T 0222/98 (Umhüllung von supraleitenden Drähten/FORSCHUNGSZENTRUM KARLSRUHE GmbH … of 20.11.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T022298.20021120
Datum der Entscheidung: 20 November 2002
Aktenzeichen: T 0222/98
Anmeldenummer: 88907638.6
IPC-Klasse: H01L 39/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Umhüllung von Supraleitenden Drähten
Name des Anmelders: Forschungszentrum Karlsruhe GmbH
Name des Einsprechenden: Siemens AG
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(3)
European Patent Convention 1973 Art 102(1)
Schlagwörter: Neuheit gegenüber Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 383 776 (europäische Patentanmeldung Nr. 88 90 76 38.6) mit der Bezeichnung "Umhüllung von supraleitenden Drähten" wurde mit Wirkung vom 21. Juni 1995 für die Vertragsstaaten CH, FR, GB, IT und LI erteilt. Wegen eines gemäß Artikel 54 (3) EPÜ entgegengehaltenen Standes der Technik enthält das Patent einen Satz Ansprüche 1 bis 3 für IT und einen weiteren Satz Ansprüche 1 bis 3 für CH, FR, GB, LI.

II. Gegen das Patent wurde am 29. Februar 1996 Einspruch eingelegt. Die Einsprechende beantragte den Widerruf des Patents im Umfang "aller vorläufig erteilten Ansprüche 1 bis 3 für alle Vertragsstaaten". Der Einspruch war für alle fünf Vertragsstaaten mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit, und für die Vertragsstaaten CH, FR, GB und LI auch mit mangelnder Neuheit gemäß Artikel 54 (3) EPÜ begründet worden.

III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit ihrer Entscheidung vom 16. Februar 1998 zurück.

IV. Die Einsprechende legte am 26. Februar 1998 Beschwerde gegen die Zurückweisung des Einspruchs ein und zahlte die Beschwerdegebühr am selben Tag. Die Begründung der Beschwerde wurde von der Beschwerdeführerin am 20. Mai 1998 eingereicht.

V. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, das Patent im vollen Umfang sowohl für den Vertragsstaat IT als auch die Vertragsstaaten CH, FR; GB und LI zu widerrufen. Für den Fall, daß die Beschwerdekammer ihrem Antrag nicht ohne weiteres stattgeben könne, hat die Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung beantragt.

VI. Die Beschwerde stützt sich in Bezug auf die Frage mangelnder Neuheit auf das im Einspruch zitierte Dokument:

E1: EP-A-0 297 707 - im Prüfungsverfahren als D2 zitiert.

Von der Pateninhaberin wurde während des Einspruchsverfahrens das folgende Dokument zusammen mit einer englischen Übersetzung eingereicht, dessen Priorität von Dokument E1 beansprucht wird

E1*: JP224829/87.

Nach Ansicht der Patentinhaberin geht aus diesem Dokument hervor, daß die Offenbarung in Dokument E1 für Silberlegierungen im allgemeinen keine Priorität genieße.

VII. Die Erfindung bezieht sich auf Umhüllungen für supraleitende Drähte.

Anspruch 1 der für den Vertragsstaat IT geltenden Ansprüche lautet wie folgt:

"1. Umhüllung von supraleitenden Drähten,

- deren supraleitendes Material aus einem Oxid besteht, dessen supraleitende Eigenschaften sich während der Herstellung der Drähte und der Umhüllung durch Ziehen oder ähnliche Verformungsprozesse verschlechtern und

- die in umhülltem Zustand zur Wiederherstellung der ursprünglichen supraleitenden Eigenschaften oder zu deren weiterer Verbesserung einer Erholungsglühung und einer anschließenden Aufoxidierungsglühung unterzogen werden müssen,

dadurch gekennzeichnet, daß

die Umhüllung aus einer Silberlegierung besteht, deren Schmelzpunkt über dem Schmelzpunkt von reinem Silber liegt."

