T 0019/99 () of 11.9.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T001999.20010911
Datum der Entscheidung: 11 September 2001
Aktenzeichen: T 0019/99
Anmeldenummer: 90122276.0
IPC-Klasse: B21B 1/18
B21B 31/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hochleistungs-Stabstahl/Drahtstraße
Name des Anmelders: SMS Demag AG
Name des Einsprechenden: DANIELI & C. OFFICINE MECCANICHE SpA
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 99(1)
European Patent Convention 1973 Art 101(1)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 56(1)
Schlagwörter: Prüfung des Einspruchs - Zulässigkeit (bejaht)
Entscheidung über die Beschwerde-Zurückverweisung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0234/86
T 0002/89
T 0199/92
T 0028/93
T 0533/94
T 0534/94
T 0003/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 90 122 276.0 wurde das europäische Patent Nr. 0 432 532 erteilt, dessen Anspruch 1 wie folgt lautet:

"Hochleistungs-Stabstahl/Drahtstraße, insbesondere für das drallfreie Walzen von Walzgut (12) mit jeweils mehrere Walzgerüste bzw. Walzeinheiten aufweisender Vorstraße (1), mit mindestens einer Zwischenstraße (2) und anschließender Fertigstraße (3) mit gegebenenfalls nachfolgendem Fertigblock (4), wobei nach Maßgabe der minimierten Kaliberreihen in jedem Straßenabschnitt, der Walzenwechsel in der Vorstraße (1) mittels Kranwerkzeug (15), in der Zwischenstraße (2) mittels Manipulator (16) und in der Fertigstraße (3) mittels Schnellwechselvorrichtung (17) gegebenenfalls zusätzlich mittels Manipulator erfolgt und sämtliche Walzgerüste bzw. Walzeinheiten in den einzelnen Straßenabschnitten (1, 2, 3, 4) fliegend gelagerte, abziehbare Walzen (18, 31, 32, 46) aufweisen, wobei ferner die Vor- und Zwischenstraße (1, 2) zum Zweck des drallfreien Walzens des Walzgutes (12) in wechselnder Reihenfolge Horizontal- und Vertikalgerüste (H-V) aufweisen und die Fertigstraße (3) in Walzrichtung gesehen zumindest aus Horizontal- und Vertikalgerüsten (H-V) besteht, gefolgt von einem eine Vertikal- und Horizontal-Walzeinheit (V-H) aufweisenden Walzblock (7), dessen Horizontal-Walzeinheit (H) ausschließlich zum Trennwalzen des Walzgutes (12) in zwei separate Walzadern (12', 12") einsetzbar ist, während dessen Vertikal-Walzeinheit (V) zur Normalwalzung des Walzgutes einsetzbar ist und wobei dem Vertikal-Horizontal-Walzblock (7) in der Fertigstraße (3) für die letzten Stiche der Trennwalzung in der Fertigstraße zwei Duo-Walzgerüste (8) mit der Walzfolge vom Ovalkaliber zum Rundkaliber nachgeordnet sind."

II. Ein von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) gegen das Patent eingelegter, auf den Einspruchsgründen gemäß Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ beruhender, auf die folgenden innerhalb der Einspruchsfrist vorgelegten Beweismittel

D0 EP-B-142 879

D01 Firmenprospekt Nr. 2000.03.86 der Firma Danieli & C. Buttrio, IT, Seiten 1 bis 8, "ESC" Rolling Units' (im Prüfungsverfahren als "D1" bezeichnet)

D1(O1) Veröffentlichung der Fa. Danieli, Firmenprospekt 3500.05.86 "BGV - Wirerod fast finishing blocks", Seiten 1 bis 8

