T 1111/98 () of 19.9.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T111198.20010919
Datum der Entscheidung: 19 September 2001
Aktenzeichen: T 1111/98
Anmeldenummer: 93113935.6
IPC-Klasse: B65H 54/78
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Changieren einer Flachkanne
Name des Anmelders: Rieter Ingolstadt Spinnereimaschinenbau AG
Name des Einsprechenden: Trützschler GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Zulässigkeit geänderter Ansprüche - ja
Neuheit - ja
Erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 1. September 1993 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 15. Oktober 1992 eingereichte europäische Patentanmeldung 93 113 935.6 wurde das europäische Patent 0 592 799 erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents. Der erteilte Anspruch 1 verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ (Einspruchsgrund Artikel 100 c) EPÜ). Außerdem sei der Gegenstand des Patents nicht patentfähig im Hinblick auf die Artikel 52 bis 57 EPÜ (Einspruchsgrund Artikel 100 a) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung hielt das Patent mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 1998 verkündeten Entscheidung im geänderten Umfang aufrecht. Die schriftliche Begründung wurde am 18. November 1998 zur Post gegeben.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß das in zulässiger Weise geänderte europäische Patent insbesondere auch unter Berücksichtigung des in den Dokumenten

D1: EP-A-0 457 099

D5: DE-B-1 158 420

D8: Firmenprospekt Lenze Antriebstechnik, Umrichter- Antriebe

offenbarten Standes der Technik den Erfordernissen des EPÜ genüge.

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin am 1. Dezember 1998 beschwert, gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt und mit der am 11. Januar 1999 eingereichten Beschwerdebegründung ihren Antrag auf Widerruf des Patents aus den im Einspruchsverfahren vorgebrachten Gründen weiter verfolgt.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrer Mitteilung vom 6. November 2000 darauf hingewiesen, daß bei den Fragen der Offenbarung der Erfindung und der erfinderischen Tätigkeit derselbe Fachmann heranzuziehen sei. Die Offenbarung der Erfindung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen und in der Patentschrift scheine nach vorläufiger Einschätzung ausreichend zu sein. Die erfinderische Tätigkeit werde anhand der entgegengehaltenen Dokumente zu diskutieren sein.

VI. Am 19. September 2001 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen geänderten Anspruch 1 vorlegte. Die Entgegenhaltungen D1, D5 und D8 wurden diskutiert.

Der geänderte Patentanspruch 1 und der unabhängige, durch die Einspruchsabteilung aufrecht erhaltene Anspruch 5 lauten wie folgt:

"1. Verfahren zum Changieren einer Flachkanne, wobei textiles Faserband in der Kanne (4) abgelegt wird und die Kanne während des Füllvorganges mit gleichförmiger Changiergeschwindigkeit in Längsrichtung hin- und herbewegt wird und jeden Umkehrweg (UW1, UW2) einer Changierstrecke in einer Umkehrzeit durchläuft, wobei in einem Umkehrweg eine Änderung der Changiergeschwindigkeit erfolgt, dadurch gekennzeichnet, daß die Änderung der Changiergeschwindigkeit auf dem Umkehrweg (UW1, UW2) stetig verändert wird und daß mittels steuerbarem Antriebsmittel (14) für eine Changiervorrichtung (15) mit Flachkanne (4) deren Umkehrweg (UW1, UW2) und/oder die Umkehrzeit unabhängig von einer Änderung der Changiergeschwindigkeit verändert wird.

5. Vorrichtung zum Changieren einer Flachkanne, wobei die Kanne (4) mittels einer Changiervorrichtung auf einer Changierstrecke hin- und herbewegbar ist und die Changiervorrichtung mit einem Antriebsmittel verbunden ist, welches eine gleichförmige Changiergeschwindigkeit der Changiervorrichtung ermöglicht, dadurch gekennzeichnet, daß eine mit Mitteln (7, 70, 80) zum Greifen und Halten einer direkt auf einer Rollenbahn (6) stehenden Kanne (4) ausgerüstete Changiervorrichtung (15) mit einem steuerbaren Antriebsmittel (14) verbunden ist, zum gesteuerten stetigen Verändern der gleichförmigen Changiergeschwindigkeit in Nähe eines Umkehrpunktes (P1, P2) der Changierstrecke."

