T 0779/98 (Verfahren zur Virusinaktivierung/BAXTER) of 12.12.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T077998.20021212
Datum der Entscheidung: 12 Dezember 2002
Aktenzeichen: T 0779/98
Anmeldenummer: 94901684.4
IPC-Klasse: A61L 2/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates
Name des Anmelders: Baxter Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Haupt- und erster bis dritter Hilfsantrag
Erfordernisse des Artikels 123(2) - nein - fehlende Parameter einer bevorzugten Ausgestaltung
Erfinderische Tätigkeit vierter und fünfter Hilfsantrag - nein - naheliegende Festsetzung von Verfahrensparametern bei bekannter Wirkung innerhalb bekannter weiter gefaßter Verfahrensparameterbereiche
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/98
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 94 901 684.4 betreffend "Ein Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates" basiert auf der internationalen Anmeldung PCT/AT93/00191 mit der Veröffentlichungsnummer WO 94/13329 mit den österreichischen Prioritäten A 2500/92 vom 16. Dezember 1992 sowie A 1547/93 vom 3. August 1993.

II. In Antwort auf den internationalen vorläufigen Prüfungsbericht unter Artikel 36 und Regel 70 PCT mit Fertigstellungsdatum vom 10. November 1994 wurde zur Grundlage des Prüfungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt ein neuer Satz Ansprüche am 24. Juni 1995 eingereicht, welcher in allen unabhängigen Verfahrensansprüchen einen Disclaimer enthält, der den Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (8) EP-A-0 519 901, die die österreichische Priorität AT 1237/91 vom 20. Juni 1991 beansprucht und am 23. Dezember 1992 veröffentlicht wurde, berücksichtigen soll. Der Disclaimer lautete: "daß im Fall der Erhitzung wässriger Lösungen der Temperaturbereich zwischen 50 °C und 56 °C ausgenommen ist".

III. Die Streitanmeldung wurde mit der in der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 1998 verkündeten und am 1. April 1998 zur Post gegebenen Entscheidung von der Prüfungsabteilung gemäß Artikel 97 (2) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes zurückgewiesen. Zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit bezog sich die Prüfungsabteilung unter anderem auf die Entgegenhaltung (4) EP-A-0 050 061, mit der sinngemäßen Begründung, daß gegenüber der dort offenbarten Lehre die Aufgabe der Streitanmeldung lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung virussicherer Präparate bestünde und die Lösung dieser Aufgabe durch bloße Temperaturerhöhung bei im wesentlichen unveränderter biologischer Aktivität der Präparate dann nahegelegen habe.

Die für die vorliegende Entscheidung der Beschwerdekammer relevante Entgegenhaltung (8) liegt der Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht zugrunde.

IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung Beschwerde erhoben und Gründe vorgetragen.

V. Mit Bescheid, datiert 7. Juni 2000, übersandt 13. Juni 2000, hat die Kammer der Beschwerdeführerin unter anderem mitgeteilt, daß für die in dem zu dem damaligen Zeitpunkt geltenden Haupt- und Hilfsantrag aufgenommene Einschränkung, daß das "Verfahren zur Herstellung eines virussicheren Präparates ...... ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln vorgenommen wird,...", als prioritätsbegründendes Datum lediglich der 3. August 1993 gelten könne.

VI. Die Beschwerdeführerin hat dem widersprochen und insbesondere ausgeführt, daß bereits das Verfahren gemäß der früheren Priorität A 2500/92 ohne die Verwendung von Lösungsmitteln vorgenommen würde und in der entsprechenden Beschreibung sowie den Beispielen der Zusatz von organischen Lösungsmitteln weder beschrieben noch in irgendeiner Weise angeregt worden sei.

VII. Im Bescheid vom 26. März 2002 hat die Beschwerdekammer gegenüber der Beschwerdeführerin die zuvor mitgeteilten Bedenken zur Anerkennung der früheren Priorität A 2500/92 aufrechterhalten.

VIII. Am 16. September 2002 hat die Beschwerdeführerin einen neuen Haupt- und ersten Hilfsantrag eingereicht.

Anspruch 1 des Hauptantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates unter Anwendung eines Tensids und durch Erhitzen unter Erhaltung von mindestens 50 % der biologischen Aktivität, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen bei 60 bis 80 °C in Gegenwart des Tensids durchgeführt wird, worauf vorzugsweise das Tensid entfernt wird."

Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates unter Anwendung eines Tensids und durch Erhitzen unter Erhaltung von mindestens 50 % der biologischen Aktivität, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen bei 60 bis 80 °C in Gegenwart des Tensids, jedoch ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln durchgeführt wird, worauf vorzugsweise das Tensid entfernt wird." (Unterstreichung hinzugefügt).

IX. Am 12. Dezember 2002 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin vier weitere Hilfsanträge überreicht hat.

Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates unter Anwendung eines Tensids und durch Erhitzen unter Erhaltung von mindestens 50 % der biologischen Aktivität, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen bei 60 bis 80 °C in Gegenwart von mindestens 1% des Tensids, jedoch ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln durchgeführt wird, worauf vorzugsweise das Tensid entfernt wird." (Unterstreichung hinzugefügt).

Anspruch 1 des dritten Hilfsantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates enthaltend ein labiles Protein, unter Anwendung eines Tensids und durch Erhitzen unter Erhaltung von mindestens 50 % der biologischen Aktivität, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen bei 60. bis 80 °C in Gegenwart von mindestens 1% des Tensids, jedoch ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln durchgeführt wird, worauf vorzugsweise das Tensid entfernt wird." (Unterstreichung hinzugefügt).

Anspruch 1 des vierten Hilfsantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates enthaltend ein hitzelabiles Protein, unter Anwendung eines Tensids und durch Erhitzen unter Erhaltung von mindestens 50 % der biologischen Aktivität, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen 1 bis 30 h bei 60 bis 80 °C in Gegenwart von mindestens 1% des Tensids, jedoch ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln und ohne den Zusatz üblicher Stabilisatoren durchgeführt wird, worauf vorzugsweise das Tensid entfernt wird." (Unterstreichung hinzugefügt).

Anspruch 1 des fünften Hilfsantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates enthaltend ein hitze labiles Protein, zur therapeutischen oder prophylaktischen Anwendung, unter Anwendung eines Tensids und durch Erhitzen unter Erhaltung von mindestens 50 % der biologischen Aktivität, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen 1 bis 30 h bei 60 bis 80 °C in Gegenwart von mindestens 1% des Tensids, jedoch ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln und ohne den Zusatz üblicher Stabilisatoren durchgeführt wird, worauf vorzugsweise das Tensid entfernt wird." (Unterstreichung hinzugefügt).

X. Der schriftliche und mündliche Vortrag der Beschwerdeführerin zu dem für die geltenden Anträge relevanten Sachverhalt kann wie folgt zusammengefaßt werden:

i) Der Fachmann wisse eindeutig, welche Temperatur welchem Behandlungszeitraum zuzuordnen sei, um eine vollständige Virusinaktivierung zu erreichen und somit bestehe keine Veranlassung, den Zeitraumbereich des Erhitzens von 1 h bis 30 h zwingend mit der Angabe eines Temperaturbereiches des Erhitzens von 60 °C bis 80 °C zu verknüpfen. Besagter Zeitraum in seiner Gesamtheit sei in jedem Falle abgekoppelt von der Angabe eines Temperaturbereiches zu betrachten und somit nicht als untrennbares Offenbarungsmerkmal vorgegeben. Dies sei auch durch die Tatsache belegt, daß der in der Anmeldung noch beschriebene Temperaturbereich von 50 °C bis 121 °C eindeutig ohne Angabe eines Zeitraumes des Erhitzens offenbart sei.

ii) Im Hinblick auf die strengen Auslegungskriterien der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes in der Entscheidung G 2/98 (ABl. EPA 2001, 413) zur Offenbarung prioritätsbegründender Merkmale, sehe sich nunmehr auch die Beschwerdeführerin, obwohl selber gegenteiliger Auffassung, in der Situation, für die geltenden Verfahrensansprüche mit dem Merkmal "Verfahren zur Herstellung eines virussicheren biologischen Präparates ... ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln ... ", eine Offenbarung im Prioritätsdokument A 2500/92 vom 16. Dezember 1992 nicht beanspruchen zu können.

iii) Unabhängig von dem Umstand, daß durch den Fall des älteren Prioritätsrechtes die Entgegenhaltung (8) als vorveröffentlichter Stand der Technik im Rahmen von Artikel 54 (2) EPÜ zu betrachten sei, werde durch die Lehre dieser Entgegenhaltung der beanspruchte Gegenstand der geltenden jeweiligen Anträge weder vorbeschrieben noch nahegelegt.