D2(O2) Technische Zeichnung der Fa. Danieli Nr. 06648-S/a vom 10.3.1986

D3(O3) Technische Zeichnung der Fa. Danieli Nr. 06701.P vom 13.11.84

D4.1(O4.1) Technische Zeichnung der Fa. Danieli Nr. C.06701.02 vom Jan. 84

D4.2(O4.2) Technische Zeichnung der Fa. Danieli Nr. 6001769.H vom 16.5.85

D4.3(O4.3) Technische Zeichnung der Fa. Danieli Nr. 8.005144.D vom 22.5.86

D5(O5) Veröffentlichung der Fa. Danieli "Danieli News" Nr. 105, Juli 1985

D6(O6) "Metal Monthly", Nr. 186, Juni 1986, Seite 50

D7(O7) Veröffentlichung der Fa. Danieli "Danieli News", Nr. 106, September 1986

D8(O8) Technische Zeichnung der Fa. Danieli Nr. 6.011119.P vom 7.11.88

D9(O9) Technische Zeichnung der Fa. Danieli, Roll Pass Design, Nr. 88.5388.001.1, 08/88 (mit einem zusätzlichen Vergrößerngsexemplar)

gestützter Einspruch, wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 16. November 1998 zur Post gegebenen Entscheidung als unzulässig verworfen.

III. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung am 29. Dezember 1998 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Die Beschwerdebegründung ist am 15. März 1999 eingegangen.

IV. Am 11. September 2001 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die, wie angekündigt, bei der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, beantragte (schriftlich), die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, die Sache zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

V. Die Beschwerdeführerin argumentierte in etwa wie folgt:

Es sei im Einspruchsschriftsatz (Absatz 3.2) anhand der Druckschriften D01, D0 und D1 (im Schriftsatz als "D1", "EP-B-0.142.879 und "O1" bezeichnet) belegt worden, daß eine Hochleistungs-Stabstahl/Drahtstraße mit den in Spalte 9, Zeilen 21 bis 43 des Streitpatents enthaltenen Merkmalsgruppen des Anspruchs 1 zum Stand der Technik gehöre. Zu den weiteren Anspruchsmerkmalen in Spalte 9, ab Zeile 43 des Streitpatents sei im Absatz 3.3 f) auf Seite 9 des Einspruchsschriftsatzes vorgebracht worden, daß die in den Druckschriften D8 und D9 dargestellten Anlagen das Trennwalzen ("splitting") beträfen. Es sei ohne weiteres erkennbar, daß bei dem Walzplan nach der D9 die Gerüste 5 und 6 nur für das Trennwalzen eingesetzt worden sind, wobei die drei letzten Spalten des Plans Normalwalzungen beträfen. Aus diesem Grunde sei in diesen Spalten für die Gerüste 5 und 6 das Wort "Dummy" eingetragen, was in der Fachsprache bedeute, daß das entsprechende Gerüst leerlaufe.

