T 0076/99 () of 9.10.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T007699.20011009
Datum der Entscheidung: 09 October 2001
Aktenzeichen: T 0076/99
Anmeldenummer: 92113892.1
IPC-Klasse: G01N 27/90
G01N 29/26
G01N 29/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Einrichtung zum zerstörungsfreien Prüfen einer Durchführung eines Reaktordruckbehälter-Deckels
Name des Anmelders: ABB Reaktor GmbH
Name des Einsprechenden: (01) Société Framatome
(02) Siemens AG
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Reformatio in peius
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das europäische Patent Nr. 0 569 617 (Anmeldenummer 92 113 892.1) wurden zwei Einsprüche eingelegt, die unter Hinweis auf Artikel 100 a) EPÜ auf die Einwendungen gestützt wurden, daß der Gegenstand des Patents im Hinblick insbesondere auf die Dokumente

D8: Technisches und kommerzielles Angebot der Firma Framatome an die Firma EDF vom 17. März 1992; und

D14: DE-C-2 636 246

nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei.

II. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung in abgeänderter Fassung auf der Grundlage eines Satzes von 10. Ansprüchen aufrechterhalten, aus denen die unabhängigen Verfahrensansprüche 1 und 4 und der einzige unabhängige Vorrichtungsanspruch 5 wie folgt lauten:

"1. Verfahren zum zerstörungsfreien Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen (3) ausgebildeten Durchführung eines auf einem Abstellring (1) abgesetzten Reaktordruckbehälter-Deckels (2), wobei der Stutzen (3) von einer an ihm abgestützten Hülse (5) unter Belassung eines Ringspaltes (7) durchsetzt ist, wobei das untere Ende der Hülse weiter in den Innenraum des Reaktordruckbehälter-Deckels ragt als der Stutzen, und wobei eine mit einem Wirbelstromprüfkopf (48) bestückte Sonde (46) in den Ringspalt (7) eingebracht und darin verfahren wird, dadurch gekennzeichnet, daß ein Zentrierstück (16) mit dem unteren Ende der Hülse (5) in Kontakt gebracht wird und daß die Sonde (46) zusammen mit dem Zentrierstück und der Hülse in eine Rotationsbewegung versetzt wird.

4. Verfahren zum zerstörungsfreien Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen (3) ausgebildeten Durchführung eines auf einem Abstellring (1) abgesetzten Reaktordruckbehälter-Deckels (2), wobei der Stutzen (3) von einer an ihm abgestützten Hülse (5) unter Belassung eines Ringspaltes (7) durchsetzt ist, wobei das untere Ende der Hülse weiter in den Innenraum des Reaktordruckbehälter-Deckels ragt als der Stutzen, und wobei eine mit einem Wirbelstromprüfkopf (48) bestückte Sonde (46) in den Ringspalt (7) eingebracht und darin verfahren wird, dadurch gekennzeichnet, daß ein Zentrierstück (16) mit dem unteren Ende der Hülse (5) in Kontakt gebracht wird, daß bei in Ruhestellung bleibender Hülse (5) der Ringspalt (7) streifenförmig in vertikaler Richtung vom Wirbelstromprüfkopf (48) bestrichen wird, und daß nach dem Bestreichen eines Streifens der Wirbelstromprüfkopf durch Verdrehen der Sonde (46) in eine neue Prüfposition zum Bestreichen eines weiteren Streifens gebracht wird.

5. Einrichtung zum zerstörungsfreien Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen (3) ausgebildeten Durchführung eines auf einem Abstellring (1) abgesetzten Reaktordruckbehälter-Deckels (2), wobei der Stutzen (3) von einer an ihm abgestützten Hülse (5) unter Belassung eines Ringspaltes (7) durchsetzt ist und wobei das untere Ende der Hülse weiter in den Innenraum des Reaktordruckbehälter-Deckels ragt als der Stutzen, und wobei eine mit einem Wirbelstromprüfkopf (48) bestückte Sonde (46) in den Ringspalt (7) einbringbar und verfahrbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß auf einem innerhalb des Abstellrings (1) angeordneten Manipulator (10) ein Rahmen (11) abgestützt ist, der über feststellbare Schwimmlager (12) ein Gehäuse (13) zur Aufnahme eines Drehtellers (14) trägt, daß dem Drehteller in exzentrischer Anordnung ein vertikal verstellbarer Hubzylinder (20) zugeordnet ist, der die Drehbewegung des Drehtellers mit ausführt und an seinem freien Ende einen Sondenantrieb (22) zur Bewegung der Sonde (46) in achsparalleler Richtung zum Stutzen (3) trägt, und daß dem Drehteller (14) konzentrisch ein in vertikaler Richtung verstellbares Zentrierstück (16) zugeordnet ist, das die Drehbewegung des Drehtellers mit ausführt."