Es stehe außer Zweifel, daß gemäß allen konkreten Ausführungsbeispielen der Entgegenhaltung (8), und zwar jenen, die eine Hitzebehandlung bei erhöhter Temperatur beinhalteten, bewußt eine Entfernung des zugesetzten Tensids vor der Hitzebehandlung als getrennte Stufe erfolge bzw. die Hitzebehandlung ohne Tensid vorgenommen werde.

Dem Fachmann sei vor dem Anmeldetag bzw. Prioritätsdatum der Streitanmeldung in jedem Falle ein Erhitzen von biologischen Präparaten im jetzt beanspruchten Temperaturbereich zur Virusinaktivierung in Anwesenheit von Tensiden nicht nur fremd gewesen, sondern ohne die Erkenntnis der erfindungsgemäßen Wirkung, wie sie ausschließlich in der Streitanmeldung offenbart sei, seien Tenside letztendlich als unerwünschte Komponente angesehen worden, die im Endprodukt zu vermeiden seien und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Verfahren nach einer Behandlung bei Raumtemperatur abzutrennen seien, insbesondere auch um ungewollte Nebenwirkungen bzw. Nebenreaktionen der Tensidkomponente mit dem zu behandelnden Präparat bei höheren Temperaturen auszuschließen. Diese Annahmen spiegelten sich auch in strengen behördlichen Auflagen zur Virusinaktivierung von Präparaten wider, so daß der Fachmann das erfindungsgemäße Verfahren erst gar nicht in seine Überlegungen einbezogen habe. Im Lichte der Ausführungsbeispiele und des allgemeinen Fachwissens am Prioritätstag der Streitanmeldung könnten alle von der Kammer herangezogenen Textpassagen jedenfalls eindeutig nur als ein die Abtrennung der Tenside vor Erhitzung beinhaltendes Verfahren verstanden werden.

iv) Die Erfinder der Streitanmeldung hätten somit erstmalig entgegen der der Fachwelt geläufigen Auffassung erkannt, daß der Einsatz von Tensiden bei der Behandlung von biologischen Präparaten bei Temperaturen zwischen 60 °C und 80 °C eine vorteilhafte Wirkung zeige, und zwar zu einer Reduzierung der notwendigen Dauer der Hitzebehandlung führe, also eine beschleunigte Desaktivierung von Viren bewirke, was wiederum die Denaturierungsverluste bei zu behandelnden hitzelabilen Proteinprodukten erheblich vermindere. Somit erlaube das erfindungsgemäße Verfahren überraschenderweise erstmalig eine vollständige und effiziente Inaktivierung membranumhüllter und nichtmembranumhüllter Viren in hitzelabilen Proteinen praktisch ohne Verluste an biologischer Aktivität der Proteine. Dies sei insbesondere von Bedeutung, wenn diese Proteinprodukte zur therapeutischen oder prophylaktischen Anwendung kämen, da aufgrund der erzielten höheren biologischen Aktivität der Präparate geringere Mengen hiervon zur Behandlung von z. B. Patienten in der Humanmedizin mit weniger Nebenwirkungen vorgesehen werden könnten.

Entgegen der vermeintlichen Lehre der Entgegenhaltung (4) hätten auch die Erfinder der Streitanmeldung erstmalig erkannt, daß eine vollständige Zerstörung der Virushülle von membranumhüllten Viren bei Raumtemperatur erfolgen könne. Dies sei durch Expertenmeinungen belegt.

Aber selbst bei fälschlicher Anerkennung der Ausführungen in der Entgegenhaltung (4) sei dort 50. °C als absolut oberste Grenze zur virusinaktivierenden Hitzebehandlung unter Anwendung von Tensiden anzusehen, die ein Fachmann aber keinesfalls in die Praxis umsetzen würde. Realistisch sei in jedem Falle nur eine maximale Obergrenze von 37 °C. Letztere Aussagen träfen auch für die Entgegenhaltung (8) zu.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des Hauptantrages hilfsweise des Hilfsantrags 1, beide eingereicht am 16. September 2002, hilfsweise auf Basis der Hilfsanträge 2 bis 5, jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2002, aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die jeweiligen Ansprüche 1 des geltenden Haupt- sowie ersten bis dritten Hilfsantrages enthalten die Einschränkung, daß das Erhitzen des biologischen Präparates bei 60 °C bis 80 °C durchgeführt werden soll.