Im Einspruchsschriftsatz sei auch das Anlaufjahr 1988 des in den Zeichnungen D8 und D9 wiedergegebenen Walzwerks genannt und mit dem Hinweis auf das P.T. INTI-Walzwerk in Indonesien sei auch der Ort, an dem das Walzwerk stehe, für jeden Fachmann eindeutig offenbart. Was die Offenkundigkeit der Einrichtungen eines im Betrieb befindlichen Walzwerks anbetreffe, so müsse berücksichtigt werden, daß ein solches Walzwerk und seine für einen Fachmann sofort erkennbaren Einrichtungen nach dem Anlauf sofort bekannt würden. Ein solches Walzwerk stehe für Besucher und auch für Konkurrenzfirmen zur Besichtigung offen. Weiterhin sorge ein Wechsel der Mitarbeiter ebenso für die Offenkundigkeit wie die nicht der Geheimhaltung unterliegende Vergabe von Auftragsarbeiten für die Fertigung weiterer Einrichtungen. Die Auftragsfirmen erhielten dabei auch umfassende Informationen über die Anordnung und Ausstattung des Walzwerkes und die Zeichnungen würden unter Zulieferern ausgetauscht. Die Einsprechende habe auch keinen Grund gehabt, die bekannten Merkmale der in Rede stehenden Walzwerkanlage geheimzuhalten. Es habe sich somit nicht um die Zusammenarbeit der Einsprechenden mit Zulieferfirmen zum Zwecke der Weiterentwicklung von Walzwerken gehandelt, sondern um die Vergabe einfacher Fertigungsaufträge. Die Zeichnungen gemäß D8 und D9 seien deswegen mit öffentlichen Druckschriften vergleichbar. Die Zugänglichkeit von in Betrieb befindlichen Walzwerken sei für die Fachwelt derart selbstverständlich, daß hierzu fehlende Angaben keinen Mangel im Sinne von Regel 55 c) EPÜ darstellten. Auch seien für einen Besucher des betreffenden Walzwerkes die im Zusammenhang mit dem Streitpatent interessierenden Merkmale unmittelbar erkennbar, da die Reihenfolge der Walzgerüste, die fliegend gelagerten Walzen mit den Schnellwechselvorrichtungen sowie das zweispurige Walzen dem Fachmann unmittelbar und sofort ins Auge falle. Es sei somit nicht nötig gewesen, im Einspruchsschriftsatz die näheren Umstände, die zur Offenkundigkeit des genannten Walzwerkes führten, im einzelnen anzugeben. Dies gelte auch für das nach den Dokumenten D3 und D4 gebaute Walzwerk in Burma. Nach den Zeichnungen mit dem Datum von 1984 und 1985 zu urteilen, sei aus dem Einspruchsschriftsatz der Schluß zu ziehen, daß diese Anlage vor dem Prioritätstag des Streitpatents, dem 9. Dezember 1989, in Betrieb gegangen sei.

Da bei der Diskussion der Beweismittel D4 bzw. D9 auf den Seiten 7, Mitte und 9, Mitte des Einspruchsschriftsatzes ausdrücklich auf das diesen Beweismitteln entnehmbare Trennwalzen hingewiesen worden sei, sei es für einen fachmännischen Leser des Einspruchsschriftsatzes ohne weiteres erkennbar, daß die Kombination des Offenbarungsinhalts der D9 und der D8 mit dem weiteren druckschriftlichen Stand der Technik zur beanspruchten Lehre führen sollen. Der Einsprechenden müsse zugestanden werden, den Anspruch des Streitpatents so auszulegen, wie sie ihn sehe. Das im Anspruch 1 des Streitpatents angegebene Merkmal, "während dessen Vertikal-Walzeinheit (V) zur Normalwalzung des Walzgutes einsetzbar sei" müsse nicht notwendig so zu verstehen sein, daß die Vertikal-Walzeinheit beim Trennwalzen leerlaufe. Wenngleich im Einspruchsschriftsatz auf dieses Einzelmerkmal nicht im einzelnen eingegangen worden sei, so müsse doch berücksichtigt werden, daß das Leerlaufen von Walzgerüsten z. B. in der D9, für den fachmännischen Betrachter sofort erkennbar, angegeben sei. Im übrigen sei es für die Zulässigkeit eines Einspruchs nicht unbedingt nötig, im Einspruchsschriftsatz jedes Merkmal eines angegriffenen Anspruchs im einzelnen zu diskutieren. Die Kriterien für die Zulässigkeit eines Einspruchs müßten im vorliegenden Falle unter dem Gesichtspunkt des fachmännischen Lesers bewertet werden, der aus dem Inhalt des Einspruchsschriftsatzes in Verbindung mit den Beweismitteln sofort erkenne, daß die Kombination der wesentlichen Merkmale des Anspruchs 1 als nicht erfinderisch angegriffen werde. Der Einspruch sei demnach zulässig.