Anspruch 1 der für die Vertragsstaaten CH, FR, GB and LI geltenden Ansprüche lautet wie folgt:

"1. Umhüllung von supraleitenden Drähten,

- deren supraleitendes Material aus einem Oxid besteht, dessen supraleitende Eigenschaften sich während der Herstellung der Drähte und der Umhüllung durch Ziehen oder ähnliche Verformungsprozesse verschlechtern und

- die in umhülltem Zustand zur Wiederherstellung der ursprünglichen supraleitenden Eigenschaften oder zu deren weiterer Verbesserung einer Erholungsglühung und einer anschließenden Aufoxidierungsglühung unterzogen werden müssen,

wobei die Umhüllung aus einer Silberlegierung besteht, deren Schmelzpunkt über dem Schmelzpunkt von reinem Silber liegt, und Silber/Palladium-Legierungen mit einem Palladiumanteil von 5 bis 20 Gew.-% ausgenommen sind."

VIII. Prioritäten:

Das Streitpatent wurde am 2. September 1988 als internationale Anmeldung Nr. 88 907 638.6 eingereicht, unter Inanspruchnahme der Priorität der früheren deutschen Patentanmeldung DE 37 31 266, Anmeldetag 17. September 1987. Die internationale Anmeldung wurde am 23. März 1989 veröffentlicht, während die deutsche Voranmeldung am 6. April 1989 offengelegt wurde.

IX. Die auf die getroffene Entscheidung einschlägigen Argumente der Beschwerdeführerin zur Frage der fehlenden Neuheit beziehen sich auf Betrachtungen über das allgemeine Wissen des Fachmanns.

X. Die Kammer hat in einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beiliegenden Mitteilung vom 12. August 2002 die Parteien über ihre vorläufige Meinung unterrichtet.

Dabei wies die Kammer insbesondere darauf hin, daß sich die Engegenhaltung E1 und deren Voranmeldung E1* anscheinend nicht auf Ag-Pd Legierungen beschränkten, die einen Palladium Gewichtsanteil von 5 bis 20 % aufwiesen. Die Beschreibung in Dokument E1 offenbare nämlich auch - zumindest durch den Hinweis auf deren Nachteil, daß der Schmelzpunkt für die Herstellung eines hervorragenden Supraleiters nur ungenügend erhöht werde - Ag-Pd Legierungen, deren Palladium Gewichtsanteil unter 5 % betrage. In Abwesenheit eines klaren Abgrenzungsmerkmales im Anspruch 1 des Streitpatents schienen jedoch diese letzteren Ag-Pd Legierungen von der für CH, FR, GB und LI beanspruchten Erfindung nicht ausgenommen zu sein.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig

2. Die Beschwerdegegnerin hat in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung ohne sachliche Ausführungen auf die Entscheidungsgründe der Einspruchsabteilung verwiesen und auch erklärt, daß sie keine weitere sachliche Stellungnahme abzugeben beabsichtige. Auch zu der, der Ladung zur mündlichen Verhandlung beiliegenden Mitteilung vom 12. August 2002 hat die Beschwerdegegnerin keine Stellungnahme abgegeben, aber erklärt, daß von ihrer Seite niemand an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Die Kammer sieht dies als eine klare Willensäußerung der Beschwerdegegnerin sich nicht weiter aktiv am Verfahren zu beteiligen. Da die Beschwerdegegnerin auch die von der Kammer vorgebrachten Einwände nicht beantwortete, konnte die für Mittwoch, 13. November 2002 angesetzte, von der Beschwerdeführerin bedingt beantragte mündliche Verhandlung entfallen. Die Aufhebung der mündlichen Verhandlung wurde den Parteien mittels Telefax vom 11. November 2002 mitgeteilt.

3. Neuheit

3.1. Gemäß Artikel 54 (3) EPÜ gilt als Stand der Technik für ein europäisches Patent auch der Inhalt einer europäischen Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung, wenn der Anmeldetag der Patents nach dem Anmeldetag, aber vor dem Veröffentlichungstag jener Anmeldung liegt. Diese Wirkung beschränkt sich auf die Staaten, die sowohl im Patent als auch in der Anmeldung ursprünglich wirksam benannt worden sind. Es folgt, daß Dokument E1 Stand der Technik gemäß Artikel 54. (3) EPÜ für die EPÜ Vertragsstaaten CH, FR, GB und LI ist, die sowohl im Patent als auch in der entgegengehaltenen, als Dokument E1 bezeichneten europäischen Patentanmeldung benannt sind.

