T 0765/98 () of 18.1.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T076598.20000118
Datum der Entscheidung: 18 Januar 2000
Aktenzeichen: T 0765/98
Anmeldenummer: 92117405.8
IPC-Klasse: B65D 83/76
B05C 17/005
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Behälter für fließfähige Substanzen
Name des Anmelders: THERA Patent GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (Hauptantrag, ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0331/87
T 0514/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 92 117 405.8 wurde mit einer am 2. April 1998 zur Post gegebenen Entscheidung durch die Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

II. Die Zurückweisung erfolgte mit der Begründung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem damals geltenden Hauptantrag über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe und somit gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße.

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Behälter für fließfähige Substanzen, mit einem Folienschlauch (11) zur Aufnahme der Substanz, einem zylindrischen Gehäuse (31; 41) zur Aufnahme des Folienschlauchs (11) zwischen einem verschiebbaren Kolben (32; 42) und einer starren Kappe (33; 43) und einem an der der Kappe (33; 43) zugewandten Stirnseite des Folienschlauchs (11) befestigten Ring (20), dadurch gekennzeichnet, daß der Ring (20) eine konische Dichtfläche (21) und die Kappe (33; 43) eine mit dieser zusammenwirkende und eine Ausbringöffnung (34; 44, 45) in der Kappe umgebende Gegenfläche (35) aufweist."

III. Gegen diese Entscheidung ist am 3. April 1998 Beschwerde eingelegt worden. Die Beschwerdegebühr wurde am 9. Juni 1998 entrichtet. An diesem Tag ist auch die Beschwerdebegründung eingegangen.

Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin (Anmelderin) einen neuen Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag ein. Dieser unterscheidet sich von dem im obigen Punkt II wiedergegebenen Anspruch 1 lediglich dadurch, daß die "Gegenfläche" als "Dichtungs-Gegenfläche" präzisiert wird.

IV. Es wurde am 18. Januar 2000 mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag, hilfsweise mit den Ansprüchen 1 bis 9 sowie Beschreibungsseiten 2 und 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung, zusammen mit den Beschreibungsseiten 1 und 4 bis 7 sowie den Zeichnungen wie ursprünglich eingereicht.

Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich von dem im obigen Punkt II wiedergegebenen Anspruch 1 dadurch, daß die "Gegenfläche" als "konische Gegenfläche" definiert wird.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 richten sich auf bevorzugte Ausführungsformen des Behälters nach dem Anspruch 1.

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Stützung ihrer Anträge läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Der Fachmann könne der Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ohne weiteres entnehmen, daß es auf eine Konusform der mit der konischen Dichtfläche des Rings zusammenwirkenden Gegenfläche der Kappe nicht ankomme. So werde in der Beschreibung der speziellen Ausführungsbeispiele einerseits durchgehend von der "konischen Dichtfläche 21" gesprochen, während andererseits die Gegenfläche 35 durchgehend nur als solche ohne Hinweis auf eine Konus- oder sonstige Form bezeichnet werde. In dem vorletzten Absatz der Seite 2 der Beschreibung, der unmittelbar auf den Anspruch 1 Bezug nehme, sei ebenso nur von einer konischen Dichtfläche, nicht aber von einer konischen Gegenfläche die Rede. Der folgende Absatz spreche von "einer" konischen Dichtfläche und erwähne als deren Vorteil, daß sich der Folienschlauch beim Einlegen in das Gehäuse automatisch zentriere. Auch hier sei offenbar lediglich die am Ring des Folienschlauchs vorhandene, stets als konisch bezeichnete Dichtfläche gemeint. Der nächste Satz desselben Absatzes spreche zwar von einer konischen Ausführung der "Dichtflächen" (im Plural), die dieser Ausführung zugesprochene technische Wirkung sei aber offensichtlich falsch, so daß der Fachmann dieser Textstelle, die die einzige in der Beschreibung sei, die von einer Konusform der Gegenfläche spreche, nur untergeordnete Beachtung schenken werde.

Es sei dem Fachmann aus technischer Sicht auch offensichtlich, daß eine konische Gegenfläche weder für eine gute Zentrierung des Folienschlauchs, noch für die gegenseitige Dichtung erforderlich sei. Diese Wirkungen ergäben sich allein aus der Tatsache, daß die Dichtfläche am Ring konisch geformt sei. Somit seien die in der Entscheidung T 331/87 (ABl. EPA 1991, 22) aufgestellten Kriterien für die zulässige Streichung eines unwesentlichen Merkmals aus dem ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 erfüllt.

Was den Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag betreffe, habe die Prüfungsabteilung bestätigt, daß dieser im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden und dessen Gegenstand neu und erfinderisch sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 sowie der Regeln 1 (1) und 64 EPÜ. Sie ist daher zulässig.

