European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2002:T023598.20021122 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 November 2002 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0235/98 | ||||||||
Anmeldenummer: | 92250256.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61N 1/34 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Neurostimulator | ||||||||
Name des Anmelders: | BIOTRONIK Mess- und Therapiegeräte GmbH & Co Ing.büroBerlin | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - nein | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte gegen die am 24. Oktober 1997 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Europäische Patentanmeldung Nr. 92 250 256.2 (veröffentlicht mit der Nr. EP-A-0 532 143) zurückzuweisen, die am 24. Dezember 1997 eingegangene Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründung ging am 3. März 1998 ein.
II. Die Patentanmeldung war mangels Klarheit des Anspruchs 1 im Sinne des Artikels 84 EPÜ zurückgewiesen worden.
III. In der Anlage zur Ladung vom 28. August 2002 zu einer von der Anmelderin hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung legte die Kammer ihre vorläufige, unverbindliche Auffassung zur Patentfähigkeit des Gegenstands der geltenden Ansprüche dar. Es wurde dabei unter anderem die folgende Entgegenhaltung berücksichtigt:
D1: M. Schaldach et al., "Implantierbarer Neurostimulator mit programmierbarer Logik", Biomedizinische Technik, Band 35, Ergänzungsband 2, 1990, Seiten 138 bis 140
IV. Die mündliche Verhandlung fand am 22. November 2002 statt.
Am Ende der mündlichen Verhandlung bestätigte die Beschwerdeführerin ihren Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Basis der folgenden Unterlagen:
Hauptantrag
Ansprüche: 1 eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 22. November 2002;
2. bis 11 eingereicht mit Schreiben vom 21. Oktober 2002 (Hauptantrag)
Beschreibung: Seiten 1 bis 11 eingereicht mit Schreiben vom 2. August 1995
Zeichnungen: Seiten 1/3 bis 3/3 in der ursprünglichen Fassung
Hilfsantrag
Ansprüche: 1 eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 22. November 2002;
2. bis 11 eingereicht mit Schreiben vom 21. Oktober 2002 (Hilfsantrag)
Restliche Unterlagen wie beim Hauptantrag.
V. Der Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag ist:
"Neurostimulator zur Erzeugung von Stimulationsimpulsen für das zentrale oder periphere Nervensystem, mit einem Impulsgenerator (15), dessen Ausgang mit Stimulationselektroden verbunden ist und der mittels einer Zeitsteuerung derart aktivierbar ist, dass der Impulsgenerator in einer Phase der Elektrostimulation Einzelimpulse mit einer Einzelimpulsdauer (d) oder Impulspakete mit einer Burstbreite (b) und jeweils zwischen diesen Einzelimpulsen oder Impulspaketen liegenden Pausen (p) abgibt,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Zeitsteuerung (1) dazu ausgebildet ist, den Impulsgenerator (15) derart anzusteuern, dass sich die Phasen der Elektrostimulation periodisch wiederholen und dabei einen zeitlichen Abstand (z) voneinander haben, der der biologischen Halbwertszeit der in der Phase der Elektrostimulation freigesetzten körpereigenen chemischen Wirkstoffe entspricht."
VI. Der Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag entspricht dem des Hauptantrags mit den folgenden zusätzlichen Merkmalen:
"weiterhin gekennzeichnet durch eine Stimulatorsteuerung (17), welche über Messleitungen mit einem Strommesswiderstand (R) in Zuleitungen zu Elektroden (20) verbunden und welche dazu ausgebildet ist, über den Strommesswiderstand (R) einen Stromwert (i) zu messen, aus diesem einen Dosiermengenwert (M) zu ermitteln und in Verbindung damit den Wert (z) der biologischen Halbwertszeit zu ermitteln."