Ihre Zwischenentscheidung begründete die Einspruchsabteilung im wesentlichen damit, daß das Dokument D8 ihrer Auffassung nach der Öffentlichkeit im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ zwar zugänglich war, der beanspruchte Gegenstand sich jedoch weder aus diesem Dokument noch aus den übrigen Entgegenhaltungen ohne weiteres herleiten ließe.

III. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung wurde von den beiden Einsprechenden unter Hinweis noch auf die Druckschrift

D17: EP-A-0 558 371

Beschwerde erhoben.

IV. Es wurde am 9. Oktober 2001 mündlich verhandelt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragten die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten (Hauptantrag).

Hilfsweise beantragte sie, das Patent in der Fassung der Zwischenentscheidung aufrechtzuerhalten (Hilfsantrag 1).

Weiter hilfsweise beantragte sie, das Patent auf der Grundlage von zwei weiter eingeschränkten, mit Brief vom 30. August 2001 eingereichten Anspruchssätzen aufrechtzuerhalten. Auch ihren im gleichen Brief gestellten Antrag, die sich für den Fall der Nichtanerkennung des Dokuments D8 als zum Stand der Technik gehörend, jedoch der Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung beschlossenen, eingeschränkten Fassung ergebende Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, hielt sie aufrecht.

V. Zur Stützung ihres Antrags wiesen die Beschwerdeführerinnen zunächst darauf hin, daß die Beschwerdegegnerin gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, selbst keine Beschwerde erhoben habe. Aus den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 9/92 (ABl. EPA 1994, 875) und G 1/99 (ABl. EPA 2001, 381) ergebe sich, daß die nicht beschwerdeführende Patentinhaberin primär darauf beschränkt sei, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die der Zwischenentscheidung zugrunde gelegen habe. Bereits aus diesen Gründen sei der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, nicht gewährbar.

Zur Frage der Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstandes haben die Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung zur weiteren Stützung ihrer Auffassung, wonach das Dokument D8 zum Stand der Technik gehöre, weil es der Firma EDF ohne jegliche Geheimhaltungspflicht übersandt worden sei, zusätzlich noch die Kopie eines Besuchsprotokolls sowie eine vollständige Kopie des Dokuments D8 samt dem bislang fehlenden kommerziellen Teil eingereicht.

Die Druckschrift D8 offenbare ein Verfahren und eine Einrichtung zum zerstörungsfreien Prüfen der Durchführungen durch einen Reaktordruckbehälter-Deckel, bei welchem genau wie im angegriffenen Patent eine Sonde in den Ringspalt zwischen dem eingeschweißten Stutzen und einer an ihm abgestützten Hülse eingebracht und darin ebenso in axialer Richtung als auch in einer Drehbewegung verfahren werde. Auch hier werde ein Zentrierstück mittels Klauen ("pinces") mit dem unteren Abschnitt der Hülse in Kontakt gebracht, um diese in eine Rotationsbewegung zu versetzen.

Daher sei der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche in der durch die Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung gemäß dem 1. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin nicht neu bzw. im Hinblick noch auf den Inhalt der Druckschrift D14, die die Verwendung eines Zentrierstückes in einer sehr ähnlichen Einrichtung offenbare, nicht erfinderisch.

Auch die zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) und (4) EPÜ gehörende Druckschrift D17 stehe dem beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich entgegen. Auch dort werde durch die in die Wand der inneren Hülse eingefrästen Schlitze die Sonde in den Ringspalt zwischen der Hülse und dem sie abstützenden Stutzen eingebracht und verfahren.

