T 1056/98 () of 2.2.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T105698.20000202
Datum der Entscheidung: 02 Februar 2000
Aktenzeichen: T 1056/98
Anmeldenummer: 95810173.5
IPC-Klasse: F16G 11/00
D07B 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Seilendverbindung für ein Drahtseil sowie Verfahren zu seiner Herstellung
Name des Anmelders: Jakob AG
Name des Einsprechenden: AMPHO SA
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 99(1)
European Patent Convention 1973 Art 101(1)
European Patent Convention 1973 Art 101(2)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Rechtliches Gehör
Unzulässigkeitsgrund vor der Verwerfung des Einspruchs der Einsprechenden unbekannt
Zurückverweisung an die erste Instanz ohne sachliche Stellungnahme der Beschwerdekammer
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Orientierungssatz:

Verwirft die Einspruchsabteilung den Einspruch als unzulässig, ohne daß der Unzulässigkeitsgrund der Einsprechenden vor der Entscheidung bekannt war, so verletzt sie das Recht der Einsprechenden auf rechtliches Gehör.

Angeführte Entscheidungen:
T 0275/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 672 844 (Anmeldenummer 95 810 173.5).

II. Die Beschwerdeführerin legte gegen das erteilte Patent Einspruch ein und beantragte, das Patent wegen fehlender Patentfähigkeit zu widerrufen.

Sie machte geltend, daß sie bereits vor dem Prioritätstag des angefochtenen Patents die beanspruchte Seilendverbindung für ein Drahtseil produziert und vertrieben habe.

III. Mit am 10. September 1998 zur Post gegebener Entscheidung hat die Einspruchsabteilung den Einspruch als unzulässig verworfen, weil er nicht den Erfordernissen des Artikels 99 (1) EPÜ in Verbindung mit der Regel 55 c) EPÜ entspreche.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 2. November 1998 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

Sie vertrat die Auffassung, daß die geltend gemachte Vorbenutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei und daß die beanspruchte Seilendverbindung im Hinblick auf diese Vorbenutzung nicht patentfähig sei.

Die Beschwerdegegnerin trat diesem Vorbringen entgegen und beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

V. In Erwiderung auf einen Bescheid der Beschwerdekammer vom 29. März 1999 nahmen sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Beschwerdegegnerin im Hinblick auf die beabsichtigte Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz ihren hilfsweise gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die beschwerdeführende Einsprechende hat ihren Einspruch auf mangelnde Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents im Hinblick auf eine behauptete offenkundige Vorbenutzung gestützt, die durch die zusammen mit der Einspruchsbegründung eingereichten Anlagen 1 bis 7 substantiiert werden sollte.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung den Einspruch nicht mangels Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands zurückgewiesen, sondern sie hat sich auf Artikel 99 (1) in Verbindung mit Regel 55 c) EPÜ gestützt und den Einspruch als unzulässig verworfen: Damit ein auf eine offenkundige Vorbenutzung gestützter Einspruch der Regel 55 c) EPÜ entspreche, müsse aus der Einspruchsschrift hervorgehen, "was", "wann" und "unter welchen Umständen" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Die Kriterien "wann" und "unter welchen Umständen" seien aber im vorliegenden Fall nicht erfüllt; der Einspruch sei damit unzulässig.

3. Laut gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Zulässigkeit des Einspruchs von Amts wegen zu prüfen. Die Einspruchsabteilung konnte aber die Zulässigkeit nur abschließend prüfen und den Einspruch als unzulässig verwerfen, nachdem die Einsprechende sich zu dem Unzulässigkeitsgrund äußern und demgemäß ihr Recht auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ wahrnehmen konnte. Dies setzt voraus, daß der Unzulässigkeitsgrund der Einsprechenden vor der angefochtenen Entscheidung bekannt war. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die Entscheidung wurde vielmehr erlassen, ohne daß die Einspruchsabteilung in einem Zwischenbescheid die bestehenden Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einspruchs mitgeteilt hatte.

Auch in der Stellungnahme der Patentinhaberin zur Einspruchsschrift ist kein Wort über die Zulässigkeit des Einspruchs, geschweige denn darüber zu finden, welche Kriterien der Regel 55 c) EPÜ im vorliegenden Fall nicht erfüllt sein sollten. Vielmehr hat die Patentinhaberin beantragt, "den Einspruch zurückzuweisen" und mithin das Patent in unveränderter Form aufrechtzuerhalten. Dies kann folgerichtig nur bedeuten, daß die Patentinhaberin den Einspruch als zulässig betrachtet hat. Gemäß Artikel 101 (1) EPÜ sind nämlich die in Artikel 100 genannten Einspruchsgründe nur dann zu prüfen, wenn der Einspruch zulässig ist.

Es ist daher festzustellen, daß die von der Einspruchsabteilung gesehenen Gründe für die Unzulässigkeit der Einsprechenden vor Erlaß der angefochtenen Entscheidung nicht bekannt waren. Damit liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ vor.

4. Artikel 101 (2) EPÜ fordert nicht grundsätzlich in allen Fällen den Erlaß eines Zwischenbescheids, sondern nur in den Fällen, in denen dies "erforderlich" ist (siehe u. a. die Entscheidung T 275/89, ABl. EPA 1992, 126, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall war ein Zwischenbescheid jedoch eindeutig erforderlich, um der Einsprechenden Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und dadurch dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu genügen (Artikel 113 (1) EPÜ).

4. Im übrigen wurde im vorliegenden Fall die Stellungnahme der Patentinhaberin mit Schreiben vom 6. August 1998 gemäß Regel 57 (3) EPÜ der beschwerdeführenden Einsprechenden mitgeteilt. Die angefochtene Entscheidung ist ohne angemessene Wartezeit bereits am 10. September 1998 zur Post gegeben worden. Hierdurch wurde die Einsprechende rein zeitlich der Möglichkeit beraubt, zu der Antwort der Patentinhaberin Stellung zu nehmen.

5. Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ dar, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt.

6. Darüber hinaus macht die Kammer von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.

Nach Artikel 10 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern verweist die Kammer die Sache zurück, "wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, daß besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen". Im vorliegenden Fall leidet, wie dargelegt, das Verfahren vor der ersten Instanz an wesentlichen Mängeln und es liegen keine besonderen Umstände vor, die einer Zurückverweisung entgegenstehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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