European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2002:T098898.20020605 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 05 Juni 2002 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0988/98 | ||||||||
Anmeldenummer: | 91114163.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 9/127 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Präparat zur Wirkstoffapplikation in Kleinsttröpfchenform | ||||||||
Name des Anmelders: | Cevc, Gregor, Prof. Dr. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Rovi GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.3.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Hauptantrag: Reproduzierbarkeit (ja): Argumente beziehen sich auf die Klarheit und stellen nicht die Ausführbarkeit in Frage - Neuheit (nein): Wortlaut des Produktanspruchs umfaßt bekannte Liposomen 1. Hilfsantrag: Erfinderische Tätigkeit (ja): Verwendung ist zweckgebunden mit einem nicht nahegelegten Mechanismus |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdegegner ist Inhaber des auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 91 114 163.8 erteilten europäischen Patents Nr. 0 475 160. Das Patent in der erteilten Form enthielt 30 Patentansprüche.
Anspruch 1 des erteilten Patents hatte folgenden Wortlaut:
"Präparat zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren in Form von mit einer membranartigen Hülle aus einer oder wenigen Lagen amphiphiler Moleküle bzw. mit einer amphiphilen Trägersubstanz versehenen Flüssigkeitströpfchen, dadurch gekennzeichnet, daß das Präparat einen Gehalt einer randaktiven Substanz aufweist, der bis zu 99 Mol.-% des Gehaltes dieser Substanz entspricht, durch den der Solubilisierungspunkt der Tröpfchen erreicht wird, wobei der Gehalt dem am Solubilisierungspunkt liegenden Gehalt so nahe kommt, daß die Tröpfchen bei noch ausreichender Stabilität maximale Permeationsfähigkeit aufweisen."
II. Gegen die Erteilung des Patents legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) gestützt auf Artikel 100 a) und b) EPÜ Einspruch mit der Begründung ein, daß der Gegenstand des Patents nach Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ im gesamten Umfang wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei und daß das europäische Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, daß ein Fachmann sie ausführen könne.
Die nachfolgenden Druckschriften wurden inter alia im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens zitiert:
(1): Hans Schreier "Liposomen - ein neuartiger Arzneistoffträger", Pharmazie in unserer Zeit, 97. - 108, 1982
(3): D. Lichtenberg, Biochimica et Biophysica Acta, 737 (1983), 285 - 304
(11): Reviews on Biomembranes, Biochimica et Biophysica Acta, vol. 415, no. 1, 29 - 79, 1975
(13): EP-A-102 324
(14): M. L. Jackson et al, Biochemistry 1982, 21, 4576 - 4582
(15): P. K. Vinson et al, Biophysical Journal, 56, 669 - 681, 1989
(16): K. Edwards et al, langmuir 1989, 5, 473 - 478
(17): A. M. Brendzel et al , Biochimica et Biophysica Acta, 601 (1980), 260 - 270
(18): WO-A-88 07362.
III. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch nach Artikel 102 (2) EPÜ zurückgewiesen wurde.
Der Einspruch wurde von der Einspruchsabteilung als zulässig angesehen, weil die vom Patentinhaber vorgebrachten Einwände die Beurteilung der Schlüssigkeit der Einspruchsgründe betrafen, was nicht die Zulässigkeit des Einspruchs, sondern nur dessen Begründetheit in Frage stellte.
In der Sache begründete die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt.
Das Patent enthält 243 Beispiele, deren Durchführbarkeit von der Einsprechenden nicht bestritten worden war. Die Einspruchsabteilung war der Ansicht, daß die Erfindung so deutlich offenbart sei, daß der Fachmann sie ausführen könne (Artikel 83 EPÜ). Ferner könne der Fachmann durch Routineuntersuchungen feststellen, ob die in Anspruch 1 vorausgesetzten funktionellen Merkmale der Vesikeln erfüllt seien oder nicht. Die Patentschrift führe als Beispiele für Permeabilitätsbarrieren menschliche oder tierische Haut, pflanzliche Kutikula und anorganische Membranen auf.
Die Neuheit des im Anspruch 1 beanspruchten Präparats wurde damit begründet, daß aus dem Übersichtsartikel (1), welcher von der Einsprechenden als einzige neuheitsschädliche Entgegenhaltung genannt wurde, kein Hinweis zu entnehmen sei, daß die dort offenbarten Zusammensetzungen die funktionellen Merkmale des Anspruchs 1 erfüllten. Ferner habe die Einsprechende keinen entsprechenden Nachweis erbracht.
In bezug auf die erfinderische Tätigkeit war die Einspruchsabteilung der Ansicht, daß die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe sei, eine Verabreichungsform für Wirkstoffe zur Verfügung zu stellen, welche einen schnellen und wirksamen Transport des Wirkstoffs durch Barrieren gestatte. Die als nächstliegender Stand der Technik von der Einsprechenden genannte Entgegenhaltung (1) sei ein Übersichtsartikel, in dem auf Seite 97 dargestellt werde, daß Liposomen den Arzneistoff vom Applikationsort bis zum Zielort in eingeschlossener Form transportieren sollten. Entsprechend der dort gewählten invasiven Verabreichungsform der Liposomen werde das Problem des Transports durch Permeabilitätsbarrieren nicht explizit angesprochen. Ferner beschreibe Entgegenhaltung (1), daß die orale Applikation von Insulin zu widersprüchlichen Ergebnissen führe. Zusätzlich führte die Einspruchsabteilung dazu aus, daß selbst unter der Annahme, daß der Fachmann den in Druckschrift (3) verwendeten Begriff der Fluidisierung im Sinne einer Erhöhung der Elastizität der Liposomen interpretieren würde, es jedoch in Druckschrift (3) keinen Hinweis auf einen Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren gebe. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluß, daß ohne Kenntnis des Streitpatents der Fachmann aus (1) keinen Hinweis habe, daß das Permeabilitätsproblem überhaupt auf der Grundlage von Liposomen oder deren Modifizierung gelöst werden könne. Zusätzlich würde der Fachmann die Druckschriften (1) und (3) nicht kombinieren, weil Druckschrift (3) das Permeabilitätsproblem nicht anspreche.