VI. Die Beschwerdegegnerin trug in schriftlicher Form im wesentlichen folgendes vor:

Es sei nicht im einzelnen nachvollziehbar dargelegt worden, warum das Streitpatent im Hinblick auf die innerhalb der Einspruchsfrist eingereichten Beweismittel den Anforderungen gemäß Artikel 100 EPÜ nicht genügen solle, und es sei nicht substantiiert worden, welche Kombination von Merkmalen aus welchen der genannten Dokumente in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen solle. Außerdem sei die Mehrzahl der genannten Dokumente nicht öffentlich zugänglich, da es sich offensichtlich in allen Einzelfällen um einen betriebsinternen Stand der Einsprechenden handle. Die Dokumente D0 und D01 seien lediglich zur Belegung des Fachwissens bezüglich der fliegend gelagerten Walzen, der Folge von Horizontal/Vertikal-Gerüsten und dem wechselnden Rund-/Ovalwalzen vorgelegt worden. Zu den wesentlichen Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents, insbesondere ab Zeile 43 in Spalte 9 des Streitpatents schweige sich der Einspruch aus. Selbst in der Beschwerdebegründung komme die Einsprechende bezüglich der D0 nur zu dem Schluß, daß aus dieser Druckschrift alle Informationen herzuleiten seien, die einen Großteil des Hauptanspruchs vorwegnähmen und daß die D0 als Basisdokument das meiste aus dem Hauptanspruch nachweise. Auch das zeige, daß sich die Einsprechende nicht mit allen kennzeichnenden Merkmalen des von ihr angegriffenen Anspruchs 1 befaßt habe und nur den Stand der Technik nachgewiesen habe, der im Prüfungsverfahren bereits berücksichtigt worden war. Soweit sich die Einsprechende auf eine offenkundige Vorbenutzung beziehe, so fehle es an jedem Vortrag bezüglich der Offenkundigkeit. Die nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgenommenen Ergänzungen des Einspruchsvorbringens sei zur vorliegenden Frage nicht zu berücksichtigen. Der Einspruch sei demnach unzulässig.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Zulässigkeit des Einspruchs

2.1. Gemäß Artikel 99 (1) EPÜ ist der Einspruch innerhalb von 9 Monaten nach der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents schriftlich einzureichen und zu begründen.

Artikel 101 (1) EPÜ fordert die Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs bevor seine materiell-rechtliche Prüfung erfolgt, und Regel 55 EPÜ gibt die für die Zulässigkeitsprüfung auf den Inhalt der Einspruchsschrift anzuwendenden Vorschriften an.

2.2. Die Vorschriften nach den Absätzen a), b) und d) der Regel 55 EPÜ sind im vorliegenden Fall eingehalten und es wurden diesbezüglich auch keine Beanstandungen vorgetragen.

2.3. Der Absatz c) nach Regel 55 EPÜ benennt die folgenden Erfordernisse für den Einspruchsschriftsatz (Numerierung hinzugefügt):

(I) "eine Erklärung darüber, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt"

(II) "und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird,"

(III) "sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel" (Substantiierung des Einspruchs).

2.4. Im Einspruchsschriftsatz wurde in der Anlage "Notice of Opposition ...", Blatt 2, der Widerruf des gesamten Streitpatents beantragt und die mangelnde Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes gemäß Artikel 100 a) EPÜ sowie die fehlende Ausführbarkeit gemäß Artikel 100 b) EPÜ als Einspruchsgrund genannt.

Die o. g. Erfordernisse (I) und (II) der Regel 55 c) EPÜ sind daher erfüllt.

2.5. Angabe der Tatsachen und Beweismittel, Substantiierung des Einspruchs (Regel 55 c) EPÜ, Erfordernis (III))

2.5.1. Die angefochtene Entscheidung ist im wesentlichen mit der fehlenden Substantiierung des Einspruchs begründet worden, wobei ausgeführt wurde, daß die von der Einsprechenden beanstandete Klarheit des Schutzumfangs des Anspruchs 1 nichts mit dem Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) bzw. 83 EPÜ zu tun habe, sondern fehlende Klarheit nach Artikel 84 EPÜ betreffe, die kein Einspruchsgrund sei. In Verbindung mit den vorgelegten Beweismitteln D1 bis D9 seien nur einzelne in ihnen zu findende Merkmale hervorgehoben worden, ohne zu erläutern, wie und durch welche Kombination der genannten Beweismittel man zum beanspruchten Gegenstand gelangen könne. Selbst wenn der technische Sachverhalt sehr einfach und die Anzahl der Beweismittel gering sei, sei die Einsprechende nicht von der Begründungspflicht in Form einer vom Fachmann nachvollziehbaren logischen Beweiskette befreit.

