T 0558/98 () of 16.11.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T055898.20001116
Datum der Entscheidung: 16 November 2000
Aktenzeichen: T 0558/98
Anmeldenummer: 93912729.6
IPC-Klasse: C08G 18/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wässriges Bindemittelgemisch und seine Verwendung
Name des Anmelders: BAYER AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende am 14. Januar 1998 eingegangene Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 25. November 1997, mit der die Europäische Patentanmeldung No. 93 912 729.6, angemeldet als PCT/EP93/01253 am 19. Mai 1993 unter Beanspruchung einer DE Priorität vom 2. Juni 1992 und veröffentlicht unter der No. WO-A-93/24550, zurückgewiesen wurde.

Die Beschwerdegebühr wurde zugleich mit der Beschwerdeeinlegung entrichtet; die schriftliche Beschwerdebegründung ist am 30. März 1998 eingegangen.

II. Die angefochtene Entscheidung beruhte auf der Anspruchsfassung der ursprünglichen Unterlagen. Die vier Ansprüche dieser Fassung lauteten wie folgt:

"1. Wäßriges Bindemittelgemisch bestehend im wesentlichen aus einer wäßrigen Lösung und/oder Dispersion einer Kombination aus

a) mindestens einem, in Gegenwart der Komponente b) in Wasser löslichen und/oder dispergierbaren, Urethangruppen aufweisenden NCO-Vorpolymerisat mit blockierten Isocyanatgruppen und

b) einer Polyamin-Komponente, bestehend aus mindestens einem organischen Polyamin mit insgesamt mindestens zwei primären und/oder sekundären, aliphatisch oder cycloaliphatisch gebundenen Aminogruppen

in einem Molverhältnis von blockierten Isocyanatgruppen zu primären und/oder sekundären Aminogruppen von 1:0,9 bis 1:1,5."

"2. Wäßriges Bindemittelgemisch gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Komponente a) einen Gehalt an blockierten Isocyanatgruppen (berechnet als NCO) von 2 bis 10 Gew.-%,

einen Gehalt an innerhalb von end- und/oder seitenständigen Polyetherketten eingebauten Ethylenoxideinheiten (berechnet als C2H4O) von 5 bis 20 Gew.-% und

einen Gehalt an, zumindest teilweise durch Reaktion mit der Komponente b) neutralisierten, Carboxylgruppen von 10. bis 60 Milliäquivalenten pro 100 g Feststoff

aufweist."

"3. Verwendung der wäßrigen Bindemittelgemische gemäß Anspruch 1 und 2, gegebenenfalls in Abmischung mit üblichen Hilfs- und Zusatzmitteln der Lacktechnologie zur Herstellung von Beschichtungen auf hitzeresistenten Substraten."

"4. Verwendung gemäß Anspruch 3 zur Herstellung von Unterbodenschutz-Beschichtungen oder steinschlagfesten Füllern für Kraftfahrzeuge."

III. In der angefochtenen Entscheidung wurde festgestellt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber den Entgegenhaltungen D1 (WO-A-81/02894) und D4 (EP-A-0 424 697) nicht neu sei. Er sei einerseits vorweggenommen durch die in D1 offenbarten stabilen Mischungen von Isophorondiamin mit wäßrigen Dispersionen von blockierte Isocyanatgruppen aufweisenden NCO-Vorpolymerisaten und anderseits durch die in D4 offenbarten wäßrigen Mischungen von carboxylgruppenhaltigen, blockierten Polyurethanen mit polyfunktionellen Verbindungen, wie Ethylendiamin oder Diethylentriamin.

IV. In Reaktion auf die am 17. Mai 2000 versandte (fälschlich mit 17. November 2000 datierte) Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16. November 2000 hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2000 geänderte Anspruchssätze eines Hauptantrags und eines Hilfsantrags eingereicht. Auf die weitere Nachricht des Berichterstatters der Kammer vom 6. November 2000 legte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 9. November 2000 einen geänderten Hauptantrag vor, dessen Anspruch 2 vom Berichterstatter am 13. November 2000 nach telefonischem Auftrag des Vertreters der Beschwerdeführerin noch korrigiert (Berichtigung eines offensichtlichen Schreibfehlers) wurde.

Im Anschluß daran hat die Kammer am 13. November 2000 die mündliche Verhandlung aufgehoben.

V. Der Hauptantrag umfaßt vier Ansprüche, wobei die Ansprüche 2 bis 4 abgesehen von geringfügigen redaktionellen Änderungen unverändert sind gegenüber der jeweiligen Fassung, die der angefochtenen Entscheidung zugrundelag.