Die Einspruchsabteilung befand, daß auch alle anderen Ansprüche in der erteilten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügten.
IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.
V. Mit der Mitteilung der Beschwerdekammer vom 22. April 2002 wurden die Parteien zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung auf einige entscheidungserhebliche Gesichtspunkte hingewiesen.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 4. und 5. Juni 2002 statt.
Während der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdegegner einen Anspruchssatz als Hauptantrag eingereicht, den mit Schriftsatz vom 19. April 1999 eingereichten ersten Hilfsantrag geändert (Seite 8 wurde neu eingereicht) und einen neuen Hilfsantrag (Hilfsantrag 2) eingereicht. Der Anspruch 1 des Hauptantrags war identisch mit dem Anspruch 1 der erteilten Fassung.
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags lautete:
"Verwendung eines Präparats zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren in Form von mit einer membranartigen Hülle aus einer oder wenigen Lagen amphiphiler Moleküle bzw. mit einer amphiphilen Trägersubstanz versehenen Flüssigkeitströpfchen, dadurch gekennzeichnet, daß das Präparat einen Gehalt einer randaktiven Substanz aufweist, der bis zu 99 Mol.-% des Gehaltes dieser Substanz entspricht, durch den der Solubilisierungspunkt der Tröpfchen erreicht wird, wobei der Gehalt dem am Solubilisierungspunkt liegenden Gehalt so nahe kommt, daß die Tröpfchen bei noch ausreichender Stabilität maximale Permeationsfähigkeit aufweisen."
Anspruch 11 des ersten Hilfsantrags hatte folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung eines Präparats zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren in Form von mit einer membranartigen Hülle aus einer oder wenigen Lagen amphiphiler Moleküle bzw. mit einer amphiphilen Trägersubstanz versehenen Flüssigkeitströpfchen, dadurch gekennzeichnet, daß man den Gehalt an randaktiver Substanz bestimmt, bei dem die Tröpfchen solubilisiert werden, und dem Präparat einen diesem Gehalt so nahekommenden Gehalt an randaktiver Substanz zusetzt, daß die Tröpfchen bei noch ausreichender Stabilität maximale Permeationsfähigkeit aufweisen."
Anspruch 23 des ersten Hilfsantrags hatte folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung eines Präparates gemäß Anspruch 1 zur nichtinvasiven Verabreichung von antidiabetischen Wirkstoffen, dadurch gekennzeichnet, daß man aus wenigstens einer amphiphilen Substanz, wenigstens einer hydrophilen Flüssigkeit, wenigstens einer randaktiven Substanz und wenigstens einem antidiabetischen Wirkstoff liposomenartige Tröpfchen erzeugt, die das Präparat bilden."
VII. Die Beschwerdeführerin hatte zur Begründung bezüglich Artikel 83 EPÜ im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die Offenbarung des Streitpatents sei so undeutlich und unvollständig, daß der Fachmann in einem konkreten Fall nicht zuverlässig bestimmen könne, ob ein jeweils erhaltenes Erzeugnis überhaupt als ein erfindungsgemäßes Erzeugnis anzusehen sei oder nicht. Insbesondere wurden die Ausdrücke "ausreichende Stabilität" und "maximale Permeationsfähigkeit" angegriffen. Die Beschwerdeführerin fügte hinzu, daß nicht dokumentiert sei, durch welche routinemäßigen Untersuchungen festgestellt werden könne, ob das Vesikel unbeschädigt durch die Permeabilitätsbarriere durchgehe. Das Streitpatent offenbare kein Standardverfahren, um dieses festzustellen. Die maximale Permeationsfähigkeit sei variabler Natur und relativ, weil sie von einer Vielzahl von Randbedingungen abhängig sei. Diese sei kein technisches Merkmal und hänge von der Wunschvorstellung des Herstellers ab.
Bezüglich der mangelnden Neuheit des Produktanspruchs 1 des Hauptantrags trug die Beschwerdeführerin vor, daß jedes bekannte Liposom oder Vesikel bestehend aus einem Amphiphil und einer randaktiven Substanz vom Anspruch 1 umfaßt sei. Unter anderem wurde hierzu auf die Druckschriften (1), (11), (13), (14), (15), (16) und (18) verwiesen.
Bezüglich des ersten Hilfsantrags führte die Beschwerdeführerin aus, daß die Verwendung beziehungsweise die Herstellung eines bekannten Präparats auch nicht als neu anzusehen sei, weil kein neues Merkmal angegeben werde, welches diese Verwendung oder diese Herstellung gegenüber dem Stand der Technik kennzeichne.
Die Beschwerdeführerin bezeichnete während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer Druckschrift (18) als nächstliegenden Stand der Technik. Sie führte ferner an, daß der beanspruchte Gegenstand nicht neu sei und keine Verbesserung gegenüber den bekannten Liposomen nachgewiesen worden sei.
Der Fachmann würde das Wissen aus den Druckschriften (11) und (14) mit dem aus Druckschrift (18) kombinieren und zur Lösung der gestellten Aufgabe gelangen. Der Einfluß von Tensiden zur Fluidisierung und Solubilisierung von Lipidmembranen sei bekannt gewesen.