2.5.2. Im vorliegenden Falle wird im Einspruchsschriftsatz nach allgemeinen, das Fachwissen und die Aufgabenstellung betreffenden Ausführungen (Absätze 2.2 bis 2.4 b)) und nach einem Hinweis auf das "sandwich system" für den Walzenwechsel nach der D0 (EP-B-142 879) festgestellt, daß es nicht erfinderisch sei, aus einer Anzahl bekannter Möglichkeiten eine auszuwählen (Absatz 2.4 c)). Nach einer Beanstandung der Klarheit im Absatz 3.1 im Hinblick auf den Anwendungsbereich der beanspruchten Walzstraße wird im Absatz 3.2 auf den Firmenprospekt Nr. 2000.03.86 der Firma Danieli und C. Buttrio, IT, "ESC" Rolling Units' (im Einspruchsschriftsatz als "D1", in dieser Entscheidung als D01 bezeichnet) verwiesen, der im Inhalt mit der D0 übereinstimmen soll, wobei auf die darin aufgelisteten Durchmesser der fliegend gelagerten, alternativ angeordneten Horizontal- und Vertikalwalzen sowie deren Verwendung in der Vor-, Zwischen- und Fertigstraße sowie im Fertigblock hingewiesen wird. In diesem Absatz wird zusätzlich noch die Vorveröffentlichung "O1" der Firma Danieli (in dieser Entscheidung als D1 bezeichnet) angezogen und auf die darin genannten Vorteile verwiesen. Anschließend wird noch betont, daß die Merkmale einer Drahtwalzstraße für einen Fachmann aus der D01 herleitbar seien, zumal die Hersteller ständig den gleichen Basistyp benutzen würden.

2.5.3. Aus dem Vorstehenden folgt, daß der Einspruchsschriftsatz unter Bezugnahme auf den Stand der Technik nach den Druckschriften D0 und D01, die in der angefochtenen Entscheidung gar nicht berücksichtigt wurden, sowie der Druckschrift D1 Angaben enthält bezüglich der in Drahtstraßen verwendbaren Baugruppen (Vorstraße, Zwischenstraße, Fertigstraße und Fertigblock) mit fliegend gelagerten Walzen und mit wechselnder Reihenfolge von H- und V-Gerüsten. Es handelt sich dabei um Merkmale, die in der ersten Hälfte des Textes des Anspruchs 1 des Streitpatents angesprochen sind. Im Zusammenhang mit der EP-B-142 879 (D0) ist am Ende des Absatzes 2.4 a) das "sandwich system" erwähnt, das die Ausrüstungskosten senken soll und das, wie aus den Figuren der D0 offensichtlich hervorgeht, ein gegebenenfalls über Kran- und Manipulatorvorrichtungen handhabbares Schnellwechselsystem für fliegend gelagerte Walzen betrifft.

2.5.4. Die vorstehend erörteren Absätze der Einspruchsschrift enthalten demnach Angaben zu den Beweismitteln D0, D01 und D1, die sich zumindest mit den in der ersten Hälfte des Textes des Anspruchs 1 (Spalte 9, Zeilen 21 bis 43 des Streitpatents) enthaltenen Merkmalen befassen, wobei allerdings ein konkreter Merkmalsvergleich zwischen dem Inhalt dieser Beweismittel und den Anspruchsmerkmalen nicht gemacht wurde und zum Teil die den Anspruchsmerkmalen angeblich entsprechenden Textstellen in den Beweismitteln auch nicht genannt wurden.