VII. Die Beschwerdeführerin machte im wesentlichen folgendes geltend:
Anspruch 1 des Hauptantrags definiere, daß der zeitliche Abstand zwischen den Phasen der Elektrostimulation der biologischen Halbwertszeit der in der Phase der Elektrostimulation freigesetzten körpereigenen chemischen Wirkstoffe entspreche. Dabei sei für die Bestimmung der biologischen Halbwertszeit, derjenige körpereigene chemische Wirkstoff zu nehmen, der für die schmerzbekämpfende Wirkung der Elektrostimulation entscheidend sei. Die biologische Halbwertszeit sei eine für den Wirkstoff feste, auf bekannten Wege, gegebenenfalls in vitro ermittelbare Größe. Damit sei der Neurostimulator gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags klar und eindeutig definiert. Anspruch 1 des Hilfsantrags definiere darüber hinaus zur weiteren Klarstellung zusätzlich die Mittel zum Ermitteln der biologischen Halbwertszeit.
Entsprechend der Wahl des genannten zeitlichen Abstands unterscheide sich der Neurostimulator gemäß Anspruch 1 von dem aus D1 bekannten Neurostimulator dadurch, daß die Zeitsteuerung dazu ausgebildet sei, den Impulsgenerator derart anzusteuern, daß der Abstand zwischen den Phasen der Elektrostimulation der biologischen Halbwertzeit der in der Phase der Elektrostimulation freigesetzten körpereigenen chemischen Wirkstoffe entspreche. Demgegenüber zeige Dokument D1 nur eine Intervall-Reizung, wobei die Ein- und Ausschaltung mit dem extrakorporalen Teil des Stimulators erfolge. Dazu werde dessen Antenne zur Übertragung der zum Betrieb des im Körper implantierten Teils des Stimulators erforderlichen Energie und der Betriebsparameter in den Bereich der Kopplung mit der Antenne des implantierten Teils gebracht. Dokument D1 zeige weder eine Zeitsteuerung für den zeitlichen Abstand zwischen den Phasen der Elektrosimulation, noch eine Bestimmung des Abstandes anhand einer biologischen Halbwertzeit. Der beanspruchte Neurostimulator sei auch durch keine der weiteren zitierten Entgegenhaltungen bekannt oder nahegelegt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit neu und erfinderisch gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 EPÜ sowie der Regel 64 EPÜ und ist somit zulässig.
2. Gemäß Anspruch 1 des Haupt- und des Hilfsantrags ist die Zeitsteuerung dazu ausgebildet, den Impulsgenerator derart anzusteuern, daß sich die Phasen der Elektrostimulation periodisch wiederholen und dabei einen zeitlichen Abstand voneinander haben, der der biologischen Halbwertszeit der in der Phase der Elektrostimulation freigesetzten körpereigenen chemischen Wirkstoffe entspricht.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang zunächst die Frage, um welche körpereigenen chemischen Wirkstoffe es sich hierbei handelt.
Die Beschreibung enthält in diesem Kontext keine eindeutigen Angaben, die zur Klärung des Sachverhalts beitragen können. Laut Beschreibung (vgl. Blatt 5, Zeilen 11 bis 15 der ursprünglich eingereichten Fassung) geht die Erfindung von der Erkenntnis aus, daß "die Nervenreize im Nervensystem auch durch chemische Übertragungsstoffe (Neurotransmitter) auf chemischem Wege weitergeleitet werden". Die Inaktivierung der freigesetzten Neurotransmitter erfolgt "teils durch chemische Wirkstoffe (bei Acetylcholin durch Cholinesterase) teils durch Wiederaufnahme in die Vesikel (bei Noradrenalin)" (vgl. Blatt 5, Zeilen 26 bis 29). Als vorteilhaft hat sich dabei erwiesen, daß "Neurotransmitter gezielt auf die Nervenfunktion einwirken und diese so anregen, dass diese, trotz Reduzierung der elektrischen Energie, bevorzugt auf die Elektrostimulation reagieren" (vgl. Blatt 5, Zeile 31 bis Blatt 6, Zeile 2). Zudem werden bei der gezielten Stimulierung offenbar "chemische Wirkstoffe mit längerer biologischer Halbwertszeit freigesetzt, die die Schmerzbahn im Rückenmark blockieren" (vgl. Blatt 6, Zeilen 3 bis 5). Die Zeitsteuerung der elektronischen Schaltung des Neurostimulators wird dabei "der jeweiligen spezifischen biologische[n] Halbwertszeit dieser chemischen Wirkstoffe" angepaßt gestaltet (vgl. Blatt 6, Zeilen 13 bis 18). Darüber hinaus kann "durch die Anpassung der Wiederholrate der Stimulation an die Halbwertszeit der körpereigenen chemischen Wirkstoffe der Neurotransmitter [...] der Abstand zwischen den Phasen der Elektrostimulation vergrössert und damit Energie eingespart werden" (vgl. Blatt 7, Zeilen 17 bis 22).