VI. Zur Zulässigkeit ihres Hauptantrags auf die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung wies die Beschwerdegegnerin zunächst darauf hin, daß die Begründung in der Zwischenentscheidung der Ansicht der Einspruchsabteilung, wonach das Dokument D8 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei, nicht nachvollziehbar sei. Diese Ansicht werde auch durch eine davon abweichende, ausführlich begründete Entscheidung des deutschen Bundespatentgerichts, das das gleiche Dokument in einer anderen Patentstreitsache zu bewerten hatte, widerlegt (vgl. die der Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 30. August 2001 beigelegte Ausfertigung des Beschlusses des Bundespatentgerichts).

Daher wäre es besonders unbillig, wenn die Beschwerdeführerin, die aus reinen verfahrensökonomischen Erwägungen die Bestätigung des Patents in der erteilten Fassung im Einspruchsverfahren nicht weiterverfolgt hatte und auch keine gesonderte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung erhoben hatte, ihre Rechte nicht mehr verteidigen könnte, die Beschwerdeführerinnen dagegen aber ihre Lage im Beschwerdeverfahren nur verbessern könnten. Die von den Beschwerdeführerinnen herangezogene Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer dürfe der Möglichkeit einer Anschlußbeschwerde im Sinne des deutschen Verfahrensrechts nicht entgegenstehen.

Sollte die Beschwerdekammer wie das Bundespatentgericht zum Schluß kommen, das Dokument D8 gehöre nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ, würde der eigentliche Grund für die im Einspruchsverfahren erfolgte Einschränkung der Ansprüche wegfallen, so daß eine Bestätigung der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung keinen Sinn machen würde. Auch deswegen müßte die sich aus dieser Sachlage ergebende Rechtsfrage zumindest der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden.

Ferner bestritt die Beschwerdegegnerin, daß der Inhalt der Druckschrift D17 dem beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich entgegenstünde.

In der Vorrichtung des Dokuments D8 gewährleiste die mit zwei Klauen ausgestattete Befestigungsvorrichtung keine definierte Achslage für die Rotation der Sonde. Nachdem dort die Hülse radial gegen den Stutzen verschoben werden müsse, um das Einführen der Sonde zu ermöglichen, sei auch ein kontinuierliches Prüfen der Durchführung um ihren gesamten Umfang nicht möglich. Dies werde durch den Hinweis unter Punkt 2 auf Seite 4 des Dokuments bestätigt, wonach ein Abtasten in der Rotation erst nach weiteren Versuchen auf einem Modell validiert werden könne.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen sind zulässig.

2. Zulässigkeit des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin

Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, hat die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin keine Beschwerde erhoben. Bereits aus der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/92 ist sie daher primär darauf beschränkt, das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung zu verteidigen. In ihrer weiteren Entscheidung G 1/99 hat die Große Beschwerdekammer zwar aufgeführt, daß von dem Grundsatz des Verbots der reformatio in peius jedoch ausnahmsweise abgewichen werden kann, um einen im Beschwerdeverfahren vom Einsprechenden/Beschwerdeführer oder von der Kammer erhobenen Einwand auszuräumen, wenn andernfalls das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Patent als unmittelbare Folge einer unzulässigen Änderung, die die Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung für gewährbar erachtet hatte, widerrufen werden müßte.

Solche Umstände - insbesondere die Notwendigkeit, eine unzulässige Änderung rückgängig zu machen - sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennbar.

Die Beschwerdegegnerin stützte ihre Auffassung, eine Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius sollte auch hier gemacht werden, darauf, daß die in den geänderten Ansprüchen erfolgte Einschränkung die unmittelbare Folge einer irrtümlichen Beurteilung durch die Einspruchsabteilung der Frage gewesen sei, ob das Dokument D8 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist oder nicht.

Eine angeblich falsche Bewertung von Beweismitteln, sei es zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit eines Dokuments oder bezüglich dessen technischen Inhalts hätte die Beschwerdegegnerin durch die Kammer im Rahmen einer durch sie erhobenen Beschwerde überprüfen lassen können.

Im vorliegenden Fall ist jedoch zu bemerken, daß die Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren lediglich die Erteilung des Patents in der beschlossenen abgeänderten Fassung beantragt, einen früheren Antrag auf Zurückweisung des Einspruchs jedoch ausdrücklich zurückgenommen hatte (vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 1998 vor der Einspruchsabteilung, Seite 1, letzter Absatz sowie Punkt 9 der angefochtenen Zwischenentscheidung).