2.5.5. Im allgemeinen ist es eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Einspruchs, daß konkret bezeichnete Textstellen und Figuren aus den Entgegenhaltungen mit den entsprechenden Merkmalen aus dem Streitpatent verglichen werden. Allerdings kann dies unterbleiben, wenn der Sachverhalt für den Fachmann aus sich heraus - durch einfaches Betrachten der Figuren bzw. Lesen des Textes der Druckschrift - unmittelbar verständlich ist und für den fachmännischen Leser angesichts eines unkomplizierten beanspruchten Gegenstandes anhand der "Tatsachen und Beweismittel des Einsprechenden" hinreichend erkennbar ist, warum dem beanspruchten Gegenstand die erfinderische Tätigkeit abgesprochen werden soll (vgl. die Beschwerdekammerentscheidungen T 28/93, Punkt 4.1 und T 3/95, Punkt 3.1, beide nicht veröffentlicht). Es ist auch davon auszugehen, daß im Zusammenhang mit den Forderungen gemäß Regel 55 c) EPÜ dem Patentinhaber (und der Einspruchsabteilung) ein gewisser Interpretationsaufwand abverlangt werden kann, um die Argumentation des Einsprechenden nachvollziehen zu können (T 199/92, Punkte 1.2, 1.4, nicht veröffentlicht).

Die Kammer ist der Auffassung, daß es sich im vorliegenden Fall um einen solche Ausnahmefall handelt, welcher, entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Ansicht, einen für den Fachmann einfach überschaubaren Sachverhalt betrifft, nämlich die Verwendung von im Anspruch 1 des Streitpatents benannten, im einzelnen jedoch nicht näher beschriebenen Walzenwechselvorrichtungen innerhalb der einem Fachmann geläufigen Baugruppen (Vorstraße, Zwischenstraße, Fertigstraße), einer bestimmten alternativen Anordnung der H- und V-Gerüste und deren Einsatz beim Trenn- und Normalwalzen. Aus dem Hinweis im Einspruchsschriftsatz (Absatz 2.4c)) auf die nicht erfinderische Auswahl aus einer Anzahl von bekannten Möglichkeiten ist erkennbar, daß die Einsprechende die von ihr offensichtlich als allgemein bekannt angesehenen Einzelkomponenten einer Drahtwalzstraße als in naheliegender Weise gemäß der beim Streitpatent vorhandenen Anordnung verwendbar ansieht.

Da sich der Einspruchsschriftsatz an die Einspruchsabteilung und den Patentinhaber richtet, die nicht nur das Fachgebiet kennen, sondern auch mit der Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit vertraut sind, erübrigt sich in einem solchen Fall eine detaillierte und erschöpfende Erörterung von Sachverhalten, die sich solchen Fachleuten von selbst erschließen, so daß sie die Argumente des Einsprechenden verstehen können (T 533/94, T 534/94).

Bezüglich der in den Zeilen 21 bis 43 (Spalte 9 des Streitpatents) enthaltenen Teilmerkmale sind somit die an die Zulässigkeit des Einspruchs zu stellenden Anforderungen an die Substantiierung erfüllt.

2.5.6. Bezüglich der weiteren Merkmale des Anspruchs 1 in den restlichen Zeilen 43 bis 51, Spalte 9 des Streitpatents, die sich im wesentlichen mit der Ausbildung der Fertigstraße zum alternativen Trennwalzen oder Normalwalzen befassen, enthält der Einspruchsschriftsatz Ausführungen zumindest in den Absätzen 3.3 a), 3.3 b) und 3.3 f). Die zur Stützung des Vorbringens in diesen Abschnitten genannten Beweismittel D2 bis D4.3 und D8, D9 betreffen von der Einsprechenden stammende technische Zeichnungen, die nicht als öffentliche Druckschriften zu bewerten sind. Der von der Beschwerdeführerin vertretenen Ansicht, daß diese Zeichnungen infolge einer Zustellung an Walzenhersteller als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht anzusehen seien, kann nicht beigetreten werden, denn die Beschwerdeführerin hat hierfür keine weiteren Beweismittel vorgelegt.

