T 0233/99 () of 26.4.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T023399.20010426
Datum der Entscheidung: 26 April 2001
Aktenzeichen: T 0233/99
Anmeldenummer: 94116112.7
IPC-Klasse: F41G 7/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Bestimmung der Sichtliniendrehraten mit einem starren Suchkopf
Name des Anmelders: Mafo Systemtechnik Dr.-Ing. A. Zacharias GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: (01) Bodenseewerk Gerätetechnik GmbH
(02) STN ATLAS Elektronik GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen den Widerruf des europäischen Patents Nr. 653 600 durch die Einspruchsabteilung.

II. Die angefochtene Entscheidung begründet den Widerruf des Patents mit mangelnder Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag. Zum Stand der Technik sind folgende Dokumente genannt:

D4: DE-A-3 436 839 bzw. D4': US-A-5 253 823 (Mitglied derselben Patentfamilie).

III. Im Beschwerdeverfahren ist noch auf die folgenden weiteren, bereits im Einspruchsverfahren genannten Dokumente verwiesen worden:

D1: CH-A-565 988 und

D2: North Atlantic Treaty Organization; "Guidance and Control Aspects of Tactical Air-launched Missiles", Agard Conference Proceedings No. 292, 1980.

IV. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) hat mit Schreiben vom 21. März 2001 geänderte Patentansprüche 1 bis 7 (Hauptantrag) und Patentanspruch 1 (Hilfsantrag) eingereicht. In der mündlichen Verhandlung am 26. April 2001 hat der Beschwerdeführer weiter einen Einschub zur Seite 2 der Beschreibung eingereicht.

V. Patentanspruch 1 (Hauptantrag) hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Bestimmung der Sichtliniendrehraten Flugkörper/Ziel mit einem mit dem Flugkörper (1) starr verbundenen Suchkopf (2), wobei die mit dem starr verbundenen Suchkopf (2) im flugkörperfesten Koordinatensystem (s1, s2, s3) gemessenen Azimut- und Elevationsablagewinkel ( sm und sm) des Zieles in die Azimut- und Elevationsablagewinkel ( v und v) des Zieles, bezogen auf ein Koordinatensystem, transformiert werden, dadurch gekennzeichnet, daß das Koordinatensystem das Koordinatensystem eines virtuellen kardanisch gelagerten und kreiselstabilisierten Suchkopfes (2v) ist, der durch das mathematische Modell eines kardanisch gelagerten und kreiselstabilisierten Suchkopfes in einem Rechner dargestellt und durch Drehung mit den Drehraten (pv, qv, rv) um seine drei Achsen (v1, v2, v3) der Sichtlinie (SL) Flugkörper/Ziel nachgeführt wird, indem eine zeitgleich mit der Bewegung des Flugkörpers (1) ablaufende Bewegungssimulation des virtuellen Suchkopfes (2v) erfolgt und die Art der Rahmenausführung und der Kreiselstabilisierung des zu simulierenden, kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchkopfes in die Software eingehen."

Ansprüche 2 bis 7 sind von Anspruch 1 abhängig.

VI. Der Beschwerdeführer argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Es sei allgemein bekannt, kardanisch gelagerte, kreiselstabilisierte Suchköpfe für die Zielerfassung und Zielverfolgung einzusetzen. Diese hätten gegenüber starr mit dem Flugkörper verbundenen Suchköpfen den Vorteil, daß sie eine höhere Genauigkeit erreichten, daß sie größere Ablagewinkel des Ziels von der Flugkörperlängsachse zuließen und daß sie keine Beschleunigungsmesser für die Lateralbeschleunigung des Ziels benötigten. Zudem sei die Proportionalnavigation auf einfache Weise durchführbar, da die kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchköpfe direkte Meßsignale der Sichtliniendrehrate lieferten. Die starren Suchköpfe hätten diesen gegenüber den Vorteil, daß sie mechanisch weniger komplex und preisgünstiger herstellbar seien.

D2 beschreibe die Vor- und Nachteile dieser beiden Suchkopfsysteme. Unter Punkt 3 ("Basic Concepts") weise D2 ganz allgemein darauf hin, daß bei starren Suchköpfen die Funktionen auf elektronische Weise ausgeführt würden, die bei kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchköpfen durch eine mechanische Struktur ausgeführt würden. D2 offenbare aber ganz andere elektronische Lösungen als das Streitpatent, z. B. eine ständige Ausrichtung eines Radarstrahls auf das Ziel ("beam stearing" in Verbindung mit "additive rate compensation").