Nachdem die Anwendung der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer zum Verbot der reformatio in peius auf den vorliegenden Fall keinerlei Schwierigkeiten bereitet und aus den obigen Gründen entgegen der Argumentation der Beschwerdegegnerin auch nicht zu einem offensichtlich unbilligen Ergebnis führt, vermag die Kammer keinen Grund zu erkennen, die Frage erneut der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.

Aus diesen Gründen ist der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin nicht zulässig.

3. 1. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin

3.1. Zulässigkeit der Änderungen des Patents im Hinblick auf die Bestimmungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ

Im Vergleich zu den entsprechenden unabhängigen Ansprüchen 1 und 6 der erteilten Fassung wurden die vorliegenden unabhängigen Ansprüche 1 und 5 lediglich durch Hinzunahme der Merkmale des ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruchs 2 bzw. des kennzeichnenden Teils des ursprünglich eingereichen Anspruchs 1 weiter eingeschränkt.

Der Inhalt des vorliegenden unabhängigen Anspruchs 4 entspricht dem Inhalt des erteilten, auf den Anspruch 1 rückbezogenen Anspruchs 5.

Ferner wurde die Beschreibung lediglich dem Wortlaut des geänderten Anspruchssatzes angepaßt und durch eine kurze Zusammenfassung des Inhalts des Dokuments D8 ergänzt (vgl. Regel 27 (1) b) und c) EPÜ).

Somit erfüllen die im Patent erfolgten Änderungen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

3.2. Zugehörigkeit des Dokuments D8 zum Stand der Technik

Die Frage, ob das Angebot D8 als der Öffentlichkeit vor dem Prioritätsdatum des Patents zugänglich gemacht zu gelten hat oder nicht, ist zwischen den Parteien strittig.

Ihre Klärung bedürfte einer eingehenden Untersuchung der Umstände der Übermittlung dieses Angebots durch die Firma Framatome an die Firma EDF bzw. derer geschäftlichen Beziehungen, um zu ermitteln, ob mit diesem Angebot irgendwelche explizite oder implizite Geheimhaltungspflichten verbunden waren oder nicht. Dazu müßten ggf. einige mit dem Angebot befaßte Mitarbeiter beider Firmen als Zeugen gemäß Artikel 117 (1) a) EPÜ vernommen werden.

Solche Untersuchungen sind jedoch nur dann sachdienlich, wenn die zu klärende Frage selbst für die Entscheidungsfindung erheblich ist.

Aus diesen Gründen wird die Kammer im folgenden zunächst die Patentfähigkeit der Ansprüche gemäß dem 1. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin im Falle der Nichtberücksichtigung des Dokuments D8 als zum Stand der Technik gehörend untersuchen und danach überprüfen, ob eine Berücksichtigung des Dokuments D8 zu einem anderen Ergebnis führen würde.

3.3. Patentfähigkeit bei Nichtberücksichtigung des Dokuments D8

3.3.1. Neuheit

Die Druckschrift D17 ist eine europäische Patentanmeldung, deren Prioritätdatum (28. Februar 1992) früher als das Prioritätsdatum des angefochtenen Patents (13. Mai 1992) ist, die aber erst nach letzterem Datum veröffentlicht worden ist (1. September 1993). Für die gemeinsam benannten Vertragsstaaten BE, DE, ES und SE gehört daher der Inhalt der Druckschrift D17 zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) und (4) EPÜ, der lediglich bei der Beurteilung der Neuheit in Betracht zu ziehen ist.

Diese Druckschrift offenbart ein Verfahren und eine Einrichtung, die demselben Zweck dienen als die im Streitpatent beanspruchten Verfahren und Einrichtungen, nämlich dem zerstörungsfreien Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen 3 ausgebildeten Durchführung eines Reaktordruckbehälter-Deckels 1, wobei der Stutzen von einer an ihm abgestützten Hülse 5 unter Belassung eines Ringspaltes durchsetzt ist, wobei das untere Ende der Hülse weiter in den Innenraum des Reaktordruckbehälter-Deckels ragt als der Stutzen, und wobei eine z. B. mit einem Wirbelstromprüfkopf bestückte Sonde die Durchführung ohne Ausbau der Hülse überprüft (vgl. Spalte 3, Zeile 38 bis Spalte 5, Zeile 6 nebst Figur 1 und Spalte 2, Zeilen 23 bis 30). Die Sonde 12 wird zunächst über einen Prüfkopf 14 in die Hülse durch ihre untere Öffnung axial eingeschoben und danach radial durch eigens zu diesem Zweck in die Hülse eingefräste senkrechte Schlitze 10 an die innere Wand des Stutzens angepreßt (vgl. Spalte 5, Zeile 30 bis Spalte 6, Zeile 2).