VII. Die Beschwerdeführerin trug vor, der geänderte Anspruch 1 sei von der ursprünglichen Offenbarung nicht gedeckt und daher wegen Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig. Außerdem sei sein Gegenstand im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ unzulässig erweitert worden, denn gemäß dem Anspruch 1, auf dessen Grundlage das Patent in der Einspruchsentscheidung aufrechterhalten wurde, werde "die Änderung der Changiergeschwindigkeit ... stetig verändert", wogegen im neu vorgelegten Anspruch 1 nur "die Changiergeschwindigkeit ... stetig verändert" werde. Somit sei ein einschränkender Begriff weggelassen worden.

Das Verfahren nach Anspruch 1 beruhe auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil der Fachmann ausgehend von D1, die sich ebenfalls mit dem Problem der Erhöhung der Changiergeschwindigkeit befasse, unmittelbar auf das Problem von Abbremsung und Beschleunigung an den Umkehrpunkten der Kanne beim Changiervorgang stoße und infolge einer rein fachlichen Analyse dieser Vorgänge die Eignung eines aus D8 bekannten Umrichter-Antriebes für ein Changierverfahren erkenne. D8 offenbare Antriebe mit stufenloser und stetiger Drehzahlregelung, unabhängig einstellbaren Hochlauf- und Ablaufzeiten sowie Drehrichtungsumkehr mit stetiger Drehzahländerung im Nulldurchgang. Wende der Fachmann die Lehre der D8 bei dem Verfahren nach D1 an, so gelange er zwangsläufig und unmittelbar zum Verfahren nach Anspruch 1.

Im Hinblick auf den unabhängigen Anspruch 5 wies die Beschwerdeführerin auf ihren schriftlichen Vortrag hin, in dem sie die Rollenbahn (Förderwalzen 9) der D5 mit der beanspruchten Rollenbahn gemäß Patent verglichen hatte.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 592 799.

VIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in geänderter Form aufrecht zu erhalten mit folgenden Unterlagen:

- Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung;

- Patentansprüche 2 bis 19, wie aufrechterhalten in der angefochtenen Entscheidung;

- Beschreibung Seiten 3, 3a, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Seiten 2, 4 bis 7 gemäß Patentschrift

- Figuren 1 bis 3, 3a, 3b gemäß Patentschrift.

Sie vertrat die Auffassung, daß das Verfahren nach Anspruch 1 sowohl im erteilten Patent als auch in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart sei und daß gegenüber der erteilten Fassung des Anspruchs 1 auch keine Erweiterung vorliege.

Das Verfahren nach Anspruch 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, weil der Fachmann durch den Stand der Technik keine ausreichenden Anregungen erhalte. So sei in der D1 über eine Changierung mit gleichförmiger Geschwindigkeit und über definierte Umkehrwege bzw. Umkehrzeiten in Nähe der Umkehrpunkte nichts gesagt. Deshalb ziele die Idee des Patents, Umkehrzeit und/oder Umkehrweg in den Endbereichen der Changierstrecke unabhängig von der gleichförmigen Bewegung im Mittelbereich zu verändern, in eine ganz andere Richtung. Die in D1 (Spalte 10) erwähnte wegabhängige Steuerung beziehe sich auf den Kannenwechsel und nicht auf die Changierung. Auch D8 könne die Erfindung nicht nahelegen, weil sie lediglich einen Antrieb beschreibe, wie er in der Vorrichtung nach D1 verwendet werden könne. Im Gegensatz zur Lehre des Patents sei in der Grafik zu Nr. 6 der D8 die Änderung der Drehzahl am Beginn der abfallenden Rampenkurve im Anschluß an die gleichförmige Drehzahl und am Übergang zur gleichförmigen Drehzahl in die umgekehrte Drehrichtung nicht stetig.

Die Vorrichtung nach Anspruch 5 sei durch D5 nicht nahegelegt, weil dort der Ablegebehälter 10 auf einer Plattform 8 stehe und mit ihr zusammen in x- und y-Richtung bewegt werde. Die Rollen 9 auf der Plattform dienten lediglich dem Auswechseln des Aufnahmebehälters.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1. Gemäß Artikel 123 (2) EPÜ dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden, daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, das Merkmal des Anspruchs 1 "mittels steuerbarem Antriebsmittel" sei in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung nicht offenbart.

