European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2001:T048298.20010315 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 März 2001 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0482/98 | ||||||||
Anmeldenummer: | 93915823.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | D04H 1/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Herstellen von Mineralfaserprodukten und Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens | ||||||||
Name des Anmelders: | Deutsche Rockwool Mineralwoll-GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung überreichten Antrags (ja) Neuheit (ja) Erfinderische Tätigkeit (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent 0 648 286 wurde auf die am 7. Juli 1993 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 7. Juli 1992 eingereichte europäische Patentanmeldung 91 115 562.0 erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung wurde Einspruch eingelegt, weil der Gegenstand des angegriffenen Patents nicht neu sei bzw. nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Die Einsprechende beantragte den Widerruf des Patents, wobei sie sich auf folgenden Stand der Technik stützte:
(D1) EP-A-0 498 276
(D2) DE-U-7 706 910
(D3) EP-A-0 296 970
III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer am 9. April 1998 zur Post gegebenen Entscheidung. Sie vertrat die Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 das Erfordernis der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik nach D1 nicht erfülle.
IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 5. Mai 1998 unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr beschwert.
Mit ihrer am 13. August 1998 eingegangenen Beschwerdebegründung machte die Beschwerdeführerin geltend, die nunmehr beanspruchten Verfahren nach den geänderten Ansprüchen 1 und 2 seien neu und erfinderisch.
V. Die Kammer brachte in einem Bescheid vom 12. Oktober 2000 Zweifel an der Neuheit des mit den neuen Haupt- und Hilfsanträgen weiter verfolgten Patentbegehrens zum Ausdruck.
VI. Die Einsprechende hat mit ihrem am 3. März 2001 eingegangenen Schreiben vom 2. März 2001 ihren Einspruch gegen das europäische Patent 0 648 286 zurückgezogen.
VI. Mündliche Verhandlung wurde am 15. März 2001 abgehalten.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in beschränktem Umfang mit den in der Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 bis 27, angepaßter Beschreibung, Spalten 1 bis 8, und den erteilten Zeichnungen, Figuren 1 bis 5, wobei der geänderte Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zum Herstellen von Mineralfaserprodukten mit verdichteten Oberflächenbereichen, bei dem eine endlose Mineralfaserbahn kontinuierlich bewegt wird, wobei die Fasern innerhalb der Mineralfaserbahn aufgrund eines vorhergehenden Herstellungsvorgangs im wesentlichen parallel zu den großen Oberflächen der Mineralfaserbahn verlaufen und wobei die Mineralfaserbahn ein unausgehärtetes Bindemittel enthält, welches mit einer Wärmebehandlung ausgehärtet wird, dadurch gekennzeichnet, daß mindestens ein Oberflächenbereich der endlosen und kontinuierlich bewegten Mineralfaserbahn mit unveränderter Faserausrichtung nach einer ersten mechanischen Vorverdichtung Nadelstößen bis zu einer vorgegebenen Eindringtiefe ausgesetzt wird, so daß die Fasern verfilzen und gleichzeitig der Oberflächenbereich verdichtet wird."
Nach ihrer Auffassung sei das Verfahren nach diesem Anspruch neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ (D1) und durch die übrigen entgegengehaltenen Druckschriften (D2, D3) auch nicht nahegelegt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Nach der Rücknahme ihres Einspruchs ist die vormalige Einsprechende nicht mehr am Verfahren beteiligt.
3. Zulässigkeit des neuen Antrags
3.1. Die Kammer kann verspätet oder zu kurzfristig eingereichte Anträge zurückweisen, wenn ihre Berücksichtigung die Gegenseite unangemessen benachteiligen oder das Verfahren unnötig verzögern würde (Artikel 114 (2) EPÜ). Da die Einsprechende nicht mehr am Verfahren beteiligt ist, kann sie durch die Vorlage des neuen Antrags nicht beeinträchtigt sein.