Aus den zitierten Angaben wird deutlich, daß es sich bei den im Anspruch 1 angeführten körpereigenen chemischen Wirkstoffen um eine Vielzahl unterschiedlicher Stoffe mit völlig unterschiedlichen chemischen bzw. physiologischen Wirkmechanismen handeln kann. So bleibt offen, ob es sich bei den körpereigenen chemischen Wirkstoffen um Neurotransmitter, Wirkstoffe der Neurotransmitter, Wirkstoffe für die Inaktivierung der Neurotransmitter oder sonstige körpereigenen Wirkstoffe handelt.
Darüber hinaus werden offensichtlich bei der Elektrostimulation in der Regel mehrere verschiedene Wirkstoffe gleichzeitig freigesetzt, so daß es zudem unklar ist, von welchem der freigesetzten Wirkstoffe die biologische Halbwertszeit maßgebend für die Einstellung des zeitlichen Abstandes der Phasen der Elektrostimulation sein soll.
Ganz abgesehen davon bleibt unklar, wie sich die entsprechenden biologischen Halbwertszeiten überhaupt definieren und schließlich dann auch verläßlich bestimmen lassen.
So ist z. B. bei körpereigenen Wirkstoffen, die im Körper regeneriert werden, nicht ersichtlich, was genau ihre biologische Halbwertszeit wäre, geschweige denn ob und wie sich diese bestimmen ließe. So zerfällt etwa der Neurotransmitter Acetylcholin nach der Ausscheidung aus den Vesikeln und nach Ausübung seiner Transmitterfunktion im synaptischen Spalt unter Einwirkung des Enzyms Cholinesterase relativ rasch in Acetat und Cholin. Anschließend wird er wieder synthetisiert und in die Vesikel aufgenommen. Andererseits wird z. B. der Neurotransmitter Noradrenalin gar nicht abgebaut, sondern nach der Ausscheidung aus den Vesikeln und nach Ausübung seiner Transmitterfunktion an der postsynaptischen Membran wieder in die Vesikel aufgenommen.
Es ist damit nicht nachvollziehbar, was genau bei derartigen Zyklen als biologische Halbwertszeit gelten soll. Insbesondere liegt beim erstgenannten Wirkstoff in dem auf eine Stimulation folgenden Zeitraum keine Abnahme der Konzentration des Wirkstoffes im Körper auf die Hälfte einer Anfangskonzentration vor, woraus sich eine biologische Halbwertszeit ermitteln ließe. Bei dem letztgenannten Wirkstoff tritt sogar gar keine Konzentrationsänderung im Körper auf, da der Wirkstoff lediglich zwischen Vesikel und Membran transportiert wird, so daß hier eine Grundvoraussetzung für das Konzept einer Halbwertszeit fehlt.
Zudem bleibt unklar, wie im Hinblick auf die Bestimmung biologischer Halbwertzeiten eine Konzentrationsänderung etwa von Neurotransmittern in vitro zustande kommen soll und inwieweit diese sich überhaupt mit einer Konzentrationsänderung der Neurotransmitter im Körper in ihrer Funktion als solcher korrelieren ließe.