2.2. Dem kann die Kammer nicht folgen. Für den fachkundigen Leser ergibt sich aus der Beschreibung unzweifelhaft, daß die Lehre des Anspruchs 1 zwei Alternativen umfaßt. Einerseits erfolgt der Antrieb mittels eines gesteuerten Servomotors, der sowohl die gleichförmige Changiergeschwindigkeit als auch deren Änderung in der Nähe der Umkehrpunkte bewirkt (Patentschrift Spalte 5, Zeilen 46 bis 50; ursprüngliche Unterlagen, Seite 7, vorletzter und letzter Absatz bis Seite 8). Andererseits gehen aus der Beschreibung zwei getrennte Antriebsmittel hervor, nämlich ein ein- und auskuppelbarer Antrieb für die gleichförmige Changiergeschwindigkeit und der verstellbare Federspeicherantrieb in der Nähe der Umkehrpunkte (Patentschrift Spalte 5, Zeile 51 bis Spalte 6, Zeile 32; ursprüngliche Unterlagen, Seite 8, 2. Absatz bis Seite 9, 2. Absatz).

Der Fachmann versteht dabei die detaillierte Beschreibung der Änderungen von Umkehrzeit und Umkehrweg anhand der Federeinstellung so, daß sie gleichermaßen durch die Steuerung des Servomotors erzielbar sind.

Somit ist der geänderte Anspruch 1 eindeutig und unzweifelhaft aus der Beschreibung ableitbar. Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß der Anspruch 1 das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.

2.3. Gemäß Artikel 123 (3) EPÜ dürfen im Einspruchsverfahren die Patentansprüche nicht in der Weise verändert werden, daß der Schutzbereich erweitert wird.

Da das von der Beschwerdeführerin als den Schutzbereich erweiternd gerügte Merkmal "daß die Änderung der Changiergeschwindigkeit in Nähe der Umkehrpunkte stetig verändert wird" erst im Einspruchsverfahren eingefügt und im Einspruchsbeschwerdeverfahren, welches eine Fortsetzung des Einspruchsverfahrens ist, wieder gestrichen wurde, ist Artikel 123 (3) EPÜ nicht betroffen. Im übrigen ist die Kammer der Meinung, daß es sich hier um einen versehentlichen und offensichtlichen Fehler handelt, der auch nach Regel 88 EPÜ berichtigt werden könnte.

3. Neuheit

3.1. D1 beschreibt ein Verfahren zum Changieren einer Flachkanne mit Antrieb durch einen reversierenden Motor (Spalte 6, Zeilen 25 bis 27), bei dem die Kanne unter einem Trichterrad hin- und herbewegt wird. Um eine gleichmäßige Verteilung des Textilmaterials bezüglich der Füllhöhe zu erreichen, wird die Changiergeschwindigkeit kurz vor Erreichen des Umkehrpunktes kurzzeitig erhöht und nach Überschreiten dieses Punktes wieder auf eine vorgegebene Translationsgeschwindigkeit zurückgestellt (Spalte 3, Zeile 56 bis Spalte 4, Zeile 3). Bei der Changierung der Kanne können die Hübe unterschiedlich lang vorgenommen werden, um Materialanhäufungen im Bereich der Schmalseiten der Kanne zu vermeiden (Spalte 10, Zeilen 1 bis 6). Da über den Verlauf der Geschwindigkeit nichts ausgesagt ist, offenbart diese Druckschrift keine stetige Veränderung der Changiergeschwindigkeit auf dem Umkehrweg.

D5 befaßt sich nicht mit dem Changieren einer Flachkanne, die in einer Richtung hin- und herbewegt wird, sondern mit einem Ablegebehälter, der in x- und y-Richtung verfahren wird, wobei beide Bewegungen miteinander gekoppelt sind.

Aus D8 sind lediglich steuerbare Antriebe entnehmbar, jedoch keine Anwendung bei einem Changierverfahren.

3.2. Bei der Changiervorrichtung der D1 wird die Kanne durch einen Greifer in einer aufgehängten Position gehalten und hat während des Füllvorganges keinen Bodenkontakt (Spalte 5, Zeilen 32 bis 35). Von dieser Bauart unterscheidet sich die Vorrichtung nach Anspruch 5 u. a. dadurch, daß die Kanne unmittelbar auf einer Rollenbahn steht.

Durch dasselbe Merkmal unterscheidet sich die Vorrichtung nach Anspruch 5 ebenfalls von der aus D5 bekannten Konstruktion, denn dort wird die Kanne (der Ablegebehälter) auf einer Plattform stehend mit dieser zusammen in x- und y-Richtung verschoben (Anspruch 1 in den Spalten 5 bis 6).