Im Gegensatz dazu wird gemäß den unabhängigen Ansprüchen 1, 4 und 5 des angefochtenen Patents die Sonde in den Ringspalt zwischen Stutzen und Hülse eingebracht und darin verfahren, wobei unter "Ringspalt" gemäß den Ausführungen in den Ansprüchen selbst der Raum gemeint ist, der zwischen dem Stutzen und der an ihm abgestützten Hülse belassen wird (vgl. auch den in den Figuren 4 und 10 des Streitpatents dargestellten, lediglich nach unten offenen Ringspalt 7).

Somit umfassen die vorliegenden Ansprüche nach Auffassung der Kammer keine Ausführungen, bei welchen wie in der Druckschrift D17 die Sonde in das Innere der Hülse eingebracht wird.

Keine andere Entgegenhaltung, außer der Druckschrift D8, betrifft das Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen ausgebildeten Durchführung eines Reaktordruckbehälter-Deckels.

Somit ist der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 4 und 5 bei Nichtberücksichtigung der Druckschrift D8 neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

3.3.2. Erfinderische Tätigkeit

Die Druckschrift D17 ist bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen.

Nachdem die weiteren Entgegenhaltungen in keiner Weise das Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen ausgebildeten Durchführung eines Reaktordruckbehälter-Deckels betreffen, können sie offensichtlich weder das Einbringen einer Sonde in den Ringspalt zwischen Stutzen und einer an ihm abgestützten Hülse, noch die Verwendung eines mit dem unteren Ende der Hülse in Kontakt gebrachten Zentrierstücks nahelegen.

Beide Beschwerdeführerinnen haben übrigens in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt, daß sie zur Frage der erfinderischen Tätigkeit bei Nichtberücksichtigung des Dokuments D8 als zum Stand der Technik gehörend keine Einwendungen geltend machen wollten.

3.3.3. Aus den obigen Gründen ist der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 4 und 5 im Hinblick auf den ermittelten Stand der Technik bei Nichtberücksichtigung des Dokuments D8 als patentfähig zu betrachten.

Das gleiche gilt für den Gegenstand der übrigen Ansprüche aufgrund ihrer Rückbeziehung auf die Ansprüche 1 und 5.

3.4. Patentfähigkeit unter Berücksichtigung der Druckschrift D8

3.4.1. Neuheit

Das Dokument D8 offenbart ein Verfahren und eine Vorrichtung zum zerstörungsfreien Prüfen einer als eingeschweißter Stutzen ausgebildeten Durchführung eines Reaktordruckbehälter-Deckels, bei welchem wie im Streitpatent die mit einem Wirbelstromkopf bestückte Sonde in den Ringspalt zwischen dem Stutzen und einer an ihm abgestützten Hülse belassenen Ringspalt eingebracht und darin verfahren wird (vgl. insbesondere die Zeichnung in Annex A).

Die Vorrichtung wird am unteren Teil des Stutzens mittels einer ersten, oberen Klemmvorrichtung befestigt und somit wird die Lage der Rotationsachse des beweglichen Teils samt Sonde festgelegt. Diese obere Klemmvorrichtung stellt daher nach Auffassung der Kammer das eigentliche "Zentrierstück" im Sinne der Ansprüche dar. Nachdem dieses Zentrierstück am Stutzen selbst angreift und nicht mit dem unteren Ende der Hülse gemäß den Ausführungen in den Ansprüchen 1 und 4 in Kontakt gebracht wird und weder in vertikaler Richtung verstellbar ist, noch die Drehbewegung eines Drehtellers im Sinne von Anspruch 5 mit ausführt, ist der beanspruchte Gegenstand im Hinblick auf den Inhalt des Dokuments D8 auch neu.