VII. Der Beschwerdegegner trug im wesentlichen folgendes vor:
Das Streitpatent erfülle die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ, weil im Lichte der Beschreibung und anhand der Beispiele die Erfindung ausführbar sei. Ferner habe die Beschwerdeführerin kein Beweismittel für die Nichtdurchführbarkeit der Erfindung eingereicht.
Die Erfindung betreffe eine neue Transporttechnik für Wirkstoffe, nämlich den Transport in Form von Tröpfchen, die aus einem Amphiphil und einer randaktiven Substanz gebildet würden, worin die Menge an randaktiver Substanz optimiert sei, damit die Tröpfchen Permeabilitätsbarrieren unversehrt passieren könnten.
Obwohl Liposomen, Vesikeln und Mizellen allgemein bekannt gewesen seien, habe keine der von der Beschwerdeführerin zitierten Entgegenhaltungen solche beschrieben, die allen im Anspruch 1 angegebenen funktionellen Merkmalen entsprächen. Die Beschwerdeführerin habe nur Behauptungen vorgetragen und keine Tatsachen oder Beweise vorgelegt. Die Beschwerdeführerin ignoriere in ihrer Analyse die funktionellen Merkmale des Produktanspruchs 1 des Hauptantrags. Die Erfindung betreffe keine Optimierung der Permeabilitätsbarriere, sondern den Gehalt an einer randaktiven Substanz in Mol.-%. Daher sei eine Einschränkung entsprechend der jeweiligen Natur der Permeabilitätsbarriere für den Produktanspruch nicht erforderlich. Die Tröpfchen im Sinne der Erfindung würden eine optimale Deformierbarkeit bei ausreichender Stabilität haben. Der Stand der Technik beschreibe nicht, wie solche Eigenschaften erzielt werden könnten.
Die Argumentation zur Neuheit des Hauptantrages gelte sinngemäß für den ersten Hilfsantrag.
Ferner bestritt der Beschwerdegegner, daß irgendeine der von der Beschwerdeführerin zitierten Druckschriften als nächstliegender Stand der Technik geltend gemacht werden könne, weil die Erfindung eine ganz neue Alternative zum Transport von Wirkstoffen eröffne, nämlich den Transport von Stoffen mittels Tröpfchen durch Permeabilitätsbarrieren, wobei die Tröpfchen als solche intakt blieben.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 475 160.
Der Beschwerdegegner beantragte die Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hauptantrag, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, oder hilfsweise das Patent gemäß erstem Hilfsantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 19. April 1999, hierbei Seite 8 ersetzt durch die in der mündlichen Verhandlung eingereichte Seite 8, oder hilfsweise gemäß zweitem Hilfsantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
Die Beschwerdeführerin hat zu den Anspruchsänderungen keinen Einwand nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erhoben. Die Kammer stellt hierzu ebenfalls keinen Verstoß fest.
2.3. Artikel 83 EPÜ
Hinsichtlich der Ausführbarkeit der Erfindung wird in Artikel 100 b) EPÜ auf das europäische Patent Bezug genommen. Daher müssen nicht nur die Ansprüche, sondern auch die gesamte Beschreibung in Betracht gezogen werden, wenn das Vorliegen einer mangelnden Ausführbarkeit im Sinne von Artikel 100 b) EPÜ in Frage steht.
Die Beschreibung des Streitpatents enthält 243 Beispiele, anhand deren die Erfindung illustriert wird.
Die Beispiele 1 - 13 zeigen, auf welche Weise Tröpfchen gemäß der Erfindung hergestellt werden können. Diese Beispiele geben auch an, wie die Permeationsfähigkeit der Tröpfchen bestimmt und gemessen werden kann (Bestimmung des Permeationswiderstands durch den relativen Druck einer Filtration durch eine Membrane). Die Vesikelgröße wird mittels dynamischer Lichtstreuung bei 33° C gemessen. Die Versuchsreihe der Beispiele 1 - 13 wird in Abbildung 1 bewertet.
Zusätzlich wird die Permeationsfähigkeit durch pflanzliche Kutikula in den Beispielen 140 - 142 getestet (Tracer- Methoden). Ebenfalls wird im Streitpatent die Hautpenetration mittels Tröpfchen gemäß der Erfindung getestet (vgl. unter anderem Beispiele 151 - 157).
Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente zur fehlenden Ausführbarkeit zielen in Wahrheit auf eine mangelnde Bestimmtheit des im Anspruch 1 beanspruchten Produkts. Grund dafür ist der breitgefaßte Wortlaut des Anspruchs, nicht aber die fehlende Reproduzierbarkeit der Erfindung.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin bezieht sich daher auf die Rüge mangelnder Klarheit im Sinne des Artikels 84 EPÜ und nicht auf die Durchführbarkeit. Artikel 84 EPÜ ist jedoch kein Einspruchsgrund und kann von der Beschwerdekammer nicht berücksichtigt werden, da Anspruch 1 des Hauptantrags mit Anspruch 1 der erteilten Fassung identisch ist.
Die Beschwerdeführerin hat die Durchführbarkeit der Beispiele nicht bestritten.
Wie oben bereits erwähnt, beinhaltet die Beschreibung Beispiele und Abbildungen, nach denen der Fachmann die Erfindung hinsichtlich der beanspruchten Stabilität und Permeationsfähigkeit der Tröpfchen nacharbeiten kann.
In Abwesenheit jeglichen Beweises der Nichtfunktionsfähigkeit des beanspruchten Gegenstandes kann die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall die Durchführbarkeit der Erfindung nicht in Zweifel ziehen.
