8 bekannte Konstruktion bewirke eine Hemmung der Übertragung überhöhter Torsionsmomente auf die Spindel und die Ventilelemente, um etwaige Beschädigungen zu vermeiden. Deswegen sei ein kontinuierliches Messen dieser Torsionsmomente im Sinne der Erfindung gar nicht notwendig.
Auch wenn der Fachmann die Vorrichtung der Druckschrift D2 in die Armatur der Druckschrift D8 hätte einbauen wollen, wären ein Dutzend einzelner Schritte in einer ganz bestimmten Reihenfolge durchzuführen gewesen, zu denen er nur aus einer rückschauenden Betrachtung heraus hätte gelangen können, wie z. B. das Weglassen des aus den Figuren 1 und 2 der Druckschrift D8 ersichtlichen Zwischenstücks 20 mit dem als Federelement ausgebildeten Torsionsstab 19, das Verlängern der Armaturenspindel 12 durch den gesamten Zwischenflansch 8, den Austausch dieses Zwischenflansches durch das Torsionsrohr der Druckschrift D2, das Übertragen der Ringnut für den Dehnungsmeßstreifen von der inneren Fläche dieses Rohrs auf seinen äußeren Umfang oder das Verbinden des Meßwertgebers der aus der Druckschrift D2 bekannten Drehmomentsmeßvorrichtung mit der Steuerung des Stellantriebs der Armatur der Druckschrift D8.
Darüber hinaus erfolge bei der Vorrichtung der Druckschrift D2, die zur Einstellung der Anziehkraft von Schrauben bestimmt sei, keine kontinuierliche Messung des Drehmoments, sondern nur eine Messung bei Erreichen einer vorgegebenen Eindringtiefe der Schrauben.
Ferner erfülle der Zwischenflansch 8 gemäß Druckschrift D8 eine wesentliche Funktion als Widerlager für die federnde Lagerung der Armaturenspindel, so daß der Fachmann diesen Zwischenflansch mit Sicherheit nicht als verformbares Torsionsstück ausgebildet hätte.
Die beanspruchte Einrichtung erlaube durch die kontinuierliche Messung des Drehmomentes ein frühzeitiges Erkennen von mechanischen Veränderungen in der Baueinheit Stellantrieb/Armatur. Daher sei eine vorbeugende Instandhaltung möglich. Dies sei in keiner der ermittelten Druckschriften auch nur erwähnt.
V. In ihrer schriftlichen Antwort zur Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin geltend gemacht, daß auch in der Vorrichtung der Druckschrift D2 Drehmomentmeßdaten kontinuierlich anfallen würden.
Ferner zeige eine einfache Analyse der Kräfte, daß in der Vorrichtung der Druckschrift D8 die Antriebshülse 18 zusammen mit dem Federelement 19 und dem Zwischenstück 20. dem Adapter nach dem Streitpatent entspreche.
Darüber hinaus erwähne das Streitpatent die bereits in der Druckschrift D8 beschriebene Möglichkeit, ein überhöhtes Drehmoment durch Ausschalten des Motors zu vermeiden, und zwar ohne daß ein aufwendiger mechanischer Drehmomentbegrenzer erforderlich sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist unstrittig.
2. Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands
2.1. Die Neuheit der im Anspruch 1 definierten Einrichtung wurde nicht bezweifelt.
Die Kammer kann sich auch der Ansicht beider Parteien sowie auch der Einspruchsabteilung anschließen, daß die Armatur der Druckschrift D8 den nächstkommenden Stand der Technik darlegt.
Bei dieser bekannten Armatur wird, wie in der im Anspruch 1 angegebenen Einrichtung, innerhalb eines Gehäuses, das eine Flanschbuchse 8 aufweist, eine Spindel 12 über einen Stellantrieb 9 bewegt. In einem Ringraum zwischen der Flanschbuchse 8 und der Armaturenspindel 12 ist eine Antriebshülse 18 angeordnet, die auch als "Adapter" im Sinne des Anspruchs 1 bezeichnet werden kann und die Übertragung der Antriebskräfte zwischen dem Stellantrieb 9 und einer die Armaturenspindel 12 in axialer Richtung verstellenden Gewindehülse 11 gewährleistet (vgl. die Figuren 1 und 2 und Seite 3 der Beschreibung gemäß der druckschriftlichen Numerierung, Zeile 3 bis Seite 4, Zeile 28).
Bei dieser bekannten Armatur ist die Flanschbuchse 8 als starres Gehäuseteil ausgebildet, und es ist auch kein Dehnungsmeßstreifen vorhanden, der ein Drehmoment messen könnte.
Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der bekannten Armatur insbesondere darin, daß die Flanschbuchse als Torsionsrohr mit einer durch eine Freidrehung geschwächten Wand, die einen Dehnungsmeßstreifen trägt, ausgebildet ist, wobei während einer Verstellbewegung der Armaturenspindel die stationär angeordnete Flanschbuchse einem über den Dehnungsmeßstreifen gemessenen, in Form eines Torsionsmomentes auftretenden Drehmoment ausgesetzt ist, das der Reaktionskraft zum Kraftfluß zwischen Stellantrieb, Adapter und Gewindehülse entspricht.