D8 befaßt sich nicht mit einer Vorrichtung zum Ablegen von Faserband, sondern allgemein mit Umrichter-Antrieben.

3.3. Daher kommt die Kammer zu dem Schluß, daß das Verfahren nach Anspruch 1 und die Vorrichtung nach Anspruch 5 neu sind und mit Artikel 54 (1) EPÜ im Einklang stehen.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Der dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommende Stand der Technik wird durch D1 repräsentiert. Diese Druckschrift beschreibt eine Vorrichtung gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1.

Ein der Erfindung zugrundeliegendes Problem ist in D1 bereits angesprochen, denn dort soll bei erhöhter Liefergeschwindigkeit eine optimale Befüllung der Kanne gewährleistet und dabei eine hohe Translationsgeschwindigkeit der Kanne ermöglicht werden. Die grundsätzliche Lösung der D1 zielt darauf ab, den oberen Kannenrand genauer zu positionieren, wodurch die Ablageposition des Faserbandes exakter gesteuert werden kann. Als begleitende Maßnahmen können die Changiergeschwindigkeit vor Erreichen des Umkehrpunktes kurzzeitig erhöht und nach dessen Überschreiten wieder auf eine vorgegebene Translationsgeschwindigkeit abgesenkt sowie die Hübe unterschiedlich lang vorgenommen werden, um Materialanhäufungen im Bereich der Schmalseiten der Kanne zu vermeiden. Hiervon ausgehend liegt dem Gegenstand des Patents die Aufgabe zugrunde, die Faserbandablage und den Aufbau der Bandsäule so zu verbessern, daß die Liefer- und Changiergeschwindigkeit erhöht werden kann (Patentschrift Spalte 4, Zeilen 37 bis 41).

4.2. Gelöst wird diese Aufgabe durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 und einer Vorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 5.

4.3. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, daß der Fachmann bei dieser Problemstellung mit seinem fachlichen Wissen und Können zwangläufig auf die beanspruchte Lösung stoßen würde.

Zuständiger Fachmann ist im vorliegenden Fall ein Diplomingenieur der Fachrichtung Maschinenbau, der praktische Berufserfahrung im Bereich der Textilmaschinen und Kenntnisse in der Antriebstechnik und deren Steuerung bzw. Regelung hat. Diesem Fachmann ist als präsentes Fachwissen auch der Inhalt der D8 zuzurechnen, so daß er einen entsprechenden Umrichter-Antrieb auch für den Einsatz bei einer Kannenfüllstation entsprechend D1 in Erwägung zieht.

4.4. Die Kammer ist jedoch davon überzeugt, daß die Kombination der Lehren der D1 und der D8 nicht zum Verfahren des Anspruchs 1 führt.

4.4.1. Der Fachmann versteht die primäre Lehre der D1 so, daß zwar die bei der Reversierung unvermeidlichen Stöße in Kauf genommen werden, die Auswirkungen der Stöße jedoch dadurch besser beherrscht werden sollen, daß man die Positionierung des Kannenrandes, in dessen Höhenbereich die Faserbandablage erfolgt, exakter steuern kann. Die kurzzeitige Erhöhung des Behälters kurz vor Erreichen des Umkehrpunktes führt beim Wenden zu einer noch höheren Beschleunigung und somit zu noch stärkeren Stößen. Infolge dieses Effektes ist es dem Fachmann klar, daß auf eine Reduzierung der Stöße, etwa durch eine stetige Änderung der Geschwindigkeit nach der Lehre der D1 kein Wert gelegt wird.

4.4.2. Realisiert nun der Fachmann den Antrieb der Füllstation nach D1 mit einem Umrichter-Antrieb gemäß D8, so wird er die Steuerungs- und Regelungsmöglichkeiten dieser Antriebstechnik bestmöglich für seinen Zweck anwenden. Diese Möglichkeiten sind insbesondere:

- Drehzahlregelung stufenlos (Seite 2)

- Hochlaufzeit Tir und Ablaufzeit Tif einstellbar (Seiten 14 und 22)

- Drehrichtungsumkehr (Seite 25).

Die stufenlose Drehzahlregelung ermöglicht eine stufenlose Wahl der Translationsgeschwindigkeit, also der gleichförmigen Changiergeschwindigkeit, durch die Drehrichtungsumkehr und die einstellbare Ablauf- und Hochlaufzeit können die Brems- und Beschleunigungswege variiert werden. Während des Ablaufs und Hochlaufs des Antriebs wird nicht in den Drehzahlverlauf eingegriffen, sondern es wird nur der Zielpunkt der rampenförmigen Drehzahlkurve festgelegt.