2. Hauptantrag

Im Gegensatz zum ursprünglich eingereichten Anspruch 1 ist im Anspruch 1 nach dem vorliegenden Hauptantrag die mit der konischen Dichtfläche des Rings auf dem Folienschlauch zusammenwirkende Gegenfläche der Kappe nicht als konisch definiert. Folglich richtet sich der Anspruch auf einen Behälter, bei dem die Gegenfläche eine beliebige, zur Dichtung gegenüber der konischen Dichtfläche des Rings geeignete Gestalt aufweist. Um die Frage zu prüfen, ob der Gegenstand dieses Anspruchs über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgeht und somit im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ zu beanstanden ist, muß daher untersucht werden, ob die ursprünglich eingereichte Anmeldung dem Fachmann einen Behälter, wie er jetzt im Anspruch definiert ist, zumindest implizit eindeutig offenbart.

Angesichts der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin der Beschreibung auf Seite 2 der ursprünglichen Anmeldung besondere Bedeutung beimißt, werden hier die betreffenden Textstellen zur Erleichterung der Diskussion in vollem Wortlaut zitiert:

"Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, einen Behälter für eine fließfähige Substanz anzugeben, der nur eine geringe Menge an Einweg-Material enthält und dennoch einfach und sauber zu handhaben ist und eine genaue Dosierung der Substanz zuläßt.

Die erfindungsgemäße Lösung dieser Aufgabe ist in Anspruch 1 angegeben. Demnach ist der Folienschlauch mit einem Ring versehen, der eine konische Dichtfläche aufweist. Eine mit dieser zusammenwirkende ebensolche Dichtfläche umgibt eine in einer starren Kappe des Behälters angebrachte Ausbringöffnung. Zur Verwendung des Behälters wird der Folienschlauch innerhalb des Rings aufgeschnitten und dann so in ein zylindrisches Gehäuse eingesetzt, daß sich die Dichtfläche des Rings gegen die Gegenfläche der starren Kappe schiebt.

Eine konische Dichtfläche hat den Vorteil, daß sich der Folienschlauch beim Einlegen in das zylindrische Gehäuse automatisch zentriert. Die konische Ausführung der Dichtflächen bewirkt außerdem eine Erhöhung der dichtenden Andruckkraft."

In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin die Auffassung vertreten, daß die Angabe, daß die Kappe eine mit der konischen Dichtfläche des Rings "ebensolche" Dichtfläche aufweist, auch so verstanden werden könne, daß die entsprechende Gegenfläche ebenfalls eine Dichtfläche sei. Dieser Auffassung kann sich die Kammer nicht anschließen. Nachdem durch den Verweis auf den ursprünglichen Anspruch 1 die Gegenfläche schon eindeutig als "konisch" definiert worden ist, bleibt kein Raum für die von der Beschwerdeführerin angestrebte Interpretation des betreffenden Satzes. Er kann vielmehr nur so verstanden werden, daß die Kappe eine Dichtfläche aufweist, die ebenfalls die einzige vorher definierte Eigenschaft der Dichtfläche des Rings, nämlich eine konische Form, hat.

Wenn nun die Beschreibung den Vorteil einer automatischen Zentrierung des Folienschlauchs "einer" konischen Dichtfläche zuschreibt, muß diese Aussage im Lichte der Tatsache gesehen werden, daß im vorangehenden Absatz zwei derartige Dichtflächen identifiziert worden sind. Der Fachmann hat daher keinen Grund für die Annahme, daß der eine gute Handhabung betreffende Teil der gestellten Aufgabe allein durch eine konische Dichtfläche am Ring gelöst werden soll. Jedenfalls ist der nachfolgende, eine gute Dichtung (und folglich genaue Dosierung beim Ausbringen der Substanz) betreffende Satz insofern unmißverständlich, daß diese Wirkung mit einer konischen Ausführung der Dichtflächen zusammenhängt. Selbst wenn, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, zwei konische Dichtflächen nicht zu einer Erhöhung der "Andruckkraft" führen können, weil diese durch die vom Benutzer auf den Kolben ausgeübte Kraft bestimmt ist, besteht für den Fachmann kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß die angesprochene Anordnung der Dichtflächen zur Lösung der gestellten Aufgabe vorgesehen ist.

Der Beschwerdeführerin ist darin zuzustimmen, daß in der Beschreibung des bevorzugten Ausführungsbeispiels nur von einer "konischen Dichtfläche (21)" am Ring und einer "Gegenfläche (35)" an der Kappe gesprochen wird. Insbesondere, da die konische Form der Gegenfläche (Dichtfläche) an der Kappe in den Zeichnungen deutlich zu erkennen und diese Form in dem allgemeinen Beschreibungsteil schon angesprochen worden ist, kann der Fachmann jedoch in diesem sprachlichen Unterschied keine Andeutung sehen, daß die Gegenfläche keine konische Form aufweisen muß. Es handelt sich hier vielmehr lediglich um eine knappe Formulierung, die bei technischen Beschreibungen der vorliegenden Art durchaus üblich ist.

Aus dem Vorstehenden geht somit hervor, daß die ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen jedenfalls keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür enthalten, daß die im ursprünglichen Anspruch 1 beanspruchte Anordnung mit konischen Dichtflächen am Ring bzw. an der Kappe in der Tat lediglich eine bevorzugte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung darstellte und daß eine Anordnung, bei der nur die Dichtfläche am Ring konisch geformt ist, vom Fachmann als mitoffenfabrt verstanden wird.