D4' könne als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. Die Transformation der Azimut- und Elevationsablagewinkel erfolge hier aber in die Azimut- und Elevationsablagewinkel bezogen auf ein Koordinatensystem des Ziels (e-Achsen), nicht eines virtuellen Suchkopfes. Das sei nur eine mathematische Hilfskonstruktion, um kleine Eulersche Winkel ("pseudo measurements") zu erhalten, die für den Einsatz eines linearen Modells eines Kalman-Filters notwendig seien. Abweichungen von der Sichtlinie würden durch Drehung der e-Achsen periodisch korrigiert. Das in D4' beschriebene Verfahren beruhe also auf der Bewegungsgeometrie zwischen Flugkörper und Ziel in Abhängigkeit von der Zeit und führe eine optische Achse der Sichtlinie nach.

Dagegen führe das Verfahren nach vorliegendem Anspruch 1 eine Bewegungssimulation durch, die das dynamische Verhalten eines mechanischen Suchkopfes mit seinen physikalischen Parametern, wie eine kardanische Lagerung mit Kreiselstabilisierung und die Art der Rahmenausführung, mathematisch nachbilde. Da die Sichtlinie des virtuellen Suchkopfes dynamisch wie jene eines realen kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchkopfes nachgeführt werde, weise das erfindungsgemäße Verfahren auch dieselben Vorteile, aber nicht die Nachteile eines komplexen mechanischen Aufbaus des Suchkopfes auf.

Obwohl starre Suchköpfe schon mehr als zwanzig Jahre vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents bekannt gewesen seien, gebe es im Stand der Technik keinen Hinweis auf eine Kombination der Vorteile starrer und kardanisch gelagerter Suchköpfe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher neu und erfinderisch.

VII. Der Beschwerdegegner O1(Einsprechender O1) argumentierte im wesentlichen wie folgt:

D2 (Punkt 3) gebe dem Fachmann die Lehre, daß bei einem Flugkörper mit starrem Suchkopf die Funktionen eines kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchkopfes elektronisch nachgebildet werden könnten, um eine Transformation der Flugkörperachsen auf die Sichtlinienachsen sowie eine Entkopplung von der Bewegung des Flugkörpers zu erreichen. Das sei mit einer Simulation eines kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchkopfes gleichzusetzen, dessen Achse durch Drehung mit den Drehraten um seine drei Achsen der Sichtlinie Flugkörper/Ziel nachgeführt werde. Das Verfahren des Streitpatents setze diesen Vorschlag um, indem es einen solchen, z. B. aus D1 bekannten, kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchkopf nachbilde. Damit sei der Gegenstand des Streitpatents zumindest nicht erfinderisch.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei aber schon aus D4' bekannt und somit nicht mehr neu. Die e-Achsen dieses bekannten Verfahrens (siehe D4', Spalte 5, Zeilen 47 bis 53; Spalte 6, Zeilen 47 bis 54) seien auf die optische Achse eines virtuellen kardanisch gelagerten Suchkopfes bezogen (siehe Skizze zur Erläuterung, die in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht wurde). Denn die optische Achse werde ständig nachgeführt, stationär im inertialen Raum gehalten und falle daher mit der Sichtlinie zusammen. Aus den gemessenen Ablagewinkeln des Ziels im flugkörperfesten Koordinatensystem würden durch Transformation in das e-Achsen-System die sogenannten Pseudomeßsignale gebildet. Ein Kalman-Filter (401) wandle diese Signale in nicht verrauschte Schätzwerte um, mit deren Hilfe eine iterative Veränderung der Zustandsgrößen vorgenommen werde, bis Übereinstimmung zwischen dem e-Achsen-System und der Sichtlinie Flugkörper/Ziel erreicht sei. Das könne z. B. bei jedem Prozessorupdate geschehen, um die Schätzwerte auf Null zu reduzieren (D4', Spalte 6, Zeilen 42 bis 46). Das Kalman-Filter bilde daher ebenfalls zeitgleich mit der Bewegung des Flugkörpers die Dynamik des Systems (in einer Zustandsmatrix) nach und berücksichtige dabei z. B. durch Ungenauigkeiten der Trägheitssensoren auftretende Rollwinkel (siehe auch D4', Spalte 3, Zeilen 23 bis 28). Das bekannte Verfahren bewirke somit dasselbe wie das Verfahren nach dem Streitpatent, nämlich eine Bewegungssimulation eines virtuellen Suchkopfes mit einer kardanischen Lagerung durch Nachführen der optischen Achse mit einem Folgeverhalten erster oder höherer Ordnung. Auch das Streitpatent offenbare nicht, wie physikalische Eigenschaften und Größen des zu simulierenden Suchkopfes in die Transformationsregeln eingingen.