3.2. In Fällen, in denen Prioritäten zu recht beansprucht werden, gilt als Tag der europäischen Anmeldung der jeweilige Prioritätstag (Artikel 89 EPÜ). Im vorliegenden Fall wurde die Anmeldung für das Streitpatent am 2. September 1988 eingereicht, unter Beanspruchung der Priorität vom 17. September 1987. Die als Dokument E1 zitierte veröffentlichte europäische Patentanmeldung 0 297 707 wurde am 11. Mai 1988 eingereicht, unter Beanspruchung mehrerer Prioritäten, von denen für die hier angegebenen Zwecke nur die am 8. September 1987 getätigte Prioritätsanmeldung in Betracht gezogen werden muß.

3.3. Dokument E1 bezieht sich auf aus Silber oder Silberlegierungen gefertigte Umhüllungen für aus Oxid bestehende Supraleiter. Der in Dokument E1 angegebene Grund für die Verwendung von Silberlegierungen ist die Erhöhung des Schmelzpunkts der Umhüllung, um damit eine Erhöhung der Temperatur zu erreichen, bei welcher der Supraleiter geglüht werden kann. Obwohl Silberlegierungen mit einem Gewichtsanteil an Palladium von zwischen 5 und 20 Prozent als Ausführungsform beschrieben werden, beschränkt sich die Offenbarung nicht auf solche Legierungen. Vielmehr werden Legierungen in diesem Anteilsbereich nur als bevorzugte Ausführungsform angegeben (Seite 4, Zeile 5 bis 7).

3.4. Die als Dokument E1* bezeichnete, in Dokument E1 als Prioritätsanmeldung beanspruchte japanische Patentanmeldung 62-224829 wurde von der Patentinhaberin während des Einspruchsverfahrens zusammen mit einer Übersetzung eingereicht. Die Genauigkeit der Übersetzung wurde von der Beschwerdeführerin (auch als Einsprechender) nicht in Frage gestellt und auch die Kammer hat keinen offensichtlichen Grund, die Richtigkeit der Übersetzung anzuzweifeln.

3.5. Dokument E1* beschreibt und beansprucht metallische Umhüllungen für Oxidsupraleiter, die aus einer Silberlegierung mit 5-20 % Gewichtsanteil Palladium bestehen. Der angegebene Grund für die Beschränkung des Palladiumgewichtsanteils auf zwischen 5 % und 20 %ist, daß bei einem Gewichtsanteil von weniger als 5 % der Schmelzpunkt der Silber-Palladium Legierungen zu niedrig liegt, um die Temperatur zu übersteigen, bei der Sintern des Supraleiters zu ausgezeichneten Eigenschaften führt (siehe, z. B., Seite 5, Zeilen 9 bis 18, der Übersetzung). Damit enthält aber Dokument E1* zusätzlich zur Offenbarung von Legierungen, in denen der Gewichtsanteil an Palladium zwischen 5 und 20 % liegt, eine klare Offenbarung von Silber-Palladium Legierungen, in denen der Gewichtsanteil außerhalb des im Streitpatent ausgenommenen Bereichs von 5 -20 % liegt. Zwar ist für diese Legierungen die erzielte Erhöhung der Schmelztemperatur der Umhüllung nicht ausreichend, um Supraleiter mit ausgezeichneten Eigenschaften zu erzielen, aber eine Erhöhung des Schmelzpunkts, verglichen mit Silber, liegt trotzdem vor.

3.6. Der Wortlaut der Begründung für die Verwendung von Silberlegierungen wurde für Dokument E1 von Dokument E1* fast wortgleich übernommen. Damit enthalten sowohl Dokument E1 als auch dessen Prioritätsanmeldung E1* sowohl die durch das Streitpatent zu lösende Aufgabe als auch die dort angegebene Lösung.

3.7. Damit fallen die in Dokumenten E1 und E1* offenbarten Silber-Palladium Legierungen, wie schon in der Mitteilung der Kammer an die Parteien ausgeführt, in den Wortlaut des Anspruchs 1, der nicht auf eine "genügende" Erhöhung der Temperatur beschränkt ist, sondern jegliche Erhöhung der Schmelztemperatur umfaßt. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß Anspruch 1 für die Vertragsstaaten CH, FR, GB und LI im Sinne von Artikel 54. (3) EPÜ nicht neu ist. Daher ist das Patent zu widerrufen (Artikel 102 (1) EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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