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Wäßriges Bindemittelgemisch bestehend im wesentlichen aus einer wäßrigen Lösung und/oder Dispersion erhältlich durch zumindest teilweise Neutralisation

a) mindestens eines, in Gegenwart der Komponente b) in Wasser löslichen und/oder dispergierbaren, Urethan- und Carbonsäuregruppen aufweisenden NCO-Vorpolymerisats mit blockierten Isocyanatgruppen mit b) einer Polyamin-Komponente, bestehend aus mindestens einem organischen Polyamin des Molekulargewichts 60 bis 400 mit insgesamt mindestens zwei primären und/oder sekundären, aliphatisch oder cycloaliphatisch gebundenen Aminogruppen,

wobei das Molverhältnis von blockierten Isocyanatgruppen zu primären und/oder sekundären Aminogruppen von 1:0,9 bis 1:1,5 beträgt und wobei andere Basen, die mit der Komponente a) Salze bilden, abwesend sind."

VI. Die Beschwerdeführerin stellte fest, daß die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber D1 und D4 gegeben sei, weil keine dieser Entgegenhaltungen das erfindungswesentliche Prinzip der Verwendung eines Polyamins mit mindestens zwei primären oder sekundären Aminogruppen in der Doppelfunktion einerseits als Neutralisationsmittel für die Carboxylgruppen des blockierten NCO-Vorpolymerisates und anderseits als Kettenverlängerer offenbarten. Vielmehr habe gemäß D1 und D4 das Polyamin jeweils nur die letztgenannte Funktion, während die Neutralisation jeweils mit einer separaten salzbildenden Base erfolge.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung auf Basis (i) des Hauptantrags oder (ii) des Hilfsantrags.

Weiters beantragt die Beschwerdeführerin im Falle (ii) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Artikel 123 (2) EPÜ

Anspruch 1 stützt sich auf seine ursprüngliche Fassung sowie:

- bezüglich des Merkmals, daß die Lösung und/oder Dispersion durch zumindest teilweise Neutralisation eines (auch) Carbonsäuregruppen aufweisenden NCO-Vorpolymerisats erhältlich ist, auf Aussagen im letzten Absatz der Seite 4 und im von Seite 11 auf Seite 12 überleitenden Satz der ursprünglichen Beschreibung,

- bezüglich des Molekulargewichtsbereichs des Polyamins 60. bis 400 auf Seite 10, Zeilen 13 bis 17 der ursprünglichen Beschreibung und

- bezüglich des Disclaimers "und wobei andere salzbildende Basen abwesend sind" auf die Entgegenhaltung D1 (Anspruch 18 in Kombination mit Seite 6, Zeile 32 bis Seite 7, Zeile 3; cf. folgender Punkt 3.1).

Die Ansprüche 2 bis 4 des Hauptantrags entsprechen denselben Ansprüchen der ursprünglichen Fassung.

Die Ansprüche des Hauptantrags genügen somit der Bedingung des Artikels 123 (2) EPÜ.

3. Neuheit

3.1. Entgegenhaltung D1

3.1.1. Diese Entgegenhaltung betrifft gemäß Anspruch 1 eine stabile wäßrige Dispersion eines Carboxylsalzes eines Polymeren, das durch Reaktion eines carboxylgruppenhaltigen, blockierten NCO-Vorpolymerisats und eines Polyamins hergestellt wurde, wobei das NCO-Vorpolymerisat ein Reaktionsprodukt eines aromatischen Polyisocyanats mit einer zumindest zwei aktive Wasserstoffatome enthaltenden Verbindung ist. Das zur Bildung des Carboxylsalzes dienende Neutralisationsmittel kann laut Anspruch 5 ein tertiäres Amin, eine quartäre Ammonium- oder eine Alkalimetall-Base sein (siehe auch Seite 7, Zeilen 18 bis 20).

Die Herstellung der Dispersion erfolgt nach Anspruch 18 indem zuerst durch Zugabe von salzbildender Base und Wasser zu einem carboxylgruppenhaltigen, blockierten NCO-Vorpolymerisat eine wäßrige Dispersion des Vorpolymerisatsalzes hergestellt wird, die danach mit einem Polyamin einer Kettenverlängerungsreaktion unterzogen wird. Da diese Reaktion bei erhöhter Temperatur abläuft (cf. Anspruch 18; Seite 19, Zeile 31 bis Seite 20, Zeile 5), z. B. 12.5 Stunden bei 70 C (cf. Beispiel 1, Seite 24, Zeile 29 bis Seite 25, Zeile 10), muß gefolgert werden, daß die mit Polyamin versetzte wäßrige Dispersion des blockierten NCO-Vorpolymerisatsalzes bei Raumtemperatur beständig ist.

3.1.2. Zwar offenbart D1 somit stabile wäßrige Dispersionen von carbonsäuresalzgruppen-hältigen, blockierten NCO-Vorpolymerisaten, die auch Polyamine enthalten, und die somit den anmeldungsgemäß beanspruchten Bindemittelgemischen entsprechen, gemäß D1 erfolgt die Salzbildung der Carbonsäuregruppen aber nicht mittels der Polyamine, sondern mit anderen salzbildenden Basen, vorzugsweise tertiären Aminen wie Triäthylamin (cf. Ansprüche 4, 5, 7, 8; Seite 6, Zeile 32 bis Seite 7, Zeile 20).