VIII. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit folgender Fassung:

Ansprüche 1 bis 7 (Hauptantrag), eingereicht mit Schreiben vom 21. März 2001; Beschreibung und Zeichnungen der Patentschrift mit Einschub auf Seite 2, Zeile 18, der Beschreibung, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

hilfsweise auf Grundlage des Anspruchs 1, eingereicht mit Schreiben vom 21. März 2001 als Hilfsantrag.

IX. Der Beschwerdegegner 01 (Einsprechender 01) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Der Beschwerdegegner 02 (Einsprechender 02) nahm sachlich zum Vorbringen des Beschwerdeführers nicht Stellung, und erschien, wie angekündigt, auch nicht in der mündlichen Verhandlung, beantragte aber mit Schreiben vom 22. Januar 2001 ebenfalls, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Hauptantrag)

Das Streitpatent war in der ursprünglich eingereichten Fassung erteilt worden. Die Patentansprüche 1 und 2 sind gegenüber der erteilten Fassung durch weitere Merkmale eingeschränkt worden, die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung auf Seite 2, Absatz 4 bis Seite 3, Absatz 3 und Seite 6, Absatz 2 in Verbindung mit den Figuren 1 bis 4 offenbart sind. Die abhängigen Ansprüche 3 bis 7 entsprechen jenen in der erteilten Fassung. Die Beschreibung (Einschub auf Seite 2) ist hinsichtlich der Angabe des Standes der Technik ergänzt worden. Die vorgenommenen Änderungen verstoßen daher nicht gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Gegenstand des Streitpatents (Hauptantrag)

3.1. Das Verfahren nach Anspruch 1 legt fest, daß ein mathematisches Modell eines kardanisch gelagerten und kreiselstabilisierten Suchkopfes in einem Rechner dargestellt wird. Dabei gehen "die Art der Rahmenausführung und der Kreiselstabilisierung des zu simulierenden, kardanisch gelagerten, kreiselstabilisierten Suchkopfes in die Software" ein. Eine "Bewegungssimulation des virtuellen Suchkopfes" erfolgt "zeitgleich mit der Bewegung des Flugkörpers". Der virtuelle Suchkopf (und damit auch das auf ihn bezogene Koordinatensystem) wird "durch Drehung mit den Drehraten (pv, qv, rv) um seine drei Achsen (v1, v2, v3) der Sichtlinie (SL) Flugkörper/Ziel nachgeführt" (siehe kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1). Das Nachführen des virtuellen Suchkopfes in einer Bewegungssimulation dient "zur Bestimmung der Sichtliniendrehraten Flugkörper/Ziel mit einem mit dem Flugkörper (1) starr verbundenen Suchkopf (2)" (siehe Oberbegriff des Anspruchs 1).

3.2. Nach Auffassung der Kammer geht aus dieser Festlegung des Anspruchs 1 in Verbindung mit der Beschreibung und den Zeichnungen des Streitpatents deutlich hervor, daß das Verfahren eine rechnerische Bewegungssimulation eines realen, massebehafteten Körpers mit charakteristischem Trägheitsverhalten durchführt. Die simulierte Bewegung der optischen Achse erfolgt mit einem Zeitverhalten, das von den physikalischen Eigenschaften des simulierten Suchkopfes (wie z. B. die kardanische Lagerung und die Art der Rahmenausführung und der Kreiselstabilisierung) abhängt. Das Bezugskoordinatensystem wird mit demselben charakteristischen Folgeverhalten (erster oder höherer Ordnung gemäß Ausführungsbeispiel; siehe Seite 2, Zeile 37; Seite 3, Zeilen 27 bis 33; Anspruch 3 des Streitpatents) der Sichtlinie nachgeführt und kann der Trägheit des Suchkopfes entsprechende vorübergehende Abweichungen von der Sichtlinie aufweisen (siehe Figuren 1. und 2 des Streitpatents).