Nachdem eine erste Überprüfung ergeben hat, daß der neu vorgelegte Antrag voraussichtlich eindeutig gewährbar sein würde und darüber unmittelbar entschieden werden könnte, konnte die Kammer diesen neuen Antrag als Grundlage für ihre Entscheidung akzeptieren (vgl. auch die unveröffentlichte Entscheidung T 468/95).
3.2. Die Änderungen des Anspruchs 1 sind in der Patentschrift (Anspruch 4 und Beschreibung, Spalte 5, Zeilen 21 bis 28) und in den ursprünglich eingereichten Unterlagen (Anspruch 4 und Beschreibung, Seite 7, letzte 8 Zeilen) im beanspruchten Zusammenhang offenbart (Artikel 123 (2) EPÜ). Durch die zusätzlichen Merkmale wird der Schutzbereich des Patents eingeschränkt (Artikel 123 (3) EPÜ). Daher bestehen gegen die Zulässigkeit des geänderten Patentbegehrens seitens der Kammer keine Bedenken.
4. Neuheit
4.1. Beim Verfahren zur Herstellung von Mineralfaserplatten nach D1 wird eine Bindemittel enthaltende Mineralfasermatte bereichsweise verfilzt, deren Fasern infolge der Faltung durch wechselseitiges Ausbauchen im wesentlichen senkrecht zur großen Oberfläche der Mineralfaserbahn verlaufen. Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich das Verfahren nach Anspruch 1 durch die zu den großen Oberflächen der Faserbahn im wesentlichen parallel verlaufenden Mineralfasern, deren parallele Orientierung während des Herstellungsprozesses unverändert bleibt.
4.2. D3 beschreibt ein Verfahren zum Nadeln einer Glasfasermatte, die aus zwei Schichten besteht und mit einem Bindemittel auf Harzbasis verstärkt wird, wobei die Nadelung durch zwei Sätze von Nadeln mit verschiedenen Durchmessern erfolgt. Eine Vorverdichtung der Fasern ist nicht vorgesehen. Die Nadelung erfolgt nicht nur bis zu einer vorgegebenen Eindringtiefe, sondern durch die Matte hindurch.
4.3. Um die aus D2 bekannte Wärmedämmplatte aus Mineralfasern biegbar zu machen, wird durch Nadelung innerhalb der Platte Material verdrängt. Eine Verfilzung der Fasern ist dort nicht vorgesehen. Diese Mineralfaserplatte enthält kein Bindemittel, welches durch eine Wärmebehandlung ausgehärtet wird.
4.4. Die in der Patentschrift bereits ausführlich gewürdigte CA-PS 1 057 183 (D4) befaßt sich mit einem Verfahren und einer Vorrichtung zur Herstellung eines Faserproduktes mit unterschiedlichen Dichtebereichen. Nach einem ersten Ausführungsbeispiel der Figur 1 wird eine kontinuierlich bewegte homogene Fasermatte in der Längsmitte aufgeschnitten. Die obere Teilbahn wird abgehoben, zusätzlich verdichtet und anschließend wieder mit der unverdichteten Teilbahn vereinigt, so daß sich ein Produkt mit mindestens zwei verschieden dichten Schichten ergibt. Nach dem Ausführungsbeispiel der Figur 5 werden zwei Faserlagen produziert, die sich durch Bindergehalt, Fasergewicht, Faserlänge oder andere Eigenschaften unterscheiden, aufeinandergelegt und durch anschließendes Aushärten des Binders zu einem Fasermattenprodukt vereinigt. Eine Nadelung ist hier nicht vorgesehen.
4.5. Da somit keine der Entgegenhaltungen alle Merkmale des Verfahrens nach Anspruch 1 aufweist, erfüllt dieses Verfahren das Erfordernis der Neuheit, Artikel 54 (1) EPÜ.