In diesem Zusammenhang kann die Kammer der Argumentation der Beschwerdeführerinnen nicht folgen, wonach die zweite, untere Klemmvorrichtung des Dokuments D8 ein mit dem unteren Ende der Hülse in Kontakt gebrachten Zentrierstück darstellt. Diese untere Klemmvorrichtung, die an der Hülse angreift, bewirkt nämlich eine radiale Verschiebung letzterer gegen die Innenwand des Stutzens (vgl. den Begriff "désaxage" aus Annex A und die Punkte 8 und 11 auf Seite 5 des Dokuments). Schon deswegen kann diese zweite Klemmvorrichtung nicht als "Zentrierstück" bezeichnet werden. Darüber hinaus ist der Abstand zwischen den zwei Klemmvorrichtungen konstant, so daß bei der am unteren Ende des Stutzens angebrachten ersten Klemmvorrichtung die zweite Klemmvorrichtung nur dann am unteren Teil der aus dem Stutzen herausragenden Hülse angreift, wenn diese relativ kurz ist, d. h. bei den Stutzen, die am Rande des Reaktordruckbehälter-Deckels angebracht sind (vgl. die Zeichnungen in der Annex B des Dokuments D8 sowie die Figur 1 des Streitpatents). Bei vom Rand des Deckels entfernten Stutzen würde die untere Klemmvorrichtung notwendigerweise an einer Stelle der Hülse angreifen, die wesentlich weiter von ihrem unteren Ende entfernt ist.

3.4.2. Erfinderische Tätigkeit

Das Verfahren und die Vorrichtung gemäß dem Dokument D8 kommen dem beanspruchten Gegenstand eindeutig am nächsten.

Nachdem aus den im Zusammenhang mit der Beurteilung der Neuheit dargestellten Gründen das Verfahren und die Vorrichtung des Dokuments D8 eine radiale Verschiebung der Hülse gegen die innere Wand des Stutzens voraussetzen, sind die beanspruchten Unterscheidungsmerkmale, wonach ein Zentrierstück mit dem unteren Ende der Hülse in Kontakt gebracht wird im Sinne der Verfahrensansprüche 1 und 4, bzw. wonach das Zentrierstück die Drehbewegung eines die Sonde tragenden Drehtellers mit ausführt, gemäß dem unabhängigen Vorrichtungsanspruch 5 mit der Lehre aus dem Dokument D8 technisch nicht vereinbar.

Selbst wenn der aus dem Stand der Technik gemäß Dokument D8 ausgehende Fachmann sich aus dem in der Akte befindlichen Stand der Technik nicht ersichtlichen Gründen die Aufgabe stellen würde, ein Prüfen der Durchführung ohne seitliche Verschiebung der Hülse zu ermöglichen, würde er nach Auffassung der Kammer nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung gelangen.

Insbesondere betrifft die von den Beschwerdeführerinnen in diesem Zusammenhang erwähnte Druckschrift D14 nicht das Prüfen der Durchführungen in dem Reaktordruckbehälter-Deckel, sondern lediglich der Stege zwischen solchen Durchführungen. Darüber hinaus sind an den Stutzen keine Hülsen abgestützt, so daß das dort vorgesehene Zentrierstück 34 (vgl. Figur 7) lediglich mit dem unteren Ende des Stutzens in Kontakt gebracht wird. Eine unmittelbare Verwendung einer derartigen Zentriervorrichtung in der Anordnung gemäß dem Dokument D8 würde daher zunächst den Ausbau der Hülsen erfordern. Darüber hinaus ist festzustellen, daß gemäß der Druckschrift D14 das Zentrierstück 34 in der unteren Öffnung des Stutzens 35 geführt wird, so daß dort auch kein Raum für die Durchführung einer Sonde verbleibt (vgl. Figur 7 und Spalte 3, Zeilen 32 bis 34).

Aus diesen Gründen muß der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 4 und 5 sowie auch derjenige der restlichen, davon abhängigen Ansprüche gemäß dem 1. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin auch dann als auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhend betrachtet werden, wenn das Dokument D8 als zum Stand der Technik gehörend berücksichtigt wird.

3.5. Somit genügt das Patent in dem Umfang gemäß dem 1. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens unabhängig davon, ob das Dokument D8 der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich gemacht worden ist oder nicht.

Der 1. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin ist daher gewährbar (vgl. Artikel 102 (3) EPÜ), ohne daß die Frage der Zugehörigkeit dieses Dokumentes zum Stand der Technik weiter untersucht werden müßte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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