2.2. Die Verwendung der als Torsionsrohr mit Dehnungsstreifen ausgebildeten Flanschbuchse und die Messung des Reaktionsmomentes während einer Verstellbewegung der Armaturenspindel erlauben insbesondere eine frühzeitige Erkennung von mechanischen Veränderungen in der Baueinheit Stellantrieb/Armatur durch den Vergleich von sich ändernden Drehmomentkurven bei gleichen Betriebszuständen und ggf. eine vorbeugende Instandhaltung. Ebenso erlaubt die beanspruchte Einrichtung ein Steuern von Verfahrensabläufen bei veränderlichen Betriebsparametern. So kann beispielsweise bei einer Durchflußregelarmatur ein sich änderndes Drehmoment auf eine Viskosität- oder Durchflußänderung hinweisen (vgl. die Patentschrift, Spalte 2, Zeilen 13 bis 30).
Somit kann, ausgehend von dem nächstkommenden Stand der Technik gemäß der Druckschrift D8, die dem Gegenstand des Anspruchs 1 zugrundeliegende, objektiv formulierte technische Aufgabe darin gesehen werden, eine kontinuierliche Überwachung des Zustandes der Armatur bzw. der anhand dieser Armatur gesteuerten Verfahrensabläufe zu ermöglichen.
2.3. Die Einspruchsabteilung hat dagegen in der angefochtenen Entscheidung die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen, die aus D8 bekannten aufwendigen mechanischen Drehmomentbegrenzer zu vermeiden und durch einen elektronischen Schalter bzw. Endschalter zu ersetzen (vgl. Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe). Nachdem jedoch elektronische Schalter bzw. Endschalter an sich eine kontinuierliche Drehmomentmessung im Sinne des Anspruchs 1 und der Beschreibung noch nicht ermöglichen, kann sich nach Auffassung der Kammer der technische Beitrag des beanspruchten Gegenstands nicht in der Bereitstellung eines solchen Ersatzschalters erschöpfen.
2.4. Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften befaßt sich mit der unter Punkt 2.2 oben objektiv formulierten technischen Aufgabe, und der Stand der Technik umfaßt auch keine Armatur, die für irgendwelchen Zweck mit Dehnungsmeßstreifen oder anderen Drehmomentmeßmitteln versehen wäre. Die Druckschrift D2 offenbart zwar eine als Torsionsrohr wirkende Flanschbuchse mit einer durch eine Freidrehung geschwächten Wand, die einen Dehnungsmeßstreifen trägt (vgl. die Figuren 1 und 3 zusammen mit Spalte 6, Zeilen 5 bis 22 und Spalte 7, Zeilen 22 bis 37). Der einzige in dieser Druckschrift erwähnte Einsatzbereich des so gestalteten Reaktionsdrehmomentaufnehmers ist jedoch das automatische Anziehen von Schrauben in der Automobilindustrie (vgl. Spalte 2, Zeilen 38 bis 42).
Bereits aus diesem Grund hatte nach Auffassung der Kammer der von der Armatur der Druckschrift D8 ausgehende Fachmann zur Lösung der technischen Aufgabe keinen naheliegenden Grund, den Reaktionsdrehmomentaufnehmer der Druckschrift D2 auf diese Armatur zu übertragen.
Darüber hinaus wird mit der Vorrichtung der Druckschrift D2 lediglich eine Bestimmung des Drehmoments in der Endphase des Anziehvorgangs erzielt, und nicht während dieses gesamten Vorgangs. Selbstverständlich stehen am Dehnungsmeßstreifen kontinuierlich Signale an, aber die Druckschrift D2 weist ausdrücklich darauf hin, daß eine ausreichende Genauigkeit und Empfindlichkeit jeweils nur in einem bestimmten Meßbereich gegeben ist, der durch eine entsprechende Dimensionierung der Freidrehung jeweils eingestellt werden muß (vgl. Spalte 3, Zeilen 17 bis 25 und Spalte 7, Zeilen 22 bis 26). Eine unmittelbare Übertragung der Vorrichtung der Druckschrift D2 auf die Armatur der Druckschrift D8 würde daher allenfalls derart erfolgen, daß eine Bestimmung des Drehmoments in den Endlagen der Spindel erzielt wird, d. h. eine Überwachung des Anpreßdrucks des Ventils in der offenen oder geschlossenen Stellung, nicht aber eine Messung des Drehmoments "während einer Verstellbewegung der Armaturenspindel" im Sinne des Anspruchs 1.
Der Beschwerdeführerin ist auch insofern zuzustimmen, daß bei der Armatur der Druckschrift D8 die starre Flanschbuchse 8 an ihrem unteren Ende ein Widerlager für die federnde Lagerung der Gewindehülse 11 aufweisen muß (vgl. Seite 3, Zeilen 30 bis 36). Dieser Umstand spricht ebenfalls gegen ein Naheliegen der Überlegung, die Wand der Flanschbuchse ausreichend geschwächt auszuführen, um eine genaue Messung der auch während einer Verstellbewegung auftretenden Reaktionsmomente im Sinne des Anspruchs 1 zu gewährleisten.
2.5. Aus diesen Gründen konnte der Fachmann nach Auffasung der Kammer ohne Vorkenntnis der beanspruchten Lösung nicht in naheliegender Weise zu der Einrichtung des Anspruchs 1 gelangen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
Das gleiche gilt für den Gegenstand des Anspruchs 2, der eine besondere Verwendung der Einrichtung nach Anspruch 1 zum Steuern von Verfahrensabläufen technischer Anlagen definiert.
3. Nachdem die geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents nicht entgegenstehen, ist die angefochtene Entscheidung, das Patent zu widerrufen, aufzuheben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Fassung aufrechterhalten.