4.4.3. Am Übergang von der gleichförmigen Drehzahl in die Ablauframpe und von der Hochlauframpe in die gleichförmige Drehzahl in umgekehrter Drehrichtung sind klar erkennbare Knickstellen im Drehzahlverlauf vorhanden. Diese Knickstellen ergeben in der ersten Ableitung, welche die Beschleunigungsfunktion (Änderung der Geschwindigkeit) darstellt, Sprungstellen, also unstetige Kurvenverläufe, die auch bei Anwendung dieses Antriebs bei der Füllstation nach D1 in gleicher Weise auftreten.

4.4.4. Somit besteht der wesentliche Unterschied der beanspruchten Lehre des Anspruchs 1 zur Kombination von D1 mit D8 darin, daß ausdrücklich die Changiergeschwindigkeit auf dem Umkehrweg, der am Ende der gleichförmigen Bewegung beginnt und daher den Punkt der Geschwindigkeitsänderung mit umfaßt, stetig verändert wird. Diese Lehre ist weder von D1 noch von D8 noch von der oben beschriebenen Kombination der beiden Entgegenhaltungen ableitbar, da diese Schriften keinerlei Hinweis darauf enthalten.

4.4.5. Auch war das beanspruchte Verfahren nicht ohne weiteres mit fachlichen Fähigkeiten auffindbar. Eine Analyse der Geschwindigkeitsverläufe der D1 bringt den Fachmann nicht näher zur Lösung, weil die kurzzeitige Erhöhung der Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung weist. Deshalb mußte er zunächst die Lehre der D1 verlassen, um zur Erkenntnis zu gelangen, daß es nicht auf die Drehrichtungsumkehr an sich, sondern auf die gesteuerte Geschwindigkeitsänderung auf dem Umkehrweg ankommt. Anspruch 1 erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

4.5. Die weiteren Einwände der Beschwerdeführerin konnten zu keiner anderen Beurteilung führen. So bezieht sich die Textstelle (Spalte 10, Zeilen 29 bis 31) der D1, in der von einer wegabhängigen Steuerung und einem Endanschlag die Rede ist, nicht auf die Changierbewegung einer Kanne, sondern auf den Austausch einer vollen gegen eine leere Kanne. Diese Bewegung hat mit einer Erhöhung der Changiergeschwindigkeit nichts zu tun und konnte daher zur beanspruchten Erfindung keinen Beitrag leisten.

Auch der Hinweis, daß in der Fachliteratur stetige Regler gang und gäbe seien, führt nicht weiter, denn es kommt nicht auf die Art der Geschwindigkeitsregelung, sondern auf den Verlauf der Änderung der Geschwindigkeit, also der Beschleunigungsfunktion auf dem Umkehrweg an, den der Fachmann natürlich mit einem bekannten Regler dann durchführen kann, wenn er die Lehre des Anspruchs 1 nacharbeitet.

4.6. Die Vorrichtung nach Anspruch 5 beruht auf erfinderischer Tätigkeit, weil keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen die Kombination ihrer Merkmale nahelegt. So weist weder die Konstruktion der D1 noch die der D5 eine Rollenbahn auf, auf der die Kanne direkt steht und zum Changieren mit Mitteln zum Greifen und Halten hin- und herbewegt wird. Ebenso fehlt, wie oben dargelegt, ein Antriebsmittel zum gesteuerten stetigen Verändern der gleichförmigen Changiergeschwindigkeit in Nähe eines Umkehrpunktes. Anspruch 5 erfüllt daher ebenfalls das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ.

5.7. Zusammenfassend ist die Kammer aus den dargelegten Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß das Verfahren nach Anspruch 1 und die Vorrichtung nach Anspruch 5 die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ erfüllen. Zusammen mit diesem Anspruch können die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 und 6 bis 19, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls aufrecht erhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent aufrecht zu erhalten mit folgenden Unterlagen:

- Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung;

- Patentansprüche 2 bis 19, wie aufrechterhalten in der angefochtenen Entscheidung;

- Beschreibung Seiten 3, 3a, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Seiten 2, 4 bis 7 gemäß Patentschrift;

- Figuren 1 bis 3, 3a, 3b gemäß Patentschrift.

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