Die Beschwerdekammer ist daher aus den dargelegten Gründen der Überzeugung, daß die dem Streitpatent zugrundeliegende Erfindung im Sinne von Artikel 83 EPÜ durchführbar ist.
2.4. Neuheit
Vor einer Diskussion der zitierten Entgegenhaltungen erscheint im vorliegenden Fall eine Analyse des Wortlauts des Produktanspruchs unumgänglich zu sein.
Anspruch 1 bezieht sich auf ein
a1) Präparat
a2) zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitäts-barrieren
a3) in Form von Flüssigkeitströpfchen, welche
a4) mit einer membranartigen Hülle aus einer oder wenigen Lagen amphiphiler Moleküle versehen oder
a5) mit einer amphiphilen Trägersubstanz versehen sind, wobei
a6) das Präparat einen Gehalt an einer randaktiven Substanz aufweist, der
a7) bis zu 99 Mol.-% des Gehaltes dieser (randaktiven) Substanz entspricht, durch den der Solubilisierungspunkt der Tröpfchen erreicht wird
a8) wobei der Gehalt dem am Solubilisierungspunkt liegenden Gehalt so nahe kommt, daß
a9) die Tröpfchen bei noch (ausreichender) Stabilität
a10) (maximale) Permeationsfähigkeit aufweisen.
Die einleitende Wortfassung in Anspruch 1 "Präparat zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren in Form von" läßt offen, ob sich das Merkmal a3) auf a1) und/oder auf a2) bezieht.
Für a3) ließen sich folgende Wortbezüge herstellen:
I) Präparat in Form von Flüssigkeitströpfchen oder
II) Transport in Form von Flüssigkeitströpfchen oder
III) Präparat und Transport sind in Form von Flüssigkeitströpfchen.
Jedoch muß Anspruch 1 als Ganzes und im Zusammenhang gelesen werden, damit sein Sinn richtig erfaßt wird. Anspruch 1 ist ein offener Anspruch, der weitere funktionelle Merkmale zur Bestimmung der Zusammensetzung im kennzeichnenden Teil aufweist.
Im breitesten Sinne umfaßt Anspruch 1 jedes Präparat, das fähig ist, den Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren zu ermöglichen, und das aus Flüssigkeitströpfchen besteht und folgende Bedingungen erfüllt:
i) Die (Flüssigkeitströpfchen) sind entweder mit einer Hülle aus amphiphilen Molekülen oder mit einer amphiphilen Substanz versehen (im zweiten Fall wird das Amphiphil als Trägersubstanz bezeichnet),
ii) die Tröpfchen weisen eine randaktive Substanz auf,
iii) die Tröpfchen weisen eine (ausreichende) Stabilität auf (Tensid in einer Menge, die den Solubilisierungspunkt nicht erreicht) und
iv) die Tröpfchen sind fähig, durch eine Permeabilitätsbarriere als Tröpfchen durchzugehen (Permeationsfähigkeit).
Bezüglich des Merkmals
v) die (ausreichende) Stabilität der Tröpfchen ist so gewählt, daß diese eine maximale Permeationsfähigkeit aufweisen
muß folgendes vorgetragen werden:
Das zuletzt genannte Merkmal "maximale" Permeationsfähigkeit begründet in Wahrheit keine Einschränkung des Produktanspruchs, weil die maximale Permeationsfähigkeit erfindungsgemäß von einer Vielzahl von Randbedingungen (z. B. Druck, Temperatur) abhängig ist. Alle diese Randbedingungen bleiben in Anspruch 1 aber offen und können für jede einzelne Permeabilitätsbarriere in einem nicht näher definierten Bereich verändert werden, so daß auch das Merkmal maximale Permeationsfähigkeit unbestimmt bleibt.
Daraus ergibt sich, daß nur die unter i) bis iv) aufgeführten funktionellen Merkmale überhaupt geeignet sind, den beanspruchten Gegenstand bestimmungsgemäß zu kennzeichnen, jedoch auch diese den Anspruch teilweise offenlassen.
Unzweifelhaft erschließen sich aus i) bis iv) nur folgende funktionelle Merkmale:
- Die Tröpfchen passieren die Permeabilitätsbarriere als Tröpfchen.
- Das Präparat in Form von Tröpfchen ermöglicht den Transport von Wirkstoff durch Permeabilitätsbarrieren.
Anspruch 1 läßt jedoch offen:
b1) die Natur der Permeabilitätsbarriere.
Im breitesten Sinne ist eine Permeabilitätsbarriere jede membranartige Barriere (auch ein anorganisches Filter, wie es im Streitpatent beschrieben und angewendet wird, vgl. Beispiele 1 - 13), die Konstriktionen aufweist (Seite 3, Zeile 27), die die unbehinderte Passage der Vesikeln oder Tröpfchen erschwert oder sogar verhindert. Wenn die Membrane deutlich größere Poren in bezug auf den Vesikeldurchmesser aufweisen sollte, kann nicht sinnvollerweise von einer "Permeabilitätsbarriere" gesprochen werden. Jedoch würde eine Membrane, die Poren in etwa der Größe des Vesikeldiameters, insbesondere etwas kleinere Poren als der Vesikeldurchmesser aufweist, noch immer eine Permeabilitätsbarriere darstellen, weil auch diese Poren Konstriktionen für das Passieren der Tröpfchen bilden.
Anspruch 1 läßt auch offen:
b2) ob der Wirkstoff eine Komponente des beanspruchten Präparats ist (d. h. die Basiszusammensetzung, die nur aus den Tröpfchen besteht, wird auch beansprucht).
Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist zu prüfen, ob der in Anspruch 1 beanspruchte Gegenstand von den zitierten Entgegenhaltungen neuheitsschädlich getroffen wird.
Dokument (13) beschreibt Liposomen (vgl. Seiten 1 - 3), die die Form von unilamellaren Vesikeln (ULV) haben (d. h. die Flüssigkeitströpfchen sind mit einer Hülle aus amphiphilen Molekülen versehen). Sie bestehen aus Lipid (Amphiphil, z. B. Ei-Lecithin im Beispiel 1) und Tensid (randaktive Substanz, vgl. Seiten 3 - 4). Diese ULV bestehen aus natürlichen, nicht starren Lipidkomponenten wie Ei-Lecithin, wobei die Mengenverhältnisse von L/T so gewählt sind, daß die Tröpfchen ausreichend stabil sind (siehe Anspruch 1 aus (13), "homogene Mischung eines ionisches Tensids und eines Lipids in wäßriger Phase bei einer Konzentration niedriger als die kritische Mizellbildungskonzentration"). Damit sind die in der obigen Analyse des Anspruchs 1 unter i), ii) und iii) genannten kennzeichnenden Merkmale des Streitpatents in den Präparaten aus (13) vorhanden. Die Präparate aus Entgegenhaltung (13) sind auch als Träger von Wirkstoffen beschrieben (Seite 22).
Das einzige funktionelle Merkmal, das sich nicht deutlich aus der Entgegenhaltung (13) entnehmen läßt, betrifft die Fähigkeit der Tröpfchen, durch eine Permeabilitätsbarriere hindurchzugehen (Merkmal iv) oben).
Es stellt sich daher die Frage, ob die in Entgegenhaltung (13) beschriebenen Liposomen unter Anspruch 1 fallen oder nicht.
Im Stand der Technik war zum Prioritätszeitpunkt bekannt, daß Liposomen die Fähigkeit haben, sich flüssigkristallin zu verhalten (als "flüssige Tröpfchen"), um eine Barriere mit etwas kleineren Poren unversehrt zu passieren (siehe (17), Seite 261, erster Absatz, "liquid droplets"). Diese physikalische Eigenschaft hängt unter anderem von der Wahl des Amphiphils und der vorgegebenen Temperatur ab. Anspruch 1 des Hauptantrags ist diesbezüglich breitgefaßt und umfaßt jede auch nur geringfügige Flexibilität. Selbst wenn nicht jedes Liposom einen optimalen flüssigkristallinen Zustand erreichen kann, werden nur solche Liposomen von Anspruch 1 des Hauptantrags ausgeschlossen, die aus im Stand der Technik bekannten starren Lipiden wie DPPC oder anderen synthetischen Lipiden gebildet sind und wegen mangelnder Flexibilität das im Anspruch 1 breit definierte funktionelle Merkmal "die Tröpfchen sind fähig durch eine Permeabilitätsbarriere durchzugehen" nicht erfüllen. Jedoch erfüllen die aus natürlichen, nicht starren Lipiden bestehenden Liposomen, wie sie aus Druckschrift (13) bekannt sind, dieses funktionelle Merkmal zumindest zu einem im Hinblick auf den beanspruchten Gegenstand bedeutsamen Grad. Grund dafür ist, daß die Permeabilitätsbarrieren nach der Größe ihrer Poren in bezug auf ein zu beanspruchendes "Tröpfchen" ausgewählt werden können (d. h. solche, deren Poren nur in etwa kleiner sind als der Durchschnittsdurchmesser der Vesikeln) und daß im Anspruch 1 die Wahl der Randbedingungen (z. B. Druck, Temperatur) offengelassen wird.
Die Beschwerdekammer kommt daher zum Schluß, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die in Entgegenhaltung (13) beschriebenen Liposomen neuheitsschädlich getroffen ist.
Diese Schlußfolgerung der Kammer wird auch nicht durch die weiteren Argumente des Beschwerdegegners in Frage gestellt oder gar widerlegt.
Der Beschwerdegegner erklärte während der mündlichen Verhandlung, daß sich das funktionelle Merkmal der Permeationsfähigkeit der Tröpfchen anhand von Testmethoden, wie sie in der Beschreibung aufgeführt sind, bestimmen ließe. Das heißt, die Messung des Permeationswiderstandes mittels des relativen Druckes durch anorganische Filter ist als Test möglich (vgl. Beispiele 1 - 13).
Zusätzlich seien die Merkmale a9) (Stabilität) und a10) (Permeationsfähigkeit) als funktionelle Merkmale der Tröpfchen vorgegeben.
Dem ist entgegenzuhalten, daß weder die Porengröße der Barriere noch die Vesikelgröße im Anspruch 1 definiert sind. Im Anspruch 1 ist auch nicht vorgegeben, daß die Poren der Membrane viel kleiner sein sollen als die Vesikeldiameter.
Das Präparat gemäß Anspruch 1 wird, wie oben dargelegt, durch das Verfahrensmerkmal, das sich auf die Bestimmung des Gehaltes an randaktiver Substanz zum Erreichen eines Optimums an Permeationsfähigkeit der Tröpfchen bezieht, nicht eingeschränkt. Anspruch 1 umfaßt daher auch solche Tröpfchen, die natürliche, nicht starre Lipide als Amphiphilkomponente aufweisen, weil sie ausreichende Flexibilität aufweisen, um eine Permeabilitätsbarriere mit Konstriktionen aus Poren mit einem Diameter, der nur wenig kleiner als der Vesikeldiameter ist, zu passieren, selbst wenn das nur auf einen Teil der Tröpfchen zutrifft.