3.1.3. Obwohl gemäß D1 (Seite 15, Zeilen 20 bis 29) nur ein Teil der Carbonsäuregruppen mit den genannten salzbildenden Basen neutralisiert werden muß (gemäß Teil B von Beispiel 1, Seite 24, Zeile 29 bis Seite 25, Zeile 25, mit 85% der Theorie an Triäthylamin (Seite 25, Zeile 3)), und somit in diesem Falle die Möglichkeit einer Neutralisation der Rest-COOH-Gruppen mit dem als Kettenverlängerer eingesetzten Polyamin besteht, sind die Dispersionen gemäß vorliegendem Anspruch 1 auch gegenüber einer derartigen Ausführungsform neu, weil Anspruch 1 die Anwesenheit der in D1 verwendeten salzbildenden Basen per Disclaimer ausschließt.

Wie die Aussagen auf Seite 11, letzte Zeile bis Seite 12, Zeile 14 der Streitanmeldung belegen, steht dieser Disclaimer im Einklang mit der erfindungsgemäßen Absicht, nur das Polyamin zur Salzbildung mit den Carbonsäuregruppen heranzuziehen ("Doppelfunktion").

3.1.4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Offenbarung von D1.

3.2. Entgegenhaltung D4

3.2.1. Gemäß Anspruch 1 betrifft diese Entgegenhaltung eine wäßrige Zusammensetzung enthaltend ein carboxylatgruppenhaltiges blockiertes Polyurethan, das ein Reaktionsprodukt ist aus (i) einem COOX-gruppen-haltigen Polyoxyalkylenpolyol (wobei X Wasserstoff oder ein Kation ist) mit mindestens 50 Gew.-% Oxyethylengruppen, (ii) einem Überschuß eines Polyisocyanats und (iii) einem Blockierungsmittel in einer dem Isocyanatüberschuß entsprechenden Menge.

Gemäß Anspruch 5 und Seite 2, Zeilen 33 bis 39 kann die Zusammensetzung zur zusätzlichen Kettenverlängerung/ Vernetzung eine polyfunktionelle Verbindung, z. B. ein polyfunktionelles Amin (z. B. Ethylendiamin und Diethylentriamin: Seite 5, Zeilen 12 bis 17), enthalten.

Die COOX-Gruppen des blockierten Polyurethans müssen gemäß Seite 4, Zeilen 30 bis 33 (in Verbindung mit Seite 3, Zeilen 41 bis 43) in Salzform vorliegen, wobei das Kation X NR4, Phosphonium oder vorzugsweise ein Alkalimetalion sein kann.

3.2.2. Da gemäß D4 somit in der wäßrigen Enddispersion alle COOX-Gruppen der blockierten Polyurethane in Salzform mit einem der genannten Kationen vorliegen, ist eine Salzbildung mit dem gegebenenfalls als polyfunktionelle Verbindung zugesetzten Polyamin ausgeschlossen. Die in D4 beschriebenen Dispersionen unterscheiden sich somit von denen gemäß vorliegendem Anspruch 1, demzufolge eine zumindest teilweise Neutralisation der COOH Gruppen mit der Polyamin-Komponente erfolgt.

3.2.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit auch neu gegenüber der Offenbarung von D4.

3.3. Dieselbe Schlußfolgerung trifft a fortiori auch auf den von Anspruch 1 abhängigen Anspruch 2, den unabhängigen Anspruch 3, der die Verwendung der Bindemittelgemische gemäß Anspruch 1 und 2 zum Inhalt hat, und den von letzterem abhängigen Verwendungsanspruch 4 zu.

3.4. Der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Zurückweisungsgrund fehlender Neuheit gegenüber den Offenbarungen von D1 und D4 liegt somit bezüglich der Ansprüche des Hauptantrags nicht mehr vor.

4. Da die Prüfung des gemäß Hauptantrag beanspruchten Gegenstandes auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem zitierten Stand der Technik vor der ersten Instanz noch nicht erfolgte, wird die Anmeldung in Anwendung der Vorschriften des Artikels 111 (1) EPÜ, i.a. zu diesem Zwecke an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen. Bei dieser Prüfung wird insbesondere zu untersuchen sein, ob die Verwendung der Polyamin-Komponente in der auf Seite 11, Zeile 34 bis Seite 12, Zeile 14 der Beschreibung dargelegten "Doppelfunktion" im Hinblick auf die auf Seite 2, Zeilen 21 bis 27 formulierte Aufgabe nahelag.

5. Bei dieser Sachlage erübrigt sich ein Eingehen auf den Hilfsantrag und somit auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die nur für den Fall beantragt war, daß die Kammer einer Fortsetzung des Prüfungsverfahrens auf der Basis des Hauptantrags nicht zustimmen würde (siehe Punkte IV und VII supra).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens auf der Basis des Hauptantrags an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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