Allerdings macht sie bezüglich des Inhalts der Zeichnungen D3 bis D4.3 bzw. der Zeichnungen D8 bzw. D9 offenkundige Vorbenutzungen der darin gezeigten Einrichtungen in einem Drahtwalzwerk in Burma bzw. in Indonesien geltend (was von der Beschwerdegegnerin pauschal bestritten wurde).

2.5.7. Für die auf den 7.11.88 datierte Zeichnung D8 und die mit der Datierung 08/88 versehene Zeichnung D9 wurde geltend gemacht, daß es sich bei den darin gezeigten Anordnungen um diejenigen handle, wie sie in dem im Jahre 1988 angelaufenen P.T. INTI-Kraftwerk in Indonesien vorhanden seien.

Aus den Zeichnungen D8 und D9 ist im Zusammenhang mit den weiteren Angaben im Einspruchsschriftsatz ersichtlich, was als Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung zu betrachten ist. Die Angabe des Jahres 1988 für den Anlauf der Walzstraße sowie die Ortsangabe P.T. INTI-Kraftwerk, Indonesien, genügen im vorliegenden Fall, da es sich bei Walzwerken und deren Ausstattung um weltweit in geringer Anzahl vorhandene Großprojekte handelt, deren Anlaufdatum und Ort der Fachwelt im allgemeinen geläufig sind.

Bezüglich der Umstände der Vorbenutzung hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung dahingehend argumentiert, daß die einem Fachmann bei einfacher Inaugenscheinnahme der Werksanlage ins Auge fallenden Merkmale der Drahtstraße zumindest vom Anlaufbeginn des Werkes an als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht angesehen werden müssen, denn Walzwerke stünden der Fachwelt grundsätzlich offen bzw. ließen sich nicht geheimhalten. Bei der Eröffnung von neuen Walzwerken sei auch in aller Welt stets ein großes Interesse an den neuen Anlagen vorhanden. Auch sei es im Interesse der solche Walzwerke ausstattenden Firmen, von denen es nur relativ wenige gebe, diese zu besichtigen. Unter solchen Umständen sei es in der Fachwelt keine Frage, daß die ohne weiteres erkennbaren Merkmale einer Walzstraße zumindest vom Eröffnungstag des Walzwerks an als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht angesehen werden müssen. Aus diesem Grunde sei es im vorliegenden Falle unter den Gesichtspunkten von Regel 55 c) EPÜ nicht notwendig gewesen, die Umstände der Offenkundigkeit im Einspruchsschriftsatz im einzelnen darzulegen.

Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren lediglich vorgebracht, daß es sich bei den geltend gemachten Beweismitteln in allen Einzelfällen um einen betriebsinternen Stand der Technik der Einsprechenden handle. Es seien keine Angaben über die Lieferung bzw. Benennung der Fachleute, die die bezeichneten Fabriken ohne jede Geheimhaltung besuchen konnten, gemacht. Im übrigen sei auch kein Beweis angeboten worden. Durch ihre Entscheidung, an der mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen, hat sich die Beschwerdegegnerin der Möglichkeit beraubt, zur weiteren Argumentation der Beschwerdeführerin, wie oben ausgeführt, Stellung zu nehmen.

2.5.8. Die Argumentation der Beschwerdeführerin bezüglich der Offenkundigkeit der in Walzwerken vorhandenen Einrichtungen ist demnach als unwiderlegt anzusehen. Die Beschwerdekammer konnte sich in Abwägung der ihr zur Verfügung stehenden Information den von der Beschwerdeführerin bezüglich der selbstverständlichen, im einzelnen keinen Nachweis erfordernden Offenkundigkeit vorgebrachten Argumenten anschließen.