Die Streitanmeldung - in der nach Artikels 123 (2) EPÜ zugrundezulegenden Ursprungsoffenbarung der internationalen Anmeldung WO 94/13329, Seite 7, erster Absatz, letzte Zeile - beschreibt einen Temperaturbereich, der zwar mit den Endwerten in den besagten Ansprüchen 1 übereinstimmt, jedoch diesem als eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung jeweils einen konkret offenbarten Zeitraum für den Wärmebehandlungsprozeß zuordnet, wobei für den untersten Wert 1 Stunde und für den obersten Wert 30 Stunden als Behandlungsdauer angegeben werden.

Die Beschwerdeführerin hat noch zu Recht vorgetragen, daß besagte Ursprungsoffenbarung eine weitere Hitzebehandlung biologischer Präparate bei 50 °C bis 121 °C für eine Zeitdauer von mindestens 10 Minuten sowie weitere Behandlungszeiträume von 2 Minuten bis 100 Stunden und 30 Minuten bis 30 Stunden offenbare und sich auch der Temperaturwert 60 °C isoliert auf besagter Seite 7 der Ursprungsoffenbarung finde und darüber hinaus die Temperaturwerte 60 °C und 80 °C in den Ausführungsbeispielen der Streitanmeldung, insbesondere Beispiel 4 bei unterschiedlichsten Behandlungszeiten individualisiert seien.

Die Kammer verkennt darüber hinaus auch nicht, daß die voranstehend aufgezeigten Offenbarungsgehalte in ihrer Gesamtheit sich ebenfalls in den ursprünglichen Ansprüchen 4 und 6 der Streitanmeldung widerspiegeln und dort insbesondere in Anspruch 4 der Bereich 60 °C bis 80. °C unter einer bevorzugten Ausführungsform genannt ist, vermag jedoch diesen Temperaturbereich gleichfalls auch dort nur im zwingenden funktionalen Zusammenhang mit dem angegebenen Behandlungszeitraumbereich von 1 h bis 30 h zu lesen. Eine hiervon abweichende Betrachtungsweise mit einer willkürlichen Aufspaltung der Gesamtheit von Merkmalen einer bevorzugten Ausgestaltung einer Erfindung würde in jedem Fall auch die ständig geübte Praxis der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes zur Auswahlerfindung in Frage stellen. Daraus ergibt sich aber auch, daß die in einer Entgegenhaltung genannten jeweiligen Endwerte zu Bereichsangaben für verschiedene Verfahrensparameter nicht als konkrete Merkmalskombinationen offenbart sind. Im vorliegenden Falle gilt daher der konkret genannte Endwert von 60 °C oder 80 °C des Temperaturbereiches nicht mit einem der Endwerte des angegebenen Bereiches zur Behandlungsdauer von 1 h oder 30 h als Merkmalskombination individualisiert und somit auch nicht als offenbart.

Folglich kann dem Haupt- sowie ersten bis dritten Hilfsantrag im Hinblick auf mangelnde Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht stattgegeben werden.

3. Die Ansprüche 1 des vierten und fünften Hilfsantrages stützen sich jeweils auf Anspruch 1 in der ursprünglichen Fassung in Verbindung mit Seite 1, dritter Absatz (dort nur für den fünften Hilfsantrag); Seite 6, vierter Absatz; Seite 7, erster Absatz und Seite 8, zweiter und dritter Absatz der ursprünglichen Beschreibung. Die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche dieser Anträge entsprechen denen der ursprünglichen Fassung unter entsprechender Umnumerierung.

Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sind somit für die jeweiligen Anspruchssätze des vierten und fünften Hilfsantrages erfüllt.

4. Die Kammer hat gleichfalls keine Bedenken bezüglich der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, was diese Anspruchssätze betrifft.

5. Wie von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, waren vor dem Prioritätstag (16. Dezember 1992) vorliegender Anmeldung sowohl Verfahren zur Behandlung von Blutproteinen, also von biologischen Präparaten, bei denen die zu behandelnden Präparate in wässriger Lösung oder in einem organischen Lösungsmittel suspendiert vorliegen, als auch solche Verfahren bekannt, bei denen die Präparation in trockenem Zustand, z. B. lyophilisiert, einer Virusinaktivierung unterworfen werden.