Die Argumentation des Beschwerdegegners ist daher nicht geeignet, die Feststellung der Kammer zur Neuheitsschädlichkeit der in Entgegenhaltung (13) offenbarten Liposomen zu widerlegen.
Der Beschwerdegegner räumte darüber hinaus während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ein, daß nicht ausschließbar sei, daß bekannte Liposomen zufällig von Anspruch 1 mitumfaßt sein könnten. Jedoch trug er vor, daß dies von der Beschwerdeführerin hätte bewiesen werden müssen. Die Kammer folgt dem nicht. Die Angabe eines neuen Zwecks oder einer neuen Wirkung oder Funktion verleiht einem bekannten Erzeugnis keine Neuheit, selbst wenn der Wortlaut des Anspruchs hierauf ausdrücklich Bezug nimmt. Da der Beschwerdegegner die von ihm beanspruchte Erfindung nur durch die im Stand der Technik nicht erwähnte Eigenschaft der maximalen Permeationsfähigkeit bei ausreichender Stabilität abgrenzt, obliegt es ihm darzulegen und nachzuweisen, daß der von ihm beanspruchte Stoff sich vom Stand der Technik unterscheidet.
Schließlich wandte der Beschwerdegegner während der mündlichen Verhandlung ein, daß das Herstellungsverfahren von Liposomen durch Extrusion mit einer Scherung des Vesikels einhergehe. Dies würde z. B. in den Verfahren der Druckschrift (17) der Fall sein. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß in Druckschrift (17) auch über das flüssigkristalline Verhalten von Liposomen berichtet wird.
Der Beschwerdegegner hatte während des Prüfungsverfahrens Vergleichsversuche eingereicht. Die Beschwerdeführerin wies in der schriftlichen Beschwerdebegründung vom 4. Dezember 1998 (Seiten 34, 36. - 37) auf die während des Prüfungsverfahrens vom Beschwerdegegner eingereichten Vergleichsversuche hin und bestritt, daß diese den Nachweis der Neuheit erbrächten.
Der Einwand der Beschwerdeführerin ist zutreffend, da in diesen Versuchen nicht die Liposomen aus Dokument (13) getestet werden, sondern ein anderes Lipid verwendet wird, nämlich Octadecyl-TAB anstatt Hexadecyl-TAB. Dem Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt bekannt, daß die Kettenlänge des Kohlenstoffrestes die Flexibilität/Starre eines Moleküls beeinflußt und daher die zu den Versuchen ausgewählten Liposomen mit denen von Entgegenhaltung (13) hinsichtlich ihrer Flexibilität bei der Überwindung von Permeabilitätsbarrieren nicht vergleichbar sind.
Aus den vorhergehenden Gründen wird der Hauptantrag wegen mangelnder Neuheit des Produktanspruchs (Anspruch 1) zurückgewiesen.
3. Erster Hilfsantrag
3.1. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
Der Beschwerdeführer hat keinen Einwand bezüglich Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erhoben. Die Kammer stellt hierzu ebenfalls keinen Verstoß fest.
3.2. Artikel 83 EPÜ
Die für den Hauptantrag vorgetragenen Argumente gelten sinngemäß für den ersten Hilfsantrag. Die Beschreibung und die Beispiele offenbaren sowohl die Verwendung als auch die Herstellung des Präparates in Form von Tröpfchen.
3.3. Neuheit
Der erste Hilfsantrag beinhaltet drei unabhängige Ansprüche (1, 11 und 23), die auf ihre Neuheit zu überprüfen sind.
Anspruch 1 bezieht sich auf die Verwendung eines Präparats zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren in Form von Tröpfchen. Anspruch 11 bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung eines Präparates zum Transport durch Permeabilitätsbarrieren in Form von Tröpfchen, dadurch gekennzeichnet, daß man den Gehalt an randaktiver Substanz bestimmt.
Anspruch 23 bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung eines Präparates zur nichtinvasiven Verabreichung von antidiabetischen Wirkstoffen in Form von Tröpfchen.
In keinem zur Verfügung stehenden Stand der Technik (insbesondere (1), (11), (13), (14), (15), (16), (18)) werden Tröpfchen beschrieben, die fähig sind, den Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren zu ermöglichen, wobei die Tröpfchen sowohl ein Amphiphil als auch eine randaktive Substanz aufweisen und als Tröpfchen fähig sind, die dort beschriebene Barriere zu passieren, ohne dabei zerstört zu werden. Ebenso beschreibt keine Entgegenhaltung die Verwendung von Vesikeln, Tröpfchen oder Liposomen zum Transport von Wirkstoffen, wobei die Tröpfchen durch Permeabilitätsbarrieren intakt hindurchgehen.
Druckschrift (18) beschreibt Liposomen (vgl. Beispiel 7), die aus Amphiphil und Tensid bestehen und mit einem Wirkstoff beladen sind (Minoxidil), nicht aber den Transport durch Barrieren. Dokument (18) beschreibt vielmehr die Depotwirkung bei der pharmakologischen Formulierung, wobei der Wirkstoff als solcher (und nicht die Liposomen) durch die Hautbarriere hindurchgeht (siehe Seite 14). Die Hautaufnahme ("transdermal uptake") in (18) (vgl. Seiten 18 - 21) bezieht sich nur auf die Penetration (z. B. durch Diffusion/Resorption) des Wirkstoffes Minoxidil durch die Haut (siehe Abbildungen aus Druckschrift (18)).