Da die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen sehr eng an den in der Entscheidung T 331/87 (supra) aufgestellten "Wesentlichkeitstest" angeknüpft hat, ist es angemessen, die vorgenommene Änderung im Anspruch 1 auch aus diesem Blickwinkel zu untersuchen. Nach dieser Entscheidung der Kammer 3.2.2 verstößt das Streichen eines Merkmals aus einem Anspruch nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ, sofern der Fachmann unmittelbar und eindeutig erkennen würde, daß 1. das Merkmal in der Offenbarung nicht als wesentlich hingestellt worden ist, 2. es als solches für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen soll, nicht unerläßlich ist und 3. das Ersetzen oder Streichen keine wesentliche Angleichung anderer Merkmale erfordert. Allerdings hat dieselbe Kammer in ihrer Entscheidung T 514/88 (ABl. EPA 1992, 570) präzisiert, daß es beim ersten Kriterium nicht nur darauf ankommt, ob ausdrücklich auf die Wesentlichkeit hingewiesen wird; auch die vom Anmelder gewählte Darstellungsweise der Erfindung kann ein Hinweis darauf sein, daß er ein Merkmal für wesentlich hält, vgl. Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe.

Aus der obigen Analyse der betreffenden Textstellen der Beschreibung, wo das gestrichene Merkmal als zur Lösung der gestellten technischen Aufgabe dienend und vorteilhaft hervorgehoben wird, in Kombination mit der Tatsache, daß das gestrichene Merkmal im kennzeichnenden Teil des ursprünglichen Anspruchs 1 enthalten war und somit erkennbar als Teil der Lösung angegeben wurde, ist nach Auffassung der Kammer die Wesentlichkeit des betreffenden Merkmals für die ursprünglich angemeldete Erfindung eindeutig ersichtlich.

Zumindest das erste Kriterium des "Wesentlichkeitstests" wird somit nicht erfüllt. In diesem Zusammenhang kann die Kammer der Beschwerdeführerin in ihrer Auffassung nicht folgen, daß sich die hier vorzunehmende Prüfung der Wesentlichkeit des gestrichenen Merkmals mit dem nachträglich festgestellten objektiven technischen Beitrag zur Lösung der gestellten Aufgabe auseinandersetzen muß, denn diese Sichtweise hat mit der ursprünglichen Offenbarung, wie sie vom unbefangenen, fachkundigen Leser verstanden wird, wenig zu tun. Sie würde auch in fast allen Fällen zwangsläufig zu einer Bejahung der Zulässigkeit der Änderung führen, weil das Bestreben eines Anmelders, ein Merkmal aus einem ursprünglichen Anspruch zu streichen, normalerweise mit der später gewonnenen Erkenntnis einhergeht, daß das betreffende Merkmal für die Lösung der Aufgabe entbehrlich ist.

Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der Anspruch verstößt folglich gegen Artikel 123 (2) EPÜ und ist unzulässig.

3. Hilfsantrag

Anspruch 1 nach den vorliegenden Hilfsantrag entspricht inhaltlich dem Anspruch 1 nach dem der Prüfungsabteilung vorgelegten und von dieser gebilligten Hilfsantrag. Der Anspruch unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch lediglich durch die Streichung der Angabe, daß die Gegenfläche an der Kappe "ebenso" konisch ist. In dem betreffenden Zusammenhang ist diese Angabe nicht dahingehend zu verstehen, daß die jeweiligen Dichtflächen bzw. die Gegenfläche am Ring bzw. an der Kappe die gleiche Konizität aufweisen müssen, sondern lediglich dahingehend, daß die Gegenfläche "ebenfalls" bzw. "auch" konisch ist. Gegen die Streichung dieser Angabe bestehen somit keine Bedenken im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ.

Diese Auslegung des ursprünglichen Anspruchs 1 steht der Hinzufügung eines neuen Anspruchs 2, in dem die Gegenfläche als "ebenso konisch" im Sinne einer gleichen Konizität definiert wird, nicht entgegen, weil das betreffende Merkmal den ursprünglichen Zeichnungen eindeutig zu entnehmen ist.

Die Prüfungsabteilung hat die Erteilung eines Patents auf der Basis des ihr vorliegenden Hilfsantrags mehrfach in Aussicht gestellt; die entsprechenden Unterlagen waren Gegenstand einer Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ. Bei der gegebenen Sachlage sieht die Kammer keine Veranlassung, die formal zulässigen Unterlagen nach dem vorliegenden Hilfsantrag erneut einer sachlichen Prüfung zu unterwerfen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Hauptantrag wird zurückgewiesen.

3. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

- Ansprüche 1 bis 9 und Beschreibungsseiten 2 und 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

- Beschreibungsseiten 1 und 4 bis 7 sowie Zeichnungen, jeweils wie ursprünglich eingereicht.

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