Die Kammer ist aus diesen Gründen der Auffassung, daß im vorliegenden speziellen Fall die Anforderungen an die Offenkundigkeit der im Einspruchsschriftsatz genannten Vorbenutzung zumindest bezüglich der Walzwerke in Burma und Indonesien erfüllt sind.

2.5.9. Da bei den Vorbenutzungshandlungen in den Walzwerken in Burma und Indonesien das Trennwalzen an den genannten Textstellen behandelt ist, genügen im Einspruchsschriftsatz auch die zum Text ab Zeile 43, Spalte 9 des Streitpatents gemachten Angaben den Anforderungen gemäß Regel 55 c) EPÜ im Hinblick auf die Substantiierung des Einspruchs bezüglich der gegenständlichen Übereinstimmung.

2.5.10. Die Tatsache, daß bei der Begründung des Einspruchs unter den zahlreichen Teilmerkmalen des Anspruchs 1 die im Anspruch 1 ebenfalls genannte Verwendung unterschiedlicher Walzeinheiten für das Trennwalzen und die Normalwalzung nicht ausdrücklich erörtert wurde, berührt nicht die Zulässigkeit des Einspruchs, sondern könnte allenfalls bei der materiell-rechtlichen Beurteilung des Einspruchs, also der Begründetheit des Einspruchs, von Bedeutung sein (Beschwerdekammerentscheidung T 2/89, Punkt 5, nicht veröffentlicht).

Weiter ist ergänzend zu bemerken, daß bei einer solchen Untersuchung es ohne Bedeutung ist, ob die vorgelegten Beweismittel die Tatsachenbehauptungen lückenlos und schlüssig zu begründen vermögen. Es genügt vielmehr, daß ein hinreichender Zusammenhang zwischen den Beweisstücken und den Behauptungen erkennbar ist, der eine Untersuchung zuläßt. Die angegebenen Beweismittel können dabei auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegt bzw. ergänzt werden.

Die Untersuchung der Zulässigkeit des Einspruchs ist grundsätzlich zu unterscheiden von der Untersuchung der materiell-rechtlichen Begründetheit des Einspruchs. Wie schon in der Beschwerdekammerentscheidung T 234/86, ABl. EPA 1989, 79, Punkt 2.2 festgestellt wurde, verlangt keine Vorschrift des EPÜ, daß das Einspruchsvorbringen in sich schlüssig sein muß, um die Zulässigkeit des Einspruchs zu garantieren.

2.5.11. Zusammenfassend reichen nach Überzeugung der Beschwerdekammer die zum Teil knappen Angaben zu den vorgebrachten Tatsachen und Beweismitteln des Einspruchsschriftsatzes im vorliegenden Fall aus, um die Erfordernisse gemäß Regel 55 c), letzter Teilsatz EPÜ zu erfüllen.

Dem Antrag der Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Zulässigkeit des Einspruchs festzustellen, ist somit stattzugeben.

3. Zurückverweisung an die erste Instanz

Die Einspruchsabteilung hat die geltend gemachte offenkundigen Vorbenutzungen noch nicht dahingehend geprüft, ob die bisher vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel ausreichen, sie als Stand der Technik anzuerkennen und - wenn ja - ob dieser, ggf. in Zusammenschau mit dem weiteren Stand der Technik, dem geltenden Patentbegehren patenthindernd entgegensteht. Nachdem die angefochtene Entscheidung ausschließlich die formale Zulässigkeit behandelt, hätte eine Überprüfung der Begründetheit des Einspruchs durch die Kammer zwangsläufig einen Instanzverlust zur Folge, der insbesondere im Hinblick auf den Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen, mit dem Grundsatz der Billigkeit nicht vereinbar wäre. Demnach macht die Kammer von der ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Befugnis Gebrauch, die Sache zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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