Entgegenhaltung (13) beschreibt die Verwendung von Liposomen zur oralen Verabreichung von z. B. Insulin (Seite 23), nicht jedoch eine Fähigkeit zum Transport von Wirkstoffen durch eine Permeabilitätsbarriere mittels der Tröpfchen oder der Liposomen als solche.
Entgegenhaltung (1) beschreibt die orale Applikation (siehe Seite 106, linke Spalte) von Liposomen als orale Dosierungsform für Insulin, nicht jedoch, welche Komponenten diese Liposomen bilden. Ferner offenbart (1), daß "weniger die intakte Hülle als vielmehr Insulin-Lipidkomplexe die Absorption erleichterten".
Die in den Druckschriften (11), (14), (15) beschriebenen Stabilitätsstudien von Mizellen und Aggregaten ("Bilayers") machen keine Aussage über einen Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren hindurch.
Die Fähigkeit von Tröpfchen zum unversehrten Passieren von Permeabilitätsbarrieren ist für den Verwendungsanspruch 1 - im Gegensatz zum Produktanspruch des Hauptantrags - neuheitsbegründend, weil die im Stand der Technik beschriebenen Liposomen nicht unversehrt und zusammen mit einem Wirkstoff die dort beschriebenen Permeabilitätsbarrieren passieren. Durch die zweckgebundene Verwendung "Verwendung zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren" beschränkt sich die Natur der Permeabilitätsbarriere auf diejenige, durch die der Wirkstoff "filtriert" werden muß. Beispiele einer möglichen Anwendung wären die Sterilisierung der mit Wirkstoff beladenen Tröpfchen-Präparate durch ein einfaches Filtrieren mittels einer anorganischen Membrane oder die Aufnahme von Wirkstoffen durch die pflanzliche Kutikula. Keine der Entgegenhaltungen beschreibt die Verwendung von Liposomen als Transportmittel des Wirkstoffes in Form von unversehrten Tröpfchen durch die Permeabilitätsbarriere.
Obwohl Anspruch 23 als Verfahrensanspruch formuliert ist, bezieht er sich auf eine Verwendung für den Fall, daß der Transport von pharmazeutischen Wirkstoffen (nämlich antidiabetischen Wirkstoffen) durch die Haut ("nichtinvasive Verabreichung") als Permeabilitätsbarriere stattfinden soll.
Vor dem Prioritätstag des Streitpatents waren keine Liposomen bekannt, die mit Wirkstoffen beladen fähig sind, Barrieren mit so kleinen Poren wie die der Haut intakt zu passieren. Daher können weder Druckschrift (13) noch Druckschrift (1) neuheitsschädlich entgegengehalten werden.
Bezüglich des im Anspruch 11 beanspruchten Verfahrens ist folgendes festzustellen. Keines der vom Beschwerdeführer zitierten Dokumente beschreibt ein Verfahren zur Herstellung eines Tröpfchenpräparats, das durch die Bestimmung des Gehaltes an randaktiver Substanz durch erstmalige Solubilisierung des mit Amphiphil versehenen Tröpfchens diese fähig macht, unversehrt eine Permeabilitätsbarriere zu passieren. Die vom Beschwerdeführer zitierten Druckschriften (11), (14) und (15) beschreiben zwar den Einfluß von Detergenzien oder Tensiden auf die "Fluidisierung" von Lipiden, die Tröpfchen bilden können, nicht jedoch die Herstellung von Tröpfchen, die die im Streitpatent beschriebene Fähigkeit haben, Permeabilitätsbarrieren intakt zu passieren. Die Bestimmung des Gehaltes an randaktiver Substanz ist im Verfahrensanspruch 11 mit der Herstellung der Tröpfchen, die permeationsfähig sind, zweckgebunden.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin bezog sich sinngemäß auf mangelnde Neuheit der Präparate, wobei die Beschwerdeführerin die funktionellen Merkmale der Ansprüche nicht in Betracht zog. Die Kammer hat eine ausführliche Analyse der funktionellen Merkmale, die die Erfindung in den Ansprüchen definieren sollen, gemacht. Die bloße Feststellung der Beschwerdeführerin, daß es mit Wirkstoff beladene Liposomen gibt, widerlegt nicht, daß bei der Verwendung (sei es wie im Verwendungsanspruch 1 oder im Verfahrensanspruch 23 definiert) und bei dem Verfahren (Anspruch 11) jeweils die funktionellen Merkmale der Tröpfchen und deren davon abhängig gemachte Herstellung eine entscheidende Rolle spielen.
Im Lichte des vorher Gesagten ist die Beschwerdekammer zum Schluß gekommen, daß der im ersten Hilfsantrag beanspruchte Gegenstand dem Stand der Technik gegenüber neu ist.
3.4. Erfinderische Tätigkeit
Entgegenhaltung (18) beschreibt Zusammensetzungen, die nicht-kristallines Minoxidil als Wirkstoff beinhalten. Diese Zusammensetzungen sind zur topischen Anwendung bestimmt. Entgegenhaltung (18) beschreibt u. a. Minoxidil/Liposom-Zusammensetzungen (Beispiel 7), die sowohl aus einem Amphiphil (teilweise hydrogeniertes PC, d. h. PHPC), wie auch aus einer randaktiven Substanz bestehen. Dokument (18) beschreibt die Hautaufnahme von Minoxidil, d. h. die Hautaufnahme des Wirkstoffes. Dokument (18) beschreibt eine Depotwirkung mittels der Liposomen (Seite 14).
Das Streitpatent beschreibt die Verwendung von Tröpfchen aus einem Amphiphil und einer randaktiven Substanz zum Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren, wobei die Tröpfchen sowohl Stabilität als auch Permeationsfähigkeit aufweisen, um diesen Transport zu ermöglichen. Ferner beschreibt das Streitpatent ein Verfahren zur Herstellung solcher Tröpfchen, die durch Permeabilitätsbarrieren intakt durchzugehen fähig sind.