Unter diesen Umständen sieht die Kammer keine Möglichkeit für das Merkmal in den Ansprüchen 1 des vierten und fünften Hilfsantrages, daß das Verfahren "... ohne die Verwendung von organischen Lösungsmitteln durchgeführt wird ...", eine Prioritätsbegründung im Dokument A 2500/92 vom 16. Dezember 1992 zu finden, da dort eine Auswahl einer bestimmten Verfahrensweise bezüglich der Lösungsmittelgehalte nicht erkennbar ist.

Da die Beschwerdeführerin besagte Prioritätsbegründung zuletzt nicht mehr weiter verfolgt hat, erübrigen sich hierzu nähere Ausführungen.

6. Bei der nunmehr vorgegebenen Sachlage ist insbesondere die Entgegenhaltung (8) als vorveröffentlichter Stand der Technik unter Artikel 54 (2) EPÜ und gleichermaßen auch als entscheidungserheblicher Stand der Technik anzusehen.

6.1. Gemäß der Spalte 1, Zeilen 1 bis 8, betrifft die Entgegenhaltung (8) ein virusinaktiviertes Blutprodukt und ein Verfahren zur Herstellung virusinaktivierter Blutprodukte, welche zu therapeutischen, prophylaktischen oder diagnostischen Anwendungen bestimmt sind, sowie ein Verfahren zur Bestimmung der Virusinaktivierungskapazität.

6.2. In einer bevorzugten Ausgestaltung wird in Spalte 4, Zeilen 54 bis 58, die Erfindung in der Bereitstellung eines gegenüber infektiösen Agentien inaktivierten Blutproduktes gesehen, wobei das Blutprodukt in wässriger Lösung, die mehr als 10% Detergens enthält, behandelt und in festem Zustand erhitzt wird.

6.3. Die Beschreibung der Entgegenhaltung (8) enthält neben voranstehender weiterer Ausführungsformen bzw. Ausgestaltungen, z. B. Verfahrensweisen in wässriger Lösung, die jeweils eindeutig durch Formulierungen wie "Eine andere Ausführungsform" oder "Ein bevorzugtes Verfahren" inhaltlich voneinander getrennt sind.

6.4. In Spalte 5, Zeile 51 übergreifend Spalte 6, Zeile 6, ist weiterhin allgemein zur Erfindung erläuternd ausgeführt, daß eine Anwendung von Tween- bzw. Detergens in Konzentrationen größer als 10% gegenüber geringeren Konzentrationen des Standes der Technik ohne wesentliche Beeinträchtigung der biologischen Aktivität der Proteine, eine Verfahrensweise erlaubt, auf den Zusatz von weiteren Substanzen wie z. B. Lösungsmitteln, deren toxische Wirkung bekannt ist, zu verzichten.

6.5. Eine Alternative eines bevorzugten Verfahrens zur Herstellung inaktivierter Blutprodukte besteht darin, daß nach der Behandlung mit der wäßrigen Detergenslösung das Blutprodukt mit heißem Dampf behandelt wird, wobei das Blutprodukt in festem Zustand auf einen Gehalt an Wasser von mehr als 5% Masse und weniger als 70% Masse eingestellt und in einem geschlossenen Behälter bei einer Temperatur im Bereich von 50 °C bis 121 °C behandelt wird (vgl. Spalte 6, Zeilen 18 bis 28).

6.6. Von sechs konkreten Ausführungsbeispielen beschreiben die Beispiele 1 und 6 expressis verbis eine Abtrennung des eingesetzten Detergens bzw. Tensids vor der Hitzebehandlung. Beispiel 4 läßt offen, ob das Detergens vor der Hitzebehandlung abgetrennt wurde.

6.7. Gemäß Anspruch 1 soll das gegenüber infektiösen Agentien inaktivierte Blutprodukt neben einem definierten Gesamtvirusreduktionsfaktor eine biologische Aktivität von mindestens 50%, bezogen auf die Aktivität vor Durchführung der Inaktivierung, aufweisen. Die voranstehend unter 4.2 aufgezeigte vorzugsweise Ausgestaltung der Erfindung ist im von Anspruch 1 abhängigen Anspruch 2 wörtlich übernommen.

6.8. Der unabhängige Anspruch 3 betrifft zusammen mit dem von ihm abhängigen Anspruch 4 eine andere Ausführungsform eines gegenüber infektiösen Agentien inaktivierten Blutprodukts.