4. Neuheit (Hauptantrag)

4.1. Es ist unstreitig, daß D4' die Merkmale des Oberbegriffs des vorliegenden Anspruchs 1 offenbart. Die Transformation der gemessenen Azimut- und Elevationsablagewinkel des Zieles erfolgt gemäß D4' in sogenannte Pseudomeßsignale bezogen auf ein Koordinatensystem, das in bevorzugter Weise eine Ordinatenachse entlang der Sichtlinie ausgerichtet hat. Die Ablagewinkel im transformierten Achsensystem (e-Achsen) nehmen somit kleine Werte an, und die Winkelfunktionen können linearisiert werden, um mittels eines Kalman-Filters (401) auch im dreidimensionalen Fall gefilterte Schätzwerte zu erhalten, die für die Steuerung des Flugkörpers verwendet werden können (D4', Spalte 2, Zeilen 3 bis 11; Spalte 4, Zeile 63 bis Spalte 5, Zeile 28; Figur 4). In gewisser Weise wird hiermit die mechanische Komplexität eines herkömmlichen, kardanisch gelagerten Suchkopfes bei Flugkörpern mit starrem Suchkopf durch moderne Rechentechnik abgelöst (D4', Spalte 2, Zeilen 12 bis 14; Spalte 6, Zeilen 55 bis 64) und es können bekannte Navigationsalgorithmen, wie z. B. die Proportionalnavigation, auf der Basis der Drehraten der Sichtlinie Flugkörper/Ziel eingesetzt werden (D4', Spalte 1, Zeile 58 bis Spalte 2, Zeile 2; Spalte 7, Zeilen 55 bis 58; Ansprüche 1 und 2). Die Achsentransformation kann regelmäßig aktualisiert werden (z. B. bei jeder Prozessoraktualisierung), insbesondere wenn die gesamte Winkelbewegung der Sichtlinie groß wird. Die Schätzwerte der Ablagewinkel werden so nach jeder Korrektur gleich Null. Die e-Achsen bleiben im Idealfall im Inertialraum stationär und auf die Sichtlinie ausgerichtet. Sie können daher in gewisser Weise als einer Tellerachse bei einem kardanisch gelagerten Suchkopf mathematisch äquivalent betrachtet werden (D4', Spalte 5, Zeilen 47 bis 50; Spalte 6, Zeilen 36 bis 54).

4.2. Das Nachführen der e-Achsen durch Aktualisierung der Transformation erfolgt in D4' aber mit einem von der Rechentechnik abhängigen Zeitverhalten (regelmäßig, z. B. im Takt der Prozessoraktualisierung), nicht mit dem Zeitverhalten eines mechanisch trägen Suchkopfes. Dasselbe gilt für die Korrektur durch das Kalman-Filter. Denn die Abschätzung der Sichtliniendrehraten berücksichtigt das dynamische Verhalten des Flugkörpers (D4', Spalte 3, Zeilen 23 bis 28; Spalte 6, Zeilen 22 bis 25; Spalte 11, Zeilen 39 bis 47). Wenn das Kalman-Filter für die Simulation alle Komponenten des Flugkörpers mathematisch nachbildete, würde es den in D4' offenbarten starren Suchkopf nachbilden und nicht einen kardanisch gelagerten Suchkopf, um das reale Flugverhalten abzubilden. Die Äquivalenz der e-Achsen und einer virtuellen Suchkopfachse ist also nur im geometrischen Sinne gegeben, nicht hinsichtlich des für das Verfahren relevanten dynamischen Verhaltens. Für das Nachführen der e-Achsen sind nicht die Parameter eines massebehafteten Suchkopfes bestimmend, sondern die gewählte Aktualisierungsrate der Achsentransformationen und gegebenenfalls die Simulation der Dynamik eines Flugkörpers mit starrem Suchkopf.

4.3. Zusammenfassend offenbart D4' somit nicht die Merkmale des kennzeichnenden Teils des vorliegenden Anspruchs 1, insbesondere weist das bekannte Verfahren kein mathematisches Modell eines virtuellen kardanisch gelagerten und kreiselstabilisierten Suchkopfes auf, dessen Bewegungssimulation zeitgleich mit der Bewegung des Flugkörpers abläuft. Auch die anderen im Verfahren befindlichen Dokumente zeigen diese Merkmale nicht. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gilt daher als neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).

5. Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag)

5.1. Wie aus dem Vorangehenden ersichtlich ist, liegt der Achsentransformation in D4' eine andere Idee zugrunde, nämlich die einer mathematischen Hilfskonstruktion, um kleine Ablagewinkel im transformierten System zu erhalten. Ausgehend von D4' gibt es keinen naheliegenden Grund, die e-Achsen über eine Bewegungssimulation eines kardanisch gelagerten und kreiselstabilisierten Suchkopfes nachzuführen. Das wurde von den Beschwerdegegnern im übrigen auch nicht vorgebracht.

5.2. D2 (Seite 11-1: "Summary", Seite 11-3: Tabelle I; Seite 11-9, Punkte 4 und 4.1, Absatz 1; Seite 11-10: Figuren 9 und 10; Seiten 11-14 und 11-15: "Conclusions") beschreibt in einer Machbarkeitsstudie Vor- und Nachteile von kardanisch gelagerten und starren Suchköpfen. Bei letzteren können bei der elektronischen Bildung der Sichtliniendrehraten Stabilitätsprobleme auftreten. D2 kommt anhand von Simulationen verschiedener Systeme zur Schlußfolgerung, daß mit dem vorgestellten Konzept ("dither adaptive concept") bei Systemen mit starren Suchköpfen eine Genauigkeit erzielt werden kann, die mit jener von kardanisch gelagerten Suchköpfen vergleichbar ist. In der Einleitung des Kapitels "3. Basic Concepts" weist D2 (ähnlich wie D4', Spalte 6, Zeilen 55 bis 64, dreizehn Jahre später) darauf hin, daß Funktionen, die früher von kardanisch gelagerten Suchköpfen mechanisch ausgeführt wurden, bei starren Suchköpfen elektronisch ausgeführt werden. Als Beispiele werden Differenzierung, Achsentransformation und eine Entkopplung des Suchkopfes von der Bewegung des Flugkörpers genannt. Dieser Hinweis ist (ähnlich wie jener in D4') dahingehend zu verstehen, daß sich die Komplexität der Steuerung bei einem Flugkörper mit starrem Suchkopf teilweise von der mechanischen Seite auf die elektronische Seite verlagert, indem z. B. eine Koordinatentransformation bezogen auf die Sichtlinie vorgenommen wird.

5.3. Gegenüber dem in D2 offenbarten Stand der Technik kann (ähnlich wie gegenüber D4') die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, "ein Verfahren bereitzustellen, mit dessen Hilfe zusammen mit einem mit dem Flugkörper starr verbundenen Suchkopf eine Proportionalnavigation auf einfache Weise durchgeführt werden kann" (Streitpatent, Seite 2, Zeilen 19 und 20).

5.4. Der Fachmann, der D2 ohne rückschauende Betrachtung liest, erhält keinen Hinweis, einen bekannten kardanisch gelagerten und kreiselstabilisierten, d. h. drehbaren und massebehafteten Suchkopf (z. B. wie in D1 offenbart) in einem mathematischen Modell für eine Bewegungssimulation nachzubilden, um bekannte Funktionen auf diese Weise elektronisch durchzuführen, insbesondere die Sichtliniendrehraten bei starrem Suchkopf zu bestimmen. Durch die erfindungsgemäße Simulation kann für die Sichtliniendrehraten ein dynamisches Verhalten wie bei einem realen kardanisch gelagerten Suchkopf simuliert werden, ohne deren mechanische Komplexität in Kauf nehmen zu müssen.

5.5. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist durch den vorliegenden Stand der Technik daher nicht nahegelegt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 und der von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 7 gilt somit als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (Artikel 56 EPÜ).

6. Unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen genügen das vorliegende europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, in der Fassung gemäß Hauptantrag den Erfordernissen des Übereinkommens (Artikel 102 (3) EPÜ). Eine Erörterung des Hilfsantrag erübrigt sich daher.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 bis 7 (Hauptantrag), eingereicht mit Schreiben vom 21. März 2001; Beschreibung und Zeichnungen der Patentschrift mit Einschub auf Seite 2, Zeile 18, der Beschreibung, eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

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