4.6. Der Anspruch 15 richtet sich auf eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche (Anspruch 1 und auf diesen rückbezogene Ansprüche 2 bis 14). Infolge dieses einschränkenden Rückbezugs ist durch die Neuheit des Anspruchs 1 auch die Neuheit der Vorrichtung nach Anspruch 15 hergestellt.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1. D1 betrifft einen Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ und ist deshalb bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu lassen.
5.2. Der nächstkommende Stand der Technik wird durch D4 repräsentiert. Zur Herstellung eines Faserplattenproduktes mit einer verdichteten Oberflächenschicht wird dort eine ein unausgehärtetes Bindemittel enthaltende Mineralfaserbahn durch einen parallel zu den großen Oberflächen verlaufenden Schnitt in zwei Teilbahnen aufgespalten, eine dieser Bahnen verdichtet, anschließend wieder mit der anderen Bahn zusammengebracht und sodann das Bindemittel durch eine Wärmebehandlung ausgehärtet.
Ausgehend von diesem Verfahren zur Herstellung einer Fasermatte mit Bereichen unterschiedlicher Dichte liegt der Erfindung das technische Problem zugrunde, ein Verfahren zum Herstellen von Mineralfaserprodukten mit verdichteten Oberflächenbereichen bzw. -schichten zu schaffen, durch welches hohe Abreißfestigkeiten und ein intensiver Faserverbund erreicht werden können. Diese Aufgabe wird nach Überzeugung der Kammer durch das Verfahren nach Anspruch 1 gelöst.
5.3. Nachdem die Lösung der D4 in allen Ausführungsbeispielen von zwei Bahnen verschiedener Dichte ausgeht, die miteinander vereinigt werden, fehlt schon jeglicher Hinweis darauf, als Ausgangsprodukt eine Fasermatte homogenen Aufbaus einer bereichsweisen Verdichtung zu unterwerfen. Eine Nadelung ist in dieser Druckschrift auch nicht andeutungsweise erwähnt, so daß der zuständige Fachmann durch D4 allein keine Anregung zum Verfahren nach Anspruch 1 erhalten kann.
5.4. Die Nadelungsbehandlung nach D3 geht durch die gesamte Dicke der zwei Glasfasermatten hindurch. Diese Schrift kann den Fachmann daher allenfalls dazu anregen, die Vereinigung der Teilbahnen der D4 mit einer Durchnadelung zusätzlich zu verbessern, jedoch nicht dazu, die Nadelung bis zu einer vorgegebenen Eindringtiefe vorzunehmen. Durch die Kombination der Lehre von D4 und D3 wäre jedenfalls auch nicht der Effekt der bereichsweisen Verdichtung bis zu einer vorgegebenen Eindringtiefe erzielbar.
5.5. D2 liegt dem beanspruchten Verfahren noch ferner als der bisher behandelte Stand der Technik. Da dort durch die Nadelung eine Verdrängung von Material im Inneren des Isoliermaterials stattfindet, kann dieses bekannte Verfahren im Hinblick auf die Problemstellung des Patents keinen Beitrag leisten, wo es im Gegenteil dazu um eine Verdichtung in einem Oberflächenbereich geht.
Da auch nicht erkennbar ist, wie der Fachmann durch sein allgemeines Wissen und Können zu den beanspruchten Maßnahmen gelangen konnte und, wie oben dargelegt, ein entsprechender Anstoß durch den Stand der Technik fehlt, mußte der Fachmann zum Auffinden des Verfahrens nach Anspruch 1 erfinderisch tätig werden (Artikel 56 EPÜ).
6. Zusammengefaßt ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, daß das Verfahren nach Anspruch 1 die Patentierungskriterien des Artikels 52 (1) EPÜ erfüllt. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 14 und die auf das beanspruchte Verfahren rückbezogenen Vorrichtungsansprüche 15 bis 27 können somit ebenfalls aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen
- Patentansprüche 1 bis 27
- Beschreibung, Spalten 1 bis 8
sowie den erteilten Figuren 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.