Darüber hinaus ist auch nicht nachvollziehbar, inwiefern eine Gewebewiderstandsmessung Auskunft über eine biologische Halbwertszeit dieser Neurotransmitter geben könnte. Der Gewebewiderstand des Patienten ist normalerweise von einer Reihe von Parametern abhängig, wie Übergangswiderstand der implantierten Elektroden, Temperatur, Intensität der Durchblutung, Schweißbildung etc. Zudem ist es unklar, ob die bei der Elektrostimulation freigesetzten Wirkstoffe überhaupt eine Gewebewiderstandsänderung verursachen, und selbst wenn dies einträte, in welchem Maße dies geschähe. Damit ist es nicht ohne weiteres möglich, aus einer möglichen gemessenen Widerstandsänderung gezielt eine Konzentrationsänderung und damit die biologische Halbwertszeit eines bestimmten der bei der Elektrostimulation freigesetzten Wirkstoffe zu ermitteln. In diesem Zusammenhang bietet auch die entsprechende Offenbarung in der Beschreibung (vgl. Blatt 8, Zeilen 23 bis 29) "durch die Stimulatorsteuerung 17 wird laufend über den Strommesswiderstand der Strom i und daraus Dosiermengenwert M oder der Gewebewiderstand Rg am Ort der Elektrodenplatzierung bzw. in Verbindung damit der aktuelle Wert z der biologischen Halbwertszeit ermittelt, welche bei Bedarf durch die externe Programmier- und Überwachungseinheit 12 abgefragt bzw. vorgegeben werden" keinerlei Anhaltspunkte, wie denn die biologische Halbwertszeit konkret zu ermitteln wäre.
Damit lassen weder der Wortlaut des Anspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag noch die erläuternde Beschreibung erkennen, wie der zeitliche Abstand zwischen den Phasen der Elektrostimulation konkret zu wählen und damit die Zeitsteuerung des Neurostimulators zu gestalten wäre.
Aus den dargelegten Gründen ist die Erfindung in der vorliegenden Anmeldung insgesamt nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen könnte. Damit erfüllt die Anmeldung nicht das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ.
3. Demzufolge sind sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag nicht gewährbar.
4. Abschließend erscheint es der Kammer wert festzuhalten, daß, auch wenn im vorliegenden Fall der zeitliche Abstand zwischen den Phasen der Elektrostimulation sich auf einen konkreten Wert festliegen ließe, dieser Wert sich wohl kaum von den bei der Intervall-Reizung gemäß D1 benutzten Werten unterscheiden dürfte. Gemäß Dokument D1 (vgl. Seite 138, rechte Spalte, letzter Absatz) richten sich bei der Intervall-Reizung die zeitlichen Abstände zwischen den Phasen der Elektrostimulation nach den Bedürfnissen des Patienten. Offensichtlich wird, um den Patienten möglichst wenig zu beeinträchtigen, die Elektrostimulation zeitlich begrenzt und erst bei Abklingen der schmerzbekämpfenden Wirkung wird der Patient einer neuen Phase der Elektrostimulation unterzogen. Aber auch in dem Neurostimulator der vorliegenden Anmeldung müßten sich die Abstände zwischen den Phasen der Elektrostimulation wohl danach richten, daß bei Abklingen der schmerzbekämpfenden Wirkung eine neue Phase der Elektrostimulation eingeleitet wird, um damit eine quasi gleichförmige Wirkung zu erzielen (vgl. Blatt 6, Zeilen 13 bis 18). In beiden Fällen richten sich somit die zeitlichen Abstände zwischen den Phasen der Elektrostimulation letztendlich nach dem individuellen Schmerzempfinden des Patienten. In diesem begrenzten Rahmen ist jedoch die konkrete Auswahl eines praktikablen Zeitabstandes nur noch eine Routinemaßnahme für den Fachmann. Im übrigen ist es für den Neurostimulator als Gerät unerheblich, ob der Zeitabstand mittels einer auf möglichen theoretischen Erkenntnissen über die physiologische Wirkung der Elektrostimulation basierenden Definition oder mittels einer konkreten Zahlangabe festgelegt ist. Da es für den Fachmann zudem naheliegend wäre, die bereits aus D1 bekannte Intervall-Reizung mittels einer Zeitsteuerung zu automatisieren, ließe sich auch in dieser Maßnahme nichts Erfinderisches erkennen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.