6.9. Anspruch 5 ist auf ein Verfahren zur Herstellung eines Blutproduktes nach einem der Ansprüche 1 bis 4 gerichtet, bezieht also bei Berücksichtigung des voranstehend unter 4.8 Gesagten individuell Anspruch 2 ein. Gemäß dem in Anspruch 5 aufgezeigten Verfahren, welches die in 4.5 voranstehend beschriebene Alternative eines bevorzugten Verfahrens umfaßt, wird das Blutprodukt nach Anspruch 2, also ein detergenshaltiges Produkt, auf einen definierten Wasser- bzw. Massegehalt eingestellt und in einem geschlossenen Behälter bei einer Temperatur im Bereich von 50 °C bis 121 °C behandelt.

7. Da der Zeitraumbereich von 1 h bis 30 h sowie der Temperaturbereich von 60 °C bis 80 °C der Hitzebehandlung gemäß Streitanmeldung gegenüber der Hitzebehandlung nach der Entgegenhaltung (8), welche einen weiten Temperaturbereich von 50 °C bis 121 °C offenbart, dieselbe virusinaktivierende Wirkung zeigen soll, also ein Unterschied im Ergebnis der Hitzebehandlung in Anwesenheit eines Tensids prima facie nicht gegeben ist und auch keinerlei Verbesserung mit Bezug auf die Virusinaktivierung im besagten Zeitraumbereich und in dem engeren Temperaturbereich erkennbar ist und eine solche von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht wurde, hat die Kammer große Zweifel, ob der Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (8) nicht bereits als neuheitsschädlich im Rahmen von Artikel 54 (1) gegenüber den jeweiligen Ansprüchen 1 des vierten und fünften Hilfsantrages angesehen werden muß, läßt dieses jedoch offen.

In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die voranstehend zitierten Textpassagen zu einer bevorzugten Ausgestaltung der Verfahrensweise einer Virusinaktivierung gemäß Streitanmeldung zwar eine sehr allgemein gehaltene Lehre offenbaren, diese Lehre aber wie sich eindeutig aus dem nahezu wortgleichen Schutzbegehren nach dem Anspruchsatz der Entgegenhaltung (8) ergibt, auch repräsentativ für die dort offenbarte Erfindung ist.

Der Behauptung der Beschwerdeführerin, daß die Lehre der Entgegenhaltung (8) auf eine obligatorische Abtrennung der Detergens- bzw. Tensidkomponente eingeschränkt wäre, weil bestimmte Ausführungsbeispiele eine solche Abtrennung beschrieben, kann die Kammer jedenfalls nicht zustimmen. Die dort aufgeführten Ausführungsbeispiele erläutern zwar die Erfindung anhand einer möglichen Ausführungsform, haben aber keine begrenzende Wirkung auf die in der Entgegenhaltung (8) offenbarte Erfindung als solche.

8. Besagte Zeitraumbereiche und Temperaturbereiche der Streitanmeldung gemäß dem vierten und fünften Hilfsantrag können somit lediglich als bloße Festsetzung technisch praktikabler Verfahrensparameter aus einer Vielzahl bekannter Möglichkeiten mit gleicher Wirkung gesehen werden.

Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Beschleunigung der Virusinaktivierung sowie die Wirkung des Verfahrens auf membranumhüllte und nichtmembranumhüllte Viren und eine Verminderung der Denaturierungsverluste als erzielte Vorteile bzw. Verbesserung der Streitanmeldung gegenüber einem behaupteten Stand der Technik, der eine obligatorische Abtrennung der Tensidkomponente vor dem Erhitzungsschritt bzw. einer vollständigen Abwesenheit von Tensiden in der Virusinaktivierung beinhaltet, ist aufgrund der als bekannt nachgewiesenen Verfahrenslehre aus der Entgegenhaltung (8) jedenfalls für den Fachmann objektiv nicht mehr gegeben.

9. Unter der Voraussetzung, daß die bloße Festsetzung technisch praktikabler Verfahrensparameter aus einer Vielzahl bekannter Möglichkeiten mit derselben Wirkung gegenüber dem Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (8) eine formale Anerkennung der Neuheit der Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 des vierten und fünften Hilfsantrages zuläßt, was der Kammer allerdings als äußerst fraglich erscheint, ist es im vorliegenden Falle nach Auffassung der Kammer verfahrensökonomisch, die Gegenstände besagter Hilfsanträge, die sich untereinander lediglich durch die weitere Charakterisierung der zu behandelnden hitzelabilen Proteine als solche zur therapeutischen oder prophylaktischen Anwendung unterscheiden, was gleichfalls aus der Entgegenhaltung (8) als bekannt nachgewiesen wurde, für die folgende Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im Rahmen von Artikel 56 EPÜ auch gemeinsam zu behandeln.

Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kann die der Streitanmeldung zugrundeliegende Aufgabe gegenüber der Entgegenhaltung (8) als nächstkommenden Stand der Technik somit allenfalls in der Bereitstellung einer Ausführungsart der Verfahrenslehre gesehen werden.

10. Diese Aufgabe soll gemäß den jeweiligen Ansprüchen 1 des vierten und fünften Hilfsantrages dadurch gelöst werden, daß der Verfahrensschritt des Erhitzens 1 Stunde bis 30. Stunden bei 60 °C bis 80 °C durchgeführt wird.

Mit Bezug auf die Ausführungsbeispiele zur Streitanmeldung ist die Kammer auch überzeugt, daß die bestehende Aufgabe tatsächlich gelöst wird, also das beanspruchte Verfahren bei den angegebenen Parametern tatsächlich durchgeführt werden kann.

11. In der bloßen Bereitstellung von Verfahrensparametern innerhalb bekannter weitergefaßter Parameterbereiche gleicher physikalischer Dimension, im vorliegenden Falle Behandlungszeit und Temperatur eines Produktes, im Rahmen derselben bekannten physikalisch-chemischen Wirkung innerhalb der weitergefaßten bekannten Parameterbereiche, im vorliegenden Falle eine vollständige Virusinaktivierung, vermag die Kammer lediglich eine für den Fachmann naheliegende, wenn wie bereits voranstehend unter Punkt 9 angedeutet, sogar nicht mehr neue Ausführungsart einer Verfahrenslehre zu sehen.

12. Die Beschwerdeführerin hat noch vorgetragen, daß die Lesart der Lehre der Entgegenhaltung (8) im Sinne einer Erhitzung zur Virusinaktivierung unter Anwesenheit eines Tensids bzw. die Nichtabtrennung eines Tensids nach einer ersten Behandlung des Blutproduktes bzw. eines hitzelabilen Proteins mit einem Tensid bei Raumtemperatur und folgender Erhitzung für den Fachmann vollkommen abwegig sei, insbesondere da er das Tensid nach dem frühestmöglichen Verfahrensschritt abtrennen würde.

Dem kann die Kammer nicht folgen, da beispielsweise die Entgegenhaltung (4) auf Seite 7, Zeilen 7 bis 9, in Zusammenhang mit einem zur Streitanmeldung gattungsgleichen Verfahren expressis verbis lehrt, daß im Falle von nichttherapeutischen Plasmaproteinprodukten es generell unnötig ist, das Amphiphil, also eine Detergens- bzw. Tensidkomponente zu entfernen. Es wird anschließend auf der gleichen Seite in Zeile 12 ausgeführt, daß für klinische Seren für diagnostische Zwecke ebenfalls eine Entfernung des Amphiphiles nicht erforderlich ist.

Der Fachmann war somit nicht prinzipiell gehindert, ein Tensid von einer Hitzebehandlung zur Virusinaktivierung auszuschließen. Die Beschwerdeführerin hat auch keine Belege für eventuelle Komplikationen resultierend aus der Anwesenheit von Tensiden beim Erhitzungsschritt der Entgegenhaltung (8) vorgelegt, welche gemäß Streitanmeldung vermieden würden.

Darüber hinaus ist die Kammer überzeugt, daß abhängig von der Verabreichungsart, z. B. parenteral oder oral und somit von der galenischen Aufarbeitung eines therapeutischen Produktes, der Fachmann entscheiden wird, ob er letztendlich ein verfahrensbedingt zugesetztes Tensid abtrennt oder nicht. Auch die geltenden Ansprüche 1 des vierten und fünften Hilfsantrages enthalten fakultativ eine Abtrennung des Tensids vom behandelten Produkt.

Wechselnde behördliche Auflagen zur Bereitstellung von Medikamenten in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Patentorganisation sind jedenfalls nicht geeignet, ein Vorurteil gegenüber einer Nichtabtrennung des Tensids gemäß der Lehre der Entgegenhaltung (8) aufzubauen oder zu begründen.

13. Bei dieser Sachlage kann auch dem vierten und fünften Hilfsantrag nicht stattgegeben werden, da die Gegenstände dieser Hilfsanträge nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllen, und die Streitanmeldung ist als Ganzes zurückzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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