Die Beschwerdeführerin hat während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer Dokument (18) als nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet.
Der Beschwerdegegner bestritt, daß irgendeine der von der Beschwerdeführerin zitierten Entgegenhaltungen als nächstliegender Stand der Technik geltend gemacht werden könne, weil die Erfindung eine ganz neue Alternative zum Transport von Wirkstoffen eröffne, nämlich den Transport mittels Tröpfchen, die intakt bleibend Permeabilitätsbarrieren durchdringen können.
Die Beschwerdekammer akzeptiert zugunsten der Beschwerdeführerin, daß Entgegenhaltung (18) den nächstliegenden Stand der Technik kennzeichnet.
Die Beschwerdekammer stimmt zu, daß auf der Grundlage der im Verfahren befindlichen Druckschriften, insbesondere (18), die technische Aufgabe des Streitpatents darin liegt, einen alternativen Transport von Wirkstoffen durch Permeabilitätsbarrieren bereitzustellen.
Die Lösung der gestellten Aufgabe besteht darin, Tröpfchen aus Amphiphil und randaktiver Substanz, die fähig sind, als solche durch Permeabilitätsbarrieren durchzugehen, zum Transport von Wirkstoffen zu verwenden.
Im Lichte der in der Beschreibung des Streitspatents durchgeführten Tests wird diese Aufgabe tatsächlich durch die permeationsfähigen Tröpfchen gelöst.
Es stellt sich die Frage, ob der Fachmann, der mit der Lösung der vorgenannten Aufgabe beauftragt war, in der Lage war, die in den Ansprüchen definierte Lösung im Lichte des Standes der Technik naheliegend zu finden.
Die Beschwerdekammer kommt zu dem Schluß, daß selbst, wenn der Fachmann Entgegenhaltung (18) als nächstliegenden Stand der Technik nehmen würde, die Merkmale, die mit der unterschiedlichen Funktion der Tröpfchen zum Transport von Wirkstoffen verbunden sind, nicht nahegelegt waren.
Dokument (18) beschreibt nicht, daß Tröpfchen intakt durch Permeabilitätsbarrieren hindurchgehen können. Die in Dokument (18) angesprochene Fluidisierung der Liposomen wird gezielt mit der Modulation der Depotwirkung des Minoxidils verbunden (siehe Seite 14).
Nirgendwo wird im Stand der Technik gelehrt, daß die Möglichkeit einer Fluidisierung der Lipidmembran mit einer Permeationsfähigkeit der Tröpfchen als solcher zu verbinden sei. Umgekehrt wird "Fluidisierung" auch als geläufiger Begriff für einen Angriff auf und die Solubilisierung der Lipidmembrane verwendet, d. h. der Wirkstoff sollte entweder durch die Vesikelhülle diffundieren oder durch die dann an der Permeabilitätsbarriere sich selbst zerstörenden Vesikeln befreit werden. Ferner können die in den Druckschriften (14), (15) und (16) beschriebenen Solubilisierungs- und Stabilitätsstudien von Aggregaten, Mizellen und Vesikeln (siehe diese Druckschriften insgesamt) nur als wissenschaftliche Erklärung des Verhaltens von Tensiden und Detergenzien auf Lipidaggregate oder Lipidmembranen betrachtet werden. Der Fachmann, der mit diesen Druckschriften vertraut war, wäre jedoch nicht, ohne erfinderisch zu werden, zu der Lösung der gestellten technischen Aufgabe gemäß Anspruch 1 gelangt.
Im Lichte des Vorhergehenden ist der Gegenstand von Anspruch 23 auch als erfinderisch zu betrachten, weil der nicht invasive Transport von antidiabetischen Wirkstoffen anhand der durch Permeabilitätsbarrieren permeationsfähigen Tröpfchen dem Stand der Technik gegenüber nicht naheliegend ist.
Die Ansprüche, die sich auf das Verfahren zur Herstellung von permeationsfähigen Tröpfchen mittels Bestimmung der Menge an randaktiver Substanz beziehen (vgl. Ansprüche 11 bis 14), sind auch als nicht naheliegende Lösung anzusehen, weil die Bestimmung des Gehaltes an randaktiver Substanz zur Herstellung der zum Transport permeationsfähigen Tröpfchen dient.
Die Beschwerdeführerin hatte in der Aufgabenstellung eine Verbesserung des aus (18) bekannten Wirkstofftransports einbezogen. Jedoch besteht die objektive Aufgabe darin, einen alternativen Transport von Wirkstoffen bereitzustellen.
Die Bestimmung des Gehaltes an randaktiver Substanz dient im Verfahrensanspruch nicht nur zur Einstellung der Stabilität der Tröpfchen, was allerdings aus (14), (15) und (16) bekannt war. Die Bestimmung des Gehaltes an randaktiver Substanz dient vielmehr im Verfahrensanspruch 11 dazu, daß permeationsfähige Tröpfchen, die intakt durch Permeabilitätsbarrieren durchgehen können, hergestellt werden. Dies wurde in dem zur Verfügung stehenden Stand der Technik nicht nahegelegt.
Daher wird der im ersten Hilfsantrag beanspruchte Gegenstand von dem Beschwerdekammer als erfinderisch beurteilt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den Ansprüchen 1. bis 30 gemäß 1. Hilfsantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 19. April 1999, hierbei Seite 8 dieses Hilfsantrags ersetzt durch Seite 8, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.